Es gibt Gespräche, es gibt Sätze, die bleiben für immer im Gedächtnis. Die begleiten mein Leben und stehlen sich in bestimmten Situationen immer wieder in meinen Kopf. Ich muss etwa 12 Jahre alt gewesen sein, da saß ich mit meinem Opa auf einer Bank in einem winzigen Park in Stuttgart. Mein Opa beobachtete die Leute und meinte plötzlich „Ich mag ja keine Jeans. Alle tragen Jeans. Sie kommen mir vor wie eine Uniform. Ich habe schon zu viele Uniformen gesehen. Wenn die Leute sich uniformieren, da kommt nie etwas Gutes bei raus…”

Ich wusste genau, was er meinte, ich wusste, worauf er anspielte. Mein Opa hat damals das Erstarken des Nationalsozialismus und die schrecklichen Folgen aus nächster Nähe und unterschiedlichen Blickwinkeln mitbekommen und er hatte mir schon das ein oder andere darüber erzählt. Ich wusste, dass mein Opa, der auf den ersten Blick so aus der Zeit gefallen schien mit seinen eleganten Stoffhosen und den altmodischen Herrenhüten, gar nicht so aus der Zeit gefallen war, höchstens aus der seiner eigenen Jugend.

„Wenn die Leute sich uniformieren, da kommt nie etwas Gutes bei raus“.

Ich musste an die Worte meines Opas denken, als ich mit 14 mit Hilfe einer Nagelfeile meine eigenen Jeans mit Löchern verzierte. Ich musste an sie denken, als ich zu Gegendemonstrationen von Naziaufmärschen ging. Und ich musste an sie denken, wenn ich sah, wie große Menschenmengen zur gleichen Zeit das Gleiche tun. Ich war wachsam, sensibilisiert, könnte man sagen.

Aber dann kam eine Zeit, während der ich lange nicht mehr an die Worte meines Opas gedacht habe. Das war eine Zeit, in der ich ziemlich mit mir beschäftigt war – und mit meiner kleinen Familie. Das war die Zeit, in der mein erster Sohn geboren wurde und irgendwann der zweite. Es war die Zeit, in der ich mich selbständig gemacht habe und zwischen Schreibtisch und Spielplatz, zwischen Kuscheln und Trösten, zwischen privaten Sorgen und Veränderungen, da war so wenig Raum. Natürlich habe ich mitbekommen, wie sich eine Organisation namens Pegida formte und später die Partei AfD.

Ich habe verfolgt, wie letztere sich immer mehr nach rechts bewegte und 2017 in den Bundestag einzog. Ich habe mich gefragt, ob es mal an der Zeit wäre, mit dem Großen „Schindlers Liste“ zu gucken. Und dann habe ich mich wieder in den Alltag gestürzt. Aber die Themen rückten näher. Und ich musste wieder häufiger an meinen Opa denken. Und mir fiel auf: Wir haben mit den Kindern zu wenig über den Nationalsozialismus gesprochen, dabei ist das Thema immer noch relevant.

Ich wünschte mir, mein Opa wäre da und könnte mit meinen Kindern reden. Aber das ist er nicht. Überhaupt sind nur noch wenige da, die persönlich an die düstere Zeit erinnern können. Das ist nun unsere Aufgabe.

Und ich zumindest, möchte diese Aufgabe aus zwei Gründen ernst nehmen. Der erste Grund ist, dass wir aus der Vergangenheit für die Gegenwart lernen können. Eine reflektierte Auseinandersetzung mit der Geschichte fördert das kritische Denken und das Verständnis für aktuelle Ereignisse. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zeigt deutlich die Zerbrechlichkeit von demokratischen Strukturen. Und wer versteht, wie es zu den Verbrechen des Nationalsozialismus, dem Holocaust und den Angriffskriegen kommen konnte, kennt die Folgen von Ideologien der Intoleranz, Ausgrenzung und Extremismus. So kann sich ein Bewusstsein dafür ausbilden, dass solche Geschehnisse auch heute noch durch entsprechende Haltungen und Handlungen drohen können.

Der zweite Grund ist, dass ich das Informieren und vor allem die Deutungshoheit über die Vergangenheit und damit letztendlich über aktuelle Entwicklungen nicht den Populisten und auch nicht TikTok und Co. überlassen möchte. Denn die Wölfe kommen gerne im Schafspelz daherkommen. Manchmal sogar fast wortwörtlich.

Gerade heute habe ich Fotos von der Auslage auf den Wahlkampfständen der AfD im Rahmen der Landtagswahl in Brandenburg gesehen.

“Niedliche“ Aufkleber für Kinder und Jugendliche mit Schäfchen auf grüner Wiese und dem Spruch „Sommer, Sonne, Remigration“. Weil ich den Fotos kaum glauben wollte, habe ich ein wenig nachgeforscht und festgestellt: Es gibt diese Aufkleber wirklich und sogar eine Geschichte zum Schäfchen. Das Schäfchen heißt Ida und möchte den Sommer genießen mit seinen Freunden – „so wie sie es früher, in den glücklichen Tagen, immer getan haben. Das waren friedliche Sommer, die nach Freiheit rochen, nach Blumen und Abenteuern.“ Dafür müssen dann wohl alle, die nicht zum engeren Freundeskreis gehören, ausgeflogen werden. Passend dazu gibt es dann die „Remigrations“-Flugzeuge in Form von Luftballons. Auch das: leider kein schlechter Scherz.

Und Thomas Rink, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Bildungsabteilung des NS-Dokumentationszentrums in München erzählt im Deutschlandfunk, wie er einmal von einem Kind gefragt wurde, ob Angela Merkel nicht die Tochter von Adolf Hitler sei. Die Information hat das Kind im Internet gefunden. Solchen Geschichten will ich etwas entgegensetzen.

So weit, so ungut. Doch bleibt die Frage, WIE ich Kindern erklären kann, dass es in der wirklichen Welt Dinge gibt, die schlimmer sind als das Ultraböse in Ninjago, weniger leicht zu erkennen und mit Spinjitzu nicht zu bekämpfen.

Denn während ich mit meinem großen Sohn ganz offen über das Thema Nationalsozialismus und die damit in Zusammenhang stehende Brutalität, die erschreckenden Bilder und Szenarien reden kann, während er die Mechanismen von Populismus und Propaganda verstehen und erkennen kann, ist es alles andere als einfach, mit meinem Erstklässler über bedrückende Themen, die zudem Gewalt thematisieren, zu sprechen. Doch sie zu meiden ist eben auch keine Option.

Meine Eltern haben das für mein Empfinden ganz gut gemacht – ob bewusst oder unbewusst, kann ich gar nicht sagen. Auf jeden Fall immer altersgerecht und das ist wohl ein entscheidendes Stichwort. Ich erinnere mich, dass meine erste Berührung mit dem Thema Nationalsozialismus musikalischer Art war. Bei uns zu Hause liefen oft und gerne jiddische Lieder und die habe ich geliebt, obwohl sie zum Teil so traurig waren. Das Lied vom Kelbl zum Beispiel. Ich wusste als Kind nicht, dass Itschak Katsenelson den Text unter dem Eindruck der Deportation seiner Eltern nach Auschwitz geschrieben hatte, aber die Botschaft war trotzdem klar: Freiheit ist das höchste Gut. Oder das Lied „Ss‘ brent, Brider“. Auch hier kannte ich die Geschichte dahinter nicht, wusste nichts von den furchtbaren Pogromen, aber auch hier war die Botschaft eindeutig: Wenn Schlimmes geschieht, steh nicht mit verschränkten Armen da und schau zu.

Schon junge Kinder können begreifen, dass man anderen mit Respekt begegnen sollte.

Nach der Musik kamen die Geschichten. Geschichten in Form von Erzählungen durch Eltern und Großeltern, vor allem durch besagten Opa. Aber natürlich auch in Form von Büchern wie „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, „Maisfrieden“, „Und im Fenster der Himmel“. Es waren Bücher von Einzelschicksalen, von Kindern in meinem Alter, von ihren Erlebnissen während der Zeit des Nationalsozialismus und ihrem Blick auf die Welt. Die grausamen Einzelheiten und die Antworten auf die Frage, wie Menschen zu Tätern werden, kamen erst später. Etwas ganz Wichtiges schwang aber immer schon mit: Dass wir Mut und Menschlichkeit beweisen müssen, damit „so etwas“ nicht noch einmal passiert und dass niemand ausgegrenzt werden darf, weil er anders aussieht, andere Traditionen pflegt oder an etwas anderes glaubt.

Schon junge Kinder können verstehen, dass es von individuellen Wesenszügen und nicht von äußerlichen Merkmalen abhängt, wie sich ein Mensch verhält, was er sagt und tut. Und schon junge Kinder können begreifen, dass man anderen mit Respekt begegnen sollte „Was du nicht willst, was man dir tu…“ Etwa ab dem 5. Lebensjahr können Kinder die Perspektive anderer Menschen einnehmen und ihre Sichtweise wahrnehmen.

Altersgerecht schön und gut, aber was, wenn Fragen kommen?

Altersgerechten Themenaufbereitung, altersgerechte Einsichten, das klingt in der Theorie so leicht – einfache Sprache, drastische Bilder aussparen etc. pp. Aber ich weiß aus Erfahrung, dass das ein ganz schöner Eiertanz werden kann. Denn natürlich kommen manchmal Fragen auf, bei denen ich es ganz schön schwierig finde, sie altersgerecht zu beantworten. Was, wenn ich meinem Kind durchdacht altersgerecht von einem jüdischen Mädchen erzähle, dass nicht mehr in die Schule gehen, nicht mehr draußen im Park spielen durfte und sich schließlich mit seiner Familie verstecken musste und mein Kind dann fragt, was denn mit den jüdischen Kindern passiert ist, die sich nicht versteckt haben?

Die Wahrheit wird nicht besser, weil man sie verschweigt. Und ich will mein Kind auf keinen Fall seiner Fantasie überlassen und verunsichern, indem ich Fragen aus dem Weg gehe, die mir unangenehm sind. Doch ich erlaube mir Pausen. Ich sage ganz ehrlich, dass ich mir überlegen muss, wie ich das am besten erklären kann. Und wenn ich mir etwas überlegt habe, komme ich von selbst noch einmal auf das Thema zurück. Manchmal lasse ich dann auch andere die Antwort geben. Es gibt zum Glück inzwischen sehr gute Erklärvideos wie die Reihe „Der Krieg und ich“ vom SWR für Kinder ab 8 Jahren.
Eine gute Idee finde ich darüber hinaus, wenn nach der Auseinandersetzung mit traurigen und erschreckenden Themen greifbare Bewältigungsstrategien angeboten werden.

Im Holocaust Memorial Museum in Washington wird für die jüngsten Museumbesucher die Geschichte des Nationalsozialismus und der Shoa aus der Sicht des jüdischen Jungen Daniel erzählt.

Im Anschluss an die Ausstellung dürfen die Kinder Daniel einen Brief mit ihren Gedanken und Gefühlen schreiben. Auch schon kleine Gesten wie das Anzünden einer Kerze für die Kinder, die dem Nationalsozialismus zum Opfer fielen, können hilfreich sein. Wichtig finde ich darüber hinaus, mit den eigenen Gefühlen nicht hinter dem Berg zu halten – und im Idealfall zu zeigen, wie man konstruktiv mit diesem Gefühlsberg aus Angst, Trauer, Wut und Hilflosigkeit umgeht, der entsteht, wenn man von den Schrecken dieser Zeit erfährt. Wenn Populisten auf den Angst-Zug springen, stellen sie die Weichen Richtung Hass und Hetze. Ich versuche, den Zug Richtung Hoffnung und Mut zu lenken.

In diesem Sinne ist ein weiterer Punkt wichtig, wenn wir mit unseren Kindern über Nationalsozialismus sprechen: Wir sollten ein Gegenprogramm aufzeigen. So können wir von den Menschen im Widerstand erzählen und von den Überlebenden, die die unglaubliche Kraft aufbrachten, von ihren Traumata zu berichten und in Vorträgen an Schulen an die Verantwortung der jüngeren Generationen appellierten und appellieren. Die Zeit des Nationalsozialismus hielt kein Happy End bereit. Aber Hoffnung darf es immer geben.

Und damit möchte ich noch einmal den Bogen dahingehend schlagen, dass der Nationalsozialismus viel mehr ist, als eine vergangene Epoche und dass die Mechanismen dahinter auch heute immer noch greifen können. Denn ich denke, Hoffnung und Mut ist vielleicht auch das beste Gegenprogramm gegen „moderne“ rechtsextreme Populisten.

Vor dem Erstarken des Nationalsozialismus kamen die Krisen, kamen Ängste und Sorgen.

Auch aktuell sehen wir uns wieder zahlreichen Krisen gegenüber. Während Populisten auf den Angst-Zug springen, wäre es doch schön, in eine andere Richtung zu lenken. Wir können positive Vorbilder präsentieren, Menschen und Organisationen, die sich für Gleichberechtigung, Menschenwürde und Vielfalt einsetzen, die versuchen, konstruktive und gewaltfreie Lösungen zu finden, anstatt einzelnen Gruppen die Schuld für alles in die Schuhe zu schieben. Wir können Kindern ein Gefühl von Selbstwirksamkeit vermitteln, indem wir vorleben, wie man aktiv wird und ihnen zeigen, was sie selbst tun können, um Probleme anzupacken.

Im Idealfall mache ich so meinen Kindern klar: Nein, die Welt ist nicht immer und überall ein schöner und beglückender Ort. Tatsächlich gibt es sogar ziemlich viele Krisen und Probleme. Aber wir alle können etwas tun, damit es besser wird. Vielleicht klingt das naiv, aber einen Versuch ist es wert…
Die Bücher, die ich als Kind zum Thema Nationalsozialismus gelesen habe, gibt es zum Teil nur noch antiquarisch. Es gibt jedoch ganz großartige neuere Werke.

An dieser Stelle möchte ich drei Bücher für drei Altersgruppen vorstellen.

• „Der überaus starke Willibald“ von Willi Fährmann. Ab 8 Jahren. Der überaus starke Willibald nutzt die Angst der Mäuse vor der Katze, um sich zum Anführer des Mäuserudels aufzuschwingen. Nur die kleine Lillimaus wagt den Widerspruch… Der Nationalsozialismus wird in eine Mäusefabel übersetzt und so kindgerecht aufbereitet dargestellt.
• „Muscha – Ein Sinti-Kind im Dritten Reich“ von Anja Tuckermann. Das Buch erzählt die wahre Geschichte des Sinti-Jungen Musch – eigentlich Josef Müller, der den Nationalsozialismus bei seinen Pflegeeltern und im Versteck überlebte.
• „Wir sind die Adler – Eine Kindheit in Theresienstadt“ von Michael Gruenbaum und Todd Hasak-Lowy. Ab 14 Jahren. In dieser autobiografischen Nacherzählung berichtet Michael Gruenbaum von seiner Kindheit im Prager Ghetto und im KZ Theresienstadt.
Einen Überblick über aktuelle Demokratie-Projekte und Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche findet ihr zum Beispiel im Veranstaltungskalender des BMFSFJ.

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Michaela