Während ich am Esstisch sitze und diesen Text schreibe, während die Duftkerze neben mir brennt und der Milchschaum meines Kaffees im Weihnachtsbecher feinen Zimtstaub trägt, während ich im Raum herumschaue und hoffe, irgendwo gute Sätze einfangen zu können, während ich bei den Dezemberregentropfen an der Fensterscheibe an Diamanten denken muss und daran, dass mein Mann mir einen Vogel zeigen würde über diesen Gedanken, genau in diesem Moment sehe ich die dicken Spinnweben links von mir am Fenster. Während eine Hälfte von mir ganz unbedingt aufstehen möchte, bleibt die andere sitzen. Und fühlt sich schwer emanzipiert…
Dabei habe ich mich echt erschrocken. Als ich am Montag den wunderbaren Artikel von Alexa von Heyden auf Steffis Blog las, fühlte ich mich beim Klauen ertappt, obwohl ich gar nicht bewusst klaute. Alexa beschreibt darin, dass sie sich eigentlich sehr emanzipiert fühle, sobald sie die Haustür aufschließe, aber ein Leben lebe, wie in den Fünfzigern. Mit einem Mann, der vielleicht mal die Mülltonne an die Straße schiebe. Den sie sonst aber ungern an die Wäsche lasse – also an die in den Wäschekörben.
Ich denke: Himmel, das ist bei uns genauso. Und: Oh Gott, das wollte ich nie. Fakt ist: Mein Mann macht alle Steuern für mich und bohrt mir die Nägel in die Wand. Ich koche beinahe jeden Abend. Okay, er macht seine Wäsche selbst (weil ich – zum Glück – mal irgendwann was verfärbt habe). Aber ich wasche die Wäsche für den Rest der Jungs. Ich bringe die Jungs in den Kindergarten, ich hole sie ab, es sei denn, ich frage ihn, ob er das macht. Ich habe die Kinder bei mir, wenn eins krank ist, außer, ich frage ihn. Ich plane (meistens!) unsere Wochenend-Dates, denke mir eine Bastelidee für den Bastelbasar der Schule aus und verpacke die Geschenke. In von mir durchgeführten Tests bleiben leere Müslischalen teilweise Tage stehen.
Ich stehe dann oft da, und überlege, ob ich die Schale einfach schnell wegstelle (und damit das Nichtwegstellen womöglich bis in alle Ewigkeit unterstütze). Oder ob ich sie stehen lasse – und mich womöglich den ganzen Tag drüber ärgere. Alexas Tipp für funktionierende Emanzipation zuhause ist Gelassenheit. Aushalten, dass der Partner es anders, oder gar nicht macht. Und ich nicke wieder. Und – hurra – denke plötzlich, nö, so schlecht in Sachen Emanzipation bin ich, sind wir nicht.
Weil wir zufrieden sind, mit dem, wie es ist. Ich sitze schließlich da, schaue die Spinnweben an – und lasse sie hängen. Falls sie mich später noch stören, kann ich sie später wegmachen. Falls nicht, bleiben sie eben noch eine Weile. Mein Mann arbeitet, ich arbeite. Ich schaffe es tatsächlich, mich an den allermeisten Vormittagen gleich morgens an meinen Schreibtisch, aka Esstisch im Wintergarten, zu setzen und zu schreiben. Ich ignoriere dabei die vollen Wäschekörbe, das Geschirr auf, in und neben der Geschirrspülmaschine und die vergessene Müslischale. Es fällt mir nicht immer leicht, aber ich habe es gelernt. Inzwischen bin ich ganz gut im Ignorieren.
Fakt ist: Ich will vieles genau so, wie es ist. Ich mache morgens gern die Kinder fertig, weil ich gern entscheide, was in die Brotdosen kommt. Und weil ich sie gern wachkuschele. Ich mache gern Dates mit Freunden. Ich verpacke gern Geschenke. In Sachen Müslischale fordere ich in den allermeisten Fällen zum Wegräumen auf. Manchmal stell ich sie auch heimlich still und leise weg. Weil es eben nur eine Müslischüssel ist. (Und weiter drüben mein Schreibhaufen liegt, der die anderen ja vielleicht auch nervt.) Nur ab und zu raste ich in Sachen Müslischüssel aus.
Ich wollte bei allen vier Kindern Elternzeit nehmen. Und ja, ich verfluche manchmal die Wäsche und all den Mist und träume davon, dass die Kinder bis 16 Uhr in die Betreuung gehen. Ich träume dann von all den Geschichten die ich schreiben, Interviews die ich führen und Sachen, die ich mir ausdenken könnte. Und dann erschrecke ich mich. Und mir fällt ein, dass die Kinder sehr bald sowieso ihr eigenes Ding machen werden. Und dass ich es in den allermeisten Fällen ganz genau so haben möchte wie es ist. Und wenn nicht, kann ich André immer fragen. Er sitzt nachmittags im Büro, ich nicht. Dafür falte ich öfter die Wäsche, meist wenn die Kinder Besuch haben. Ob das so richtig emanzipiert ist? Ich weiß es nicht. Aber was habe ich letztens gelesen? Wer glücklich ist hat immer Recht!
Mir fällt ein, dass ich gestern Abend mit meinen Mädels Plätzchen gebacken habe und André die Kinder allein ins Bett gebracht hat. Meistens machen wir das zu zweit, manchmal hat er Termine, dann wurschtel ich mich allein durch. Wenn ich ihn frage, plant er es ganz selbstverständlich allein ein. Und macht es dann selbstverständlich so, wie er es macht. Mit Nougatcreme auf dem Abendbrot. Ohne Singen. Mit sehr kurzer Kleinkindgeschichte – dafür zu langer Großkindgeschichte (meiner Meinung nach). Aber hey, wenn ich es besser weiß, muss ich es eben selbst machen.
Ich kenne viele Paare, die drohen zu zerbrechen, weil die Frau möchte, dass der Mann in Sachen Erziehung und Haushalt viele Dinge macht, diese aber exakt so macht, wie sie es machen würde. Und das, finde ich, kann nicht funktionieren. Wenn wir Emanzipation wollen, müssen wir andere Wege aushalten lernen. Mein Mann muss das auch – wenn ich doch mal ein Loch in die Wand bohre zum Beispiel. Ständiges Herumbohren, wer jetzt mehr macht, macht den schlimmsten Müll. Emanzipation bedeutet für mich, so zu leben wie ich möchte. Und auch zu akzeptieren, was der andere möchte.
Apropos Perfektionismus. Mein Mann hat früher nie Geschenke verpackt, er hantiert so ungeschickt mit Papier und Tesarolle, dass es mich fast wahnsinnig macht, dabei zuzusehen. Meine Jungs verpacken ihre Geschenke daher selbst, das ist mir ganz wichtig. Weil das so ist, muss ich aber hinnehmen, dass sie in den ersten Jahren nicht perfekt verpackt sind. (Bloß perfekt für mich…) Unsere Kekse sind nicht perfekt, wenn sie helfen, unsere Deko sieht auch anders aus als in meinen “Schöner Wohnen” Träumen. Mir ist es aber wichtig, mit meinen Jungs in Plätzchenbeilagen zu blättern, Löcher zu bohren, sie Kränze binden und den Nudelsalat für ihre Fußballweihnachtsfeier selbst machen und sie am Weihnachtstee schnuppern zu lassen und ihnen ganz selbstverständlich anzubieten, mit ihnen mit Muscheln verzierte Treibholzbäumchen auf dem Weihnachtsmarkt zu basteln. Wenn sie darauf keine Lust haben, ist das okay. Aber weil sie keine Lust haben, nicht weil sie Jungs sind.
Ich möchte meinen Kindern vorleben, dass Geschmack kein Geschlecht hat. Basteln und Bohren auch nicht. Dass jeder aber bestenfalls in einer Familie dennoch das tun darf, was ihm am meisten Spaß macht. Leben wir ihnen vor, so zu leben, wie es uns glücklich macht. Leben wir ihnen vor, Aufgaben zu verteilen und auch mal an uns zu denken. Gerade die Adventszeit birgt die Chance Emanzipation zu leben: Weil ganz viel Gefühlsarbeit ansteht, die wir auf die ganze Familie aufteilen dürfen. Und weil viele Chancen da sind, Perfektionismus abzulegen und andere Wege akzeptieren zu lernen. Binden wir unsere Kinder so gut es geht in all das mit ein. Leben wir einfach das Leben das wir wollen. Und ärgern uns nicht zu doll über die Müslischale.
Alles Liebe,
Hi Claudi, schön dass sich meine Erwartungen an diesen Text sofort bestätigt haben. Denn auf deine Teaser-Frage hatte ich sofort gedanklich mit “Klar leben wir/lebe ich emanzipiert. Denn wir leben genau so, wie wir es gewählt haben und wie es uns zumeist glücklich macht oder zumindest zufriedenstellt.” geantwortet. Ich finde es äußerst unentspannt und auch sehr übergriffig, wenn mir Schubladen-Emanzipation aufgezwungen wird. Ich muss nicht all das wollen, was großartige Feministinnen errungen haben. Meine durch sie gewonnene Freiheit ist, dass ich frei entscheiden kann. Und weil ich mich genau so frei entschieden habe meinen Mann zu heiraten und zwei Kinder zu bekommen, gibt es zu gewissen Themen eben auch vier Meinungen und einige Kompromisse. Wie wir hier leben ist auf der einen Seite sinnvoll und logisch und auf der anderen Seite macht eben auch jeder, was er gern macht oder zumindest nicht so sehr verabscheut wie der andere. Und bei deinem Beispiel zu bleiben das gleichzeitig ein wunderbares Sinnbild ist: manche Probleme sind einfach nur eine vergessene Müslischüssel und kein Angriff auf die Emanzipation ? Somit habe ich gestern das Thema Weihnachtseinkäufe angeschnitten (und nicht emanzipiert-frustriert gewartet, bis er eventuell auf die Idee kommt), weil es für mich an der Zeit war, weil ich diejenige sein werde, die kochen wird (weil es für mich Spaß und Entspannung und für ihn manchmal Stress ist) und weil mein Mann wunderbar schnelle Entscheidungen treffen kann, während ich ewig über Kleinigkeiten grüble.
liebe Claudi,
ich verstehe Emanzipation ebenfalls als die Möglichkeit freie Entscheidungen zu fällen.
Dies sieht in unserem Fall durchaus so aus, dass ich eher für die Kindergeburtstagbegleitung, Verabredungskoordination, Basteln und auch die Wäsche zuständig bin, während mein Mann Rasen mäht, Regale montiert oder Dinge repariert und sich mit Spielekonsolen auskennt.
Es ist aber auch so, dass
– ich bei uns Vollzeit arbeite und mein Mann Teilzeit.
– mein Mann häufiger kocht und beispielsweise für die Weihnachtsdeko zuständig ist.
– mein Mann Küche und Wohnräume meist aufräumt, weil er es einfach ordentlicher braucht, um sich wohl zu fühlen, während ich Chaos auch mal ignorieren kann.
– wir die Kinder gnadenlos (es sei denn, es kommt ein Termin dazwischen) abwechselnd ins Bett bringen, damit einer von uns immer mal früh “Feierabend” hat.
– mein Mann großen Spaß daran hat Geschenke einzupacken.
– ich mir selbst Lego-Technic zu Weihnachten schenke und den (großen) Kindern erlaube (ein bisschen) mit aufzubauen. Übrigens ein großes Highlight, wenn Jungs zu Besuch kommen und unsere Tochter auf die Frage stolz erzählt, dass dies der Kran ihrer Mutter ist. Die Reaktion der meisten Jungs war bislang: echt jetzt?
– unsere Tochter Mathematik als Lieblingsfach hat, aber genauso gerne bastelt.
– unser Sohn jeden Tag liebevoll sein “Regenbogen-Einhorn” mit in den Kindergarten trägt und es liebt zu basteln, aber ansonsten mit Fahrzeugen jeglicher Art und Größe spielt.
Das nenne ich die Freiheit der Emanzipation.
Liebe Grüße,
Mareike
Liebe Claudia
Und schon wieder ein Text von dir der mich einfach mega anspricht, ich erkenne mich selbst absolut wieder darin. Herzlichen Dank fürs wunderbare “Inwortefassen”, das kannst du echt super!
Bei uns siehts ziemlich genau wie bei euch aus mit der Aufgabenteilung, und für mich stimmt es so genau. Da ich selbst auch 4 Jungs habe (glaube genau alle 1 Jahr jünger als deine :-)), spricht mich vorallem auch der Teil bezüglich der “Jungs haben keine Lust” an, möchte ich doch meine Buben genau so erziehen: sie sollen etwas tun oder lassen können, unabhängig ob es typisch für Jungs/Mädchen ist. Danke!
Herzliche Grüsse, Lena
PS: Gibt es die Möglichkeit, dich per Mail zu kontaktieren?
Liebe Claudia,
ich musste lachen als ich von dem Test mit den Müslischalen gelesen habe, weil ich so was auch schon gemacht habe (mit Socken oder Unterwäsche). Danke für den Artikel. So ist es bei uns auch und es ist gut so wie es ist.
Viele Grüße
Liebe Claudi,
das ist ein sehr spannender Artikel und ich musste schon innerlich schmunzeln, denn bei uns wird öfter von uns selbst, aber auch von Bekannten oder Freunden, festgestellt, dass bei uns alles etwas “untypisch” wirkt. Manchmal fühle ich mich dann leider auch als nicht so gute Mutter, weil mir das mit drei Jungs auch echt oft zuviel ist und ich lieber fliehe und sie meinem Mann überlasse, der das mit meistens viel mehr Gelassenheit managt als ich.
Ich bin die für die Details, er fürs Grobe. Deshalb putze ich auch erst gar nicht mehr, denn es dauert Stunden, die ich nicht habe, weil ich mich an jedem Fisselchen aufhalte, während mein Mann zack zack den Staubsauger und Putzlappen schwingt und es auf einmal viel besser aussieht und das reicht mir. Aus meinem Kollegenkreis gibt’s da häufiger mal Kommentare wie “Wie, du bist doch die Frau, Putzen ist deine Aufgabe!” Vespermachen auch, nach ihrer Meinung…und ich hasse es und er liebt mich so sehr, dass er es für uns alle übernimmt <3
Meiner Ansicht nach – die mussten wir aber auch erst im Laufe der Jahre entwicklen – ergänzen wir uns gut, weil er Sachen gut macht, die ich nicht kann oder mag und andersherum. Ich mache zum Beispiel sein gesamtes Büro, allen Schriftverkehr etc., sogar die Steuersachen zusammensammeln.
Trotzdem fällt es mir manchmal schwer: Ich spüre die Emanzipation nämlich oft nicht, nicht mal bei mir selbst, aber auch nicht in unserem Umfeld, besonders hier auf dem Land.
Liebe Grüße
Rabea
Bei uns ist vieles sehr ähnlich. Wir arbeiten beide, ich allerdings „nur“ 70 Prozent. Ich war Elternzeit immer länger zuhause als mein Mann (er aber auch), wir haben 3 Kinder. Für mich rechtfertige ich die nicht gleiche Verteilung von mental load und Kinderkram damit, dass er ja auch ca 10h pro Woche mehr Erwerbsarbeit hat als ich. Die kann ich ja in Hausarbeit und Kinder investieren. Mir liegt das eher, ist es wichtiger , er kann es besser ignorieren, wie auch immer. In mir sträubt es sich nur, diese doch recht altmodische Verteilung als „Emanzipation“ zu verkaufen. Wahlmöglichkeit:okay. Aber wirkliche Emanzipation meint doch mehr, denke ich, als mal die Müslischalen zu ignorieren. Zu viele Frauen überlassen doch Karriere und finanzielle Absicherung den Männern. Das dürfen sie auch! Vielleicht ist es auch wertvoller, den Kindern nahe zu sein und sie zu begleiten. Mir kommt es nur so vor, als ob einige Frauen doch recht traditionell leben, aber das Selbstbildnis der emanzipierten Frau aufrecht erhalten wollen. . Die Quadratur des Kreises sozusagen. Ich wünsche wirklich jedem Kind so eine warmherzige Familie, in der die Mutter präsent ist, bestimmt schöner, als zwei Karriere-Eltern die sich streiten, wer beim kranken Kind bleiben „muss“. Ich stelle nur das Label „Emanzipation „ infrage?.
Für mich ist das irgendwie ganz einfach: Emanzipation heißt die Wahl zu haben.
Für mich persönlich schließt das immer mit ein, auch mein eigenes Geld zu verdienen.
Ich verstehe aber auch Frauen, für die das nicht passt, die sich – zumindest eine Weile – ganz auf das Zuhause konzentrieren wollen. (Weil ihr Job auch vielleicht nicht so leicht vereinbar ist). Ich wünsche mir eine vernünftige Absicherung für diese Frauen in dieser Zeit und ein Betreuungssystem, dass es Frauen und Männern ermöglicht, so zu arbeiten wie sie sich das wünschen.
Alles Liebe!
Claudi
boah hast du das toll geschrieben! Davon nehme ich gaaaanz viel mit nach Hause. Ganz lieben Dank dafür, liebe Claudi!
LG, Yvonne
Oh, das freut mich aber sehr.
Danke für dein Feedback!
Wow! Super Artikel! Noch dazu stimme ich dir zu: Wer glücklich lebt, lebt richtig!
Liebe Claudi,
ja, ja, die gute alte Emanzipation. Das ist schon was mit der. 🙂 Da studiert man sogar Gender Studies, ist sich absolut sicher, dass das beide Partner gleichberechtigt sind, und findet sich einen Mann und drei Kinder später plötzlich im alten Rollenbild wieder. Ausnahme: ich arbeite auch.
Danke für Deinen Artikel. Manchmal muss man einen Schritt zurück treten und das Ganze mit Abstand betrachten, bevor es eskaliert. Denn eigentlich ist das Leben schön, so wie es ist. Aber oft ist man einfach im Alltagsnetz gefangen. Wenn man dann das Glück hat auf einen Artikel wie den Deinigen zu stoßen, ja dann kann man auch mit einem Lächeln die “Müslischale” beiseite räumen 🙂
Danke und habt eine gemütlich-kuschelige Adventszeit.
LG Silvi