Ich bin fast daran kaputt gegangen, damals. Ich brach so vielen Menschen das Herz, mir selbst eingeschlossen. Warum? Weil ich zu viel geliebt habe. Nachdem ich lange Jahre mit der Abwesenheit von Liebe lebte, war da plötzlich ein Erdrutsch an Gefühlen. War da Rausch und Verzweiflung, hämmerndes Herz und hämmerndes Gewissen, war Lust und Frust, war CHAOS. Weil ich plötzlich zwei Männer liebte…

Dabei war ich vorher eigentlich ziemlich glücklich gewesen: Hatte einen sehr besonderen Mann getroffen, der all den Nieten der Vergangenheit den Laufpass gab. Es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Aber Anziehung, Respekt und Neugier – was mir so viel wertvoller war. Er ließ mich vergessen, wie sehr ich lange an mir gezweifelt hatte: Dass ich nicht liebenswert, zu kompliziert, nicht beziehungsunfähig sei. Er zeigte mir, dass ich es wert war. Ihm und überhaupt. Er brachte mich zum Lachen, zum Nachdenken, dazu, endlich wieder zufrieden zu sein.

Ich schenkte ihm mein ganzes, durstiges Herz. Und es war gut, drei Jahre lang wirklich gut.

Er war mein bester Freund, vor allem das. Wir redeten viel, sprachen auch über eine gemeinsame Zukunft, über Kinder. Ich war Ende 20 und das erste Mal in meinem Leben annähernd bereit für solche Gedanken. Dann war diese eine Abend, an dem mein Freund ein Spätsommerfest im Hinterhof feierte. Und plötzlich stand da dieser Mann, groß, smart, umwerfend.

Als sich unsere Blicke trafen, explodierten in meiner Magengegend 1000 Raketen. Es war wie im Film. Es war wunderbar. Es war verwirrend. Es war absolut falsch. Und ich hatte lange nichts mehr so sehnlichst gewollt, wie diesem unbekannten Mann nahe zu sein. Ich weiß noch, dass mein Freund die Party irgendwann verließ, um ins Bett zu gehen. Ich aber konnte nicht. Irgendwann saßen der Andere und ich auf einer Bank und sangen gemeinsam, während er dazu Gitarre spielte. Es jetzt aufzuschreiben, klingt fast kitschig. Aber damals war es das nicht. Es war perfekt.

Es war mehr, als ich jemals gewollt hatte. Er war mehr, als ich jemals gewollt hatte. Es machte mir Angst.

Es ist nichts weiter passiert an diesem Abend. Kein Kuss, kein tiefer Blick in die Augen, irgendwann verabschiedete er sich und ging. Während meine Welt in sich zusammenstürzte. Die nächsten Wochen waren furchtbar: Ich wollte nicht an ihn denken und tat es dennoch ununterbrochen. Ich träumte von ihm, meinte ihn an jeder Ecke auf der Straße zu sehen. So hatte ich mich das letzte Mal mit 16 gefühlt. Ich aß kaum, schlief schlecht, hatte furchtbare Laune. Obwohl ich verliebt war. WEIL ich verliebt war. Leider in den falschen Mann.

Mein Freund merkte natürlich, dass irgendwas nicht in Ordnung war. Ich aber wollte es nicht wahrhaben. Wollte, dass das Gefühl einfach wieder wegging, so wie es gekommen war. Aber es wurde nur immer schlimmer. Das Einzige, was ich wollte, war, diesen fremden Mann wiederzutreffen. Und sei es, um zu spüren, ob da wirklich etwas zwischen uns war. Oder ob das alles nur in meinem Kopf existierte.

Ich hatte keine Telefonnummer, keine Adresse, nichts. Er war der Freund eines Freundes, ich hatte keine Ahnung, wie ich ihn erreichen sollte.

Und dann traf ich ihn Wochen später bei mir im Viertel. Dass ich überhaupt ein Wort rausbrachte, ist im Nachhinein verwunderlich: Mein Herz klopfte so laut in meinen Ohren, dass ich meine eigenen konfusen Gedanken nicht verstand. Und doch brachte ich es irgendwie zustande, ihn um ein Treffen zu bitten. Er schien verwundert, aber auch erfreut.

Ich schwebte auf Wolken, bis mir einfiel, was ich gerade getan hatte: Einen Mann um ein Date gebeten, während sich mein Freund zuhause den Kopf darüber zerbrach, was zur Hölle plötzlich mit uns beiden los war. Ich schob es rigoros beiseite – alle Zweifel und Ängste. Ich konnte nicht anders, auch wenn es falsch war – wie ich es auch drehte und wendete. Denn mein Freund war eine Seele von einem Menschen. Ich wollte ihn nicht verletzen, wollte ihn nicht verlieren. Aber den anderen seiner Wege ziehen lassen, konnte ich eben auch nicht.

Unser erstes Treffen war magisch: Der erste Kuss, die erste gemeinsame Nacht, in der wir wie im Fieberwahn durch die Stadt streiften, völlig überwältigt von dem, was uns gerade passierte.

Wir wollten es beide, wir wollten uns – koste es, was es wolle. Was für ihn leichter als für mich war: Er war frei, ich war es nicht. Aber ich wollte auch frei sein für ihn, frei für diese neue Liebe, die mich wie ein Schwertransporter überrollte. Gleich am nächsten Tag machte ich mit meinem Freund Schluss. Und obwohl in meinem Herzen Schmetterlinge tobten, lagen mein Freund und ich uns weinend in den Armen.

Trauerten wir lange und heftig um uns und die Zukunft, die jetzt keine gemeinsame mehr war. Schon da regten sich leise Zweifel in mir. Doch ich ging dennoch mit der Absicht, dass es für immer wäre. Dass es richtig so wäre. Und dann ging ich zu ihm, zu dem anderen.

Die ersten Wochen waren ein Rausch: Wir konnten nicht genug voneinander bekommen, von diesem irren Gefühl, das ein High nach dem anderen war.

Wenn wir zusammen waren, war ich himmelhochjauchzend. Doch sobald ich allein war, war ich zu Tode betrübt. Überfiel mich das schlechte Gewissen wie ein Tier aus dem Hinterhalt. Und irgendwann auch die Sehnsucht. Denn so großartig dieser neue Mann auch war: Er war mir eben noch ziemlich fremd. Plötzlich fehlte mir all das Vertraute meiner alten Beziehungen, die Routinen, die Rituale.

Das Spiel mit dem Feuer war aufregend – ich sehnte mich dennoch auf einmal wieder nach der gemütlichen Wärme des Vorher. Zudem hielten mein Ex und ich weiterhin Kontakt – das hatten wir uns bei der Trennung versprochen. Und das machte es allen schwerer: ihm, mir, meinem neuen Freund, der irritiert über die immer noch bestehende Bindung war. Und plötzlich war zwischen uns eine Spannung, die nicht mehr ganz so viel Spaß machte.

Nach zwei Monaten war ich überzeugt, den größten Fehler meines Lebens begangen zu haben.

Ich hatte den Menschen, der mich in mehr als einer Hinsicht gerettet hatte, einfach weggestoßen. Hatte mich in die Arme von jemandem geworfen, den ich nicht kannte. Und der mir immer fremder wurde, auch wenn ich nach wie vor lichterloh für ihn brannte, das war nicht zu leugnen. Man kann wirklich fühlen, wie es ist, wenn das Herz bricht. Ich war am Boden.

Ich schrieb meinem Ex einen langen Brief und auch wenn ich es so nicht formulierte – es war die Bitte, zu ihm zurückkehren zu dürfen. Seine Antwort machte es nicht besser: Er könne das nicht, auch wenn er mich immer noch lieben würde. Ich wusste nicht mehr, was ich fühlen, was ich denken, was ich mir wünschen sollte. Eigentlich wollte ich beide. Und keinen. Ich trennte mich auch von meinem neuen Freund. Wieder weinend. Wieder mit dem Zweifel in der schmerzenden Brust, ob diese Entscheidung die richtige ist.

Es wurde ein wildes Jahr. Und das einzige Mal in meinem Leben, dass ich eine On-/Off-Beziehung führte – während ich nebenher versuchte, mit meinem Ex befreundet zu sein.

Ich war emotional chronisch erschöpft. Es war ein ewiges Auf und Ab, mal zugunsten des einen, mal zugunsten des anderen. Als mein Ex plötzlich auch eine neue Freundin hatte, war ich tief getroffen. Und doch war es gut. Weil es wie ein Schlusspunkt für uns war. Weil es damit wirklich vorbei war.

Ich glaube, ich habe mich erst danach wirklich und vollständig auf meinen neuen Freund eingelassen. Also auf ihn, nicht nur auf das Gefühl, das mein Innerstes nach Außen kehrte. Habe das Alte losgelassen und das Neue ganz und gar in mein Leben gelassen. Es war das aufreibendste, aufregendste, aufschlussreichste Jahr meines Lebens. Und trotz allen Zweifels, trotz allen Kummers, hat es sich gelohnt: Der Mann, für den ich damals alles stehen und liegen gelassen habe, ist heute und seit beinahe 20 Jahren mein Mann.

Im Nachhinein würde ich nie wieder so nahtlos von einer in die andere Beziehung switchen.

Würde mir und allen Beteiligten mehr Zeit geben, Gefühle zu sortieren, sich wirklich kennenzulernen. Würde nicht mehr so im Affekt und abrupt eine Beziehung beenden – selbst wenn das Herz gerade Purzelbäume schlägt. Aber abwarten war wohl noch nie meine große Stärke. Dafür kann ich mittlerweile deutlich besser an Beziehungen festhalten: Durch die Höhen und Tiefen einer Langzeitliebe. Und an zu meinem Ex, der immer noch ein Teil meines Lebens ist, auch wenn wir uns nur noch selten sehen.

Habt ihr auch schon einmal parallel geliebt?

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Alles Liebe,

Katia