Bei A cup of Jo schrieb letztens jemand über den Ort, in dem sie aufgewachsen ist – und plötzlich war auch ich wieder dort: In Hildesheim, kurz nach Hannover, kurz vor Harz, niedersächsische Provinz – und öfter Mal Stau auf der A7. Das Haus, in dem ich groß geworden bin, liegt in einer breiten Allee mit Rosenbüschen in der Mitte. Ich erinnere mich genau: an das Geräusch, das die Holzpforte machte, wenn ich sie aufschob und das Gefühl unter den Füßen, wenn ich anschließend die Waschbetonplatten hinunterstieg…
Ich sehe den rechteckigen Teich vor mir, an dem wir immer die Enten gefüttert haben. Damals, als man noch Enten fütterte. Und ich höre meine Nachbarsfreundin und mich kichern, während wir im Garten malten oder ältere Damen verfolgten, weil wir uns so sehr wünschten, sie hätten etwas verbrochen…
Einmal hat uns eine gestellt und uns Hobbydetektivinnen angeschrien: “Was! fällt! Euch! ein!” Ich denke jedes Mal daran, wenn ich heute durch die besagte Straße fahre. Ich erinnere mich, wie ich mich als Kind nie anders auf dem Bürgersteig bewegen konnte, als hüpfend. Die mehrfarbigen Gehwegplatten waren besser als Himmel und Hölle. Natürlich machen meine Kinder heute nichts anderes, wenn wir mal da sind. Ehrlicherweise hüpfe auch ich immer noch. Ich warte immer noch darauf, mal am Stadthügel mit meinen Kindern rodeln zu gehen, so wie ich als Kind. Weil sich das gipfelgleich angefühlt hat.
In meiner Erinnerung lagen ständig Massen von Schnee.
Die Sommer waren irre warm von Mai bis September. Und wir haben ständig gelacht. Ich erinnere mich an den Bäcker, bei dem wir in der Pause immer Schokokussbrötchen geholt haben, die damals noch anders hießen, worüber sich noch keiner Gedanken machte. Heute gibt es den Laden nicht mehr – den Namen von damals zum Glück auch nicht mehr.
Ich weiß noch genau, wie es an dem See mitten in Hildesheim riecht, um den ich als Kind geschoben wurde, in dem ich als Teenie heimlich gebadet habe, an dessen Ufer ich geknutscht, getrunken, mit jemandem zusammengekommen bin und mich getrennt habe. Ich sehe vor mir, wie wir nach dem Abi mit Trecker und Anhänger durch die große Einkaufsstraße getuckert sind und danach bei McDonalds saßen und dachten, die Welt gehöre uns.
Ich rieche wieder die Erdbeeren, die ich nach der Schule jeden Sommer am Stand an der Kirche mitten in der Fußgängerzone verkauft habe. Immer Freitags Nachmittags und den ganzen Samstag. Samstags war ich meist völlig müde von der Party am Abend zuvor, aber immer kamen meine Freundinnen vorbei und überredeten mich, abends wieder feiern zu gehen. Manchmal fuhren wir zu Partys draußen auf den Dörfern, auf denen wir nicht mal eingeladen waren, und entführten hinterher Nudelsalat vom Buffet in einer Douglastüte – für ein gieriges Nachtmahl in einer kleinen Hildesheimer Wohnung.
Ich denke immer, ich könnte dort nicht mehr wohnen. Aber natürlich überlege ich permanent, wie es wohl wäre, meine Kinder dort aufwachsen zu sehen, wo ich aufgewachsen bin.
Und wie ist es bei euch? Woher kommt ihr? Mögt ihr den Ort, lebt ihr noch da? Wolltet ihr immer weg? Was erzählt ihr euren Kindern über euren Kindheitsort? Ich würde es wahnsinnig gern hören.
Ich komme aus Königswinter und lebe dort nun wieder. Und Schokokussbrötchen kaufte man hier als “Dötschbrötchen” am Fenster des Hausmeisterzimmers in meiner Schule. Daran muss ich immer denken wenn Erzieherinnen in der Kita meines Sohnes über die Frage referieren, was als gesundes Frühstück mitgebracht werden darf 🙂 Andere Zeiten
Haha, bei euch also auch. Wenigstens war das Wort dafür politisch korrekt ; )
Alles Liebe und ein schönes Wochenende!
Claudi
Wir haben gerade ein Haus genau 3km weiter von meinen Eltern gekauft, also nur ein Minidorf weiter in Ostfriesland, nahe der niederländischen Grenze.
Es war für mich lange seltsam noch so nah an zuhause zu wohnen, habe ich mir doch früher immer vorgestellt in der Großstadt zu wohnen.
Aber jetzt mit meiner 6 monatigen Tochter genieße ich es sehr hier zu sein und freue mich auf die kommenden Jahre und habe das Gefühl durch das Internet ist das Dorf für mich etwas weniger Dorf wie früher und die positiven Seiten überwiegen.
Auf jeden Fall sieht dir dein Ältester total ähnlich ;,)
Bloß dass er dafür keine Dauerwelle brauchte…!
Hihi – alles Liebe,
Claudi
Das kann ich sehr nachvollziehen. Es hat viele Vorteile, auf dem Land zu leben und ein wenig Familie in der Nähe zu haben.
Die Großstadt fehlt mir öfter mal – aber die habe ich mir ein wenig durch dieses Blogazin ins Haus geholt.
Das macht echt Spaß.
Schön, dass du hier dabei bist!
Alles Liebe,
Claudi
Ich wohne wieder in der gleichen Gemeinde in der ich aufgewachsen bin. Unsere kids gehen/gingen in die gleiche Grundschule, in die ich ging und sind auch hier im Sportverein. Die Felder, das Meer, die Weite und Freiheit hier in Ostholstein wollte ich nie so richtig missen.
Einmal Landkind, immer Landkind und die Großstadt als Ausflugs/Urlaubsziel
Ich bin schon jetzt sehr gespannt wo es unsere vier mal hintreibt.
Es hat natürlich auch Nachteile, so wie jeder Wohnort.
Längere Wege, weniger Angebote…. Aber ich sehe ebenso die Vorteile in weniger Reizen, weniger Enge und mehr wir!
Liebe Grüße 👋
Ach, das klingt so herrlich angekommen. Und darüber denke ich tatsächlich öfter nach: Ich hätte es so schön gefunden, meine Kinder auf meine alte Schule schicken zu können.
Und auch ich finde den Gedanken so spannend, wo es meine Kinder wohl mach hinziehen wird.
Ich danke dir und alles Liebe,
Claudi
Ich bin in Köln geboren und in Bergheim aufgewachsen. Natürlich hängt mein Herz irgendwie im Rheinland fest, lebe aber mittlerweile in München. Mein Mann ist in Hildesheim aufgewachsen und dort wird es uns vermutlich irgendwann verschlagen. Ich bin gerne dort und freue mich irgendwie auch auf die Zukunft. Heimat ist da, wo meine Liebsten sind.
Was für ein schöner Schlusssatz! So wahr.
Alles LIebe!
Claudi
Mein Mann und ich bauen (und wohnen aktuell auch) in dem Ort, in dem er aufgewachsen ist. Mein ehemaliges Zuhause ist aber auch nur 15 Minuten Autofahrt entfernt. Ich bin als Kind oft umgezogen – trotzdem verbinde ich mit jedem Wohnort “Zuhause”-Momente, Glücksmomente, Kindheitserinnerungen und feuchtfröhlichen Partyerinnerungen. Nun wachsen unsere Kids auf so einem richtigen Dorf auf. Hier wird Vereinsleben super groß geschrieben. Jeder Bewohner hat hier irgendeinen Spitznamen, der mit irgendeiner lustigen Story, die ich nicht kenne, weil das Erlebte jahrzehnte her ist. Und trotzdem liebe ich es hier. Hier kann man immer um Hilfe Fragen und mindestens eine Person, meist sogar mehr sind zur Stelle. Hier kann man wilde Partys feiern. Hier gibt es viele Kinder, einen tollen Spielplatz und immer Programm für die Kids. Das ist wunderbar. Als ich deinen Beitrag gelesen habe, musste ich allerdings an meine Studienzeit und die Technikerzeit meines Mannes in Hildesheim denken. Wir haben auch an diesem See geknutscht… ;). Hier sind wir das erste Mal zusammengezogen, waren am Dienstag mit dem Rad im Kino oder haben uns die Schuhe wund getanzt auf diversen Partys. Jedes Mal wenn wir zurück kommen, kommen solche Erinnerungen hoch. Danke für die Momente, die ich heute gedanklich an diese Zeit denken durfte.
Hihi, was dieser See schon alles gesehen hat – er sollte einen Roman darüber schreiben.
Was für ein Glück, so viele schöne, verrückte und manchmal verzweifelte Erinnerungen zu haben.
Und was für ein Glück, in einem Dorf mit Menschen mit Spitznamen zu wohnen. Mache ich auch.
Habe nie darüber nachgedacht, wie schön ich das finde.
Danke fürs Dranerinnern!
Alles Liebe,
Claudi
Wow, Claudi- dein Text traf mich mitten ins Herz ♥️ Zuhause… wo ich aufgewachsen bin (und 637 Kilometer weit weg von Berlin Kreuzberg, der Heimat meines Liebsten, wo unsere drei Kinder geboren sind und aufwachsen). Zuhause war der Vorort einer kleinen Stadt an der holländischen Grenze. Unsere Straße, die an den Wald grenzte und der Bach durch unseren Garten mit den Kirschbäumen, hinter dem die Ponys weideten. Milch mit dem Kännchen beim Bauern holen. Das war die mega konservative Grundschule im Dorf, in der unsere Grünen Hippie Eltern uns nie und nimmer angemeldet hätten und unser Spaß beim Maibaum klettern vor der Kirche. Das waren unsere beiden Katzen. Das war heimlich mit 12 das Mofa vom Nachbarn fahren und in Vaals viel zu früh Zigaretten kaufen. Der Bus, der nur stündlich fuhr und nach 22 Uhr gar nicht mehr. Regen, der an das kleine Dachfenster meines Zimmers prasselte, während ich The Cure hörte und Gedichte schrieb. Knutschen im Maisfeld.
Meine Kinder lieben es dort zu sein, bei den Omas und Opas. Vielleicht auch ganz besonders dort, wo es viel behüteter ist, als hier in der Großstadt. Und ich? In meiner Brust schlagen immer noch zwei Herzen. Welches lauter, ist noch nicht gewiss. Sicher ist aber, dass ich (auch nach 20 Jahren Berlin) immer Öcher Mädchen bleiben werde 😍
Danke für deinen tollen Text!
Ach du, jetzt hast du mich aber auch eingefangen. Hätte dir noch stundenlang zulesen können.
Ist doch verrückt, was für ein tolles Paket aus Düften, Geräuschen und Dingen wir da mit uns herumtragen.
Und es muss einen nur einer daran erinnern und man kann herrlich darin herumkramen.
Dachfenster und Gedichte klingen großartig. Knutschen im Maisfeld auch ; )
Ales, alles Liebe!
Claudi
Oh ich habe unser Dorf geliebt. Die Weite, riesige Felder, die Teiche und Bäche, den Wald, überall mit dem Fahrrad hingefahren.
Ich wollte aber immer am Meer wohnen, das tu ich jetzt sogar in Sydney. Überall Leuchttürme, Meeresrauschen, Klippen, ganz viele Menschen mit ganz vielen Ideen und Offenheit und Lockerheit. Meine Kinder wachsen hier auf und antworten mir leider fast nur in englisch.
Oft denke ich an unser Dorf und welch tolle Kindheit ich hatte. Flöße gebaut, damit auf dem Teich gefahren, Buden im Wald gebaut, immer den ganzen Tag mit allen Freunden draußen verbracht, Drachen steigen lassen auf den riesigen Feldern, im Garten zelten. Heimlich eine Schachtel Zigaretten geraucht mit 12 und dann nie wieder, kiloweise Kirschen vom Kirschbaum im Garten essen und Kirschkernweitspucken damit veranstalten.
Hach was für eine Zeit. Ich hoffe, meine Mädels werden sich auch mal so an ihre Kindheit erinnern.
Oh, das klingt absolut herrlich! Und überhaupt, ein großes “Hello!” rüber nach Sidney. Wie toll, dass du hier von dort dabei bist.
Ich finde, deine Kindheit klingt großartig, aber ich bin mir sicher, die deiner Kinder wird es auch.
Aus Leuchttürmen, Meeresrauschen, Klippen und Lockerheit lassen sich wunderbare Erinnerungen backen.
Ganz liebe Grüße!
Claudi