Eigentlich hatte ich mir mit 14 geschworen, nie wiede Urlaub mit meinem Vater zu machen. Damals starb ich fast vor Scham, als er mich auf dem korsischen Campingplatz aus dem VW-Bulli ziemlich coooler Surfer Boys beorderte – und zwar mit den Worten: “Dieses Mädchen muss jetzt zurück zu seiner besorgten Mutter…” Okay, ich hatte mich damals heimlich davongeschlichen – und dennoch war es der vorerst letzte gemeinsame Familientrip. Bis ich es lange nach adoleszenter Abnabelung irgendwann wieder ziemlich schön fand, mit meiner Ursprungsfamilie zu verreisen – und seitdem fast jedes Jahr für ein paar Tage nur mit Papa und Schwester unterwegs bin…

Denn: Obwohl mein Vater mich damals bis auf meine Teenager-Knochen blamiert hat – wir hatten immer eine enge Bindung zueinander, wir alle vier. Unsere Familie war und ist ein Herzensort. Wir haben das gleiche Bedürfnis nach Geborgenheit und guten Gesprächen. Nach Nähe, Zuwendung, gemeinsamer Zeit.

Wie besonders das war, merkte ich früher oft erst im Abgleich mit Freunden, die mich um das gute Verhältnis zu meinen Eltern beneideten.

Meine Eltern hatten ein offenes Haus, ein offenes Ohr für jedermann – und ich war immer stolz darauf, so eine lässige Familie zu haben. Eine, zu der sich andere gern an den Tisch setzen, um zu essen, ein Glas Wein zu trinken, einfach nur zu reden. Begegnung bei Bolognese und Barolo. Im Alltag und im Urlaub.

Was leben im Hier und Jetzt bedeutet, das habe ich von meinen Eltern gelernt. Vielleicht, weil durch die Erkrankung meiner Mutter immer auch die Endlichkeit im Raum stand. Dass man Dinge, Menschen, Beziehungen nicht auf die lange Bank schiebt. Weil es vielleicht kein Irgendwann mehr gibt.

Und so haben wir stets aneinander festgehalten. Auch unseren erwachsenen Kontakt nicht nur auf Sonntagsessen mit Enkeln und Ehemännern beschränkt – sondern wieder und wieder kleine Inseln für unsere Ursprungsfamilie geschaffen. Immer dann, wenn wir Nachholbedarf haben: an Nähe, Zuwendung, gemeinsamer Zeit. Dann werden wir für die Dauer eines langen Wochenendes wieder zu der Familie, die wir mal waren.

Wo Familie nur Papa plus zwei Töchter meint. Und ich für ein paar Tage wieder jemandes Kind bin – und nicht ausschließlich Mutter und Managerin meines eigenen Familienlebens.

Es ist wie eine kleine Zeitreise: Beim jedem Papa-Schwester-Trip tauche ich für eine kleine Weile wieder in eine Welt, in der mich mein Papa wie früher bekocht (was er Köstliches am Herd zaubert, könnt Ihr auch hier nachlesen oder hier). In der meine Schwester und ich uns Bett, Bad und Outfits teilen. In der wir abends stundenlang bei Crémant Karten zocken und in alte Rollenmuster fallen.

So vertraut und dennoch immer wieder schräg, wie hartnäckig sich Gewohnheiten, Zuschreibungen und Wesenszüge in Familienstrukturen halten, obwohl wir alle längst erwachsen sind: Mein Vater, der regelmäßig Anekdoten-Pointen versaut, weil er schon vorher so laut lachen muss. Meine Schwester, die immer unsere Style-Queen ist – und dementsprechend Zeit im Bad beansprucht. Und ich, die immer den Ton angeben will – was wir unternehmen, welche Musik wir hören, wo und was wir essen.

Und doch ist es nicht das gleiche. Weil sich die Verhältnisse allmählich verkehren.

Weil ich nicht mehr 14, sondern 44 bin und mein Vater über 70. Weil die Dinge ein anderes Tempo haben, weil neue Rücksichtnahmen gefordert sind – nicht auf die Kinder, sondern auf die Eltern. Weil das Miteinander neue Pausen braucht, konditionell und charakterlich. Denn natürlich sind wir auch irgendwann angestrengt – weil wir es gar nicht mehr gewohnt sind, so viel Zeit mit den Macken und Mätzchen der anderen zu verbringen.

Es ist auch nicht das gleiche, weil immer jemand fehlt. Weil meine Mutter nicht mehr dabei ist, wie sie es früher einmal war. Es ist anders, schön anders, weil jetzt eine Bonusfreundin mit dabei ist, die unsere Familie mit all ihren Vorlieben, Besonderheiten und Insidergags kennt – und von Herzen gernhat. Die unsere Ursprungsfamilie neu komplett macht.

“Hier ruhen vier Schweine.”

Was ich an meiner Familie auch so mag: Wir können herrlich albern miteinander sein. Lachen – auch wenn es gerade eigentlich ein bisschen gemein, unpassend, peinlich ist – liegt in unserer gemeinsamen DNA. Auf dem Friedhof alte Grabinschriften entziffern und eben nicht “hier ruhen die Gebeine” lesen, sondern was von Borstenviechern. Ich mag, wie wir uns die Tage auf der Insel immer wieder prustend daran erinnern – bei jedem Foto vor einer Sehenswürdigkeit, bei jedem “Cheers” in der Strandbar auf die vier Schweine anstoßen.

Und wenn sich solche Momente immer noch als roter Faden durch unsere gemeinsame Zeit ziehen, dann kann ich auch locker über die Augenblicke hinwegsehen, in denen es doch mal knirscht. Wenn gerade die Luft raus ist, wenn jeder eine Pause von diesem komplexen Familiending braucht, das ein wilder Mix aus alten Emotionen, neuen Entwicklungen und großen Erwartungen ist.

Aber wir können uns eben auch lassen.

Nicht krampfhaft nach Gesprächen suchen, wenn gerade keiner reden mag. Nicht in blinden Aktionismus verfallen, wenn die Energie mal versiegt. Und so verstreichen in unseren Familienferien ganze Nachmittage damit, dass wir friedlich nebeneinander im Café sitzen, jeder mit einem Buch vor der Nase. Unsere Leseliebe war schon immer Lust und Flucht in einem.

“Das waren richtig schöne Tage”, sagt Papa am Ende – zu uns, vielleicht auch zu sich selbst. Und das finde ich auch. Weil wir jetzt unterwegs waren – und nicht irgendwann. Weil wir uns wieder nähergekommen sind, viel näher, als wir uns in den Stunden zwischen Essen und Enkeln sonst kommen. Weil wir Erinnerungen geschaffen haben. Weil wir alle wieder gespürt haben, was für eine gute Familie wir sind.

Und vielleicht auch, weil mich Papa diesmal vor keinem einzigen Surfer blamiert hat. Ich denke, es wird ein nächstes Mal geben.

Fahrt Ihr ohne Enkel-Anhang mit Eurer Herkunftsfamilie in die Ferien? Und was habt Ihr für Erfahrungen damit gemacht?

Alles Liebe,

Katia