Mein Gefühl derzeit mal wieder? Männer bekämpfen sich mit Boxhieben und Bomben, Mütter mit Besserwisserei. Und mal wieder frage ich mich, warum das bloß so ist…

Wir alle kennen das: „Die stillt nicht? Wie egoistisch.“

„Die arbeitet Vollzeit? Hätte sie sich doch keine Kinder kriegen müssen.“ „Die arbeitet nicht? Was für ein schlechtes Vorbild für ihre Töchter.“ „Die zeigt ihre Kinder im Netz? Wie gefährlich.“  “Bei der ist so viel Chaos? Einfach weniger Zeug haben.” „Die fährt eine Woche mit Freundinnen in den Urlaub? Könnte ich nicht.“ „Die erlaubt einen Zockcomputer. Würde ich niiiiie machen.“

Mir fallen noch unzählige weitere Dinge ein, die wir Frauen uns gegenseitig an den Kopf werfen. Oder über unsere Köpfe zu. So solidarisch Frauen sein können, so grausam andererseits. Tatsächlich haben mir am meisten Sätze von anderen Müttern weh getan. Ich will Männer nicht auf einen Thron heben, aber ich hab das Gefühl, in dieser einen Sache kriegen sie es tatsächlich einfach besser hin.

Warum aber teilen wir auf der einen Seite so viel aus und sind gleichzeitig selbst so verletzlich?

Vermutlich weil Kinderhaben die emotionalste Sache ist, die einem im Leben passieren kann. Und weil wir es ganz unbedingt richtig machen wollen. Weil uns ständig eingeredet wird, dass „unser Alltag ihre Kindheit ist“ und „wir nur 16 Sommer mit ihnen haben“.

Vermutlich aber auch, weil es keine Ausbildung, kein Studium und keinen Abschluss gibt, der uns darauf vorbereitet. Noch schlimmer, auch nicht DEN richtigen Weg. Das ist schwierig zu ertragen, wenn man es ganz unbedingt richtig machen möchte. Wenn wir unser Baby im Arm halten, haben wir heute meist dutzende Ratgeber gelesen, Millionen (gephotoshoppte!) Bilder von Mutterschaft auf Instagram gesehen. Ich hab das Gefühl, dass der Druck heute so groß ist, dass selbst im Freundeskreis hektisch aufgeräumt, neu gestrichen, das frisch geborene Kind in lambswollene Romper gehüllt und der Tisch in jahreszeitenstimmiger Herrlichkeit gedeckt wird. Kaum jemand traut sich zu sagen, dass Mutterschaft Mut zur Mittelmäßigkeit bedeutet. Und mindestens genau so viele Freuden- wie Verzweiflungstränen.

Die eine hat ein perfektes Haus, die andere schmeißt tolle Partys, die eine macht Karriere, die andere bastelt stundenlang. Keine Frau schafft alles perfekt. Zumindest nicht auf Dauer.

Vielleicht macht uns die Wut darüber so bissig? Warum aber bloß so stutenbissig? Vielleicht steckt unsere eigene Unsicherheit. Denn wenn wir selbst mit Sachen hadern, sind da so viele Gedanken im unseren Kopf. Manchmal laufen die vielleicht einfach über. Das heißt natürlich nicht, dass wir nicht darüber reden sollten. Das sollten wir ganz dringend. Vielleicht aber eher, in dem wir Fragen stellen, statt Aussagen machen?

Als ich beispielsweise mein Blogmagazin parallel zur Baby- und Kleinkindzeit aufgebaut habe, reagierte ich extrem empfindlich auf Äußerungen über Krümel auf dem Boden. Weil ich nämlich trotz viel Arbeit viel Zeit mit meinen Kindern verbringen wollte, sparte ich die Zeit für Arbeit in Sachen Haushalt ein. Dennoch hätte ich lieber auch ein aufgeräumtes und perfekt geputztes Haus gehabt.

Immer wieder fragte ich mich, ob okay war, wie ich es machte. Und manchmal machte ich flapsige Sprüche über Freundinnen, die sich Zeit für Mittagsschlaf nahmen oder entspannte Zeit im Garten verbrachten. Einfach, weil ich ein kleinbisschen neidisch war. Wenn jemand eine Bemerkung anderseits eine Bemerkung zum fehlenden Familienbett machte, machte das gar nichts mit mir. Weil ich mir da absolut sicher war, dass ich es nicht wollte.

Noch was: Zeiten ändern sich. Wir alle erinnern uns vermutlich alle an Momente, in denen wir, selbst noch kinderlos, ungläubig andere Eltern beobachtet haben und dachten: „Sowas würde ich nie machen.“ Bums, zwei Jahre später haben wir ein Kind und einen Tobsuchtsanfall in der Drogerie.

So viele Jahre habe ich über Mütter geurteilt, die ihren Kindern einen Zockcomputer erlauben.

Weil mich das Thema selbst so beschäftigte.  Weil ich vielleicht meine Angst davor, an anderen ausließ. Weil ich nicht wirklich wusste, was richtig ist. Und jetzt? Haben wir selbst einen. Weil sich Zeiten ändern. Weil Familie und Mutterschaft immer in Bewegung ist. Weil ich offen bleiben möchte und die Wünsche meiner Kinder ernst nehme. Wenn jemand darüber urteilt tut mir das weh. Einfach weil ich selbst nicht sicher bin, ob es der richtige Weg ist.

Wer weiß das schon? Wir machen alle Fehler und garantiert werden unsere Kinder etwas finden, was sie uns später vorwerfen können. Wir sind alle nicht perfekt. Wie viel schöner wäre die Welt, wenn wir uns nicht verurteilen würden?

The Cut-Autorin Kathryn Jezer-Morton sieht das anders. In einem Artikel beschreibt sie ihr Gefühl, dass wir in einer “affirmation culture” – einer Bestätigungs-Kultur – lebten, die es Frauen schwer mache, sich gegenseitig zu kritisieren. Wenn man es tue, riskiere man, als antifeministisch zu gelten. Dabei sei die Fähigkeit, ehrlich zueinander zu sein, so wichtig für unser Miteinander – und generell für unsere Entwicklung als Menschen, so Jezer-Morton. “Ich habe das Gefühl, indem wir davon ausgehen, dass wir Frauen immer im Recht sind, verschließen wir uns vor dem Privileg, selbst das Arschloch zu sein. Wir leugnen quasi einen Teil unserer eigenen Menschlichkeit.

Es geht also wie so oft darum, miteinander zu reden, uns zuzuhören, statt vorschnell zu urteilen. Sollen wir es versuchen?

Claudi