Meine Freundin sieht großartig aus. Immer, aber gerade vielleicht noch ein bisschen mehr. Dank einer Stoffwechselkur hat sie sechs Kilo abgenommen. Ihre alten Hosen passen wieder und sie strahlt. Jedes Mal wenn ich sie sehe, will ich das auch. Strahlen und so. Dann aber erinnere ich mich, dass sie eben auch auf vieles verzichtet. Und ich frage mich, ob ich das wirklich will. Und was eigentlich das Gewicht ist, das mir schmeckt…
Ich find ja immer angezogen geht’s. In hübschen Kleidern oder einer guten Jeans nicke ich mir im Spiegel zu und denke: “Joa.” Wenn ich schiele, könnte ich fast Anfang dreißig sein. Wenn wir uns allerdings zufällig mal nach dem Duschen sehen, mein Spiegelbild und ich, nackig und krumm und ohne durchgedrückten Rücken, dann frage ich manchmal: “Wie kommt die alte Frau in mein Bad?” Das ist wie der Schreck abends im Bett, wenn sich aus Versehen die Selfiekamera einstellt und ich bloß Doppelkinn sehe. Leider meins.
Ich erschrecke mich regelmäßig mehr als bei einem schwedischen Düsterkrimi.
Nackig vor dem Spiegel brauche ich einen Moment, um milde mit mir zu sein. 43, richtig, da war ja was. Ich richte mich auf, ich zwinge mich zu lächeln. Könnte schlimmer sein, klar. Aber eben auch sechs Kilo weniger. Ach was drei, drei würden mir reichen. Vielleicht doch die Kur, überlege ich. Wobei Kur nach Erholung klingt. Dabei ist das ein straffes Programm: Morgens ein Shake, dann Obst, mittags Salat ohne Öl oder Gemüse, abends wenig mit wenig. Keine Kohlehydrate. Hat mit Entspannung so wenig zu tun wie Nuss-Nougat-Creme mit Superfood.
Früher habe ich einen Abend nichts gegessen und alles war flach. Heute laufe ich jeden Werktag und mache öfter mal 16:8 – kann damit aber gerade mein Gewicht halten. Ich denke, da winken die Wechseljahre. Mit Schlabberarmen. Hallo-Helgas haben wir die früher genannt. Früher fand ich das lustig.
Studien bestätigen, dass sich unser Körper ab 40 wandelt. Der Stoffwechsel verlangsamt sich, wir verbrauchen weniger Kalorien. Um wirklich Gewicht zu verlieren, müsste ich also wirklich streng mit mir sein. Noch viel strenger als ich es in der Woche oft bin. Aber zweimal am Tag laufen gehen? Geht doch gar nicht. Auch am Wochenende abends nichts essen? Keine Kohlenhydrate? Kein Glas Wein mit Freunden? Wo bitte bleibt da der Spaß? Will ich das wirklich? Ich frage mich:
Freue ich mich am Ende des Lebens über das gute Gefühl in einer Knackjeans? Oder über einen gemütlichen Ofenkäse auf dem Sofa?
Wir haben schon lange keine Waage mehr. Ich merke an meinen Hosen, wenn ich zugenommen habe. Nicht nur nach Pasta-Verputz-Arien, sondern vor allem je nach Zyklustag. Bevor ich meine Tage kriege, könnte ich locker ein Verkündunge-Foto für Instagram machen und hätte hinterher mindestens 1000 Schwangerschaftsfollower mehr. Einziehen ist nicht mehr. An anderen Tagen gehts dafür noch. Und ja klar, Gewicht ist immer relativ. Meine Figur ist ganz normal, so wie jede Figur. Sollte ich diesen Text also überhaupt schreiben?
Letztens saßen wir mit ein paar Freundinnen zusammen und sprachen über uns und über das Leben. Und auch über den tollen Erfolg der Stoffwechselkur. Meine Freundin sah so toll aus. Und so happy. Wir stöhnten über Hüftspeck und Speckhintern. Mehrere von uns überlegten, ob wie das nicht doch mal durchziehen sollten. “Man muss natürlich auch danach aufpassen!”, meinte die Freundin. Und dass sie im Urlaub dieses Jahr wohl eher auf Baguette verzichten würde. Lieber Obst essen, aber das schmecke ja auch.
“Boah, ne!”, rief plötzlich eine andere Freundin. “Bloß Obst zum Frühstück kann ich einfach nicht.”
Ich sah vor meinen Augen die Baguettestangen, die meine Jungs in Frankreich täglich aus der kleinen Bäckerei trugen. Goldgelb unterm Arm und lässig wie eine Clutch. Ich versuche, mir schnell eine goldgelbe Melone vorzustellen, die sie für mich tragen könnten. Dann schüttele ich den Kopf. Ungeplant heftig, denn für einen Moment sah ich ein schwarzweißes Störbild. Ich war mir ganz sicher: Ich will Baguette und keinen Verzicht, egal wie knackig der sein mochte.
„Und überhaupt das kann hier doch echt nicht wahr sein!”, rief die wütende Freundin. Laut. Entschlossen. “Hier sitzen sechs fabelhafte Frauen am Tisch. Wir sehen alle normal bis gut aus und was machen wir? Wir schwadronieren über Schwabbel und tauschen Diättipps. Ne, echt nicht.”
Plötzlich wurde es noch lauter, so heftig diskutierten wir. “Es geht doch um wohlfühlen!”, meinte eine. “Ich will mich noch nicht gehen lassen!”, eine andere. Eine meinte plötzlich: “Was für ein Vorbild sind wir eigentlich für unsere Töchter und Söhne?” Plötzlich wurde es wieder still am Tisch. Ich dachte daran, wie seltsam es war, wenn ich abends manchmal nichts aß, hinter meinem leeren Teller hockte und hoffte, die Jungs würden es nicht bemerken. Was sie natürlich doch taten. Wollte ich ihnen wirklich vorleben, dass Frauen besser nichts aßen? Wo hört Körperpflege auf und fängt Körperstress an? Und wo bitte gibt’s Selbstliebe zum Wegsnacken?
Eine andere Freundin meinte: “Ich frage mich oft, was ich meiner Tochter mitgeben will. Zählt wirklich Kalorien zählen? Oder geht es im Leben nicht um etwas anderes? Ist mal wieder Social Media schuld? Ich frage mich: Bin ich mitschuldig, weil ich auch schon mal für ein Foto meinen PMS-Bauch per Photoshop korrigiert habe? Anderseits: Muss ich mich wirklich öffentlich unwohl fühlen, damit sich andere besser fühlen?
Ich denke, ein Mittelweg ist wie so oft mein Weg. Sprich: Ich möchte Baguette beim sonnigen Frankreichfrühstück. Und abends Moules Frites. Aber wenn meine Kinder im Auto Schokoriegel naschen, nasche ich nicht immer mit. Das tut nicht weh, das ist okay. Ich passe unter der Woche ein bisschen auf, damit meine Lieblingssachen länger passen, aber am Wochenende esse ich, was ich möchte – und unter der Woche auch, wenn ich verabredet bin. Weil gemeinsam Essen und Genießen für mich ganz viel mit Lebensfreude zu tun haben.
Ich will nicht immer in Kalorien fantasieren. Ich versuche auch beim Laufen an frische Luft zu denken, nicht ans Leichterwerden. Wie es weitergeht? Wir werden sehen, was sich mein Körper noch so für Herausforderungen ausdenkt. Fest steht wohl: Leichter wird’s nicht.
Überhaupt will ich wieder mehr fühlen statt bloß verzichten.
Worauf habe ich wirklich Appetit? Was muss sein, was nicht? Ich habe für mich beschlossen, dass ich essen möchte, wenn es gutes Essen gibt. Aber ich verzichte gern mal, wenn mir verzichten nicht zu weh tut. Für mich wiegen Geselligkeit und Genuss noch ein bisschen mehr als Flachbauch und Knackpo. Ein zweites Baguette muss es vielleicht trotzdem nicht sein. Nur manchmal vielleicht.
Foto: Louisa Schlepper
Alles Liebe,
Liebe Claudia,
ich liebe Dein Blogazin. Aber der Artikel zum Gewicht nervt mich, mein Trigger!
Ich selber bin stark übergewichtig mit Kämpfen, Selbstzweifeln und Selbsthass (richtig gut von meiner Mutter vermittelt). Und mitten in diesen Kämpfen sehe ich einer wirklich tollen Frau beim Verhungern zu. Wirklich verhungern!
Ich bin es so leid, dass wir Frauen uns überhaupt Gedanken zum Thema machen. Was könnten wir bewegen, wenn alle diese Energie in andere Bereiche unseres Lebens fließen könnten. Ich bin mir sicher, dass es dann gar keinen männlichen Kanzlerinnen-Kandidat gegeben hätte! Das hätten wir Frauen unter uns ausgemacht.
Ich sehne mich noch ein bisschen für mich und vor allem für meine Töchter um weniger Bikini-Figur-Gedanken sondern nach mehr Gleichgültigkeit für alle Körperformen.
Liebe Grüße aus Mittelhessen!
Ich danke dir für deine Worte und dein ehrliches Feedback! Und du hast Recht. Ich ärgere mich oft über mich selbst, dass dieses Thema immer noch in meinem Kopf herumwirbelt. Vielleicht muss ich noch ein wenig älter werden, damit ich endgültig Frieden mit mir schließe? Und auch hier nicht mehr überlege, wie ich damit umgehe, sondern ganz klar sagen kann: „Ich bin gut so wie ich bin.“ Und Wohlfühlen nichts mit Waage zu tun hat.
Ich wünsche es mir (und arbeite dran!)
Ich danke dir!
Alles Liebe,
Claudi
Hallo,
wir haben den Lockdown im letzten Jahr genutzt, um über unsere Ernährung nachzudenken. Dabei sind wir auf das Buch Nimmersatt von Dr. David Ludwig gestoßen. Die Rezepte darin sind mir zu amerikanisch, aber die Grundphilosophie ist: Fett ist nicht der Feind. Wir haben drei Monate lecker gekocht und wirklich geschlemmt. Das Ergebnis: 10 bis 13 Kilo runter. Alte Sachen passten wieder, ein ganz neues Körpergefühl. Vorallem bin ich runter von meiner Schokolade und Colasucht. Das war schon beängstigend. Das Geschmacksempfinden hat sich total verändert. Ich esse immer noch Schokolade, aber mir schmeckt keine mehr unter 70% Kakaoanteil. Alles, was man fertig kaufen kann, ist uns mittlerweile zu süß. Wir verzichten nicht, wir wollen das alles gar nicht, weil es in Wirklichkeit gar nicht schmeckt. Das klingt alles komisch? Hätte ich vor einem Jahr auch noch gesagt. Was bei allem viel zu kurz kommt: Das Essen alleine macht und nicht dick oder dünn. Was genauso wichtig ist: STRESS und GUTER SCHLAF. Daran arbeiten wir noch…. Liebe Grüße
Das klingt spannend, habe ich tatsächlich noch nie von gehört.
Und guter Schlaf klingt sogar noch besser.
Alles Liebe,
Claudi
Ach Claudi,
soo ein schwieriges Thema: ich mache immer schon Sport (auch mit +90 Kilo), ich schlafe gut und meine Psyche ist auch gesund. Und ich liebe Essen…ich koche frisch, selten mit Tüten etc. – und esse einfach gern und für meine Körpergröße zu viel. Sachlich gesehen bin ich eine gesunde, üppige Frau und mitten im Leben steht und es einfach prima findet in Kochbüchern zu stöbern und Spaß an Nahrung zu haben. Faktisch bin ich laut WHO chronisch krank, da sehr höher BMI. Also bin ich das Thema wieder angegangen und habe wieder gemerkt: es. bringt. keinen. Spaß. Kalorien. zu. zählen. – aber auch bei mir lugt die 40 um die Ecke und ich frage mich “wie lange geht es denn noch gut mit dem Übergewicht?” Jetzt sind alle Werte gut – und dann, in 10 Jahren? Neulich habe ich das erste mal bei ehrlich bestellt. Und war danach VÖLLIG im Reinen mit meinen Aussehen, da dort einfach NORMALE, diverse, schöne Frauen die Unterwäsche präsentieren. Das macht was mit einem, ich dachte dann alles halb so wild…und dann doch wieder der Gedanke an die Gesundheit…schwieriges Thema, von Dir gut thematisiert, danke Dir! Grüße vom Bodensee!
Vielen Dank für deine Feedback und deine Geschichte. Oh ja, es tut so gut, echte Körper in den Shops zu sehen, das habe ich auch schon oft festgestellt.
So eine Welt wünsche ich mir auch für meine Kinder. Ich denke wahnsinnig viel darüber nach, wie wir das schaffen können.
Dennoch bleibt das ewige Gedankenhopsen zwischen Wohlfühlgewicht und Entspannung.
Obwohl ja sogar der Begriff Wohlfühlgewicht in den letzten Jahren einen faden Beigeschmack bekommen hat, wie jemand gerade auf Instagram bemerkte.
Warum eigentlich?
Ganz liebe Grüße zurück!
Claudi
Gut thematisiert. Bei mir kommt leider seit einem Jahr eine Zöliakie und vielleicht noch Unverträglichkeiten dazu… Das Croissant muss ich links liegen lassen und ich, die bisher alles gegessen hat was sie wollte muss sich Gedanken ums Essen machen.
Viele glutenfreie “Ersatz”-Produkte haben nämlich viel Zucker oder ähnliches und das will ich nicht immer essen.
Wie bei allem im Leben muss jeder seine individuelle Balance finden. Heute superfood, morgen pommes und übermorgen vielleicht ein mix?
Liebe Grüße
Ich danke dir! Gut, dass du das ansprichst. Ich habe schon darüber gelesen, dass diese Ersatzprodukte leider ihre Tücken haben. Und ja, Balance finden klingt gut und wie immer klappt das wohl an manchen Tagen besser als an anderen.
Liebe Grüße!
Liebe Claudi – Danke für deinen persönlichen Text und die Offenheit!
“Intuitive eating” ist glaube ich mein Zugang, aber ohne, dass ich das vielbesprochene amerikanische Buch nutze. Ich finde die Idee, dass mein Körper weiß, was er braucht, absolut überzeugend. Ich muss eben wirklich zuhören und identifizieren: ist es Hunger – oder etwas anderes (Gefühle…), was sich in Essen-Wollen ausdrückt? Und die Einteilung in “gute” und “schlechte” Nahrung ist auch so ein Grundmissverständnis in unserem Verhältnis zu Essen.
Traurig und wütend macht mich diese verinnerlichte frauenfeindliche Haltung, die sich darin ausdrückt, wenn wir Frauen jenseits der 40 anfangen, uns noch konsequenter abzuwerten als vorher schon (Stichwort “früher konnte ich noch… aber jetzt…”). Dass der Frauenkörper in so strenge und einschränkende Schönheitsvorstellungen hineingepresst werden soll, finde ich wirklich schlimm, und das fängt bei vielen schon in der Kindheit an.
Die inklusiven Ideen, die unsere Generation gerne an ihre Kinder weitergeben möchte (body positivity, Aufbrechen von Gender-Normen, usw.), machen mich aber hoffnungsvoll! Ich glaube, darin stecken viele positive Möglichkeiten, für die Zukunft unserer Kinder, und dass auch wir Eltern freundlicher auf uns schauen können! 🙂
Huhu, diese Bewegung finde ich auch spannend, habe ich auch in meinem Kochbuch erwähnt, in dem ich ja auch dazu aufrufe, Kochen und Essen zu genießen und auf seinen Körper zu hören…
Wie du bin ich auch hoffnungsvoll in Sachen Erziehung, obwohl ich mich manchmal frage, ob wir Eltern alles zu korrekt vermitteln wollen und dabei die Leichtigkeit verlieren könnten. Ich möchte mit meinen Kindern definitiv Essen zelebrieren und feiern und nicht zerreden. Ganz lieben Dank für deine Worte.
Alles Liebe,
Claudi
Die Überschrift ist großartig! 😀
Das Blöde ist, dass das, was uns schmeckt, ja nicht automatisch das ist, was gut für uns ist … ich nähere mich langsam der 40 und stelle fest, dass mein Körper mir ungesundes Essen nicht mehr so problemlos verzeiht wie früher. Nicht gewichtsmäßig (das pendelt sich stabil im leichten Übergewicht ein, wenn ich “ohne Verzicht” esse), sondern es geht mir besser, wenn ich auf Süßkram und Knabberkram in größerer Dosis verzichte und generell nicht zuviel esse. Leider werden gerade verarbeitete Lebensmittel, darauf optimiert, dass man gerne und viel davon isst; eine Kombi aus Fett, Salz und Zucker hat das gleiche Suchtpotential wie Kokain – das hat mit intuitivem Essen oder “sich etwas gönnen” dann nichts mehr zu tun …
Es ist und bleibt eine Gratwanderung. Einfach immer das essen, was mir schmeckt, ist eben nicht gut für mich.
Die ständige Beurteilung des Aussehens ist dann noch ein anderes Thema – das macht aber nur meine Mutter, dafür permanent (ganz leicht übergewichtig bin ich ihr zu dick, im Normalgewicht bin ich ihr zu dünn, mal esse ich zu viel, mal zu wenig, rechtmachen kann ich es ihr nicht – da wird ihre Unzufriedenheit mit ihrem eigenen Körper auf mich projiziert, fürchte ich). Und das ist definitiv etwas, das ich bei potentiellen eigenen Kindern anders machen will.
Ich danke dir für deine Geschichte!!! Und ja: wenn ich drüber nachdenke, was ich alles am liebsten essen würde, ist das sicher nicht gut. Würde aber auf Dauer vielleicht/ wahrscheinlich auch nicht glücklich machen – vom körperlichen mal ganz abgesehen. Ich glaube, dass eben ein Mittelweg für mich am besten funktioniert: ein bisschen Verzicht, ein bisschen Genuss und ganz viele andere Themen für den Kopf.
Alles Liebe,
Claudi
Liebe Claudia,
oft ist auch der Fehler, dass wir uns zu viel vergleichen. Ich weiß, ich hab 10 kg. zu viel, (mit Ü 50) aber dafür schöne Haut. Und am wichtigsten finde ich nicht eine Super-Figur sondern das was da aus den Augen „rausblitzt „ an Humor oder Kreativität. Und das will ich meiner Tochter zeigen..
Absolut. Verrückter Weise sehe ich auch das Funkeln bei anderen im deutlicher als bei mir!! Danke für deine schönen Worte!
Alles Liebe,
Claudi
Hi Claudi,
… dabei strahlst du auf all deinen Fotos hier so sehr, dass ich mir jedes Mal wünsche mit dir loszuziehen und was zu unternehmen!
So viel positive Energie scheinst du zu versprühen!!!
Liebe Grüße, Inka
Liebe Claudi,
danke mal wieder für so einen ehrlichen, aus dem Leben gegriffenen Text! Ich habe 3 Töchter und denke viel darüber nach, was für ein Vorbild ich bin gerade in Bezug auf Körpergefühl. Ich bin tendenziell einen ticken zu dünn um unverdächtig zu sein (mein Essverhalten wird beobachtet und ab und an kam die Vermutung ob ich für meine Figur irgendeine Esstörung hätte, da ich eher schlank bin) und das ist die andere Seite der Medaille: Ich werde bei Diskussionen um die Figur kategorisch ausgeschlossen, da ich ja keine Probleme habe (von außen betrachtet). Ob sich ein so dünner körper gut anfühlt, danach fragt keiner. Ich esse viel mehr als viele andere, aber habe schon Schilddrüse etc testen lassen, weil ich sobald ich länger als 2h nichts esse kreislauf kriege. Ich fühle genau, wenn ich wg. stress noch weniger wiege als sonst, denn dann ist mein nervenkostüm doppelt empfindlich. Meine Haut hat wenig unterhautfett, entsprechend tiefer sind die Falten (wenn man das als Zeichen des Alterns verstehen will, sehe ich älter aus, als ich bin). Ich habe viele viele Graue Haare schon seit Mitte 20. Ich habe mich eben aufgrund meiner Töchter viel damit auseinandergesetzt, wie wir mit Körperformen umgehen und je länger ich darüber nachdenke, desto tragischer finde ich, dass wir so viel am Äußeren Erscheinungsbild festmachen. Sind wir schlechtere Menschen wegen 3 Falten mehr, grauer Haare oder einer wie auch immer gearteten Figur? Es ist menschlich, Personen aufgrund ihres Äußeren zu beurteilen, das ist so schön einfach, das macht unser gehirn gern. Aber genau dieses Gehirn haben wir auch, um dagegen zu steuern. Ich versuche weder meinen noch andere Körper in irgendeiner weise zu kommentieren, auch keine Klamotten etc. Wenn ich ein Kleidungsstück schön finde, sage ich “dieser Rock gefällt mir” und nicht “du siehst toll darin aus”. Klar, man kann sagen warum ich das Kompliment für die Person weglasse, aber liebe sage ich dann “wie schön, dich so strahlen zu sehen” wenn mir wer zulächelt. Gerade während Corona, als ich kaum Leute gesehen habe, ist mir nochmal bewusster geworden: Ziehen wir uns wirklich wirklich für UNS an, stylen uns für UNS, oder doch eher für die anderen? ein spannender Artikel ist dieser hier: https://sz-magazin.sueddeutsche.de/freie-radikale-die-ideenkolumne/teresa-buecker-schoenheit-ungerecht-90174 Ich weiß, Mode und Klamotten prägen, wie wir uns fühlen, aber egal welche Klamotten und Figuren wir tragen, wir sind doch immernoch wir. Zumindest ich möchte immer ich sein, egal wie ich außenrum aussehe. Die Debatte um Body Positivity sehe ich inzwischen auch kritisch. Ich finde man darf seinen Körper finden wie man will, manches mag man, manches nicht, man muss nicht alles lieben. Ich finde eher Lörpergleichgültigkeit oder Neutralität wichtiger. Das wäre mal was, wenn wir das ganze einfach nicht so wichtig nehmen mit den Äuerßlichkeiten. Ich hatte auch schon Phasen, in denen mein Körper mich “im stich gelassen hat”, also nicht wie erwartet funktioniert, das war unglaublich beängstigend fü rmich und hat wirklich diese Äußerlichkeit ein Stück weit verdrängt. Wenn er funktioniert, bin ich sehr dankbar, alles darüber hinaus versuche ich neutral zu betrachten und anzunehmen. Und gerade im Hinblick auf das Altern: Wenn man jetzt schon hadert, wo geht das dann noch hin, es wird ja nicht besser. Ich übe mich im annehmen und Nicht-beurteilen. Denn so viele Dinge machen mich aus, aber nicht etwas, das genetisch wahrnsinnig vorbestimmt ist und auf das ich nur bedingt einfluss habe: Mein aussehen.
Herzliche Grüße!
Mira
Liebe Mira, danke für deine tollen Worte. Am besten gefällt mir die Stelle, wo du schreibst, dass es so schön einfach fürs Gehirn sei, Menschen nach ihrem Aussehen zu beurteilen. Aber dass es an uns liegt, diesen Gehirn etwas anderes zu sagen. Und ja, ich übe mich auch im Annehmen.
Ganz liebe Grüße!
Claudi
Hallo Claudi,
Danke für diesen Text, der (leider) so viel Wahrheit enthält! Wir müssen noch so viel dazu lernen, um endlich einfach mal zufrieden mit uns selbst zu sein, unabhängig von unserem Gewicht. Die Wahrheit ist wohl, dass die meisten Frauen das nicht sind, obwohl wir locker könnten. Wir wollen immer mehr (oder besser in diesem Fall: weniger) und oft sind wir nicht zufrieden, wenn es denn erreicht ist. Es ginge ja noch straffer und noch weniger. Ich will das auch nicht meinen Kindern vorleben. Aber leider kann ich mich nicht davon frei machen – und das, obwohl ich essen an sich sehr genieße. Arbeiten wir dran, es einfach beim Genießen zu belassen und beim (meist) gesunden Lebenswandel, der keine extra Runde joggen vorsieht, nur weil es ein Glas Wein und ein Stück Baguette mehr gab. Bewegen wir uns, wenn es uns gut tut, genießen wir das Essen, wenn uns danach ist und es uns gut tut. Dann hätten wir for uns (und unsere Kinder) so viel erreicht! 💕
Ja! Ja! Und nochmal Ja! Eigentlich klingt es doch so leicht, oder? Warum machen wir es uns bloß so schwer?
Alles Liebe,
Claudi