Heute Abend sind wir bei uns im Dorf eingeladen und es wird sich ganz sicher ein wenig magisch anfühlen, wenn ich mit der Gastgeberin Tatiana Timmann nachher am Lagerfeuer stehe. Die hat sich nämlich gerade ihren absoluten Traum erfüllt: Sie hat mit ihrem Mann und den drei Kindern ihren quadratisch, praktisch, guten Neubau verkauft und dafür eine alten Hofruine bei uns in Vierlanden gekauft und renoviert. Vor zwei Jahren fragte ich sie: “Seid ihr eigentlich verrückt geworden…? Heute stoße ich mit ihr aufs Verrücktsein an…
Tatianas 300 Jahre altes Bauernhaus Anna Elbe liegt in Vierlanden, im letzten Zipfel Hamburg, gleich hinterm Deich und ganz bei uns in der Nähe. Es ist ein außen und innen komplett denkmalgeschütztes Hufnerhaus mit Reetdach von 1715, direkt am neu geschaffenen Naturschutzgebiet Borghorster Elblandschaft und hat die einzig verbliebene Deichbrücke in den Vier- und Marschlanden. Über die bin ich vor einer Weile gegangen, um mir das fast fertige Haus anzusehen. Und weil es mir so gut gefallen hat, dachte ich, dass ist vielleicht auch eine nette Urlaubsidee für euch.
Im Haus gibt es vier Ferienwohnungen, die Holzfällerbutze „Friesennerz“ für 2-4 Personen, das Schlummernest „Achtern Diek“ für 2-4 Personen und zwei Lofts unter den Dächern der Elbe für jeweils 6 Personen mit Galerie- und Alkovenbetten. Alle Wohnungen haben eine Sauna und demnächst auch einen Kamin, außerdem einen wunderschönen Bilck auf die Elbe und die weiten Felder der Marschlandschaft. Außerdem kann man auf dem Hof in einer von vier urgemütlichen Finnhütten im kleinen Wäldchen wohnen – oder aber in einem Baumzelt, quasi mitten in der Natur. Tjelle hat mit Tatianas kleiner Tochter schon mal Probe gelegen (und geschaukelt) und fands spitze.
Er ist noch längst nicht ganz fertig, der Traum der Timmanns, aber man spürt ihre Liebe zum Projekt in jedem krummen Ziegel. Tatiana und Stefan haben noch etliche Ideen, die sie umsetzen wollen – nächstes Jahr soll in der alten Diele ein Sommercafé eröffnen, mit ein paar Stühlen im Gras und mit Blick über selbstgebackenen Kuchen und Elbwiesen.
In der großen Diele können Hochzeiten und andere bunte Feste gefeiert werden, einen Yogaworkshop gab es schon, es sollen noch viele folgen. Am nächsten Wochenende veranstalten die zwei einen kleinen Waldhütten Weihnachtsmarkt. Es wird also garantiert nicht langweilig am Deich…
Klar wollte ich von Tatiana wissen, wie das so war mit dem Umbau und wie es sich anfühlt, ab jetzt tatsächlich seinen Traum zu leben. Als ich sie per Whats App fragte, piepste kurz darauf mein Handy: “Was willste denn”, schrieb sie, “etwas Blumiges oder die Wahrheit?” “Natürlich die Wahrheit!”, schrieb ich zurück.
Wasfürmich: Wie kamt ihr auf die Idee einen Ferienhof zu eröffnen?
Tatiana: Schon bevor wir uns kennengelernt haben, wollte jeder von uns irgendwann einmal Gäste “betüdeln”. Wir beide planten dann ein gemeinsames Café. Es sollte ein Ort sein, in dem sich alle wohl fühlen, Künstler schöne Bilder ausstellen, man ein bisschen runterkommen kann. Was wir nun machen ist die Erweiterung dieses Traums. Runterkommen kann man bei uns aber definitiv, wohlgefühlt haben sich bisher alle und vor allen Dingen lassen sich auch die Gäste sofort vom Flair des Hauses infizieren.
Wie habt ihr das alte Haus gefunden?
Wir haben lange gesucht und allen Freunden davon erzählt. Irgendwann hat uns dann einer von dem Haus erzählt.
Was habt ihr als erstes gedacht, als ihr es gesehen habt?
Erst dachten wir, ups, das ist ja ganz schön weit draußen. Aber als wir das Haus betreten haben, war es “Liebe auf den ersten Blick”. Wir haben uns gefühlt, als ob wir in eine andere Zeit katapultiert worden wären. Auch wenn vieles marode war (ich konnte mit dem Zeigefinger in das Fachwerk bohren), war das Haus zum Glück nicht verbaut, die Zimmeraufteilung war noch wie vor 300 Jahren und die Deichbrücke ist die letzte in der ganzen Region. Das ist doch irre! Das ganze Haus, der Garten, der kleine Wald, alles wirkte ein bisschen wie verzaubert. Stefan und ich haben uns angeschaut und ich wusste, das er denkt: Das kaufen wir. Ich dachte es nämlich auch.
Sag mal ehrlich, wie war der Umbau?
Wir hatten uns natürlich ausgemalt, wie es sein würde, natürlich extrem anstrengend. Aber was dann kam war schlimmer als unsere Phantasie. Hinter jeder alten Wand wartete ein neues Problem: Bloß Feuchtigkeit war da noch ein Kindergeburtstag. Das Reetdach war komplett marode und weil die ganzen Anträge Ewigkeiten gedauert haben, sind wir wochenlang täglich zum Haus gefahren, um die Schalen mit Regenwasser, die wir zum Auffangen aufgestellt hatten, zu leeren. Als wir eine Decke herunter klopften, kamen uns seltsame Plastikplatten mit einem Berg von Modder und tausenden Käfern entgegen, es hat widerlich gestunken, ich werde diesen Geruch nicht vergessen.
Wir mussten in der Bauphase so viele Dinge unter einen Hut bekommen: die Familie, das Haus, unsere Übergangswohnung, den Bau (abends saß ich todmüde bis spät în die Nacht da, habe hunderte Lampen und Steckdosen in Pläne gezeichnet, Anträge ausgefüllt, Fliesen ausgesucht, gerechnet, Steueranträge gestellt, mich in Feuerschutzkonzepte eingelesen). Stefan hat das alles im “Nebenjob” gestemmt. Nach seiner Arbeit in Vollzeit ging es für ihn auf dem Bau weiter. Die Kinder haben dauerhaft im Schneeanzug gesteckt – und auf der Baustelle doch immer gefroren.
Vor der ersten Hochzeitsfeier auf der Diele haben wir wochenlang jeden Tag bis spät nachts an “Kleinigkeiten” gearbeitet, wir hatten Augenringe in der Farbe der Balken der Räucherkammer ganz oben im Haus und haben wochenlang bloß durch einen Mundschutz miteinander gesprochen. Wir waren tatsächlich monatelang eher eine Arbeitsgemeinschaft als ein Ehepaar. Aber wir wollten es so. Als uns der Architekt eines abends offenbarte, dass es eine neue Auflage gebe, nämlich zwei Badezimmer statt bloß eins, und das damit leider unser privates Schlafzimmer gestrichen wäre, haben wir nur kurz geschluckt. Wir schlafen jetzt auf einer Galerie über unserem Wohnraum in der Mitte des Hauses. Das ist wenig Privatspäre, aber dafür können wir gut schlafen, wenn wir denn mal schlafen können, weil alles so ist wie es sein soll. Was auch hart war: ganz zum Schluss trudelten noch ein paar Rechnungen ein, die wir so gar nicht mehr im Kopf hatten, da ist mir auch noch mal flau im Bauch geworden.
Gab es einen schlimmsten Moment?
Vor einem Jahr, kurz nach dem Umzug, bin ich nachts aufgewacht und hatte so starke Bauchkrämpfe, dass ich dachte, ich muss sterben. Zum Arzt gegangen bin ich dennoch erst ein paar Tage später (“Geht schon, muss ja!”) Ich hatte eine Gallenkolik (Stefan sah sich schon als Witwer), wahrscheinlich hervorgerufen durch Stress. Da wurde mir noch einmal bewusst: Egal wie schlimm es auf dem Bau war und ist, mit Durchatmen und einem Wutschrei oder einen Taschentuch kann man alles aushalten. Es ist bloß ein Haus, man kann es reparieren. Gesundheit und Liebe kann man sich nicht kaufen.
Himmel, das klingt anstrengend. Aber jetzt ist es fertig und wunderschön. Was war denn dein Lieblingsmoment bisher?
Als bei der ersten Hochzeit im Laufe des Abends die Braut mit einem Lächeln im Gesicht auf uns zukam und sagte, wie glücklich alle sind und wie toll alle das Haus finden und das man merkt, mit wie viel Liebe zum Detail wir alles saniert haben.
Ganz oben im Haus gibt es noch immer die alte Räucherkammer mit den tiefschwarzen Balken, und wenn man im Flur genau hinriecht, duftet es immer noch ein bisschen nach Feuer. Ich mag das, es ist so gemütlich (und der Geruch in Kombination mit der Heizungswärme soll die letzten Holzwürmer in den Balken vertreiben, haben uns die Denkmalexperten versprochen.)
Was hat das Haus mit euch als Familie gemacht?
Wir haben viel gelernt und sind als Familie zusammengerückt. Das Haus ist unser Heim und die Familie gibt uns Kraft auch wenn sie uns ab und zu zusätzlich Kraft nimmt. Aber Stefan und ich mussten (und müssen) lernen, dass wir sowohl Eltern als auch Liebespaar und Kollegen sind (und das auch mal abgrenzen müssen). Vor allen Dingen sind wir froh, dass die Kinder scheinbar auch Freude an diesem Haus-Projekt haben. Als ich einmal Einkaufen war, hat der Älteste die Gäste herumgeführt und ihnen alles wie ein Profi erklärt. Die Kinder hören so gern die alten Geschichten rund um das Haus und das Leben früher (und sind dann froh, dass wir heute fließendes Wasser und eine Heizung haben ;). Wir freuen uns riesig, dass wir ein Teil dieser Haus-Geschichte sein dürfen.
Lieblingstipp für eure Urlauber?
Neben der schönen Elbstrände und Wiesen und natürlich der Hamburger Innenstadt auf jeden Fall auch Lüneburg. Man fährt nur 20 Minuten von hier dahin und es gibt ganz viele süße alte Fachwerkhäuser, beinahe wie im Märchen. Es gibt tolle kleine Läden und süße Cafés. Im Sommer ist auch der Beachclub in Geesthacht spitze: Bier und Cola trinken mit Blick auf die Elbe und die Kinder sind mit Sandkuchen beschäftigt. Bei uns im Haus gibt es einen dicken Ordner, da haben wir alle Ausflugsideen für unsere Gäste gesammelt.
Was ist am tollsten daran, regelmäßig Urlaubsgäste zu haben?
Neben der Tatsache, dass ich ganz “nebenbei” mein Englisch wieder aufgefrischt habe sind es vor allen Dingen die Geschichten der Gäste,die ich so gerne höre. Die Wanderer, die aus Norwegen ihren “eigenen” Jakobsweg gehen und von dort aus zu Fuß zu uns gelaufen sind oder die Finnen, die ihren alten Oldtimer hier in Deutschland verkaufen wollten, weil man dafür mehr Geld bekommt. Die Familie mit dem kleinen Kind, die mir zeigt, welches “Unkraut” ich essen kann oder für Hustensaft verwenden kann. Man lernt ja nie aus.
PS. Als ich vor zwei Jahren mit Tatiana das Interview geführt habe, meinte sie, in fünf Jahren schmeiße sie eine Party und ich dürfe auch kommen. Schön, dass es schon eher geklappt hat.
Fotos: 3, 4, 6 und 16: Stefanie Baars. Rest: Wasfürmich.
Ein wunderbares Wochenende,
Vielen Dank für den tollen Tipp. Wir waren auf der Suche nach einer Unterkunft in Hamburg für den nächsten Sommer. Das Haus ist ein Traum und wir werden sicher eine tolle Woche dort haben :–).
Wie schön! Eine wunderbare Zeit bei den Timmanns!
Herzlichst,
Claudi
schick und gemütlich, liebe das Strohdach