Letzte Woche schrieb eine Freundin von mir in unsere Freundinnen-Whats-App Gruppe: “Mädels, habt ihr Tipps für gute Aufklärungsbücher? Ich glaube, es wird langsam mal Zeit für ein paar Informationen…” Ich bekam einen kleinen Schreck, wie so oft beim Kinder haben. Ich nenne es den “Angst-was-verpasst-zu-haben-Schreck”, also der Moment, in dem man überlegt, ob man selbst in Sachen Erziehung da ist, wo man sein möchte. Dann atmete ich erleichtert aus. Mein großer Sohn ist neun, genau wie die Tochter meiner Freundin, und wir haben kein Aufklärungsbuch im Haus (bloß ein altes vom Flohmarkt, das ich für das Foto erstmal suchen musste). Mein Alltag ist ihre Aufklärung…
Sprich: Ich spreche alles an und aus, was mir vor die Nase oder zu Ohren kommt. Ich nutze jede Gelegenheit, um über Männer und Frauen, Schwangerschaft, Sex, Liebe, Verknallen, Schwul sein, ja sogar über Vergewaltigung zu sprechen. Wenn wir etwas gemeinsam im Radio hören, wenn ich in einer Zeitschrift etwas lese. Wenn wir Bücher angucken oder ich in der Unterhaltung meiner Kinder etwas aufschnappe. Wenn ich etwas dazu denke, spreche ich
In meiner Erinnerung fiel es meinen Eltern, wie so vielen Eltern jener Zeit, schwer über Liebe, Sex und all das zu sprechen. Irgendwann wollten sie mit mir ein Gespräch am Küchentisch führen und mir alles erklären. Ihnen war es sichtlich unangenehm – und mir auch. Es hatte einfach nie gemeinsame Wörter und Sätze darüber gegeben. Zum Glück wusste ich zu dem Zeitpunkt sowieso schon alles. Ich glaube, auch sie waren erleichtert darüber.
Noch als mein erstes Baby im Bauch war, fasste ich den Entschluss, es anders zu machen. Ich war nicht sicher, ob es wirklich funktionieren würde, aber ich wollte es zumindest probieren: Ich wollte mit meinen Kindern von Anfang an über alles reden, damit ich mit ihnen immer über alles reden kann. Bislang geht’s ganz gut: Ich kann Penis, Scheide, Vagina, Sex, Ficken, Blasen und mehr aussprechen ohne rot zu werden oder mich irgendwie dabei komisch zu fühlen.
Auf gar keinen Fall möchte ich dabei überlocker wirken. Oder zwanghaft ständig etwas sexualisieren. Ich erzähle meinem Dreijährigen auch nicht mehr, wenn er von Tuten – ha – Blasen noch gar nichts am Hut hat. Aber sogar bei ihm lasse ich nichts aus, sondern biete an, zum Beispiel, wenn wir ein Buch über ein Baby im Bauch angucken: “Bauch!”, sagt er und zeigt auf den dicken Bauch. “Guck mal”, sage ich, “da ist das Baby drin. “Baby drin?”, sagt er und kräuselt die Nase. “Willst du wissen, wie das reingekommen ist, das ist total spannend…?”, sage ich. Dann erzähle ich kurz und knapp und achte auf Nachfragen – daran merke ich sehr deutlich, ob Interesse für noch mehr da ist. Mehr Interesse fing bei uns mit etwa vier Jahren an, glaube ich. Pausierte dann aber auch immer mal wieder. Kam in Schüben. Die Übergänge sind fließend.
Was meine beiden Großen betrifft, da reden wir wirklich über alles. Ich erkläre ihnen, was eine Prostituierte ist, wenn wir im Radio etwas darüber hören. Ich lasse meine Tampons nicht diskret im Korb verschwinden, wenn ich welche kaufe. Wenn mir etwas einfällt, was ich mal ansprechen möchte, denke ich mir zur Not eine Geschichte dazu aus. Sie wissen übrigens auch ganz genau, dass ich Witze über Verliebtsein oder Verknallen nicht toleriere. Wir können super gern darüber reden, aber wir machen uns nicht lustig. Das Schöne ist, wenn ich selbst ganz normal darüber rede, so wie über Kartoffelbrei zum Abendbrot, können auch sie ganz normal darüber reden.
Manchmal führen wir beim Frühstück Unterhaltungen wie diese:
Sohn eins: “Menno Blödmann, du hast mir die Müslidose voll in die Eier gerammt…”
Sohn zwei: “Kann nicht sein, Jungs haben doch keine Eier…”
Sohn eins: “Dann eben Hoden meine ich, man….”
Sohn zwei: “Mama, sind die Eier in dir drin eigentlich so groß wie die von unseren Hühnern?”
Ich weiß nicht, wie es mit meiner Alltagsaufklärung weitergeht. Ich weiß nicht, ob wir das auch in der Pubertät so weiter durchziehen können. Aber ich hoffe es. So viel Technisches gibts dann ja auch gar nicht mehr, was sie noch nicht wissen. Dann kommt ja aber noch so viel mehr dazu. Dann kann ich – mit etwas Glück, wenn es so weiter läuft, hoffentlich – noch viel mehr Gefühlsaufklärung betreiben. Auch im Alltag, mal sehen, oder vielleicht bei einer Tasse Tee. Besonders gut geht sowas bei uns übrigens auch immer im Auto.
Das wird dann sicher noch viel spannender.
Und ihr?
Alles Liebe,
Ein so wichtiges Thema und ich find es toll, so wie ihr es macht. Genau so läuft es bei uns auch. Was aber auch schon dazu führte, dass ich andere Eltern damit überforderte. Wenn meine Kinder sich mit Freunden unterhielten und diese dann nach Hause kamen und sich mit ihren Eltern austauschten …
Aber Offenheit und Natürlichkeit ist bei diesem Thema das A und O.
Ganz liebe Grüße und ich wünsche euch, dass ihr euch diese Gespräche mit Offenheit bewahren könnt.
Ich halte es ungefähr so wie du. Der Sohn (bald 8) zeigte aber nie so wirklich Interesse. Im Rahmen meiner Schwangerschaft haben wir natürlich ganz viel über Sex, Babys und Co gesprochen. Er ließ es sacken. Wochen später….Ich mit 9. Monatskugel auf dem Weg nach Hause neben ihm….sagte er plötzlich, “Aber Mama, mit dem Sex, du und Papa, ihr habt das doch nicht gemacht?!” Joah. Doch. Nochmal klargestellt. Ist wohl so wie mit dem Wissen ums Christkind, an das glaubt er nämlich noch immer ganz fest. Nur umgekehrt. Aber gerade deshalb stehen hier auch ein paar Bücher zum Thema im Regal, falls er nochmal lesen möchte, aber erstmal nicht reden mag. Bin gespannt, wie es bei der Vierjährigen wird. Ich nehme an, dass das Baby dann später von den Großen alles erfährt
Es gibt eine ganz unaufgeregte Löwenzahnfolge zu diesem Thema. Ist ein toller Einstieg und alles weitere kann man ja dann noch persönlich besprechen….
Halloho,
Oh, das Thema ist bei uns gerade ganz aktuell, auch in der Schule. Ich wollte meine Tochter (10) nicht auflaufen lassen und habe ihr deshalb ein Buch besorgt. Hatte ihr Seiten rausgesucht, welche sie lesen kann und danach haben wir in Ruhe drüber gesprochen. War richtig schön und jetzt nach dem Unterricht, war sie ganz glücklich, dass sie viel dazu beitragen konnte. Einige Kinder in ihrer Klasse waren doch sehr ahnungslos. Wir waren wohl etwas später dran, als ihr. Glaube, meine Tochter wäre so früh damit überfordert gewesen.
Völlig unaufgeregt. Ich gehöre noch zur 68er Generation. Nicht sehr heftig, aber interessiert. Meine Kinder sind Jahrgang 1967 und 1971. Es war alles natürlich. Tochter ist älter als Sohn. Sie war beim Stillen und Wickeln dabei und es wurde über das gesprochen, was sie interessierte. Und ihn später auch. Ich hatte eine wunderbare Mappe mit Bildern und Texten zu diesem Thema. Sie war gegliedert in Aufklärung für Kinder bis zur Pubertät, dann ab Pubertät bis zum Erwachsenenalter und eben Sexualität im Erwachsenenalter bis hin zum Alter. Die Mappe lag immer griffbereit im Wohnraum. Die Kinder blätterten, schauten sich die Bilder an, unterhielten sich, stellten Fragen usw. Völlig zwanglos. Als meine Tochter (14) von ihrem ersten Freund berichtete, sind wir zusammen zum Frauenarzt, der sie noch mal von seiner Seite “aufklärte”. Mit meiner Zustimmung hätte sie sich auch jederzeit die Pille holen können. So war das abgesprochen. Und mein Sohn hatte ab der Zeit, wo er sich für Mädchen interessierte, auch immer ein Kondom bei sich. Und noch heute macht er sich einen Scherz daraus, zu fragen “Willst du mal meine Geldbörse sehen?”. darin steckte nämlich immer eines. Leute, bleibt ganz locker. Sex ist ein ganz natürlicher Vorgang. In jedem Alter. Und schön! Auch das sollten Kinder wissen.
So wurde ich aufgeklärt und es gibt nichts besseres! Das ist vielleicht auch in der ehemaligen DDR üblicher gewesen. Körper nicht zu verhüllen. Und auch klar zu kommunizieren was man damit machen kann. Mache ich mit meinen Töchtern auch so- klappt super. Seit die große 2 ist herrscht reges Interesse an allem was mit Penis, Vulva (übrigens der korrekte Ausdruck für Äußere und Innere Geschlechtsteile der Frau) und Babys zu tun hat. Meine Große (4) hat kurz vor Corona eine gut gefüllte Damentoilette über den Kondomautomaten aufgeklärt. (Bevor man echt Babys bekommen will muss man Sex schließlich mal üben! Ein Baby bekommen muss man sich nämlich gründlich überlegen!) Großartig.
Es gibt übrigens Studien die nachweisen dass Mädchen und Jungen signifikant seltener Probleme mit dem eigenen Körper und Essstörungen entwickeln wenn sie regelmäßig andere Menschen nackt sehen (FKK Strand, Eltern, Großeltern wo auch immer. In unverfänglichen Situationen natürlich). Ich hoffe mit alltagsaufklärung erreicht man etwas Ähnliches. Ein natürliches Verhältnis zu Körperlichkeit und Sex. (Bei mir und allen Freunden die genau so aufgeklärt wurden hat’s geklappt!)
Liebe Grüße ☺️
Ich finde auch, das ist ein gutes Konzept, Dinge dann anzusprechen, wenn eben Fragen dazu kommen. Wir haben das Thema anhand unserer Katze “erarbeitet” die Kinder wollte Katzenbabys, das geht nicht ohne Kater und vor allem darf der Kater nicht kastriert sein… 😉 das war eine spannende Zeit, das war natürlich nicht so geplant, aber ich denke man lernt eh am Besten an der Anwendung und Dinge dann anzusprechen, wenn sie eben für die Kinder wichtig und interessant sind und nicht dann, wenn man denkt, dass der richtige Moment dafür wäre.
Neulich bekamen wir ein liebevoll gepackt es Corona-Päckchen von meiner Schwester, darin Kleinigkeiten für jedes Familienmitglied. Mit dabei: ein Tampon für meine Zweieinhalbjährige, weil sie die wahnsinnig gerne herumschleppt und vor allem: auspackt! Das ist natürlich normalerweise nicht erlaubt und war deshalb etwas ganz besonderes, ein Tampon nur für sie! Eine neunjährige Freundin meiner Mittleren saß mit am Tisch und wusste von nix. Ich hab sie dann “aus Versehen” über Mens etc. aufgeklärt, weil ich es nicht glauben konnte, dass sie das wirklich nicht weiß! Zumal es einfach auch Mädels gibt, die das in diesem Alter betrifft! Nun ja, vielleicht habe ich auch als Ärztin ein sehr entspanntes Verhältnis zu diesen Dingen. Da passiert es schon mal, dass die Jüngste wieder das “Penis-Buch” lesen möchte, weil die Frage, wie “denau” jetzt ein “Pinnis” aussieht sehr gut in einem Anatomie-Atlas beantwortet wird.
Andersherum war ich schon entsetzt, als mein Großer zu Beginn der zweiten Klasse durch Freunde mit Pornos konfrontiert wurde. Ich finde es problematisch, wenn ein Kind, dass zum Thema “echter Sex” (also tatsächlich harte, technische Fakten, nicht nur das Prinzip) noch völlig naiv ist (weil es eben noch ein Kind ist!) dann die “erste” Begegnung mit diesem Thema mit völlig unrealistischen Darstellungen hat, die zudem auch noch in Bezug auf Frauenbild, Umgang miteinander etc. problematisch sind. Da hatte ich auf mehr Zeit gehofft, um das selbst vermitteln zu können, wenn das Interesse da gewesen wäre. Davon war er aber noch weit entfernt!
Danke für diese kleine Geschichte! Sehr inspirierend!
Auf einen Spieltampon wäre ich nicht gekommen, aber eigentlich, logo, dass sie das super finden.
Vielleicht denke ich mir mal ein Tampon-DIY aus…
Herzlichst,
Claudi