Stefanies Leben war das einer ZDF-Sonntagsabendsromanze.  Ein Traumleben. Heute ist Stefanie arm. Hier kommt eine Geschichte, die unglaublich klingt, aber viel öfter so oder so ähnlich passiert, als wir denken…

Stefanie wächst behütet in Berlin auf. Ihr Papa Beamter, die Mama Hausfrau, eine kleine Schwester. Erst wohnen sie in einer Wohnung in Berlin, später ziehen sie in ein Haus mit Garten, Grillen, ein paar Reisen. Eine ganz normale Familie. „Wir waren nicht reich“, sagt Stefanie, „aber uns ging es gut. Es fehlte an nichts.“

Nach dem Abi macht Stefanie eine Ausbildung als Syncroncutterin und lernt in einer Disconacht ihren Mann kennen, einen gutaussehenden Juristen. Die große Liebe. Nach zwei Jahren heiraten die beiden, vier Kinder folgen. Als sie das erste Mal im Kreißsaal sind, unterschreibt ihr Mann den Vertrag für einen guten Job. Sie ziehen in ein Stadthaus von 1918: 200 Quadratmeter, Parkett, Stuck, Innenhof mit üppigen Blumen, ein Traum. Stefanies Traum. Die beiden sind sich einig: er arbeitet, macht sich bald selbstständig, bringt das Geld rein. Sie kümmert sich um das Haus und die Kinder.

Erst nach und nach wird klar, dass er kein Geld rein bringt.

Die ersten gelben Briefe legt Stefanie ihm einfach auf den Schreibtisch. „Danke, Schatz, das ist mir durchgerutscht“, sagt er.  Irgendwann macht sie ein paar auf, bemerkt, dass es Mahnungen sind. Wieder beruhigt er sie, er habe es bloß vergessen. Er will sich darum kümmern. „Gut reden können war sein Job“, sagt Stefanie heute.

Irgendwann wundert sie sich, weil die Tageszeitung nicht mehr täglich kommt. Doch auch dafür hat er Ausreden. „Die Post streikt.“ Oder: „Sicher von einem Nachbarn geklaut.“ Noch mehr gelbe Briefe.  Und noch mehr.

„Ich war total naiv!“, sagt Stefanie heute.

Damals hat sie ihre Ehe und ihn nicht in Frage gestellt. „Ich war mit Vertrauen aufgewachsen“, sagt sie und schnieft. „Ich hab ihm geglaubt und vertraut. Zudem hatten wir die ganze Zeit über getrennte Konten, ich hatte einfach keinen Einblick.“

2016 sind sie noch zu sechst im Frankreichurlaub, kurz davor im Steigenberger. Dann steht das erste Mal jemand vom Stromanbieter vor der Tür und behauptet, sie hätten die Rechnung nicht bezahlt. Stefanie kann es nicht glauben. Ihr Mann beruhigt sie: „Alles bloß ein Missverständnis.“ Als zum ersten Mal die Heizung nicht geht, schwört ihr Mann, dass sie kaputt ist.

Irgendwann bekommt Stefanie Angst und wird laut. Er nennt sie hysterisch.

An einem Sonntagabend, der Tatort läuft, die Kinder flitzen oben noch im Schlafanzug herum, steht ein glatzköpfiger Mann vor der Tür, um das Familienauto abzuholen. Ein Mercedes Viano – in den Rückbankfächern noch Bonbonpapier und Taschentücher. Die Kinder fangen an zu weinen. Stefanies Mann hat das Familienauto bei Pfando und Cash in Zahlung gegeben.

Immer öfter weint sie, immer öfter streiten sie. Immer öfter heult sie sich am Telefon bei ihren Eltern und ihrer Schwester aus. Aber keiner kann wirklich glauben, was da passiert. „Mein Mann war immer so selbstbewusst, so charmant und so erfolgreich“, sagt Stefanie. „Niemand hatte jemals angezweifelt, dass dieser smarte Jurist es nicht hinkriegen könnte.“ Immer öfter helfen ihre Eltern mit Geld aus.

Eines Tages besucht ihre Schwester sie und die beiden sitzen im November unterm Heizlüfter im Wohnzimmer.

„Du machst uns kaputt“, sagt Stefanie zu ihm und fleht ihn an, alles auf den Tisch zu legen.  „Lass uns eine Lösung finden.“ Auch Schwester und Eltern reden mit ihm. Irgendwann findet Stefanie raus, dass er sogar die Konten der Kinder geplündert hat. Jedes hatte 5000 Euro zur Taufe bekommen. „Er war kein Spieler oder so, er konnte einfach überhaupt nicht wirtschaften“, sagt Stefanie. Es gibt kein anderes Thema mehr als Geld. Beziehungsweise kein Geld.

Irgendwann kommt das Schreiben mit der Ankündigung der Zwangsräumung. Die erste können sie  abwenden, bei der zweiten müssen sie raus. „Wir stellten ein paar Lieblingsmöbel bei Nachbarn unter und packten unsere Koffer.“ Für sechs Wochen ziehen sie in ein Kloster. Stefanie schläft mit den beiden Kleinen in einer Zelle, er mit den beiden Großen. „Alle waren so nett zu uns“, sagt Stefanie.

Er findet eine neue Wohnung, sie findet erst später heraus, dass sie sich die auch nicht leisten können.

Ständig ruft die Vermieterin an, um nach ihrem Geld zu fragen. Irgendwann übernimmt Stefanies Vater für eine Weile die Miete. Ein paar Mal versuchen sie noch ihre Ehe zu retten, mal miteinander auszugehen. Nach Maastricht zu fahren, in eine Stadt, die beide sehr lieben. Aber ohne Geld ist Ausgehen doof. „Wir haben nur noch gestritten“, sagt Stefanie.

Nach einem neuen, wütenden Anruf der Vermieterin hält sie es nicht mehr aus und sucht Hilfe bei Frauen helfen Frauen. Sie lässt sich beraten, nimmt sich eine Anwältin, meldet schließlich Privatinsolvenz an. „Seine Schulden sind auch meine Schulden.” Ihr Vater kann nicht länger helfen. Der einzige Lichtblick: Sie trifft auf wirklich nette Menschen.

Was sie lernt: Es gibt viel mehr Leute, denen das passiert.

2019 steht Stefanie in der Bürgergeld-Schlange, sie hat Tränen in den Augen. Der Kreislauf beginnt. Ab sofort geht es nur noch darum, Termine wahrzunehmen und Unterlagen einzureichen. Wie durch ein Wunder ergattert sie über eine Freundin eine Dreizimmerwohnung. „Mit Stütze und Schufa hätte ich normalerweise keine Chance.“ Statt auf 200 Quadratmeter wohnen sie jetzt zu fünft auf 75. Stefanie teilt ein Zimmer mit den beiden Kleinen, damit die großen Kinder jeweils ein eigenes haben. „Es klappte erstaunlich gut“, erzählt sie.

Heute ist Stefanie ganztägig damit beschäftigt, alle über Wasser zu halten .

„Die Ämter sind so furchtbar, die machen einen fertig.“ Alles muss sie angeben, gerade wieder  70 Seiten Kontoauszüge. Vom Ex bekommt sie nichts. Der ist psychisch krank und kommt vermutlich bald im Gefängnis. „Nach zwanzig Jahren wieder zu arbeiten, war hart“, gibt Stefanie zu. Dennoch putzt sie im Kindergarten. Arbeitet im Wollgeschäft. Heute ist sie 50 und arbeitsunfähig. „Wir sind alle in Therapie“, sagt sie. Das Wechselmodell findet schon lange nicht mehr statt. Die Kinder wollen nicht mehr bei ihm bei Kälte und Kerzenlicht sitzen.

Ihr Job sind jetzt Formulare. „Alle wollen immer Formula, Unterlagen”, sagt Stefanie. “Und alles gleich drei Mal, für Jobcenter, Wohngeldstelle, Kinderzuschlagstelle.“ Problem: Die einen brauchen die Unterlagen, die die anderen nicht schicken. Jede Bearbeitungszeit dauert eine Ewigkeit.

„Ich bin in der der Mütterarmut gefangen, vor der immer alle warnen.“

Leider ist Stefanie auch zu müde, um demonstrieren zu gehen. So wie viele Frauen, denen es ähnlich geht. „Alle Angebote des Staates klingen so gut“, sagt sie. „Das Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder zum Beispiel, Zuschuss für Klassenfahrten, das Mittagessen und so. Ich habe das einmal beantragt. Ich muss da aber in Vorleistung gehen, weil es ein halbes Jahr dauert, bis das bearbeitet wird. Das kann ich nicht. Für Nachhilfe müssen die Kinder richtig schlecht in der Schule sein, damit ein Anteil übernommen wird.” Meckern mag sie nicht, aus lauter Angst, dass die Behörden dann gar nicht mehr zahlen. Die Klassenfahrten übernimmt ihr Vater.

Früher hatte Stefanie einen eigenen Hinterhof, heute brennen vor ihrem Fenster die Mülltonnen. Am schlimmsten aber findet sie die Momente an der Aldikasse, wenn der Einkaufswagen voll ist, aber die Karte nicht geht. Und wenn dann ihr Kind mit glasigen Augen sagt: „Schon gut, Mama, du musst mir das Tshirt nicht kaufen.“

PS. Name von der Redaktion geändert.

PPS. Zum Weiterlesen: Celsy Dehnert: “Das Gefühl von Armut

Claudi