Wer sich schwertut, auf Partys mit Leuten ins Gespräch zu kommen, sollte ins Ghostwriting einsteigen. Wenn die „Was machst du denn so?“-Frage kommt, dann lohnt es sich, die Flips in Reichweite zu haben, denn es könnte eine längere Unterhaltung werden. Wie spannend es offensichtlich ist, für andere Bücher zu schreiben, weiß ich erst, seit ich mein Autorinnen-Profil um dieses Spezialgebiet erweitert habe…
Vorher war ich einfach Journalistin und Sachbuchautorin, aber jetzt…?
„Komm, ich hole uns noch etwas zu Trinken!“ Jede Menge Fragen schließen sich an, von denen ich viele – und nein, danke, ich trinke wirklich keine härteren Sachen! – auch bei größtem Charmeaufkommen und trotz Zuwendungen aller Art niemals beantworten würde. Denn nicht alle, die sich Geister ins Haus holen, möchten, dass jemand davon weiß. Geheimnisse für sich behalten zu können, steht weit oben auf der Liste der Dinge, die ich als Ghostwriterin mitbringen sollte. Besprechen gibt es aber trotzdem mehr als genug.
Fangen wir mal von vorn an. Also mit der Frage, die allen am meisten auf der Seele zu brennen scheint: „Macht dir das gar nichts aus, dass du nicht auf dem Titel stehst?“ Sprich: dass andere die Lorbeeren einstreichen, vielleicht mit dem Buch aus deiner Feder (okay, jetzt wissen alle, sie ist mindestens Mitte vierzig!) auf Bestseller-Listen landen und niemand dich damit in Verbindung bringt? Licht oder Schatten. Bühne oder Backstage. Für jemanden, der in der Schule am liebsten hinten saß ohne sich je zu melden, einen Instagram-Account mit 0 Beiträgen brachliegen hat und eigene Bücher unter Pseudonym veröffentlicht, eine klare Sache: Es macht mir nicht nur nichts aus, ich finde es sogar genau richtig so.
Denn egal, ob ich alle Seiten geschrieben habe oder nur einen Teil, ob ich bei dem Projekt mehr Autorin, Lektorin, Schreib-Coach oder alles war – nach meinem Empfinden sind es nicht meine Bücher, sie gehören denjenigen, die mir ihre Geschichten erzählen.
Wer das ist? Alles Promis, könnte man glauben. Kommt zwar vor, stimmt aber in den meisten Fällen nicht. Es sind Leute, die vielleicht keine Zeit haben, selbst zu schreiben, weil sie gerade irgendwo die Welt retten. Die auf einem bestimmten Gebiet Experten sind und das Schreiben auslagern, weil sie an anderer Stelle ihre Fähigkeiten sinnvoller einsetzen können.
Zu denken, alle Menschen, die einen Ghost beauftragen, könnten nicht schreiben, ist ein Trugschluss. Manchmal sind sogar gute Schreiber darunter, die sich aber nicht allein an dreihundert Seiten wagen, die starke Fragmente liefern, aber denen das Handwerkszeug fehlt, das man braucht, um ein komplettes Buch zu schreiben. Jemand, der beim Gedanken ordnen hilft, dabei, den roten Faden zu finden.
Allen gemein ist die Idee, ein besseres Buch zu schreiben, wenn jemand sie unterstützt.
Hauptsächlich verfasse ich Memoirs, ich gebe Menschen eine Stimme, die bewegende Lebensgeschichten zu berichten haben, manchmal traumatische Erfahrungen machen mussten, nicht selten geht es um Verlust, um Ausgrenzung, darum, zu sich selbst stehen zu können. Manche haben so große Kämpfe auszufechten, dass keine Ressourcen da sind, ein ganzes Buch allein zu verfassen – gleichzeitig möchten sie anderen mit ihrer Geschichte Mut machen und deshalb an die Öffentlichkeit gehen.
Nicht immer, aber oft sind es tiefe, persönliche Themen. Darum kann es sich für mich niemals komisch anfühlen, dass sie die Autoren ihrer eigenen Geschichte sind und bleiben – und nicht ich. Nein, sie schmücken sich nicht mit fremden Federn. Das ist, so finde ich, ein ganz wichtiger Punkt. Für manche ist man „nur“ Ghostwriterin. Dabei ist es eine ganz eigene Form der Schreibkunst. Und dazu gehört, sich gleichzeitig einzubringen und zurücknehmen zu können, und das ist herausfordernd.
Natürlich fließt auch vieles von mir mit ein, aber ich formuliere die Texte nah an der Sprache der Menschen, die sie mir erzählen.
Es ist vor allem ihr Blick auf die Welt, ihre Haltung zum Leben, ihr Erfahrungskontext. Auch wenn ich in meinem eigenen Text möglicherweise andere Formulierungen wählen würde, versuche ich, eine Balance zu finden. Die Person, die erzählt, muss erkennbar bleiben.
Meistens gelingt es und die Menschen finden sich darin wider. Bisher hatte ich großes Glück, und es hat fast immer gepasst. Aber auch die Erfahrung, dass es nicht funktionierte, habe ich gemacht. Das ist dann ein bisschen wie bei einer Trennung. Keine angenehme Erfahrung, aber besser für alle. Natürlich nimmt man es persönlich, weil es eben persönlich ist.
Wenn man über Monate über private Themen spricht, dann kommt man sich unweigerlich nah.
Selten ist man einfach nur Dienstleister, meistens ist viel Wertschätzung da. Als Ghostwriterin sitze ich mal bei jemandem im Wohnzimmer am Kaminfeuer und blättere in Familienalben. Ich darf in Kinderzimmer eintreten, in denen längst niemand mehr wohnt. Manchmal trinke ich bloß aus Verbundenheit sehr viel Kaffee, obwohl ich keinen mag. Manchmal kocht jemand für mich sein Lieblingsessen, und ich bete still, dass es etwas Vegetarisches sein möge. Unfassbar viele Stunden verbringen ich in Video-Calls, laufe vertraute Wege mit den Autoren ab, spreche mit ihren Familienangehörigen, mit Wegbegleitern, mit Partnern.
Wir lachen gemeinsam über Liebesbriefe und schräge Klamotten aus der Jugend, hören Hits aus alten Tagen. Immer wieder geht es auch dorthin, wo es weh tut, auf den Friedhof oder an einen Tatort, dann muss man dem folgen, was der Autor vorgibt, lieber umdrehen – oder sich an die Hand nehmen und langsam weitergehen.
Sich auf Menschen aus den verschiedensten Kontexten einzulassen, öffnet den Blick auf die Welt.
Es erzeugt Offenheit, Verständnis, es kann auch helfen, mit eigenen Vorurteilen aufzuräumen. Wenn das Buch fertig ist, erwische ich mich manchmal bei dem Gedanken: Warum melden die sich denn gar nicht mehr? Dann fällt mir ein, ach ja, es war ein Job, eine berufliche Beziehung. Aber meist liegt doch mehr darin.
Eine Kollegin aus der Geister-Agentur (ja, es gibt einige und sie sind unter uns), die mir die Aufträge vermittelt, stellte kürzlich die Frage, warum es eigentlich verpönt sei, einen Ghostwriter zu engagieren. In der Musik ließen doch alle ihre Songs schreiben und keiner stört sich daran. Und nicht jeder, der gern Tagebuch schreibt, kann mal eben ein ganzes Buch hinlegen. Positiv und selbstbewusst an die Dinge ranzugehen, ist immer gut, aber oft sind genau das dann die SOS-Projekte, die kurz vor Abgabe von uns Gespenstern gerettet werden müssen.
Wenn ich als Geist zu den Lesungen der Menschen gehe, für die ich geschrieben habe, dann lasse ich mir mein Exemplar von ihnen signieren. Fühlt sich das komisch an? Kaum. Andersherum freut es mich, wie stark sie sich mit dem Buch verbinden. Immer wieder höre ich Sätze wie diesen: „Lena, weißt du, darüber schreibe ich sogar in meinem Buch.“ Dann, so denke ich, habe ich meinen Job gut gemacht, und bin richtig stolz unter meinem weißen Bettlaken. Denn auch wenn wir uns im Verborgenen wohl fühlen, haben wir Geister natürlich auch unsere Eitelkeiten …
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Ghostwriterin und Sachbuch-Autorin Lena Schindler hat – ein bisschen entgegen ihrer Natur – erstmalig ein Buch unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht. Zu einem ganz anderen Thema als jenen, mit denen sie sich als Geist befasst. Ein Kinderbilderbuch!
Protagonistin von „Heia – Abenteuer im Schaumland“ (Bohem) ist das Schlafschaf Heia. Sie gehört ihrer Tochter Maja und ist geliebtes Familienmitglied. Dass Heia einmal in die Waschmaschine geraten könnte, ist Majas größte Sorge. Was, wenn sie danach nicht mehr dieselbe ist? Sich seltsam anfühlt oder komisch riecht?
Als es dann doch passiert, gelangt Heia durch den Schleudervorgang in eine magische Welt aus Schaum, in der sie fantastische Abenteuer erlebt – und die Freundschaft zu Maja nochmal neu besiegelt wird.
Die Idee für das Buch entstand, als das Stofftier tatsächlich beim Besuch bei Oma in die Waschtrommel gesteckt wurde. Illustratorin Yuliia Ukrainets passte zu dieser Zeit hin und wieder auf Lenas Kinder auf. Die beiden kleinen Mädchen stellten sich dann jedes Mal schlafend und verließen sofort die Betten, sobald Lena aus der Tür war, um die halbe Nacht mit Yuliia zu zeichnen und zu malen. Völlig klar, dass aus dieser Verbindung ein Buch werden musste!
Ganz viel Spaß mit meinem Buch (und meinen Geistern), alles Liebe,
Danke für den super interessanten Einblick! Sehr guter Artikel 👍.
Das Kinderbuch klingt richtig süß.
Superspannend! DANKE für den Einblick!
Liebe Lena,
vielen Dank für den interessanten Artikel. Hast Du einen Tipp, wie man Ghostwriterin werden kann? Ich finde mich in dem, was Du schreibst, voll wieder und würde das sehr gerne versuchen.
Liebe Grüße und danke!
Elisabeth
Liebe Elisabeth, wie toll, ich kann es wirklich nur empfehlen. Beruflich zu schreiben ist natürlich die beste Voraussetzung, aber es gibt hier sicher keinen vorgeschriebenen Weg. Wenn Du selbst jemanden hast, für den Du gern ein Ghostwriting machen würdest, könnt ihr das Ganze quasi als Komplettpaket einer Agentur oder einem Verlag anbieten. Ich hatte damals das Glück, eine Ghostwriterin zu kennen, die aus Zeitgründen einen Auftrag abgeben musste und bin dadurch hineingerutscht. Auch Literaturagenturen vermitteln Ghostwriter und Ghostwriterinnen. Ich drücke Dir alle Daumen!
Vielen Dank für diesen interessanten Text. Ich habe bislang nie wirklich darüber nachgedacht, wer aus welchen Gründen wohl einen Ghostwriter engagieren würde, aber das klingt sehr einleuchtend und vor allem auch sehr sinnvoll..