Früher gab es nur eine Blickrichtung: die nach vorn. Weil dann all die Dinge eintreten würden, nach denen man sich schon so lange sehnte: Erst Freiheit, Auto fahren, viel Party und ein wenig Studium. Und dann irgendwann Kinder, Karriere, das Leben in der Großstadt, später auf dem Land. Und kurz nachdem man sich für einen Weg entschieden hatte, knallte man auch schon mit 180 Sachen durch die Rushhour der 20er und 30-er…


War erst in schrägen Vorlesungen und noch schrägeren Beziehungen. Ließ Assessment Center und schlimme Chefs über sich ergehen. Balancierte irgendwann Kleinkinder mit beruflichen Ambitionen aus, plante Hochzeiten, Hausbau, Hideaways, um sich von dem ganzen Stress zu erholen. Machte Pläne, schmiss Prinzipien über Bord und das Gefühl von Freiheit sowieso, weil die endet, sobald der Nachwuchs da ist.

Man stellte Möbel um und die Ernährung auch, begann mit Yoga und ließ das Party-Rauchen sein.

Fand neue Freunde, vergaß alte und mit ihnen die Unvernunft, die mal Teil unseres Lebens war. Man schlief abends um acht in Kinderbetten ein und stand dafür um fünf wieder auf. Man gestand sich ein, dass Alkohol und die eigene Konstitution sich nicht mehr so gut vertragen wie früher und Wasser so viel besser als sein langweiliger Ruf. Man lernte, kurz auf dem Klo zu verschnaufen und ansonsten durchzurocken – im Job, in der Familie, im Alltag generell.

Und irgendwann verlangsamt sich das Leben wieder, sind die Kinder aus dem Gröbsten raus, man kommt wieder zu sich – und ist plötzlich alt geworden.

Mit ersten grauen Haaren, chronisch erschöpft – und ein wenig desillusioniert. Weil mich gerade das Gefühl beschleicht: Das Beste ist irgendwie schon gewesen. Und auf einmal ertappe ich mich immer öfters dabei, dass mein Blick zurück geht. Auf das, was war. Ein wenig ungläubig, weil es schon und so absolut unwiderruflich vorbei ist. Manchmal fühle ich mich dabei auch ein wenig betrogen. Um all das, was so an mir vorbeigerauscht ist, was ich aber kaum je richtig genießen konnte, weil parallel noch drölfzig andere Dinge waren. Oder weil man es nicht zu schätzen wusste. Das Alter, die Figur, die Möglichkeiten.

Ich trauere der Jugend nach, die man so schnell als möglich hinter sich lassen wollte, um endlich erwachsen zu sein. Der Babyphase, deren Ende ich herbeigesehnt hatte, um endlich mal wieder schlafen zu können. Was würde ich heute darum geben, noch einmal kurz wie mit 16 zu sein? Was darum, noch einmal das Gefühl eines Säuglings an meiner Brust zu haben?

Verdammt, je älter ich werde, desto nostalgischer werde ich.

Krame Szenen aus meiner Erinnerung, die mehr als 25 Jahre zurückliegen. Denke mit einem kleinen Seufzer an die Sommer meiner Jugend, in denen sich alles nur um Freibad und Flirten drehte. Erzähle Anekdoten aus Abi-Zeiten. Wünsche mich zurück in eine Zeit, in der ich gänzlich unabhängig war – finanziell und familiär. Träume mich zurück zu all den Reisen, die ich mal gemacht habe – in einem anderen Leben. Zu den kleinen Kindern mit ihren vergleichsweise kleinen Themen.

Klar, dass über allem dieser Sepia-Schimmer liegt, der jede Unebenheit ausbügelt, die es damals natürlich auch gab. Aber die Zeit, die alte Schummlerin, macht daraus meinen persönlichen Nostalgie-Film. Von dem ich ganz genau weiß, wie er ausgeht. Vielleicht hat die Nostalgie genau das deshalb so eine Anziehungskraft: Es ist klar, wie die Dinge gelaufen sind. Nicht immer so, wie ich sie mir vorab vorgestellt habe – aber größtenteils mit Happy End: Ich habe den Mann, nach dem ich mich lange gesehnt habe, die Kinder, die ich unbedingt wollte, ein Haus auf dem Land.

Rückblickend gibt es keine bösen Überraschungen, weil alles schon gewesen ist. Jetzt ist es der Blick nach vorn, der mich mitunter zaudern lässt.

Denn das, was ab der Mitte des Lebens so auf einen zukommt, ist bei weitem nicht mehr so spannend und heiß herbeigewünscht, wie das Leben, das man sich zusammenfantasierte, als noch alles auf Anfang stand. Ich fürchte, jetzt fängt die Zeit der bösen Überraschungen erst an. Nicht nur, dass man seinem eigenen Älterwerden beiwohnt – auch dem seiner Eltern. Und das, was naturgemäß am Ende des Lebens steht, ist natürlich nichts, was man herbeisehnt.

Und klar waren auch Kleinkind-Themen eine Herausforderung – doch viel mehr graut mir gerade vor der Teen-Zeit meiner Kinder. Mit all den Dingen, die so anders und so viel komplexer sind als die, mit denen ich mich früher rumschlagen musste. Ich fürchte Krankheiten, Todesfälle und dass ich mich irgendwann mit Altersarmut rumschlagen muss. Wie viel einfacher ist da der Blick zurück!

Natürlich ist mir klar, dass auch nach Mitte 40 noch schöne Dinge auf mich warten.

Die Freiheit, die mir so lange abhandengekommen ist. Wieder mehr Zeit mit meinem Mann, zum Lesen, Ausgehen, Reisen. Erwachsene Themen mit erwachsenen Kindern. Ein anderes Bewusstsein, eine andere Art von Dankbarkeit für Dinge, die man früher als selbstverständlich genommen hat. Denn natürlich will ich nicht in der Vergangenheit leben, sondern im Hier und Jetzt.

Vielleicht hole ich mir aus der Vergangenheit einfach ein paar Impulse ins Heute. Mal wieder feiern gehen. Etwas gänzlich Unvernünftiges tun. Neugierig zu sein  und zu bleiben, auf das, was noch kommt. Vor allem das.

Kennt ihr diese Nostalgie-Flashs auch?

Alles Liebe,

Katia