Ich stehe nach dem Duschen vor dem Spiegel, creme mich im rechteckigen Sonnenfleck ein. Das Fenster steht offen, das Wetter ist schön. Gold liegt in der Luft. Ich halte inne, trete näher ans Fenster, schließe die Augen und atme ein. Es duftet wie der Herbst von früher, dabei ist schon lange alles anders…

Ich höre die Kinder unten im Flur. Der Große ist unterwegs im Dorf, die anderen haben Besuch. Sie planen mit den Nachbarskindern ein Spiel. Ich genieße es, dass ich mir in Ruhe die Wimpern tuschen kann. Im nächsten Moment wird mir bewusst, wie sehr sich alles verändert hat, seit ich das hier und das hier geschrieben habe. Ich werde ganz kurz wehmütig. Aber dann tusche ich weiter. Es ist okay.

Ich dachte, es wäre eine schöne Idee, auch über den Herbst 2023 zu schreiben.

Die Zeit mit den Kindern vergeht rückwärts betrachtet so schnell wie die Jahreszeiten, bloß dass sie sich nicht wiederholt.

Vor ein paar Jahren haben meine Kinder mich gefühlt mit der Nase in den Herbst gestupst und ich kam gar nicht drumherum, ihn zu zelebrieren. Vielleicht ist das das Schönste am Kleinkinder haben: Das Leben im Moment.

Die Verbundenheit mit den Jahreszeiten. Es war nicht viel los, also habe ich mir was los gemacht. Die Kastanien draußen auf dem Boden, die bunten Blätter, all das war so wichtig. Für die Kinder – und damit auch für mich.

Heute muss ich bewusst inne halten, um die Jahreszeiten wahr zu nehmen. Ich zelebriere sie so gut wie möglich, versuche meine Kinder damit anzustecken. Aber sie haben längst anderes im Kopf als Kastanien. Ich freue mich also allein über die erste, nehme sie hoch, streiche über ihre glattes Braun und stecke sie in die Tasche.

Statt “Ideen mit Tannenzapfen” googele ich “Wie gefährlich ist Fortnite wirklich?”


Ich verabrede mich mit den Kindern zum Kürbissuppe kochen, aber bis auf eins, sind alle unterwegs, als ich loskochen will.

Es hat auch Vorteile: Ich muss nicht mehr Laternelaufen. Muss keine Laterne mehr schleppen, weil das Kind nach ein paar Metern keine Lust mehr hat. Keiner friert und weint.

Laterne laufen ist eins dieser Dinge, die ich mir vollkommen anders ausgemalt habe, bevor ich Kinder hatte.

Heute muss ich da nicht mehr hingehen. Oder vielleicht doch: Mit einem Glühwein und einer Freundin. Einfach weil ich Lust habe.

Der Nebel bleibt bei uns, gleich hinterm Deich, von Anfang Oktober bis März. Morgens diskutiere ich mit meinen Großen über Leuchtwesten und warme Jacken (beides leider uncool), statt am Jahreszeitentisch kurz eine Geschichte zu erzählen.

Apropos: Die Filzpilze und Schleichfüchse sind dieses Jahr im Karton auf dem Dachboden geblieben. Ich habe unser Herbstfenster einfach vergessen. Es hat auch keiner danach gefragt. Die geliebte Tradition, einfach vergessen.

Inzwischen liebe ich es, wenn wir am Wochenende einfach alle so vor uns rumtüddeln.

Einer geht hier mal zum Sport, ein anderer dahin. Ab und zu lese ich vor, wir spielen ein kurzes Spiel oder backen was. Aber meist machen die Kinder ihr Ding – und ich hab wieder Zeit für meins. Zusammen sind wir trotzdem. Und das ist so schön.

Heute rennen die Kinder am Wochenende mit ihren Freunden raus, sie feiern den Herbst unter sich, sie stürmen Pfützen und matschen. Der Herbst hat riesengroße braune Flecken, lässt Jeans erst klatschnass, dann erdknusprig zurück.

Inzwischen geht sogar wieder sowas völlig Verrücktes, wie an einem Sonntagnachmittag mit André in Ruhe ein Reportage im Bett gucken. Ich atme auf. Unten wird für Arbeiten gelernt.

Aber dann, auf dem Weg zum Schulfest, als wir es eigentlich eilig haben, fängt einer meiner Söhne plötzlich an, durchs Stadtlaub zu rascheln. Es ist trocken hier, nicht matschig, wie bei uns draußen.

Er schaut rüber zu mir. Laubverbündete, für immer. Er grinst, ich auch. Im Laufen entdecke ich eine Kastanie. „Guck mal“, rufe ich meinem Sohn zu, „die da ist besonders groß und glänzend.“ Wir sind spät dran.

Als wir schließlich schnaufend ins Gebäude gehen, tippt mich mein Sohn an. „Guck mal“, flüstert er und grinst. In seiner Hand die Kastanie. Ich lächele, er lächelt. Dann steckt er sie in seine Tasche, wie einen Schatz.

Eine schöne Herbst-Woche euch!

Claudi