Am Wochenende war ich mit meinen Kindern plus zwei ihrer Freunde am Elbstrand. Es ist nicht weit: einmal rauf auf den Deich und einmal wieder runter, über die Wiese und durch Disteln bis zum Bauchnabel runter zum Wasser. Dennoch reiste ich dieses Mal ziemlich weit weg. Aber von Anfang: Es war gerade Ebbe, beigebraune Ebbe mit quietschgrünen Algendecken. Meine Kinder laufen kreischend in den Schlamm, ich sehe ihnen dabei zu. Dann sehe ich sie…
Nein, ich höre sie. Sie kichert. Ich schaue rüber, zu den einzigen beiden Menschen, die noch mit uns an diesem Elbstrand sind. Sie sind vielleicht Anfang zwanzig, zwei Räder und zwei Decken liegen im Sand. Sie beide liegen bloß auf einer. Er liegt lang ausgestreckt da, in seiner Sonnenbrille spiegeln sich der Himmel und sie. Seine Hände ruhen gefaltet auf seinem Bauch. Er döst, sie turtelt. Sie ruht dabei in seinem Arm, stützt ihren Kopf mit ihrem, streichelt seine Brust und seinen Bauch. Erzählt, kichert wieder. Hach, denke ich. Dann kreischt eins meiner Kinder.
Ohrenbetäubend. Kurz denke ich: Verdammt, eine Wespe. Aber es war bloß Matsch auf seinem Fuß von der Schaufel eines anderen Kindes. Mein Kind ist sauer, will Matsch zurückschmeißen, schreit. Ich werfe ein paar beruhigende Worte rüber.
Sie kichert nicht mehr. Sie sagt: “Oh Gott, so Kreisch-Kinder sind echt so nervig.”
Ich höre sie von ihrem Job erzählen, irgendwas im künstlerischen Bereich. Von ihrer Chefin, die eine Zumutung sei, und ihren Kolleginnen die fies seien. Sie glaube fest, die eine möge sie nicht und sie glaube, sie möge die andere auch nicht. Er brummt. Sie streichelt, kichert, knutscht, erzählt, schimpft, lästert, knutscht, streichelt. Er brummt. Sie trägt ein Blümchenkleid, ich glaube, sie hat sich schick gemacht. Vielleicht hat sie vor dem Spiegel gestanden und lange überlegt, welches Kleid sie tragen soll. Genauso lange überlegt hat sie darüber, welches Haargummi sie ins Haar macht oder ob sie die Haare lieber offen trägt. In welche Elbstrandbucht sie fahren, was sie in die Tupperdosen packen, die auf einem ordentlichen Stapel auf der ordentlich ausgebreiteten Decke stehen. Sicher hat sie sich gefragt, ob es heiß werden wird (das Wetter und überhaupt).
Ich reise auf jedem Satz ihrer Sätze mit. Rüber in meine eigene Vergangenheit. Als ich noch über Blümchenkleider, Haargummis, Buchten und Brummen und Nichtbrummen gegrübelt habe. Und darüber, ob ein Brummen wohl ein verliebtes Brummen ist oder eher ein brummiges Brummen. Ich muss grinsen, weil ich so verrückt viel gegrübelt habe damals.
Sie kichert.
Meine Kinder schmeißen mit Sand und ich motze. Sie kichert.
Ich staune, dass ich sonst in Gedanken immer nur zu ganz anderen Dingen zurückreise: Zu genug Schlaf zum Beispiel oder zu abgefahrenen Urlaubzielen. Zu vorgeglühten Abenden und durchtanzten Nächten und dem spontanen Auftritt einer Straßenband in meinem Wohnzimmer.
Eins meiner Kinder fällt hin, mit dem Gesicht in den Sand, kopfüber in beigebraunen Ebbe-Elbsand mit quietschgrünen Algen.
Sie lacht laut. Es tut mir weh, mindestens so sehr wie meinem Kind der Sand im Auge. Aber ich bin ihr nicht böse. Im Gegenteil.
Ich nehme meinen Sohn in den Arm, tröste und reibe seine kleinen Hände an meinem Kleid ab. Merke erst mit Matsch drauf, dass auch Blumen drauf sind. Ich rieche modrige Elbe an ihm und an mir. Ich rufe die anderen zusammen, dreimal muss ich rufen. Sie motzen mit mir und ich mit ihnen. Wir motzen, wir lachen. Ich grübele nicht. Und keiner brummt. Und ich grinse. Übers ganze Gesicht.
Möchtet ihr nochmal 20 sein?
Eine sonnige Woche und alles Liebe,
Für einen Tag, eine Woche, ja. Das langt aber dann schon, glaube ich 😊.
Oh Claudi, so schön geschrieben. Ich war auch immer so eine „wie hat er das wohl gemeint-Grüblerin“. 😉 Bis ich meinen Mann traf. Bin froh, dass ich jetzt nicht mehr grübeln muss. Und Blumenkleider tragen und kichern kann ich trotzdem! <3
Liebe Claudi,
Oh, ja. Ich wäre gerne nochmal zwanzig, vielleicht für einen Tag oder einbisschen mehr. Dann würde ich mit meinem Vater segeln gehen und über Gott und die Welt sprechen und mich von seiner Heiterkeit anstecken lassen. Und am Abend müde aber glücklich und erfüllt nach Hause kommen.
Mein lieber Papi ist leider schon vor 16 Jahren ( als ich 28 j. war ) gestorben.
Ansonsten bin ich mit meinem jetzigen Leben und alter sehr zufrieden und möchte nicht mehr jünger sein.
Viele liebe Grüsse
Christina
Ab und zu mal für eine Nacht..
Der Text hat mich zum Lächeln gebracht. Toll geschrieben.
Ich danke dir!
Ja, das wäre schon was. Damals lief nicht alles rund, ich rannte und rannte im Hamsterrad und habe dabei so viel verpasst. Das würde ich zu gerne nachholen.
Das ist tatsächlich eine schöne Vorstellung. Einfach nochmal mit dem Wissen von heute…
Vielleicht würde man dann aber auch alles zerdenken. Spannender Gedanke!
Ich definitiv nicht. Ich motze zwar auch oft mit meinen wilden Kerlen. Aber ich bin rundum glücklich. Manchmal auch genervt, müde oder grummelig, aber im Grunde meines Herzens absolut glücklich!
Ha, ha, oh ja, genau das Gefühl kenne ich so gut!
Liebe Grüße!
Hallo Claudi! Schön, dass Du wieder da bist! Also… nochmal 20 sein – nein. Aber so um die 25 könnte ich mir in Dauerschleife für den Rest meines Lebens vorstellen: Nicht mehr so unreif und noch nicht die Last der Verantwortung auf den Schultern: Traumstudium, erfüllender Job, erste eigene Wohnung und erste große Liebe natürlich. Die Frage müsste man sich im Alter noch einmal stellen. Lilly 🙂
Hallo Lilly, das klingt schön – allerdings bin ich glaub ich viel zu neugierig, auf das was da noch kommt!
Alles Liebe,
Claudi
Ach nee. Die Zeit war schön, aber ich bin jetzt so viel mehr bei mir. Ich bin schlicht glücklich. Und bei all dem Chaos und Gemotze mit vier Kindern, möchte ich um nichts in der Welt nochmals zwanzig sein. Alles hat seine Zeit und mit fast vierzig ist mein Leben momentan einfach gut und schön.
Und ein sehr schöner Text!