Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre in einer Zeitkapsel aufzuwachen, auszusteigen und mich bei uns umzusehen. Würde ich sofort wissen welche Jahreszeit ist? Ich meine, auch ohne aus dem Fenster zu schauen…?

Ich bin mir sicher. Sogar wenn ich oben auf dem Bett im Elternschlafzimmer gelandet wäre. Da sind mehr Kissen auf dem Laken und curry- und rotweinfarbenen Hosen auf der Wickelkommode; Morgentautropfen unten an den Fensterscheiben, ein Bücherstapel neben dem Bett, eine Vase mit einem Hagebuttenzweig.

Eine Etage tiefer noch mehr Jahreszeitenbeweise: ein mit Gummistiefeln und Regenjacken getupfter Flur. Im Wohnzimmer überall Kürbisse, klein und groß, dabei hasse ich orange. Auf einer Fensterbank ein Pilzhaus, Rehe, Wichtelkinder und ein Strauß mit Gräsern. Berge von Zeitschriften auf dem Sofa, Aschestaub auf den Fliesen vor dem Kamin. Wollkreise im Schaukelstuhl.

An einem verregneten Nachmittag haben die Jungs meinen Korb mit Wolle hervorgeholt und machen ab sofort Pom Poms. Sie würden gern stricken lernen diesen Winter.

Im Wintergarten liegt ein Stapel Gesellschaftsspiele auf dem Esstisch, ganz nach links an den Rand geschoben, um Platz zu machen für ein organgefarbenes Abendessen. Wir spiegeln uns dabei oben an der Wintergartenoberlichtfensterscheibe. Die sechs oben sehen mehr aus als die sechs unten.

Herbst mit Kindern


Der Herbst kommt mit einem Bauchladen voller Souvenirs vorbei und ich greife zu. Jeden Tag trage ich neue Zweige ins Haus, jeden Tag findet jemand eine Kastanie oder einen Zapfen. Bunte Blätter türmen sich auf der Vitrine im Wohnzimmer, manchmal presse ich sie und klebe sie ans Fenster. Die meisten vergesse ich und finde sie als bunte Brösel auf dem Dielenboden wieder.



Draußen schwabbt milchige Nebelsuppe über die Wiesen bis an den Garten, hier und da mit Baumklößchen darin. Die Kinder fragen jeden Tag nach Schnee. Es ist morgens eiskalt und mittags so mild, dass ich meinen Kaffee draußen trinke.



Die Kinder liegen bunt auf dem Boden herum – wie herbei gepustete Blätter. Sie üben wieder Winterspiele, üben zusammen drinnen zu sein. Wir fangen wieder an nachmittags Geschichten zu lesen, Kopf an Kopf, Haar an Haar auf dem Sofa. Erst wird gestritten, welche es sein soll, dann hören doch alle bei allen drei Geschichten aufmerksam zu.

Überall auf dem Wohnzimmerboden liegen Decken und Kissen. Sie verteilen sie – und machen dann etwas anderes. Ich stolper drüber, stolpere wenigstens weich. Bloß wenn sie reinkommen und mit mir reden und nebenbei Kissen kicken, macht mich das wahnsinnig.

Der Große liest jetzt und liest und liest, seine blonden Locken liegen mit ihm auf dem Sofa und lesen mit, jedenfalls kriechen sie ins Buch. Einer lernt neuerdings Klavier, wollte es unbedingt, übt nun täglich auf dem alten Keyboard, dass wir in der Scheune gefunden haben. Ich höre ihn gern klimpern, aber noch lieber sehe ich sein Klimper-Gesicht, gerötet und mit leicht geöffneten Lippen.

Martinsgänse


Der Vierjährige und ich spielen jeden Abend dasselbe Spiel. Er guckt nach draußen, manchmal guckt er aus der Tür und ruft: “Da sind ja gar keine Sterne.” “Doch!”, sag ich, „ganz viele!” “Nein!” sagt er, “gar keine”. Und dann schlüpf ich kurz in Andrés riesige Schuhe und trage ihn raus, Sterne gucken, mitten auf dem stockdunklen Hof. “Sind das viele?”, frage ich wenn wir beide nach oben ins Funkeln schauen. “Das sind viele!”, flüstert er.

Bloß Drachen zähmen ist kein bisschen leicht gemacht, bei uns, gleich hinterm Deich. Der Wind ist viel zu kräftig, er pustet eher die Kinder weg, als den Flugdrachen in die Luft.

Das Licht im Schlafzimmer, wenn ich nachmittags Wäsche hochtrage: als hätte jemand Ahornsirup ins Licht gerührt.


Ich blättere in Kochbüchern, am liebsten in denen mit den dunklen Seiten und plane mehr orangefarbene Gerichte. Ich notiere mir überall Filmtitel in der Merkliste meines Handys.

Ich habe Tischdeckenlaune, wie immer wenn es kühler wird und nach Kaminfeuer duftet. Mir fällt ein, dass die Decken seit letztem Winter in der Mangel bei uns im Dorf liegen, hinter himmelblauer Holzfassade. Als ich das Paket abhole, kleinkindschwer und in knisterndem Seidenpapier, frage ich mich, ob ich wohl die einzige bin, die den mürben Mangel-Duft wunderbar herbstlich findet.

PS. Wir im Winter.
PPS. Wir im Winter 2018.

Alles Liebe,

Claudi