Wenn ich an Calais dachte, dachte ich an die Fähre nach England. Kurz hin da – und schnell wieder weg. Bis ich vor einer Weile ein echtes Date mit der Stadt hatte – und jetzt hin und weg bin. Calais ist definitiv wie dieser eine Typ aus deinem Jahrgang, den du immer unscheinbar fandest oder sogar seltsam, und dann lächelt er beim Klassentreffen, sieht super aus, ist charmant und du denkst: “Verdammte Kiste, warum hatte ich dich nicht eher auf dem Zeiger…”

Calais ist kein pittoresker Badeort, kein quadratisch, Naturstein, gut.

Sie besteht hauptsächlich aus Beton. Zumindest auf den ersten Blick wirkt sie ziemlich rau. Lernt man sie besser kennen, spürt man es überall knistern: Diese Stadt ist spannend, hier ist was los, die Leute sind nett und lassen sich jede Menge einfallen, überall Kunst und Kultur. Und wenn man sich ein bisschen mehr Zeit nimmt, als einmal durchzufahren, entdeckt man im alten Teil von St Pierre einige Bilderbuch-Straßenzüge. Mit den Sandsteinfassaden, dem bildhübschen Theater und reichlich Art Deco kommt hier doch noch französisches Filmflair auf.

1885 wurde aus den zwei Städten Calais und St. Pierre eine – in der Mitte  verbunden mit dem hübschen Rathaus, das spitztürmig und stolz immer noch steht. Ansonsten fiel beinahe alles in der Stadt den Zweiter-Weltkrieg-Bomben zum Opfer. Erste Pläne, sie danach wieder im englischen Rotklinker-Stil aufzubauen scheiterten am Geld (einige dieser Häuser kann man heute sehen.). Aus Paris kam die Ansage, dass man schnell und günstig sauberen und beheizbaren Wohnraum brauche. Also Beton. Schade, aber Calais macht definitiv das Beste aus den mausgrauen Mauern.


Was muss ich unbedingt sehen in Calais?

Da ist zum Beispiel das Mobile aus blauem Seegras und bunten Fischen, das sich eine ganze Rue Royal entlang zieht. Ich hüpfe eine halbe Ewigkeit zwischen den Autos auf die Straße, um es hinzukriegen, seine Wirkung zu fotografieren. Aber keine Chance. Es muss flattern vor knallblauem Himmel. Man muss darunter flanieren.

Dann ist da der Platz vor dem Rathaus, diesem filmkulissenähnlichen Bau, vor dem nicht nur eine der berühmtesten Skulpturen von Rodin steht, sondern neben bienenbrummigen Beeten auch jede Menge knallbunter Blumen aus Metall. Einer von vielen aufregenden Orten in dieser spannenden Stadt.



Oh ja, Calais hat tatsächlich einen Strand! Und was für einen…

Am Strand kommen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Denn vor den öden Plattenbauten links wird lässig gecruist. Auf der größten Skateranlage im Norden Frankreichs ist richtig was los. Nebenan kraxeln die Kinder auf knallroten Kletterkugeln herum. Die Stimmung ist fabelhaft, genau wie weiter rechts, auf den Beachballfeldern am Strand. Hier ist fröhlich was los.

Noch weiter rechts traue ich meinen Augen nicht. Denn der Strand ist unerwartet perfekt. Der Sand vanilleeisfarben, das Meer grünblau mit Wattewolken darüber. Überall hölzerne Strandbuden, Beachbar, Strandstühle und Platz. Die Wellen donnern auf den Sand, der Eiswagen klingelt, die Jugendlichen lachen. Ich fühle jede Menge gute Energie.

Und manchmal, ja manchmal sieht man am Horizont die Fähre nach England wegfahren. Ich aber möchte definitiv noch bleiben!

Was muss man in Calais unbedingt sehen?

Mein Highlight treffe ich schnaufend am Strand. Der Drache von Calais hat die Farbe des Meeres, opalgrün, und ist beeindruckend gr0ß. Für einen Moment finde ich es schade, dass meine Kinder nicht da sind. Aber dann klettere ich die schmalen Stufen seines Schwanzes hoch und die 15 Meter auf ihn drauf und freue mich wie sie.

Ich kann nicht anders als kichern, weil es so hoch ist und jauchzen, weil es so schön wackelt, als sich der Drache aus 72 Tonnen Holz und Stahl auf seinen massiven Tatzen und ein bisschen auch auf seinen Rädern, Schritt für Schritt auf der breiten Promenade fortbewegt. Der Blick über die Küstenstraße, den Strand und das Meer ist traumhaft schön. Aber noch spannender ist es, den Drachen und seine Reiterin beim Steuern direkt vor mir zu beobachten.

Zum Abschied schnauft er und speiht Feuer.


Opalküste nennt sich der dieser Streifen Meer vor der Stadt Calais

Und wirklich schimmert das Wasser türkisgrün. Wir fahren mit dem Auto zum Cap Blanc Nez (obwohl es auch einen kostenlosen Busshuttle ging!) und bewundern die grüne Hügelweite mit Wiesenblumen und Schafen bis zum Horizont, durch die durchs Tal das Meer schimmert. Die Landschaft erinnert mich sehr an England – und als wir am Cap am Küstenrand treten, sehen wir es auch: Sahneweiß leuchten die Felsen von Dover am Meeresende, nur 32 Kilometer bis drüben sind es von hier.

Der Blick über die Buchten ist atemberaubend. Die Wellen wälzen sich über den Sand, das Meer schimmert Türkis mit dunkelblauen Tupfen. Am Strand ist kein Mensch. Wäre es nicht so windig, könnte man meinen, wir wären in der Karibik.

      

Meine Tipps für Calais

SCHLAFEN: Das Hotel liegt super zentral in der schönen und trubeligen Rue Royal. Die Zimmer sind zwar winzig, aber meins hatte eine super gemütliche, knallbunte Nische, in der mein Bett stand. Und ich weiß nicht, was es war: Die Aufregung über diesen tollen Job und die Stadt, kein zappelndes Kind oder ein kleiner Schwips: Ich habe wunderbar geschlafen.

Das Frühstück ist auch ganz gut, man sitzt herrlich entspannt an langen Tischen und Bänken und es gibt sogar frisch gepressten Orangensaft. Aber Achtung, die Eier im Korb sind roh und müssen – in dem etwas versteckten Blubberwasser – erst noch gekocht werden (Meins ist mir einmal über den Teller und den halben Tisch gelaufen, haha. Ist übrigens in vielen französischen Hotels so.) Ibis Style, in der 46 Rue Royale.

ESSEN: Ich habe lange nicht mehr so gut gegessen, wie im Histoire Ancienne, 20 Rue Royale. Die gläserne Tür mit Goldgriff schwingt auf, überall Stimmengemurmel, unter den Absätzen klackert rotschwarzweißes Karo. Gestärkte Tischdecken, super freundliches Personal und ein Steak Frites zum Niederknien. Bei Partick Comte zu essen fühlt sich an, wie in einer französischen Schmonzette zu essen. (Nach dem Nachtisch unbedingt noch ein paar Süßigkeiten aus den großen Gläsern ganz hinten im Restaurant probieren.)

ABSACKER: Gleich gegenüber vom Histoire Ancienne gibt’s Heavy Metall und Bier und einen wirklich lustigen Barmann. Family Pub, 33 Rue Royale.

SHOPPEN: Ricochet, ebenfalls in der Rue Royale. Wunderschöner, kunterbunter Laden, mit tollen Teilen zu bezahlbaren Preisen, die man sonst nirgendwo sieht. Ich habe mir dort einen bunten Pailettenrock gekauft – und liebe ihn.

La Jolie Ribu: Sehr niedliche Kindersachen, Kleinkram und wunderschöne Papeterie.

L‘ Atelier du Chocolat, Rue Royale 66. Es duftet bis rauf auf die Straße nach Schoki und am lecker dekorierten Schaufenster möchte man sich die Nasen plattdrücken. Perfekt auch für Mitbringsel.

SIGHTSEEING:

Drache:  48 Personen haben oben drauf Platz- und es gibt auch einen Rollstuhlplatz. Tickets gibts hier. Von April bis Juni und September bis Anfang November fährt der Drache von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr, von Anfang November bis März: 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr und im Juli und August: 10.00 Uhr bis 19.00 Uhr. Der Eintrittspreis liegt für Erwachsene bei 7,50 Euro pro Person und etwa 5 Euro für Kinder bis 11 Jahre. Der Ritt dauert etwa 30  Minuten.

Citè dentelle de mode: Ein wunderschönes Museum, in dem noch bis November die großartige Yves Saint Laurent Ausstellung läuft, über die ich hier mehr geschrieben habe. Danach gibt’s ganz sicher das nächste Highlight. Und in der Dauerausstellung kann man unter anderem den alten Spitzenwebstühlen bei der Arbeit zuschauen. Super spannend (und für mich unbegreiflich, wie man so eine Maschine erfinden kann.)

 

Wie wäre es mit einem Ausflug nach Arras?

Eine Dreiviertelstunde lang sind wie mir mit dem Auto in die Nachbarstadt gefahren – und sofort entzückt. Arras wirkt klein und gemütlich und mit den perfekten Giebelfassaden an seinen beiden Marktplätzen wie aus dem Bilderbuch. Warum es zwei Marktplätze gibt? Wollte ich auch wissen und erfahre: einer war früher zum Einkaufen für die normalen Stadtbewohner, der andere, der größere, war der Großmarkt für die Händler.

RATHAUS: Ein Bilderbuchgebäude mit einem tollen Turm, von dem man einen wirklich herrlichen Ausblick hat. Die riesengroßen Puppen unten in der Halle, kommen an Festtagen heraus und haben alle Namen. Es lohnt sich auch, nach oben zu gehen um in den Sitzungssaal der Gemeinde Arras zu luschern und den prächtigen Festsaal mit dem übergroßen Wimmelbild zu bewundern. Wer entdeckt in den Schnitzereien der Fassade darunter die kleinen, modernen Anspielungen (ein Fahrrad, zum Beispiel,)

MARKTPLATZ: Arras wurde übrigens im Krieg auch – wie Calais – stark bebombt, im Gegensatz zur Nachbarstadt allerdings wieder komplett aufgebaut. Den Platz gibt es seit 1000 Jahren, es war immer ein Marktplatz, die hübschen Häuser von heute sind allerdings deutlich jünger. Berühmt war die Stadt jahrelang auch für die Tuchherstellung. (Wer entdeckt Stoffschnitzereien in den Fassaden?)

Kleiner Insider: Obwohl der Marktplatz so hübsch aussieht, muss man für die Mieten der Wohnungen über den Läden gar nicht so viele Miete zahlen. Grund? Die Wohnungen sind winzig, und es strenge Regeln. Aufgrund des Denkmalschutzes darf man zum Beispiel nicht jede Gardine aufhängen, die man möchte. Lustiges Spiel für Kinder: Wer findet die Rattenverzierungen, die sich überall an den Häusern und Steinen verstecken?

Auch spannend: Beim nächsten Besuch würde ich die unterirdischen Boves ansehen wollen. Die ganze Stadt ist nämlich quasi ausgehölt. Die Idee der Bürger von Arras war, ein riesiges unterirdisches Netz zu errichten, um die Keller aller Einwohner durch Tunnel miteinander zu verbinden. Spannend, oder? Das Aushubmaterial, also die Kreide, wurde zum Bau von Häusern verwendet. Während der Weltkriege wurden die Boves als unterirdischer Bunker genutzt, um Bewohner und wertvolle Gegenstände vor Bomben zu schützen. Spannend, oder?

SHOPPEN: Es macht Spaß, durch die schmalen, bunten Straßen zu bummeln. Am besten haben mir diese Läden gefallen.

Bei Illuwo, 26 Pl. des Héros, gibt’s Klamotten, Schmuck, Schuhe und Schnickschnack. (Ich habe ein paar großartige Glitzerschuhe in Grün im Sale für 15 Euro geschnäppert.)

La P‘tite Boheme, Rue de Balances 16: Herrlich bunte Klamotten im Vintagestil, dazu hübscher Schmuck, Taschen und Kleinkram. Ein bisschen teurer als Illuwo, aber eine Augenweide.

Comicladen, Cap Nord, Rue de Balances 11: Was für eine Auswahl, ein wahres Comicfest! Super Mitbringsel für alle Kinder, die Französisch in der Schule lernen. Oder für Erwachsene, die es wieder auffrischen wollen.

ESSEN: Ein wirklich gutes Mittagsmenu haben wir in der herrlich entspannten Brasserie Georget, 42 Pl. des Héros, gegessen.

Noch zwei besondere Tipps für einen Trip nach Arras

Sylvie Facon: Über die Designerin der Märchenkleider und ihr Atelier in Arras habe ich hier geschrieben.

Au bleu d‘Arras: Christelle Perrier bemalt in alter Traditon Geschirr mit historischen Mustern – aber auch mit den modernen Wünschen ihrer Kunden. Seit dem 18. Jahrhundert war es in der Stadt Mode, Porzellan blau zu bemalen. Inspiration: China!

Christelles Karriere ist beeindruckend. Erst vor ein paar Jahren übernahm sie den Traditionsbetrieb des Monsier Coudrant am Markt. Sie kommt aus dem Burgund, hatte als Keramiklehrerin gearbeitet und nach Arras geheiratet. “Der Start war nicht nicht leicht, aber inzwischen vertrauen mir die Leute.” Sie hat viele Stammkunden. In Arras gehört es in vielen Familien dazu, sich zu Festtagen Christelles blaues Geschirr zu schenken. “Touristen kaufen dagegen kaum was”, erzählt sie lachend. Ihr aufregendster Auftrag: Einen Porsche auf einen Teller malen.

Mir fällt auf, dass Christelle von Kopf bis Fuß blau trägt. Und das ist nicht nur heute so. “Das war ein Deal mit mir selbst”, erzählt sie lächelnd. “Als ich vor sechs Jahren hier loslegte, schwor ich mir, nur noch Blau zu tragen, wenn das mit dem Blau hier läuft.”

Es läuft…

Lust auf Kunst? Lens ist nicht weit weg…

Es gibt gleich zwei Gründe, in der kleinen Stadt einen Stop einzulegen: Da wunderschöne Hotel „Hotel Louvre Lens“ und den Louvre Lens.

Das Hotel war früher eine Reihenhausreihe der Bergbausiedlung, diese Tatsache wurde bei der Renovierung berücksichtigt: Viele Backsteinmauern von damals erhalten, die Zimmer sehr dunkel gestrichen und die ehemaligen Bewohner zur Eröffnung als erste eingeladen. Es ist ein wunderschönes Hotel mit einer spannenden Geschichte und perfekt für einen Trip abseits der üblichen Touristenrouten.

Der Louvre Lens wurde als Außenstelle des Louvre in Paris gebaut, und zwar ganz bewusst als offenes Haus ohne Eintritt, mit großem Garten, der zum Bummeln einlädt. Im Fußballstadtion von Lens hatte man die Bevölkerung gefragt, was sie von der Idee eines solchen Museums auf ihrem ehemaligen Bergbaugelände halten – und alle hatten damals gejubelt.

Die Dauerausstellung ist ganz besonders kuratiert, in dem sie nämlich Kunst aus verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Orten nebeneinander zeigt. Verrückt, was man dabei für Parallelen entdeckt!!! Und auch die Sonderausstellungen punkten mit unglaublich guten Ideen: Zum Beispiel Rahmen mit Beleuchtung, die Kunstwerke immer wieder in einem anderen Licht zeigen. Spannend!


Und, hast du jetzt Lust auf einen Trip nach Nordfrankreich?

PS: Wenn ihr noch Tipps für uns habt, freue ich mich riesig, wenn ihr meine ergänzt.

Claudi