Ich würde liebend gern bei Fräulein Lose einkaufen. Im Ohne Gedöns oder bei Theo Tütenlos. Nur leider gibt es am östlichen Stadtrand von Hamburg keine Unverpackt-Läden. Am Stadtrand gibt es vor allem Discounter, wie im Großteil des Landes auch. Und daher kaufe ich dort ein – nicht ohne mich jedes Mal darüber aufzuregen, was für Müllberge später aus der gelben Wertstoff-Tonne quillen. Das ist alles andere als ideal. Und dennoch bin ich der Meinung, dass wir nach Kräften ein nachhaltiges Leben führen. Nur eben kein perfektes. Ein paar Ideen…

Ich bin ein Markt-Mensch.

Schon immer gewesen. Als Kind bin ich jeden Samstag mit meinem Vater auf den Wochenmarkt gegangen. Weil es für mich immer Vier Kleine gab, diese handlichen Kinderwürstchen mit ordentlich viel Ketchup obendrauf. Zum Nachtisch bekam ich einen Apfel, ein paar Erdbeeren, eine Handvoll Kirschen. Je nachdem, was die Marktleute einem kleinen Mädchen eben zum Naschen über den Stand reichten.

Bis heute gehe ich mindestens einmal die Woche auf den tollen Wochenmarkt im Nachbarort. Weil ich die Atmosphäre liebe, den Anblick der aufgetürmten Obst- und Gemüseberge, den Schnack mit meinem Markt-Mann. Und weil hier außer diesen nostalgischen braunen Papiertüten keine weiteren Verpackungen in meine mitgebrachten Taschen wandern. Ja, gut, und auch, weil ich manchmal immer noch etwas Leckeres zugesteckt bekomme.

Du hast die Frau aber viel gefragt, Mama!

Meine Tochter wundert sich manchmal über mich. Ja, ich halte beim Marktbummel oft den Betrieb auf, weil ich die Verkäufer ungeniert Löcher in den Bauch frage: Ob es ihr eigenes Gemüse ist, ob sie die Birnen spritzen. Und gerade jetzt im wachstumsarmen Spätwinter, ob die Ware wenigstens aus Deutschland kommt. Denn je mehr ich darauf achte, regional und saisonal einzukaufen, desto mehr vermeide ich unnötige Lieferwege – das hilft nicht nur dem Co2-Fußabdruck. Sondern auch den Produzenten aus meiner Gegend: Dass sie nicht auf ihrer Ware sitzen bleiben. Wo doch viele jetzt auch noch ihre Lebensmittel beim Versandriesen bestellen.

Was man bei uns in Hamburger Deichrandlage auch ganz gut machen kann: Direkt beim Landwirt ordern. Viele dieser regionalen Bauern haben einen ziemlich großen Lieferradius. Unser Fleisch kaufen wir hier bei unserem Bio-Hof um die Ecke, Milch und Joghurt bekommen wir zweimal wöchentlich im Frische-Abo von hier  und direkt vor die Tür gestellt. Eine Weile hatten wir auch diese  Bio-Gemüsekiste, aber ehrlich gesagt haben wir immer nur die Hälfte geschafft. Und wenn sich etwas für mich ganz und gar nicht nachhaltig anfühlt, ist es Lebensmittelverschwendung.

Was gibt’s heute?!?

Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber Corona hat den Appetit meiner Kinder locker verdoppelt. Zu jeder beliebigen Tageszeit steht mindestens eines von dreien am Kühlschrank und lugt prüfend durch die Tür. Um den Hungerattacken beizukommen, ohne täglich wieder mit dem Auto zum Supermarkt zu fahren, schreibe ich detaillierte Essenspläne. Der beste Part daran ist das ausgiebige Kochbücherwälzen – aktuell vergnüge ich mich mich gern wieder mit Claudis Kochbuch.

Wenn ich nicht zu zeitgestresst bin, schnapp ich mir eines der Kinder zum gemeinsamen Schnippeln und Brutzeln. Meine nächste Foodie-Generation. So vermeide ich nicht nur kurz gemachten und gedachten Fast Food-Konsum, sondern auch planlose Verzweiflungseinkäufe, die irgendwann gammlig in die Mülltonne wandern. Weil: siehe oben. Auch Fantasy-Essen sind hier gerade der Renner: Kreativ kochen mit den Resten, die noch so rumliegen. Meine Drei lieben Reis mit Scheiß, Nudeln mit Schweinesoße auch. Und kürzlich sogar Kohlauflauf mit gebackener Kartoffelpü-Käsekruste. Nachhaltig geht auch ganz klein.

Wir haben letztes Jahr ein Haus gebaut.

Ein ziemlich schönes, wie ich finde. Aus grauen Blockbohlen, ein bisschen Schweden in Norddeutschland. Wärme beziehen wir aus der Erde, Solarzellen auf dem Dach liefern Strom. Nachhaltig bauen und wohnen, das war uns wichtig. Aber genauso wichtig finde ich, diese Nachhaltigkeit fortzusetzen. Klar, am liebsten hätte ich für unsere Einrichtung noch mal einen Kleinkredit aufgenommen, um mir all die schönen Möbel und Accessoires, die ich schon seit Monaten gebookmarkt hatte, frei Haus liefern zu lassen.

Stattdessen setze ich ziemlich konsequent auf Second-Hand-Shopping. Was keinen Verzicht bedeutet, nur ein wenig mehr Geduld. Und wer glaubt, das reicht nur für shabby Wohn-Chic, der irrt. Seit ich auf Kleinanzeigen shoppe, stehen plötzlich mehr Designstücke in meinem Wohnzimmer als je zuvor. Klar, mein just erstandenes String-Regal musste ich ziemlich heftig schrubben, bis es an die Wand durfte. Und unsere superschöne Bolia-Couch hat unten einen losen Reißverschluss. Den liebt dafür unsere Katze. Und wir unsere Kuschelzone deshalb nicht weniger.

Ich nenne es den Flohmarkt-Effekt: Jedes so erworbene Stück fühlt sich besonders an, liefert direkt eine Geschichte mit, die ich dazu erzählen kann. Und lebt ein Zuhause-Gefühl nicht genau von einer solchen Atmosphäre? Mal abgesehen davon, dass die drei Kinder meist ziemlich schnell dafür sorgen, dass etwas Brandneues innerhalb von Tagen recht ramponiert aussieht.

Ich hab gar nichts anzuziehen!

Auch Klamotten haben ein zweites Leben verdient, nicht nur die der Kinder. Seit Jahren ist mein Kleiderschrank überwiegend mit Second-Hand-Mode gefüllt. Wobei ich zugeben muss, dass ich ziemlich stilsichere Dealer habe. Meine Schwester ist das beste Flohmarkt-Trüffelschwein, das mir jemals untergekommen ist. Mit geübtem Griff findet sie in jedem noch so wilden Kleiderhaufen genau das eine Stück, das zu ihr passt. Oder zu mir, denn beim Shoppen denkt sie dankenswerter Weise oft an mich.

Weil Flohmarkt gerade nicht geht, tauscht meine Schwester mit ihren nicht weniger gut angezogenen Freundinnen den Inhalt ihres Schrankes durch. Und für mich fällt auch meist etwas ab. Natürlich muss man diese Wundertüte mögen. Ich finde es immer wahnsinnig inspirierend, weil oft Stücke dabei sind, die ich mir selbst nie gekauft hätte. Und die plötzlich zu Lieblingsteilen werden.

Sollte der Lockdown jemals enden, werde ich außerdem direkt meinen Lieblings-Second-Hand-Shop ansteuern (so es ihn dann noch gibt…): Beste Ware zu fairen Preisen und ganz ohne den Kleidermarkt-Mief, der so manchen Klamotten meiner Teen-Zeiten anhaftete. Klar, manchmal darf es auch mal etwas Neues sein. Dann versuche ich aber bewusst nachhaltige Marken zu kaufen, diese mag ich zum Beispiel sehr. Oder ich order bei meiner Lieblingsboutique im Nachbarort, anstatt bei den gängigen Online-Hökern. Dann lass ich mir mit der Tüte durch die Tür gleich noch das gute Gewissen reichen.

Für die Garderobe der Kinder nutze ich unsere Dorf-interne WhatsApp-Gruppe: Gummistiefel, Übergangsjacken, Matschhosen – es gibt nichts, was nicht jemand anderes gerade loswerden will. Natürlich ist das aufwendiger, als mit zwei Klicks die kostenlose Lieferung am nächsten Tag zu sichern. Und natürlich mache ich genau das mitunter auch. Aber eben nicht reflexhaft, sondern nur, wenn es nicht anders möglich ist. Und darum geht es doch: Das Bewusstsein, dass wir meistens die Wahl haben zwischen praktisch und schnell – oder nachhaltig und manchmal ein bisschen kniffliger.

Ja, wir könnten noch viel mehr in Sachen Nachhaltigkeit machen. Aber eben auch viel weniger. Ich finde, wir sind auf einem guten Weg: Haben unser zweites Auto abgeschafft, planen unsere eigene E-Ladestation, fliegen schon seit Jahren nirgendwo mehr hin. Wichtiger als dogmatische Regeln für ein nachhaltiges Leben finde ich, vor allem die Kinder dafür zu sensibilisieren. Denn sie sind es, die auf diesem Planeten ein Weilchen länger unterwegs sein werden als wir. Aktuell suche ich nach passenden Büchern, die das Thema aufgreifen. Dieses hier spricht mich an, das hier auch. Und wer weiß: Gut möglich, dass es in zehn Jahren Standard ist, beim Unverpackt-Discounter einzukaufen.

Noch nicht genug Inspiration? Hier gibt’s noch mehr Tipps.

Und wie versucht ihr nachhaltig zu leben?

PS: Eine Karte der deutschlandweiten Unverpackt-Läden gab es kürzlich im ZEIT-Magazin No 7.

Katia