Als ich letzte Woche bei Instagram einen Post über den Moment machte, den ich beim Frisör auf mein Kind und seine neue Frisur wartete, meine Erschöpfung in jeder Pore fühlte und mir beim kurzen Durchatmen bewusst wurde, dass ich sonst im Alltag nie einfach mal rumsitze, ging eine super spannende Diskussion los. Und ich frage mich: Wie viel Zeit für sich ist eigentlich viel?


Ich habe etwa drei Stunden am Tag für mich. Eine Stunde Sport, meist vor dem Abendbrot, plus ein bis zwei Stunden abends im Bett, in denen ich lese oder netflixe. Viele Leserinnen schrieben mir, dass das doch mordsviel wäre. Ich überlegte kurz, und fand es plötzlich auch gar nicht mehr wenig.

Sofort fragte ich mich: Bin ich zu anspruchsvoll? Verwöhnt? Unerhört priviligiert?

Müsste ich vielleicht bloß anfangen, Alltagspflichten in Ruhe zu erledigen, und schon wäre ich ausgeruhter? Leider hasse, hasse, hasse ich Hausarbeit. So wie früher, wie meine Oma den ganzen Tag in Haus und Küche rumzuarbeiten und sogar beim Kartoffelschälen Freude zu empfinden, kann ich vermutlich einfach nicht. Und noch mehr Zeit mit der Wäsche zu verbringen, würde mich vermutlich noch unzufriedener machen.

 

Einige von euch schrieben mir, dass sie Hobbyfahrten als Me-Time empfänden. Mit To-Go-Kaffee und Musik auf den Ohren wäre das ihre Zeit. Ich spürte richtig, wie den Gedanken im Kopf einmal  umdrehte und von allen Seiten betrachtete. Könnte es so einfach sein?

Ich habe keinen Hund, aber wenn ja, wäre Gassigehen Pflicht oder Metime? 

Ehrlich gesagt fällt es mir teilweise sogar schwer, Sport als Me-time zu betrachten.

Denn soooo gern mache ich ihn dann doch nicht. Er tut mir gut und es geht mir danach immer besser. Aber Lesen und Sofa wär schon schöner, haha. Ich würde ihn also eher als Instandhaltung bezeichnen. Als Pflichtprogramm (an meinem Körper). Als dann eine von euch meinte, dass man die eine müde Stunde am Abend, in der man eigentlich schon schlafen sollte, stattdessen aber todmüde doch noch liest oder glotzt, ja wohl kaum als Me-time bezeichnen könne. Mit dieser Rechnung wäre ich bei null Metime…

Meine (nicht representative) Umfrage auf Instagram ergab übrigens, dass 40 Prozent meiner LeserInnen täglich weniger als eine Stunde Zeit für sich haben. 45 Prozent gaben an, ein bis zwei Stunden zu haben. 12 Prozent drei oder vier Stunden, 3 Prozent noch mehr. Laut einer offiziellen Studie, zitiert von der ZEIT, haben die Deutschen tatsächlich weniger Zeit für sich, allerdings im Schnitt 3,3 Stunden (statt 4,1 Stunden in 2020.) RentnerInnen hätten rund 4.5 Stunden täglich für sich, Eltern dagegen nur 3 Stunden.

Gefühlt hatte ich vor ein paar Jahren noch mehr Zeit.

Zumindest gefühlt. Vielleicht lag es daran, dass kleinere Kinder einfach die komplette Aufmerksamkeit brauchen. Und: Als die Kinder klein waren, habe ich mich nachmittags ständig mit Freundinnen getroffen. Wir saßen im Garten oder auf dem Fußboden, haben Kaffee getrunken und erzählt. Heute brauchen die Kinder mich anders und ich versuche nebenbei möglichst viel zu erledigen. Es ist alles viel unruhiger geworden.

Kleine Anekdote: Eine von euch schrieb mir, dass sie leider keine Zeit habe für 40 Minuten Sport. Ich war an dem Abend besonders platt. Es war 21.30 Uhr, ich hatte endlich alle Kinder im Bett, mein Mann war beim Sport. Mit gerunzelten Augenbrauen antwortete ich: „Naja, ich laufe jetzt los, das könnest du doch sicher auch, oder?”

Während ich in meine Sportschuhe schlüpfte, antwortete sie: “Ne, sitze noch am Schreibtisch. Bin Richterin und muss fast jeden Abend was tun. Zeit tagsüber reicht nie.” Erwischt. Ich hatte sofort ein schlechtes Gewissen. 

Dann musste ich an all die Jahre denken, in denen ich morgens Lehrerin war und abends meinen Blog aufgebaut habe.

Abends arbeiten kann ich inzwischen nicht mehr, also quetsche ich heute alles in Vor- und Nachmittag. Zeiten ändern sich, Bedürfnisse ändern sich. Während ich anfangs den Smalltalk am Fußballplatz mit einigen Müttern noch ganz nett fand, nervt er mich heute ziemlich.

Und wenn einige von uns die Fahrt zum Fußballplatz also als Me-time empfinden, ist das schön. Ich tue es nicht. Ich kann vielleicht versuchen, mir die Zeit so gut wie möglich zu machen. Aber ich spreche mir damit nicht den Wunsch nach “echter” Me-time ab.

Was ich aus dieser Geschichte gelernt habe: Dass wir alle unterschiedlich sind und unterschiedliche Me-time-Bedürfnisse haben. Dass wir uns für unsere Bedürfnisse nicht schämen müssen. Und dass wir bitte, bitte keinen Wer-hat-es-schwerer-Wettbewerb starten. Tauschen wir uns lieber aus und inspirieren uns.

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Alles Liebe,

Claudi