Mein Sohn wollte sich exakt eine weiterführende Schule anschauen – und dann war die Sache für ihn klar: Die sollte es sein, basta. Dass wir eigentlich noch zwei, drei weitere auf der Liste hatten, wischte er achselzuckend beiseite: Außerdem würde der eine Tag der offenen Tür mit einer Geburtstagseinladung kollidieren, da wolle er eben unbedingt hin. O-kay. Prioritäten geklärt. Und mir rutschte nicht zum ersten Mal das Herz Richtung Hose…


Ich fürchte, der Ernst meines Mutterlebens beginnt nämlich genau jetzt: Mit der weiterführenden Schule, die mein Großer ab August besuchen wird. Warum ich ausgerechnet jetzt so flatterig werden, nachdem ich Kita und Grundschulzeit überwiegend lässig fand?

Weil die Einschulung in Klasse 5 ein so viel größerer Schritt als nur der auf eine neue Schule ist.

Weil das Spielerische der Grundschulzeit vorbei ist, diese vier Jahre Schonfrist – so fühlt es sich für mich jedenfalls gerade an. Weil ab jetzt alles mehr wird – mehr Fächer, mehr Stoff, mehr Lehrer, mehr Tempo, mehr Leistung, mehr DRUCK.

Vor allem, wenn Gymnasien wie hier bei uns in Hamburg nur acht Jahre bis zum Abitur dauern – und nicht neun, wie in vielen anderen Bundesländern. Das alles treibt allerdings bislang nur mich um – mein Großer ist freudig entspannt. Und genau diese Haltung möchte ich ihm auch nicht nehmen, obwohl ich in den letzten Wochen schon häufiger gedacht hab: “Du wirst dich noch ganz schön umschauen, mein Schatz. Das wird wild – vermutlich für uns beide…”

Am meisten graut mir gerade vor den nachmittäglichen Hausaufgaben.

Mindestens zwei Stunden sei ihr Sohn damit täglich beschäftigt, vor Klassenarbeiten auch mal drei, erzählte mir kürzlich eine Freundin, dessen Kind schon letztes Jahr in 5. Klasse kam. Mir wird heiß und kalt bei dem Gedanken. Denn: Hier ist häufig schon die knappe halbe Stunde Hausaufgaben ein Kampf, nicht selten mit Frust, Wut, Türenknall. “Dann misch dich doch einfach nicht ein”, meinte der Mann ganz pragmatisch.

Wäre für unsere Mutter-Sohn-Beziehung bestimmt von Vorteil, nur: Ich fürchte, so ganz allein laufen lassen können wir es auf der weiterführenden Schule noch nicht. Und dennoch: Vermutlich ist es auch gerade für mich ein riesengroßes Learning, mehr loszulassen. Darauf zu vertrauen, dass mein Kind das alles schon packt. Und es dabei vielleicht ganz anders anpackt als ich früher.

Denn so bescheuert es auch ist: Natürlich vergleicht man seine Kinder mit sich selbst.

Wie sie Dinge angehen, wie sie mit Dingen umgehen. Ich sehe viel von mir in meinem Sohn: Nicht nur meine schmalen Augen, sondern auch meinen Ehrgeiz. Den Wissensdurst. Und doch ist er schulisch oft ganz anders als ich damals. Weniger auf Form und Genauigkeit bedacht, eher auf Schnelligkeit. Dafür sehe ich mit Stolz und Staunen, dass er so viel beharrlicher ist mit Dingen, die ihm nicht in den Schoß fallen. Ich habe damals dort geglänzt, wo es mir leichtfiel, der Rest war mir reichlich egal.

Ich war ein Kind, dass komplett autonom durch die Schulzeit gelaufen ist. Weil ich es so wollte – und weil meine Eltern mich gelassen haben. Obwohl sie beide Lehrer waren und bestimmt an der ein oder anderen Stelle Hilfestellung hätten leisten können. Vielleicht sollte ich mich daran häufiger erinnern: Dass es mir gutgetan hat, meinen eigenen Weg zu gehen. Zu entscheiden, dass ich mich für Sprachen ins Zeug legen wollte – und in den Naturwissenschaften gerade so durchkam. Und dennoch immer einen ziemlich guten Notendurchschnitt hatte.

“Es geht doch nicht um tolle Noten”, meinte der Mann kürzlich genervt, als wir das Thema zum wiederholten Mal am Wickel hatten.

Wir sind vermutlich in Sachen Schule so eine Art bad Mom/good Dad-Gespann: Ehrgeizig versus man-kann-auch-Fünfter-sein-Haltung. Und unser Kind irgendwo dazwischen. Nein, wenn ich das hier gerade so schonungslos ehrlich aufschreibe, geht es nicht nur um tolle Noten. Natürlich wünsche ich mir vor allem, dass er den Spaß am Lernen nicht verliert, dass es neue Freunde und Fächer kennenlernt, die ihn froh machen. Aber ich wünsche ihm auch Erfolgserlebnisse, weil sie ihm wichtig sind.

Ich wünsche ihm, dass Schule ein Ort bleibt, an den er täglich gern geht, ohne Bauchweh, weil es eben doch so viel mehr ist als an unserer beschaulichen kleinen Dorf-Grundschule. Ich wünsche mir, dass ihm möglichst Vieles leichtfällt und er sich das, was schwerfällt, nicht zu sehr zu Herzen nimmt. Und vor allem, dass er nach Klasse sechs keinen weiteren Schulwechsel vollziehen muss. Denn:

Hamburger Gymnasien dürfen zwischen Klasse sieben und zehn niemanden sitzenlassen – von daher wird nach Klasse sechs ordentlich ausgedünnt.

Was die ersten beiden Schuljahre noch ein wenig knackiger macht – und mich keinen Deut entspannter. “Und was, wenn es so wäre…?”, fragt der Mann und zuckt die Achseln wie sein Sohn nach der unaufgeregten Wahl seiner Wunschschule. “Wenn es denn wirklich so käme, vielleicht wäre es dann ja auch gerade gut für ihn”. Hmpf. Viel wahrscheinlicher ist sowieso, dass ich mir gerade unnötig viele Gedanken um eine Sache mache, die noch in der Zukunft liegt – und mich überdies nur in Teilen angeht.

Boah, ich wünschte, ich hätte auch gerade mehr von dieser wird-schon-werden-Einstellung statt mir dauernd detailliert auszumalen, was alles so schiefgehen kann. Vielleicht ist es genau das, was ich jetzt von meinem Kind lernen kann: Wieder offen und unbefangen zu sein. Nicht meine Geschichte mit seiner zu vermischen. Ihn seinen Weg finden lassen, seine Erfahrungen, seine eigenen Fehler machen zu lassen – und die Lösungen möglichst auch.

Halleluja, es ist nur SCHULE, möchte ich mich selbst manchmal anschnauzen.

Es werden noch so viel mehr Herausforderungen auf mein Kind zukommen als das Zurechtfinden ab Klasse 5. Und doch fühlt es sich an wie ein verdammt noch mal riesengroßer Meilenstein – für mein Kind und für mich als Mutter. Vielleicht auch, weil ich weiß, dass unser Band ab jetzt immer weiter gedehnt werden wird. Dass mit der weiterführenden Schule nicht nur die räumliche Distanz zwischen uns größer wird. Ganz schön viel auf einmal…

Dann waren wir kürzlich zu einem ersten Klassentreffen an der neuen Schule. Mein Sohn freute sich sehr drauf, ohne besonders aufgeregt zu sein. Und als ich ihn da so stehen sah zwischen all seinen neuen Klassenkameraden, die meisten um Kopflänge überragend, dachte ich plötzlich: Was habe ich nur für ein großes Kind. Und warum glaube ich bloß die ganze Zeit, noch so viel für ihn regeln zu müssen?

Mein Kind ist alt genug, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Auch sein Schulleben.

Ja, ich werde ihm meine Hilfe anbieten. Beim Lernen. Beim Zurechtfinden, Beim Abwägen. Aber ich will mich nicht mehr groß einmischen. Auch weil ich unserem Band keine Zerreißprobe zumuten will. Ich will ihm vertrauen und auf ihn bauen. Ich will ihn machen lassen. Schließlich ist es sein Leben, für das ich nur noch in Teilen verantwortlich bin.

Eigentlich wollte ich einen Schultext schreiben. Jetzt ist es eher ein Appel an mich geworden, mein großes Kind ein Stück weit loszulassen. Aber so wie ich das sehe, gehen beide Themen wohl Hand in Hand.

Wie geht es euch mit Schulwechsel und Co….?

Hier habe ich mir im vergangenen Jahr bereits einmal meine Gedanken über Schule gemacht.

Alles Liebe, gute Einschulung,

Katia