Ich habe seit Tagen einen Ohrwurm. Und einen Augenwurm, haha. Sagt man das so? Ich höre “Islands in the stream” von Dolly Parton und sehe Victoria und David Beckham miteinander tanzen und ich denke die ganze Zeit, wie schön. Kennst du das virale Video aus ihrer Netflix-Doku? Auf mich wirkt es wie eine Erinnerung an das, was Beziehung ausmacht. Ein Werbespot für Langzeitliebe…

Klar, auch bei denen beiden ist ganz sicher nicht alles Hochglanz.

Auch bei den beiden gibt es dreckige Socken und emotionalen Dreck. Und wenn auch keine finanziellen, dann ganz sicher ganz viele andere Probleme. Weil es die bei jedem gibt. Und weil eine Langzeitbeziehung nie einfach ist. Dennoch frage ich mich, ob wir sie uns derzeit nicht oft gegenseitig nervig reden. Und ihre guten Seiten zu wenig rosig sehen.

Dank all der Romcoms in Buch, Film oder Serie neigen wir dazu, die Anfangszeit zu verklären. Der erste Blick, der erste Kuss, der erste Sex, hach. Alles prickelt. Was selten romantisiert wird: was danach kommt. Die langen Jahre einer Langzeitliebe, die im Nachhinein doch mit der Geschwindigkeit eines Wimpernschlags vorbei gehen. Dabei ist daran ziemlich viel total romantisch, wenn auch weniger in einer Hollywood-Art-und-Weise.

Es sind eher die kleinen Gesten. Einer macht einem in Jogginghose Frühstück. Wärmt dem anderen abends das Bett an, während der duscht. Die Hände berühren sich, wenn die Kinder auf einer Schulaula-Bühne ein Lied singen. Wir kennen die Macken, aber auch die Stärken des anderen und akzeptieren sie, so wie der andere unsere. Dagegen kannten wir den anderen zu Anfang nicht. Verstanden uns zwangsläufig nicht intuitiv und nonverbal. Wenn man ohne Gegenlicht drauf guckt, gab es damals sogar oft Missverständnisse.

Wir romantisieren gern die Vergangenheit – das beweisen Studien. Kein Wunder also, dass wir uns in der anstrengenden Lebensmitte gern mal vorstellen, wie aufregend etwas Neues sein könnte. Wie viel einfacher. Meine Freundin rief mich letztens an und stöhnte…

“Die Manu hat ein cooles Tinder-Date nach dem anderen und ich packe die Spülmaschine aus.”

Seufzt du auch sehnsüchtig mit? Hast du auch manchmal Sehnsucht nach dem Kribbeln? Nach dem Anfang, in dem der Körper übernimmt und Liebe einfach passiert, statt harte Arbeit zu sein. Denn mal ehrlich: Über Gefühle sprechen ist Arbeit, die Macken des anderen akzeptieren ist Arbeit und nichts, was sich mal eben ergibt, so wie ein Zusammenstoß auf der Tanzfläche, ein Blick, ein Grinsen. Es gibt etliche Romane darüber.

Gerade aktuell gibt es etliche Geschichten, die von kaputten Langzeitlieben erzählen. Von all dem Nervigen. Ich habe gerade “Lügen, die wir uns erzählen gelesen” und der Realismus hat mich sehr bewegt: all der Frust, die Verletzungen, das Unausgesprochene, die geheimen Sehnsüchte, die Drecksocken, den Hüftspeck. Darüber habe ich fast vergessen, wie schön es ist, nachts oft stundenlang neben meiner Langzeitliebe zu liegen, weil wir uns noch immer so viel zu erzählen haben. Unsere Geschichte könnte inzwischen selbst Romane füllen. Wie romantisch ist das denn bitte?

Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir neue Liebesgeschichten erzählen: Weg von Red Flags hin zu warmen, lustigen, intelligenten Love Interests, die uns das Gefühl geben, wir sein zu können. Ohne künstliche Dramen und Missverständnisse. Und dennoch mit der Gewissheit, etwas Besonderes zu sein. Die Serie “Nobody wants this” hat das letztes Jahr eindrucksvoll geschafft. Aber auch da geht’s wieder ums aufregende Kennenlernen.

Ich erzähle in meinem ersten Roman “Sommer ist meine Lieblingsfarbe” über die Liebe nach dem Happy End.

Okay, ich erzähle darin zwei Geschichten: Die Geschichte einer Langzeitliebe – und die eines Flirts. Ich habe mir beim Schreiben – Achtung, kleiner Spoiler – diese beiden Beziehungen immer als zwei Geraden vorgestellt. Die eine beginnt ganz unten im Minusbereich der Gefühle und steigt dann langsam hoch. Die andere beginnt ganz oben im Gefühlsfeuerwerk  – und sackt dann ab. Welche wohl welche ist? An einem Punkt treffen sich die beiden zwangsläufig.

Das Thema hat mich also bereits vor ein paar Jahren beschäftigt. Mein neues Buch handelt jetzt nochmal von der Magie des Neuen, aber ich nehme mir fest vor, einen Roman anzuplotten, der die Romantik der Langzeitliebe so richtig feiert. Ich habe keine Ahnung, ob das möglich ist, denn in Romanen geht es natürlich darum, seiner Hauptperson möglichst viele Steine vor die Füße zu werfen, damit man beim Lesen nicht einschläft. Mal sehen, ob es auch anders geht. Ich hab Bock. Und summe noch ein bisschen …

Islands in the stream.
That is what we are
No one in between
How can we wrong
Sail away with me
To another world
And we rely on each other, ah ha
From one lover to another, ah ha.

Stimmst du mir zu, dass Langzeitliebe grad ein langweiliges Image hat? Dass wir gespannt den tindernen Single-Freundinnen zuhören? Weil es ab und zu so verführerisch klingt, nochmal neu zu starten. Alles auf Anfang. Oder empfindest du es anders?

Und: Magst du uns eine romantische Anekdote aus deiner Langzeitbeziehung erzählen? Ich mache mal den Anfang …

Claudi