„Kann man vom Bücherschreiben allein leben?“ Wenn ich jedes Mal einen Euro bekommen würde, sobald mir jemand diese Frage stellt, könnte ich es wahrscheinlich. Aber so ist es nicht, und auch der Traum, vom Schreiben reich zu werden, bleibt meist ein Traum. Klar, es gibt sie, die Ausnahmen. Die sind allerdings sehr, sehr – und ich meine wirklich sehr – selten. Genauer gesagt können in Deutschland (je nach Quelle) etwa zwei bis fünf Prozent der Autor*innen allein mit ihren Büchern ihren Lebensunterhalt finanzieren, und das ist eine verhältnismäßig kleine Zahl, wenn man bedenkt, dass es etwa 30.000 selbstständige Schriftsteller*innen gibt (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2022).
Aber – und das ist das Gute an unserem Job – es existieren ja noch mehr Möglichkeiten für Schreibende, um sich die Butter auf dem Toast zu verdienen. Lesungen zum Beispiel. Die können so gut wie überall stattfinden und bringen nicht nur Geld ein, sondern auch den unmittelbaren Kontakt zum (hoffentlich begeisterten) Publikum mit sich. Allerdings sorgt allein der Gedanke daran, mit Lesenden in Interaktion zu treten, bei manchen schon für Herzrasen – vor allem, wenn es wie in meinem Fall auch Kinder und Jugendliche sein können. Damit trotzdem alles gutgeht und stetig Buchungen ins Haus flattern, empfiehlt es sich, mit einem richtig guten Plan an die Sache heranzugehen.
Einen geradezu ausgezeichneten Plan hat Autorin, Literaturagentin und Coach Cally Stronk, wie ich kürzlich bei einem ihrer Workshops erfahren durfte. Sie war nämlich zu Gast bei meiner Schreibgruppe, dem Schreibkreativ, und hat uns einen Blick in ihren Werkzeugkoffer für Lesungen werfen lassen. Einen Ausschnitt daraus darf ich euch nun hier weiterreichen.
Cally Stronks wichtigster Tipp für Autor*innen, die Lesungen planen
Bastelt euch ein Baukastensystem, aus dem ihr euch – zur Not auch ganz spontan – herausziehen könnt, was ihr gerade braucht. Ihr habt eine lustige Geschichte zu einer Figur aus eurem Buch? Rein in den Baukasten! Ihr könnt etwas über die Illustrationen erzählen? Rein damit! Ihr habt ein Kuscheltier, das aussieht wie der Elch auf dem Buchumschlag? Super, auch rein! Die Grundpfeiler sollten zwar der Anfang, die Mitte und das Ende der Lesung sein, die vor allem beim jungen Publikum jeweils mit einem besonderen Höhepunkt aufwarten müssen. Aber je mehr Stoff ihr bei Bedarf aus eurem Köfferchen zaubern könnt, desto besser. Denn wie wir alle wissen: Wer mit Menschen arbeitet, braucht einen Plan B. Und am besten auch noch einen Plan C und D. Aber dazu später mehr.
Beginnen wir doch ganz vorne, noch lange vor der Lesung. Ihr solltet euch nämlich unbedingt die Gegebenheiten vor Ort anschauen oder zumindest vorher abfragen, damit ihr keine unschönen Überraschungen erlebt. Gibt es ein Mikro oder sogar mehrere, falls ihr Fragerunden plant? Sitzt ihr erhöht? Sitzt ihr überhaupt? Gibt es einen Beamer und eine Leinwand für eure Präsentation? Müsst ihr einen eigenen Laptop dabeihaben? Cally Stronk empfiehlt übrigens, die Präsentation vorher zu schicken und als Notnagel auf USB-Stick mitzunehmen. Werdet ihr mit Getränken versorgt, mit Schatten oder genügend Licht … und, und, und. Überlegt euch, was ihr unbedingt braucht und was ihr definitiv nicht wollt, kommuniziert das und überprüft, ob alles eingehalten wurde.
Falls ja, kann es auch schon losgehen mit der Lesung.
Eure Vorstellung sollte laut Cally Stronk im Idealfall ein*e Moderator*in übernehmen (Lehrer*in, Buchhändler*in etc.), und er oder sie darf dabei gern schon richtig Stimmung machen. „… hat schon x Bücher veröffentlicht!“ oder „… war vor Kurzem im Fernsehen zu sehen!“ oder „… schreibt nicht nur Bücher, sondern auch Drehbücher für Serien und Filme!“ Das sorgt dafür, dass ihr strahlt – und die Kinder den Mund kaum zubekommen vor lauter Staunen. Und noch ein kleiner Geheimtipp für den Moment vor dem Beginn: Wenn ihr kommentarlos etwas auf der Bühne platziert, das ihr erst später mit einbindet (einen Instrumentenkoffer, eine Puppe etc.), weckt das von Anfang an Interesse!
Nun ist eure Lesung also schon in vollem Gange, und gleich folgt der nächste Tipp: Je jünger euer Publikum ist, desto häufiger solltet ihr etwas Neues aus eurem Baukasten herausziehen, um die Kinder bei Laune zu halten. Also bestenfalls nicht viel mehr als fünf bis sieben Minuten am Stück lesen, sondern stattdessen immer wieder interaktive Elemente einbauen. Fragen zu stellen, hilft laut Cally Stronk zum Beispiel immer. „Was meint ihr, wie geht’s weiter?“ oder „Puh, jetzt sitzen sie in der Tinte. Was würdet ihr an deren Stelle jetzt machen?“ oder „Wer von euch hat schon mal einen Drachen gesehen?“ Das hält die jungen Zuhörer*innen bei der Stange und schafft eine Verbindung zwischen euch. Aber Obacht: Auch die Mitmach-Runden nicht zu lang halten, sonst wird es schnell laut und unübersichtlich.
Übrigens muss nicht alles knallbunt und hippy-hoppy sein.
Wenn ihr eine wichtige Message in eurem Buch habt (Mobbing, Tod etc.), sprecht sie zwischen den Zeilen an, indem ihr zum Beispiel fragt, wer von den Anwesenden jemanden kennt, der oder die schon mal gemobbt wurde. Das eröffnet den Kindern die Möglichkeit, mit Schutzschild (vielleicht auch über sich selbst) zu erzählen, und euch, ein Gespräch auf Augenhöhe zu beginnen. Was Besseres kann euch nicht passieren.
Ist euer Publikum eher schon im Teenie-Alter oder sogar darüber hinaus, könnt ihr länger lesen und mehr auf den Schaffensprozess eingehen. Behind the scenes lieben die meisten Leser*innen! Also erzählt ruhig, wie ihr auf die Idee gekommen seid oder was ihr bei der Recherchereise auf Hawaii erlebt habt.
Und ZACK! Bald ist die Stunde schon vorbei und die Lesung neigt sich dem Ende zu. Das sollte aber auf keinen Fall nur so dahinplätschern, sondern im besten Fall noch lange im Gedächtnis bleiben. Also wenn ihr wie Cally Stronk ein Instrument spielt, setzt es jetzt ein. Wenn ihr Geschenke verteilen möchtet, macht es jetzt (damit die Kinder nicht vorher damit herumrascheln). Wenn ihr ein besonderes Spiel plant: Jetzt ist die Zeit. Hebt euch also unbedingt einen Knaller für den Schluss auf und bietet – wenn ihr mögt – danach noch eine Fragerunde, Signierstunde oder Ähnliches an. Dann noch ein kurzer Plausch mit der/dem Verantwortlichen und eventuell ein Hinweis auf kommende Bücher, andere Lesungsformate oder Workshops, die ihr anbietet, schon seid ihr durch!
Abschließend noch ein paar Worte zum oben erwähnten Plan C und D, falls ihr besonders unruhige Zuhörer*innen habt:
– Bewegung schafft Aufmerksamkeit! Lauft gern zwischen den Stühlen herum, wenn ihr merkt, die hinterste Reihe schläft gleich kollektiv ein.
– Der junge Mann in Reihe eins plaudert immer mit dem Nachbarn? Fragt ihn, ob er was zum Thema beitragen will, das auch alle anderen wissen dürfen! Stellt euch ihm gegenüber, schaut ihn direkt an.
– Cally Stronks Tipp, wenn alle durcheinanderreden: „Ich höre, laut sein könnt ihr alle. Aber könnt ihr auch ganz leise …?“
– Im Zweifel die Lehrkraft/Aufsicht ins Boot holen und das schwierigste Kind wenn nötig sogar rausschicken.
– Wenn gar nichts mehr geht, bleibt immer noch der Abbruch oder die Möglichkeit, eine Stunde nur mit dem Publikum zu quatschen. Letzteres habe ich mal mit der achten Klasse einer Mittelschule gemacht, und alle waren happy danach.
Aber das Wichtigste überhaupt: MACHEN! Auch wenn ihr Angst habt oder furchtbar aufgeregt seid, versucht diese eineinhalb Stunden zu genießen, immerhin sitzen da Leute, die sich für das interessieren, was ihr tut. Also Augen auf (!) und durch. Wer sich damit besser fühlt, kann Anti-Stress-Duftroller (z B. von Primavera) benutzen oder Notfalltropfen. Oder ihr spielt den worst case vorher einmal im Geist durch, um euch die Furcht vor dem Unbekannten zu nehmen. Was kann schlimmstenfalls passieren? Und was passiert, wenn‘s passiert? Die Hauptsache ist, ihr geht danach raus und lest, damit ihr euch auch morgen noch Butter (und bestenfalls sogar Nutella) für den Toast kaufen könnt.
Noch Fragen? Dann stellt sie gern Cally Stronk direkt, sie bietet Intensiv-Coachings an, bei denen ihr Lesekonzepte gemeinsam erarbeitet.
PS. Angela Kirchner schreibt Kinderbücher, ihr neustes heißt Sparkling. Nächstes Jahr gibt’s auch einen Roman für Erwachsene von ihr.
Fotos: Privat
Viel Erfolg und vor allem Spaß wünscht euch,
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