“Guten Morgen!”, sage ich und strecke mich im Türrahmen. “Hey Mäm!“ ruft er vom Sofa. Ich setze mich neben ihn und er hebt die Decke an, damit ich mit reinschlüpfen kann in seine Sonntagmorgen-Höhle. Wir grinsen uns an, ich kuschel meinen Kopf an seine blonden Strähnen. Ich denke daran, was er für schöne Haare hat, statt daran, dass ich sie mal wieder kämmen müsste. Wir lesen, wir schweigen, unsere Füße berühren sich. Wenn überhaupt flüstern wir. Wie Komplizen – damit wir ja noch ein kleines bisschen weiter gemeinsam schweigen können…
Wenn man durch Instagram scrollt, scheint es, als wäre das Leben der Mamas vorbei, sobald die Kinder älter werden. Wenn es in den senfarbenen Musselinteilen der einschlägigen Shops ihre Größe nicht mehr gibt. Wenn sie selbst entscheiden, was sie tragen – und das eben meist nicht beige ist und zu Mamas Kleid passt. Wenn sie sich nicht mehr über pastellfarbene Puzzle oder erdfarbene Stapelsteine freuen, sondern ganz konkrete, eigene Wünsche haben – die oft einen On-Button haben, nach Plastik riechen und ein Made in China tragen. Wenn ihre Beine eindeutig zu lang und ihr Blick zu frech sind, um unter ein Bild von ihnen ein zuckrig süßes „Unser Alltag ist ihre Kindheit“ zu schreiben.
Wenn ihre Haut nicht mehr kleinkindknautschig ist, sondern mitessergesprenkelt.
Wenn sie nicht mehr niedlich lächeln, laufen und tanzen und nach Apfelmus riechen, sondern nach Schweiß und mich an meinen Schwabbelbauch erinnern, wenn ich ins zweite Stück Kuchen beiße. Wenn sie „Alter!“ brüllen, statt „Naninchen“ für Kaninchen, und genervt sagen: „Chill mal deine Base!“ Wenn ich keine Trippelschritte mehr mache, um so zu tun, als ob ich sie fange, sondern sie längst schneller laufen als ich. Wenn sie nachts nicht mehr schreien und morgens länger schlafen als ich. Dann fängt das Ganze an so richtig spannend zu werden und schön. Anders schön. Was so schön ist?
Das Geschlecht ist so herrlich unwichtig inzwischen und etwas, worüber ich nicht mehr nachdenke. Es geht nicht mehr um gehäkelte Mützchen und Bloomers in altrosa. Um die Frage, ob ich mit einer Tochter ein Mini-and-me-Outfit tragen würde oder ihr die Haare flechten. Stattdessen stehen da Menschen vor mir, ganz besondere Mensch mit großen Gedanken, Gefühlen und Ideen – völlig unabhängig vom Geschlecht. Ihre Persönlichkeit kommt mehr und mehr zum Vorschein. Ich sehe in sie hinein, statt auf eine hübsche Latzhose. Verrückt übrigens, wie unterschiedlich sie sind. Obwohl sie doch ein Geschlecht sind.
Es fühlt sich so an, als hätte ich die ersten Jahre eifrig an ihnen herumgeklopft und ihre Persönlichkeit gemeißelt – genauso wie meine kleinen Kinder an diesen eingegipsten Dinos. Seit ein paar Jahren klopfen sich meine Großen selbst heraus. Und es ist so spannend, ihnen dabei zuzusehen.
Sie überraschen mich, sie triggern mich, sie fordern mich heraus.
Sie machen mich wahnsinnig – aber vor allem wahnsinnig stolz. Sie schmeißen sich nicht mehr im Supermarkt brüllend auf den Boden. Jetzt brüllen wir ab und zu gemeinsam – trotzdem kommt langsam die Zeit, in der ich wieder durchatmen kann. In der ich sechs Bücher in drei Wochen Urlaub schaffe, weil sie mit Papa Surfen gehen und ich mich ihnen dabei doch so nah fühle. Weil ich ihnen stolz zujubele und sehen kann, wie stolz sie das macht. Weil sie mir hinterher mit leuchtenden Augen von ihrem Abenteuer erzählen. Weil wir beim Kochen quatschen und wir uns unsere Ängste und Träume verraten. Weil sie inzwischen eine echte Hilfe sind – und ich nicht mehr heimlich die von ihnen geschnittenen Tomatenwürfel nachviertele. Es ist tatsächlich schön, sie ein wenig loszulassen und mich mal wieder selbst an die Hand zu nehmen.
Sie stellen Warumfragen und es reicht als Erklärung nicht mehr nur ein Satz. Ganze Stunden lang reden wir darüber, warum Wälder brennen und warum es so wichtig ist zur Wahl zu gehen, selbst wenn man nicht so richtig weiß, wen man wählen soll. Sie hinterfragen mich und bringen mich zum Nachdenken. Sie holen so viel Gutes aus mir heraus.
Nicht mehr nur ich bringe ihnen etwas bei, sondern sie mir.
Nicht nur über Dinos, sondern über deutsche Bundesländer, internationale Youtuber – und mein Handy. Es fühlt sich sowas von wichtig und bedeutsam an, sie in dieser Lebensphase zu begleiten. Die erste, an die ich mich selbst noch so richtig erinnern kann. Manche Dinge möchte ich bewusst anders machen, als bei mir damals. Manches unbedingt genauso. Ich kann ihnen sagen, wenn ich nicht gut drauf bin und warum und auch wenn wir vorher genervt voneinander waren, kommen sie dann und legen eine Hand auf meinen Arm. Seit ich weiß, wie schnell sie groß werden, genieße ich viele Momente viel mehr. Wenn ein großes Kind zu mir ins Bett krabbelt, zum Beispiel. Dann denke ich: “Jetzt, genau jetzt könnte es das letzte Mal sein.” Als lächele ich – und spüre. Seine Wärme an meinem Bein statt den fehlenden Platz.
Ob es leichter wird? Leichter nicht, aber anders. Inzwischen reicht es, wenn ich sie ans Zähneputzen erinnere. Ich muss nicht mehr mit ran und dabei aufgeregt Geschichten von Zahnmonstern erzählen, um die Motivation hochzuhalten. Dafür lassen sie Müslischalen stehen, machen die Zahnpasta nicht zu, verlieren überall Socken (wie als Baby!) und sie räumen noch immer Schubladen aus und nicht wieder ein! Aber sie können ganz allein die Spülmaschine ausräumen. Ihre Wäsche wegsortieren. Den Tisch decken.
Sie haben richtige Freunde, nicht mehr bloß „Nebeneinander-im-Sand-Buddel-Kumpels“. Es macht so viel Spaß zu sehen, wie viel Spaß sie mit ihnen haben (und dabei in einer Zeitschrift zu blättern oder in Ruhe das Abendessen zu kochen). Ich liebe es dabei zuzusehen, wie sie es sich mit ihrem Besuch schön machen: Kuchen zu backen, Tee zu kochen. Dank ihnen ist um uns herum plötzlich gefühlt ein ganzes Dorf von Freunden. „Hallo Claudi!“, grüßen mich Fünftklässler*innen auf der Straße. Ihre Freunde und Freundinnen. Und ich grüße zurück – stolz von einem grinsenden Mundwinkel bis zum anderen. Ganz ehrlich, ich freue mich in den allermeisten Momenten auf alles, was da noch so kommt.
PS. Meinen schönen Texttitel habe ich mir von diesem Plakat des Künstlers Michael „Mixen“ Wiethaus geliehen. Passt super zum Gefühl, (auch) große Kinder zu haben.
Alles Liebe,
Liebe Claudi, das hast du (mal wieder) wunderbar in Worte gefasst. Es ist genau SO! Dein Text hat mich lächeln, lachen und grinsen lassen und er hat mich auch ein bisschen wehmütig gemacht. Denn viel zu schnell werden die warmen Beinchen unter der Decke lang und haarig!😉 Noch hast du ja ein paar Jahre und alles x vier! Wie schön! Genieß es🥰
Oh ja, Danke. Das mache ich (also ich versuche es zumindest jeden Tag ganz doll!)
Ich danke dir (und habe dann doch ein wenig Respekt vor den Haaren!!!)
Alles Liebe,
Claudi
Vielen Dank für diesen wunderschönen Text!
Genau der Gedanke mit den senffarbenen Teilen hatte ich auch schonmal angesichts meiner 2 tollen großen 7 jährigen Jungs, die da nicht mehr reinpassen und auch noch nie reingepasst haben :).
Im Frankreich Urlaub hab ich zich solcher stilvoller Läden gesehen und mir ganz selbstbewusst und zufrieden gedacht, wie sehr ich solche Püppchen Läden nicht mehr brauche, um meine Vorstellung vom zufriedenen Mama sein zu zelebrieren. Meine Jungs zeigen mir ziemlich hartnäckig, was sie selber cool finden und das hat mit dem Inhalt dieser Läden soviel zu tun wie Crêpes mit Hackbraten 😃. Ich bin ihnen so dankbar, dass sie so anders sind als ich mir alles vorgestellt habe.
Das hast du jetzt aber auch ganz wunderbar geschrieben. Ja, das wird mir auch immer bewusster. Und manchmal denke ich, ohne einigen Schnickschnack wärs hier vielleicht ruhiger gewesen und ich hätte noch mehr genießen können.
Aber hätte, hätte Fahrradkette. Ganz lieben Dank für deine tollen Worte!
Claudi
Meine sind noch grösser (16, 13 und 8) und es ist grad wieder in die andere Richtung gekippt bei mir: ich bin momentan doch recht betrübt darüber, wie schnell sie gross werden, und finde es schade, nie mehr so richtig Kleine zu haben.Kleine Kinder nehmen einen so in Beschlag, dass nicht viel Raum für anderes bleibt. Jahrelang sehnte ich mich danach, wieder mehr Zeit für mich zu haben, nun muss ich lernen, mit dieser Zeit wieder etwas anzufangen. Midlife-crisis nennt man das wohl.
Manche Sachen erlebe ich anders als Du. Bei den kleinen Kindern war Geschlecht gar keine wichtige Kategorie ( Farben von Klamotten?!) für mich, jetzt in der Pubertät dagegen merke ich schon, dass bei meiner Tochter andere Themen relevant sind als bei den Söhnen, und ich mir andere Sorgen mache.
Vielen Dank für deine Geschichte, das ist so spannend. Ich bin übrigens auch seeehr gespannt, wie das noch wird mit meinen Gefühlen, es ist ja irgendwie alles eine Phase und noch habe ich ja einen (relativ) Kleinen.
Mal sehen, wie es mir in ein paar Jahren geht. Irgendwie ist ja immer was.
Zu dem Gender-Ding: Vielleicht ist das anders, wenn man nur ein Geschlecht hat. Dann unterscheidet man ja natürlich nicht nach Töchtern und Söhnen, sondern merkt, wie unterschiedlich die Exemplare auch innerhalb einer Sorte sein können…
Alles so aufregend.
Ganz liebe Grüße,
Claudi
Danke, liebe Claudi!! Soso passend! Ich habe mir ja lange ein zweites Kind gewünscht (mein Mann halt leider nicht). Doch irgendwann (vor kurzer Zeit erst) habe ich eingesehen, dass es gut ist, wie es ist. Dass ich froh darüber bin, dass sie so groß ist … froh über alles, was das so mit sich bringt. Nur manchmal vermisse ich dann doch noch diese Kleinkindphase … frage mich, ob ich damals alles mehr aufgesogen und genossen hätte, wenn ich gewusst hätte, dass ich all das nicht noch mal erlebe … naja., hätte, hätte Fahrradkette … solche Texte von dir zeigen mir dann wieder, dass mein großes Kind auch ganz wundertoll ist … dass ich diese Kleinkindphase nicht mehr „brauche“ … und während ich das schreibe, freue ich mich schon auf ihre Erzählungen vom ersten Tag in der 5. Klasse!
Danke, liebe Claudi! Und liebe Grüße! Dorthe
Liebe Dorthe, oh ja, das mit dem genug genossen haben, das frage ich mich auch manchmal. Allerdings kann man damit ja glücklicherweise jeden Tag anfangen.
Wie gut! Ich freue mich, dass du hier bist!
Alles Liebe,
Claudi
Mein grosser ist jetzt für 3 Monate im Ausland nach dem Abi. Es ist echt krass wieviel man an sie denkt und sich gedanken macht……das hört ñicht auf. Habe auch noch 2 kleine und finde jedes Alter spannend.
Oh, das glaube ich. Aber wie toll, dass er das macht. Hach, ich bin auch so gespannt.
Alles Liebe,
Claudi
Hallo Claudi, ein so schöner Artikel! Vielen Dank dafür! Ich habe ehrlich gesagt nie verstanden, warum man so viele Informationen, Texte, Bücher über die Baby- und Kleinkindphase findet und ab dem Schulalter ist dann nahezu Schluss. Sie sind doch die längste Zeit groß und eben kein Baby. Ich habe bei allen drei Kindern die Babyphase geliebt. Und mich gleichzeitig darauf gefreut, wenn sie älter werden. Es wird so vieles leichter, bevor einen die Pubertät ereilt: Alltag, Gespräche, Reisen. Vielleicht liegts auch an meinem Beruf, aber ich mag auch die oft recht wortkargen Teenager, die sich eben erst finden müssen und sich nur dann öffnen, wenn sie wollen. Klar kostet es Kraft, aber das ist bei Babys auch nicht anders. Wie du schon schreibst, es ist bei aller Anstrengung einfach schön zu sehen, was für eine Persönlichkeit sie werden/geworden sind. Liebe Grüße
Juliane
Liebe Juliane, ja, verrückt, oder? Ich habe leider auch erst im Nachhinein verstanden, dass für mich durchstillte Nächte noch nicht das wildeste sein werden.
Es ist und bleibt so aufregend.
Liebe Grüße,
Claudi
PS. Vor dem Wortkargen habe ich aber dennoch ein wenig Bammel.
Hallo Claudi, ich bin noch in der senffarbenen Mützchenphase und ich muss euch sagen als Oma wird es noch mal so richtig klasse. Da könnt ihr alles nachholen und wenn man es klever anstellt kann man die junge Mutti entlasten und erlebt die tolle Babyzeit noch mal in der 2. Reihe. Also ich freue mich schon, wenn unser Baby mir die Hand auf die Schulter legt. Liebe Grüße von Elke
Oh, das klingt so großartig, das möchte ich auch!!!
Hast du vielleicht ein paar Tipps, wie man sich am besten “clever” anstellt?
Könnte ich mir gleich jetzt für später notieren. Was machst du denn, damit es rund läuft und du entlastest und gleichzeitig genießt?
Danke und alles Liebe,
Claudi
Hallo Claudi, also clever anstellen ist für mich,…keine ungefragten Tipps geben und schauen wo..die Säge klemmt. Einfach mal ein unverhofftes Geschenk machen ohne Anlass und ganz wichtig: nie aufhören miteinander zu sprechen. So habe ich es probiert..sollte aber mal meine Tochter fragen ob Sie es genauso clever findet. Liebe Grüße an alle Mamas und Omis von Elke
ach so und ich genieße die Zeit mit Tochter und Baby indem ich meine Arbeit ( bin selb und ständig) für die Zeit wo sie bei uns ist weglege und nur für sie da bin,mit Füttern, Ausfahren, Babygucken., Zuhören, Kartenspielen, Sekt trinken, lachen..)
Klingt prima, danke dir!!!
Liebe Claudi,
auch wenn meine Kinder noch klein sind – sehr sehr klein (2 Jahre & 4 Monate) finde ich deinen Text ganz wunderschön. Ich freue mich auf alles was da noch kommt und muss mir auch jetzt immer wieder bewusst machen, mehr im JETZT zu leben und dieses “wenn sie erstmal lachen, wenn sie erstmal sitzen, wenn sie erstmal… aufhören zu lassen und zu genießen wie die Zeit aktuell ist.
Danke, dass du hier schreibst!
Janine
Liebe Janine, vielen Dank, das freut mich. Und ja, im Jetzt leben ist einfach der beste Tipp für jede Lebensphase.
Wie schön, dass wir jeden Tag neu daran arbeiten können.
Alles Liebe und schön dass du hier bist,
Claudi
Du sprichst mir aus der Seele!
Dankeschön ✨
Das freut mich! Danke für dein Feedback!