Ich mag es, wie der Frühling grad still und leise in den Sommer hineinschlittert. Ganz anders als er kommt: Mit Matsch und Regen und Sturmspektakel und ewiger Warterei. Aber irgendwann ist der Frühling dann da. Alle sind happy. Ich denke: “So fühlt sich das also noch mal an.” Und dann: “Hurraaaa!” Und jedes Jahr nehme ich mir vor, genau den Tag zu bemerken und zu feiern, an dem die Bäume endgültig grün sind. Schaue jeden Morgen hoffnungsvoll nach oben. Und schwups, plötzlich sind sie einfach grün…
Wie soll man es bloß nennen, dieses erste Grün? Apfelgrün? Lindengrün? Frischgrün? Kein Grünton wird dem gerecht, was dort plötzlich wieder zwischen den Zweigen schimmert. Vielleicht sollte der Ton lieber den Namen des Gefühls bekommen, das er auslöst: Lächelgrün. Luftholgrün. Hurra-Grün. Glücks-Grün. Jedes Jahr ein Wunder, wie sich der Wald und die Wiesen färben. Wie hübsch, dass die schlichten, tonroten Ziegelwände in unserem Dorf endlich wieder Rose tragen.
Wie herrlich es überall sprießt und wächst – auch das Unkraut, so dass ich wieder anfange sofort loszuzupfen, wenn ich den Gartenweg entlang gehe. Mein großer Sohn fragt grinsend: “Kochst du heute noch oder zupfst du lieber?” Und ich schimpfe auf das Unkraut, dass einfach so meine neu angelegten Beete einnimmt. Und – psst – eigentlich finde ich es unglaublich befriedigend und beruhigend, die kleinen Blätter samt Wurzeln herauszuziehen.
Am Anfang spielt der Frühling gern Schnitzeljagd mit uns. Versteckt hier und da mal einen Hinweis und wir müssen ihn finden. Es riecht anders zum Beispiel. Ganz schön clever, oder? Meine Söhne gucken mich jedes Mal mit großen Augen, wenn ich morgens tief ein- und ausatme und sage: “Es duftet nach Frühling.” Lange Gesichter… Vielleicht kann man Frühling erst mit fortgeschrittenem Alter riechen. Zweiter Hinweis: Die Nebelfelder, die abends und morgens dick wie Daunendecken auf den Wiesen herumliegen, so dass es vom Schlafzimmerfenster scheint, als wohnten wir in den Wolken. Auch tricky: Die Frühlingslieder, die die Kinder ab und zu summen (zwischen unzähligen Malen “In der Weihnachtsbäckerei”.) Der Frühling, der Haudegen, macht es uns wirklich nicht leicht ihn zu finden.
Ich liebe es, wenn ich ab März merke, dass es abends wieder länger hell bleibt. Erst nur ein bisschen, dann ganz schnell immer länger. Wenn wir wieder anfangen, Abendpläne zu machen, uns zu verabreden, mit Freunden beim Italiener, nicht mit der Couch und der Fernbedienung. Was für ein Fest, alle dicken Winterjacken wegzupacken (obwohl ich es meist so voreilig mache, dass ich sie noch ein, zwei Mal wieder hervorkramen muss.) Höchstens noch eine Strickjacke einzupacken. Und ach nö, erstmal eine ganze Weile Gummistiefel (die meine Kinder lieben. Würden sie das ganze Jahr tragen, wenn ich sie ließe.)
Wie schön, dass der Frühling sich so gern selbst feiert, mit Ostern und jeder Menge Feiertage und langer Wochenenden. Ich schleppe Arme voll mit Blumen ins Haus, um ja keine Blühzeit zu verpassen. Erst Tulpen, dann Flieder und dann, hurra, die Pfingstrosen, die ganz poetisch “Peonies” heißen in England, was doch so viel besser klingt. Und dann blühen plötzlich alle drei Holundersträucher neben unserem Haus und ich freu mich jedes Mal, wenn ich daran vorbeigehe. Über den süßen Duft und das behäbige Brummen der Bienen darin. Und Tjelle freut sich über Blütenduschen, wenn wir uns unter einen der Sträuche stellen und er an den Blättern ziehen darf. “Da!”, ruft er wenn es rieselt, “Daaaaaaaa!” und dann lacht er sich kringelig.
Ich hole die Kinder wieder mit dem Bollerwagen ab, ein Fest, schon wenn ich losgehe und nur wir zwei, der Bollerwagen und ich, die alte Landstraße herunterrumpeln. Ich ziehe ab und zu an ein paar Gräsern links und rechts am Straßenrand und schmeiße die Samen in die Luft wie Reis bei einer Hochzeit. (Das habe ich als Kind schon gemacht. Und psst, ich mache es immer noch.) Ich mache Gartenpläne, den ganzen Winter, aber jetzt immer mehr und ich schnappe mir die Kinder und fahre in den Baumarkt und wir bewundern und suchen aus. Dieses Jahr haben wir endlich ein richtiges Hochbeet, nicht bloß eine Kartoffelkiste, und wir haben Gurken vorgezogen und Bohnen. Wir setzen wie jedes Jahr nur ein Viertel der Pläne um, aber hey, man wird ja wohl träumen dürfen. Und so ein Garten muss ja auch wachsen. Im wahrsten Sinne.
Wir sind wieder mehr draußen, am Anfang zwischen all dem Frühlingsmatsch und der feuchten Bibberkälte, lassen uns an der Elbe durchpusten und nassregnen und gehen abends zum Aufwärmen in die Wanne. Einmal basteln wir abends nach dem Abendsbrot noch schnell Badewannenboote aus Philadelphia-Packungen und einem Segel aus Moosgummi und probieren sie sofort aus. (“Es ist ja auch noch gar nicht dunkel, Mama!”)
Die Apfelbäume blühen wieder. Es gibt so viele davon bei uns in Vierlanden, die Gegend, die Reiseführer gern den “Garten Hamburgs” nennen. Und wenn der Frühling besonders gut drauf ist, pustet er ordentlich und schmeißt mit weißem Blütenblätterkonfetti. Garantiert ruft jedes Jahr einer meiner Söhne dann: “Guck mal, es schneit Mama!”.
Eine Woche im Mai sind die Wiesen plötzlich knallgelb, Löwenzahnblüten neben Löwenzahnblüte und zehn Tage später spazieren die Kinder auf dem Heimweg vom Kindergarten durch Pusteblumenflokati. Es wird natürlich gepustet, was das Zeug hält (aber bloß nicht mehr kurz vor Opas Garten!). Abkürzungen gehen durch Wiesen und den Wald ist übrigens ein beliebtes Frühlingshobby meiner Jungs. Meistens brauchen wir dabei doppelt so lange (aber es ist auch doppelt so spannend).
Mein Frühlingshighlight: Jedes Jahr fahren wir mit Freunden ein- oder zweimal zwischen Himmelfahrt und Pfingsten zur Kultuerellen Landpartie ins Wendland, eine meiner Lieblingsgegenden, in der ich als Kind auf dem Bauernhof meiner Oma die schönsten Sommerferien verbracht habe. Wir gucken dort Kunst und Schnickschnack und essen Pizza unter freiem Himmel und fahren Schweinekarrussel bis den Kindern schwindelig wird. Oh ja, Schweineschwindel ist ein sicheres Zeichen, dass wir den Frühling endgültig gefunden haben. Wird dann am besten gleich mit viel Radau und Wasserpistolen umzingelt. Und dann: Blütenarme hoch und Sonne bis Weihnachten, bitte!
In dieser Serie schreibe ich auf, wie wir die verschiedenen Jahreszeiten erleben. Seit wir auf dem Land leben und Kinder haben, tun wir das nämlich viel intensiver. Vielleicht hast du auch Lust zu erzählen, was ihr im Frühling so macht. Und falls du bei der Hitze hier im Norden gerade mal eine Abkühlung brauchst: Hier kannst du den Text über unseren Winter lesen.
Eine wunderbare Woche, alles Liebe,
Die Beschreibung erinnert mich sehr daran, wie ich als Kind den Frühling auf dem Land erlebt habe. Ich habe es geliebt!
Ich finde aber, dass man auch in der Stadt die Jahreszeiten intensiv erlebt – erleben kann, wenn man aufmerksam ist. Mit den Kindern beobachten wir genau: Schneeglöckchen und Krokus in den Vorgärten, Veilchen neben dem Spielplatz, Weidenkätzchen im Park, das Grünfinken-Pärchen, das immer im Efeu am Nachbarhaus nistet, kehrt zurück, die Ringeltauben in der Eibe neben dem Balkon fangen an zu brüten, man kann endlich die vorgezogenen Pflänzchen auf den Balkon bringen (dieses Jahr mussten wir sie allerdings noch ein paar Mal wieder reintragen…), plötzlich stehen die Tische im benachbarten Café auf dem Bürgersteig, man hört das Vogelkonzert beim Aufstehen, herrliche Planschereien sowohl in matschigen Pfützen als auch hinterher in der Badewanne, auf dem Markt gibt’s wieder Brunnenkresse…
Schöne Grüße!
Sina
Oh wie schön du das beschrieben hast. Vielleicht machen wir eine Doppel-Kolumne draus: “Auf dem Land” versus “In der Stadt”.
Da krieg ich gleich Stadtsehnsucht.
Alles Liebe,
Claudi
Hm, keine schlechte Idee 🙂 Ich hab durch deinen Beitrag jedenfalls schon Lust bekommen, die Jahreszeiten für uns auch zu dokumentieren. Ob’s der Alltag auch zulässt ist dann die andere Frage…
Lieben Gruß!
sehr schön beschrieben…toller Beitrag und schöne Kindheitserinnerungen…
Liebe Grüße Meliha
Wunderschöne Fotos und mal wieder ein toller Text. Ein zauberhafter Blog.
LG Tanja
Vielen Dank liebe Tanja, was für ein zauberhaftes Kompliment.
Beste Grüße,
Claudi
Danke Claudi,
ich liebe es einfach deine Texte zu lesen, sie sind so berührend ? Immer wieder so wundervoll geschrieben, dass man beim lesen hin und her schaukelt zwischen eigener Kindheit und Eltern sein! Du triffst voll ins Schwarze, dein nächstes Buch sollte ein Roman werden ❤.
Liebste Grüße, Camilla
Toller Text und zauberhafte Fotos, liebe Claudi! Danke dafür! Glücks-Grün gefällt mir gut! Bei uns am Hof lieben wir es übrigens immer wieder im Frühling den Tiernachwuchs zu begrüßen und zu bewundern… kleine Entchen, die Kälbchen, die Schwalben in der Scheune und auf den Deichen die jungen Lämmer 🙂
Liebe Grüße aus Ostfriesland, Silke
Liebe Silke, das klingt ganz wunderbar. Meine vier Männer liebäugeln ja auch mit Schafen. Mal sehen, ob nächstes Jahr welche bei uns einziehen.
Liebe Grüße,
Claudi