Ich muss in den letzten Wochen häufig an den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ denken. Ich sehe Bill Murray vor mir, wie er in einer Zeitschleife gefangen jeden Morgen mit Sonny und Cher’s Song „I got you, Babe“ aufwacht – und der vorherige Tag wiederholt sich. Immer und immer wieder, gleiches Datum, gleiche Menschen, gleiche Ereignisse. Das Einzige, was er in der Hand hat, ist seine Rolle im Setting. Mal ist er Muffkopp, mal Charmeur. Mal flucht, mal flirtet er. Er lernt neue Menschen und Fähigkeiten kennen, er feiert das Leben und springt aus dem Fenster – nur um verlässlich am nächsten Morgen wieder aufzuwachen und von vorn zu beginnen…

Der Film hat damals nicht mein Leben verändert. Aber wenn ich ihn jetzt mit Abstand und im Wissen dieser seltsamen Zeit betrachte, behandelt er tatsächlich eine wichtige Frage: Wie fülle ich möglichst viel Leben und Liebe, Abenteuer und Abwechslung in einen maximal beschränkten Alltag? Damit sich diese ereignisarmen Lockdowntage nicht zu einer einzigen, undefinierbaren Tagesmasse ohne Hurra und Konfetti vermengen?

Fakt ist: Wir stumpfen ab, wenn wir zu viele „Bullshit“-Erfahrungen machen. Schreibt der Journalist James Wallman in seinem Buch „Time an How to Spend it: The Seven Rules for Richer, Happier Days“. Zwar meint er in erster Linie die verdaddelte Zeit am Smartphone und beim siebten Netflix-Marathon in Folge. Doch was ist denn die ewig gleiche Wiederholung von  Homeschooling und Homeoffice und Haushalt und Kontaktsperre anderes als genau das: eine einzig große Bullshit-Erfahrung?! Wallman plädiert stattdessen für „Supererfahrungen“. Sie sind es, die einem das Gefühl geben, ein erfülltes und erfolgreiches Leben zu führen. Es geht darum bleibende Erinnerungen zu schaffen. Weil vor allem die Neugier auf mehr solcher Erlebnisse uns motiviert, weiterzumachen. Den Hintern hochkriegen – auch wenn es schwer fällt.

Für mich kam diese Inspiration genau zur richtigen Zeit – wann, wenn nicht jetzt ist es angesagt, aus kleinen Momenten große Bedeutung rauszukitzeln? Und so haben wir in der letzten Zeit jede Menge Supererfahrungen ausprobiert, häufig recht banal, naheliegend, und doch irgendwie aufregend, weil sie mir und uns als Familie neue Energien und neue Erfahrungen beschert haben. 

Dass Musik gute Stimmung macht, ist keine bahnbrechende Erkenntnis. Sofadisco schon.

WÜNSCH-DIR-WAS-DISCO: Als Teen hatte ich für jede Gefühlslage, jede Jahreszeit, jeden Typen den passenden Sampler parat. Ich hatte meinen schlimmsten Liebeskummer zu herzzerreißenden Songs von Tom Waits und die perfekten Sommerurlaube zum 70er-Funk-Sound der Isley Brothers. Musik war immer ein wichtiger Teil meines Lebens, meiner Identität. Aber dann kamen die Kinder und ich war im Laufe der letzten acht Jahre froh, wenn nach Rolf Zuckowski in heavy rotation endlich Ruhe war.  

Irgendwann im November vergangenen Jahres fingen wir aus einer Laune heraus an, die dunklen Nachmittage spontan mit einer Wünsch-dir-was-Disco stimmungsmäßig aufzuhellen: Jedes Familienmitglied durfte sich reihum einen Song wünschen. Einmal angefangen, war es schwer, die Party wieder zu stoppen.  Ich hatte ganz vergessen, wie gut laut aufgedrehte Musik tut! Das Wohnzimmer wurde zum Dancefloor, während wir uns kreuz und quer durch Spotify navigierten, tanzten, sangen, lauthals lachten.

Hier ein paar Gute-Laune-Booster..

Die Kinder (und wir) stehen auf die komplette „Unter meinem Bett“-Reihe: deutsche Künstler wie Olli Schulz oder Cäthe, die verdammt intelligente und spaßige Kinderlieder machen. Unser aktueller Favorit ist „Unter meinem Bett 6“. Im Dezember lief hier zudem dauernd „Das Weihnachtsalbum“ von Deine Freunde, und weil Heiligabend jetzt endgültig durch ist, haben wir deren Platte „Keine Märchen“ wieder rausgekramt. „Du bist aber groß geworden“ ist unser aller Favorit (und seit ein paar Jahren unser Familien-Geburtstagslied). Richtig gut sind auch die drei „Eule findet den Beat“-Sampler, insbesondere der letzte, „Eule mit Gefühl“ wird hier von den beiden Jüngeren geliebt. Ziemlich amüsant ist zudem die Kinder-Rock-und-Reggaeband Randale. Mein Großer pogt immer noch wild zu „Kinderzimmerpunk“

Wir Eltern sind auf einer kleinen Zeitreise durch unsere musikalische Vergangenheit unterwegs: Ich liebe den Sixties-Soul von Sharon Jones & The Dap Kings, tanze am liebsten zu „It’s never been like that“ von Phoenix und amüsiere mich über die Wortkünstler von Die höchste Eisenbahn oder Von Wegen Lisbeth. Mein Mann hat die alten NOFX-Scheiben wiederentdeckt, die Alben der Band Vulfpeck neu und lässt sich gern von Olli Schulz‘ und Jan Böhmermanns schräger Playlist „Fidi und Bumsi“ (Spotify) inspirieren.

Morgen-Gruß statt Gurgel-Gang

MOVE YA: TOLLE TUTORIALS: An manchen Wintertagen bringe ich es nicht übers Herz, die Kinder in den Garten zu jagen. Geschweige denn, mich selbst aufzuraffen, um mit jammerndem Nachwuchs zum verwaisten Spielplatz zu trotten. Die Quittung gab’s spätestens gen 17 Uhr: Wenn sich drei unausgelastete Kinder gegenseitig an die Gurgel gehen. 

Weil ich selbst gerade täglich Yoga mit den Tutorials von Mady Morrisson  praktiziere (super für Anfänger und Fortgeschrittene und für die Laune obendrein), hab ich auch für die Kinder nach etwas gesucht, das sie ein wenig runterkocht – und sie körperlich fordert. Ich bin dabei auf den Kanal von Nathalie Piller gestoßen, die Kinder-Yoga verpackt als Abenteuerreisen anbietet. Wenn ich meine Matte jetzt im Schlafzimmer ausrolle, rennen die Fünf- und der bald Dreijährige los, um ihre eigene ins Wohnzimmer zu schleifen.

Die beiden Kleinen murmeln „Namaste“ und begeben sich begeistert auf ihren Mini-Yogi-Trip. Als ich meinen Achtjährigen fragte, ob er nicht auch Lust dazu hätte, hob er nur die Augenbrauen und meinte ganz trocken „Du, Mama, ich glaub, Yoga ist nicht so mein Ding…“ Seitdem darf er Workout mit Werder machen. Darauf freut er sich jetzt fast so sehr wie vorher auf sein reguläres Fußball-Training. Ich bin immer wieder baff, dass es plötzlich keine Überwindung mehr bedeutet, regelmäßig zuhause Sport zu machen. Auch der innere Schweinehund scheint jetzt Corona-konform. Ob das wohl auch so bleibt, wenn alle Studios und Sportvereine wieder offen haben? Ich hoffe auf eine Lockdown-Erfahrung, die sich etabliert. Denn wenn uns dieses permanente auf-eine-Haufen-Gehocke eines gelehrt hat: Auspowern macht oft den Unterschied zwischen einem miesen und einem zumindest megamittelprächtigen Tag.

SCHÖN-BLÖD-TAGEBUCH: Ich frage mich häufiger, ob es irgendwann eine Generation Corona gibt. Und welche Erinnerungen unsere Kinder an diese Zeit des Stillstandes behalten werden. Werden sie daran zurückdenken, wie sehr sie die Schule, die Kita vermisst haben? Dass zuhause oft dicke Luft war, die sich aus der Verzweiflung und Hilflosigkeit der Eltern gespeist hat? Oder eher daran, dass das Leben plötzlich viel mehr kindliche Freiheiten parat hielt: später ins Bett, länger schlafen, häufiger fernsehen und mehr naschen?

Es ist eine besondere Zeit. Nicht nur besonders herausfordernd, besonders nervig, besonders traurig.

Es ist eine Zeit, die niemand erahnen konnte. Und so schlimm sie sich oft anfühlt, ist sie es doch wert, festgehalten zu werden, in all ihrem so-anders-als-sonst-Seins. Deswegen haben wir ein Schön-Blöd-Tagebuch begonnen, in dem wir täglich versuchen aufzuschreiben, was den Tag ausgemacht hat. Was war gut, woran wollen wir uns gern immer wieder erinnern? Was lief schlecht oder aus dem Ruder, was können wir die nächsten Tage besser machen? Wir verbinden das meist mit dem Abendbrot, da sind alle versammelt und das Gros des Tages liegt hinter uns. Ich finde es eine gute Gelegenheit, den Tag so noch einmal intensiv Revue passieren zu lassen – das hilft nämlich auch gegen das graue Einheitsbrei-Gefühl. Kürzlich waren wir uns übrigens alle fünf in der extra-schön-Kategorie einig: Ganz klar Schlittenfahren am Deich bei blauem Himmel und Sonnenschein. 

YUMMIE! KOCHEN GEGEN FERNWEH: Neulich las ich von einem Redakteur der Süddeutschen Zeitung, dass er gerade gern „Stadt, Land, Suppe“ spielen würde. Er sagt dabei im Geist die Hauptstädte ferner Länder auf und assoziiert dazu die dazugehörige Suppe. Auch bei mir hilft Essen momentan gegen Fernweh. Bei uns stapeln sich jede Menge Länderküche-Kochbücher: Galettes und Steak Frites, für einen geschmacklichen Abstecher nach Frankreich. „Salagne“, wie meine drei ihre italienische Leibspeise nennen, um uns gedanklich zurück an den Gardasee zu beamen. Eine Pho, um mich an einsame vietnamesische Strände zu träumen. Und dann gibt es da noch eine ganz eigene Orient-meets-Okzident-Kategorie, die ich meinem Küchenhelden Yotam Ottolenghi zu verdanken habe. Seine spannende Crossover-Küche schmeckt einfach immer nach Sand unter den Füßen, Sonne im Gesicht und auch ein wenig nach Abenteuer, wenn ich mit Zutaten wie Za‘atar, eingelegten Zitronen oder Rosen-Harissa jongliere.

Mein Mann hat mir zu Weihnachten Ottolenghis „Simple“ geschenkt, in dem alles ein wenig schneller geht als in „Genussvoll vegetarisch“ oder „Jerusalem“. Und so durchkreuze ich das Lockdown-Allerlei aus Fischstäbchen/Milchreis/Nudeln/Pfannkuchen in letzter Zeit häufiger mit spannenderen Rezepten wie geröstetem Blumenkohl mit grüner Tahin-Sauce, Möhrensalat mit Joghurt, Granatapfel und Zimt oder gebackenem Spitzkohl mit Estragon und Pecorino. Und auch wenn die Kinder häufig lange Gesichter machen, wenn ich ihren kulinarischen Horizont derart erweitere: Kürzlich nahm mein Jüngster seinen ersten Bissen, kaute, strahlte und sagte „Das schmeckt aber lecker, Mama!“ 

Ich hab ein Blockflöten-Trauma.

EIN KLAVIER, EIN KLAVIER: Obwohl ich als Kind selbst freiwillig Flöte gespielt habe, würde ich meinen Kindern nie zu diesem Instrument raten. Klar vermittelt es einem Notenlehre. Aber – pardon – cool und sexy ist anders. Flöte ist einfach nicht wirklich Teen-kompatibel – meine Pubertät war dann auch das Todesurteil für mein Flötistinnen-Dasein. Über ein anderes Instrument habe ich danach nie ernsthaft nachgedacht. Bis jetzt. Denn seit ein paar Wochen wohnt hier ein wunderschönes Klavier mit 100 Jahren auf dem Kasten. Die beiden Großen wollten plötzlich dringend Klavier lernen, mein Mann seine eingerosteten Kenntnisse wieder aufpolieren, so kam eines zum anderen. Und ich war schockverliebt. Zugegeben, erst in den Anblick, so ein Klavier sieht einfach zu schön aus, strahlt Ruhe und Wärme und Behaglichkeit aus.

Aber da war noch mehr, ich ertappte mich immer öfters dabei, dass ich mich einfach dransetzte und aus dem Nichts anfing, Dreiklänge und Fantasy-Melodien aneinanderzureihen. Einfach, weil ich den Klang so schön fand. „Ey, Mama, das ist nicht dein Klavier“, beschwerte sich meine Tochter kürzlich schon und ich dachte plötzlich „Warum eigentlich nicht? Warum nicht gerade jetzt eine neue Sache wagen, die etwas in mir zum Schwingen bringt? Es ist so lange her, dass ich etwas ganz Neues gelernt habe, dass ich mich vielleicht auch prüfen möchte, ob ich das noch kann. Dranbleiben, mich auch mal durchbeißen. Und am Ende belohnt werden mit einer neuen Fähigkeit. Im Geiste sehe ich mich vierhändig mit meinen Kindern Hauskonzerte spielen. Bislang klimpere ich allerdings erstmal in deren Lerntempo bei der „Tastenzauberei“ und „Klavier spielen mit der Maus“ mit. 

Die Lähmschicht aufbrechen.

Meine Supererfahrungen müssen nicht eure sein. Sie sind individuell. Oft sind es aber die vermeintlich kleinen Begebenheiten, die im Herz Großes bewirken. Es ist nur wichtig, welche Bedeutungen wir den Dingen beimessen. Was immer gilt: Wir müssen unsere Komfortzone verlassen. Die dicke Lähmschicht aufbrechen, mit der uns die Pandemie  seit Monaten ummantelt. Das Schöne: manchmal reicht ein Pasta-Abendessen mit Adriano Celentano für das nötige Konfetti des Tages. 

Und was sind eure Supererfahrungen? Ich bin gespannt auf noch mehr Inspo!

Bleibt neugierig, 

Katia