Nun sitze ich am Küchentisch, trinke meinen zu heißen Kaffee und vermisse mein Kind. Mein Kind, das ein Stockwerk über mir in seinem Zimmer sitzt, was auch immer es da macht…

Ich rühre im Milchschaum und starre aus dem Fenster. Die Schule war wie immer, konnte ich seinem Brummen beim Mittagessen entnehmen, Hausaufgaben gab es keine, jedenfalls keine, von denen er wusste, und ihm ging es auch gut, wieso denn auch nicht, ganz normaler Tag halt, Mama, was gibt es denn da schon zu erzählen. Ich atme tief durch…

Ich weiß ja, dass er mir schon was erzählt, wenn es etwas zu erzählen gibt.

Meistens ist das abends, wenn er eigentlich schlafen soll und ich mich an sein Bett setze, um ihm eine gute Nacht zu wünschen. Wenn er dann da liegt, die Klamotten vom Tag quer auf dem Boden verstreut, dann sieht er wieder so klein aus. Aber das Wissen, dass er schon zu mir kommt, wenn es etwas zu erzählen gibt, ändert nichts daran, dass ich ihn vermisse, genau jetzt, wo ich eigentlich genau das mache, wovon ich in so vielen dieser Mama-Stressmomente geträumt habe: Ich trinke einen Kaffee, ganz in Ruhe, noch warm, ohne Geschrei um mich herum, ohne Forderungen an mich, und ein freier Nachmittag liegt vor mir.

Ich könnte jetzt in Ruhe arbeiten, den Geschirrspüler ausräumen, joggen gehen, lesen oder mit der Freundin von nebenan auf der Gartenbank sitzen. Könnte ich. Stattdessen klopfe ich erneut an die Tür meines Teenagers und frage, ob er mit mir Schach spielen möchte. „Mama, gerade nicht“, sagt er sehr höflich, aber bestimmt. Ist das nicht völlig paradox:

Da wartet man jahrelang auf diesen Moment, an dem all die Freiheiten wieder da sind, und wenn diese Freiheiten dann vor einem liegen, fragt man seinen Sohn, ob er nicht eine Runde Schach spielen möchte?

Das erste Loslassen geschieht schleichend.

Ich mache mir noch einen Kaffee, und während er durchläuft, überlege ich, wann das mit dem Abnabeln eigentlich angefangen hat. Es sind nicht nur die knallenden Türen, die sich schon vor den Teeniejahren ins Familienleben einschleichen. Das Ablösen setzt früher ein. Wenn sie nicht mehr einfach anziehen, was du ihnen kaufst, und schon gar nicht die abgelegten Klamotten vom großen Bruder.

Wenn sie dir die neuen Funktionen auf dem Handy erklären, und das in einer Geschwindigkeit, in der du dir das alles gar nicht merken kannst. Wenn sie die Bücher, die du ihnen aus der Bücherei mitbringst, mit spitzen Fingern in die Ecke legen. Wenn sie dir vor anderen keinen Kuss mehr zur Begrüßung geben und du auf gar keinen Fall, auf gar keinen Fall, hörst du, Mama, zärtlich ihre Haare verwuscheln darfst. Zum einen, um die Frisur nicht zu zerstrubbeln, aber vor allem, weil das peinlich ist. Von der Schule abholen geht gar nicht, und wehe, du wagst es, dichter als einen Meter neben ihnen zu stehen!

Vielleicht war auch der Tag, als meine Jungs das Klo hinter sich abschlossen, der Tag, an dem das Ablösen begann. Seitdem wird nicht nur der Schlüssel umgedreht, sie kommen auch erst nach Stunden wieder raus. Ein Rätsel, was sie dort eigentlich treiben. Überhaupt, diese Klosessions. Ich kann euch sagen:

Spätestens nach dem zehnten Geburtstag sollte man ein zweites Klo in die Wohnung einbauen.

Oder, wenn man mehr als ein Kind hat, gleich noch ein drittes Örtchen. Mag teuer sein und aufwendig, und Platz ist auch nicht vorhanden, aber glaubt mir, es lohnt sich, der dadurch verhinderte Streit ist jeden Euro wert.

Eines Tages, da schmeißen sie dich aus dem Bad raus, wenn sie duschen wollen. Und verlassen fluchtartig das Bad, wenn du Anstalten machst, dich fürs Duschen auszuziehen. Am Strand winden sie sich akrobatisch unterm umgebundenen Handtuch,
um die Badehose zu wechseln. Die Zeit, in der ich den Körper meiner Kinder kannte, ist vorüber. Zumindest bei den beiden Großen, aber wer weiß, wann meine Tochter im Schwimmbad nicht mehr mit mir in eine Umkleidekabine kommt? Bei Mädchen soll das ja bekanntlich alles noch früher losgehen.

All diese Dinge fangen plötzlich an, aber es sind alles Anzeichen dafür: Die Pubertät geht los.

Halt, stopp, korrigiere ich mich in Gedanken beim Wort Pubertät. Ich erinnere mich, dass ich es als Jugendliche gehasst habe. Als ich 13 war, konntest du mich damit jagen. Es hat in mir ein fast körperliches Unwohlsein ausgelöst. Pubertät, das hört sich so steril an, nach Gynäkologiebroschüren oder Arbeitsblättern aus dem Sachkundeunterricht.

Mir ist schon klar, dass es der korrekte Begriff für diese Lebensphase mit all ihren körperlichen, seelischen und sonstigen Veränderungen ist – aber für mich klingt immer diese sehr erwachsene Sicht auf die Jugend mit: Pubertät als Begründung für all die Probleme, Eigenarten und, ja, auch den Stress, den das Erwachsenwerden mit sich bringt. Gespickt mit einer deftigen Prise Adultismus.

Adultismus ist etwas, das Eltern ihren Kindern sowieso ersparen und allerspätestens zum Einsetzen der Pubertät völlig ablegen sollten. Es mag bei einem kleinen Kind vielleicht noch so sein, dass wir alles besser wissen – aber ab einem bestimmten Alter entspricht das schlicht nicht mehr der Wahrheit. Die größere Erfahrung, die Eltern qua Alter haben, machen Jugendliche mit Kreativität, Mut und Out-of-the-Box-Denken wieder wett.

Ein anderer Ausdruck von Adultismus ist der Versuch der elterlichen Kontrolle. Diese müssen wir – ob wir wollen oder nicht – in der Pubertät stückweise abgeben. Wir müssen nicht mehr alles wissen, was unsere Kinder machen (Stichwort: Nachrichten auf dem Handy checken sollte ein No-Go sein!), wir müssen nicht mehr alles gut finden, wir müssen nicht mehr alles erlauben. Und ja, zur Kontrolle gehört auch das Bedürfnis, sich ums Kind zu kümmern. Das ist ein ehrenwertes Bedürfnis:

Aber je älter die Kinder werden, umso mehr müssen sie sich um sich selbst kümmern. Sonst lernen sie es nie.

Dieser Text stammt aus dem Buch „Sag zum Abschied leise yippie“ von der Journalistin, Autorin und Dreifachmama Nathalie Klüver. Sie möchte uns darin Mut machen, nicht nur traurig zu sein, wenn die Kinder groß werden. Sondern uns um zu kümmern.

Mut statt Wehmut, Chance statt Krise! Mit ihrem amüsanten, warmherzigen und mit klugen Ideen und Fakten gespickten Ratgeber zieht sie uns weg vom Kinderzimmer und zeigt uns die Räume, die von nun an wieder uns gehören. Denn: Wir werden immer noch gebraucht, nur anders. Das Großwerden unserer Kinder genießen und loslassen üben – ein super wichtiges Buch! Hier geht’s zum Buch.

 

Nathalie