Oktober 2010: Blogs waren wenig populär, Instagram und Pinterest kannte noch niemand und mein erstes Kind war drei Monate alt. Mir war langweilig, ich war müde, fühlte mich isoliert und brauchte eine Beschäftigung. Ich kannte Blogs aus Amerika. “Vielleicht ist das was”, dachte ich. Ein Logo war schnell gezeichnet, die Domain noch frei. Ich hatte etwas, in das ich Herz und Kopf stecken konnte, wenn es gerade passte. Etwas, das nicht gleich schrie, wenn ich es mal nicht tat. Ich schrieb über alles, was mich interessierte: Stillfreundliche Cafés, schöne Parks, kinderfreundliche Hotels, Nähanleitungen, Reisen. Erst las niemand, was ich schrieb. Dann immer mehr…
Ein richtiger Job war das damals noch nicht. Blogs hatten als Werbeplattform noch keine Bedeutung. Es kam aber zunehmend vor, dass mir Dinge zugeschickt wurden, mit der Aufforderung, darüber zu schreiben. Behalten war mein Honorar. Am Anfang war es aufregend: Ich testete Zuckerwattenmaschinen, schrieb über süße Kinderkleider, las die neusten Kinderbücher und backte Kuchen in Eisenbahnformen. Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass meine Artikel ziemlich viel Arbeit für einen Gratisartikel war. Das Gefühl beschenkt zu werden, vernebelte mein Gefühl dafür, dass ich mir die Sachen auch einfach hätte selbst kaufen können. Aber niemand bestätigte das Gefühl. Der Beruf Influencer existierte nicht.
Bloggen galt maximal als Hobby, aber ganz sicher nicht als Arbeit.
Ich investierte mehr Zeit in meinen Blog. Eine richtig gute Kamera wurde mein ständiger Begleiter. Immer auf der Suche nach neuen Ideen, lief ich durch die Straßen. Ich reiste ich mit dem Baby los, um Hotels zu testen, besuchte klassische Konzerte für Babys, war in Kleinkindermalkursen, schrieb über Babypullover, die nicht selten 100 Euro kosteten und dokumentierte den Kindergeburtstag, die zweite Schwangerschaft, schrieb über Doulas, Schwangerschaftsyoga und Tipps für Silvester mit Kinder.
Mein Blog wurde bekannter. Meine Leserzahlen explodierten, mein Anspruch an den Blog wuchs. Es kam ein YouTube Kanal dazu, Instagram, Facebook, Pinterest und ein Twitteraccount. Im Sommer bastelte ich mit den Kindern Weihnachtsdekoration und im Winter Ostergeschenke. Sie sahen mich im Alltag und in den Ferien fotografieren, schreiben, sortieren, telefonieren. Ich war permanent am Pakete auspacken, arrangieren, ausprobieren – und ganz viel am Laptop. Ich war ständig angespannt, weil sich die Welt der Blogs rasant weiterentwickelte. Es gab ständig neue Trends, neue Möglichkeiten, die Webseite musste angepasst und neue Apps und Filter ausprobiert werden. Machte ich nicht mit, sah mein Blog ganz schnell alt aus.
Ich habe damals sehr viel gearbeitet – aber immer noch so gut wie nichts verdient.
Die Leserschaft wuchs weiter. Dennoch hatten weder ich, noch die Firmen damals eine Idee, was man für einen Blogbeitrag verlangen konnte. Viele fanden es unverschämt, wenn ich überhaupt etwas verlangte. Ich aber begann mich immer öfter zu fragen, warum ich mir den Stress machte, über teure Kindersachen zu schreiben, wo ich diese genau so gut wie vorher im Second-Hand Laden kaufen könnte. Die meisten Pakete die ankamen, ließen bald nicht mehr mein Herz schneller schlagen – sie trieben mir den Schweiß auf die Stirn.
Inzwischen hatte ich über 10000 Follower auf Facebook, über 20000 Aufrufe auf dem Blog am Tag – das war viel damals. Die Arbeit wuchs und wuchs und fast unbemerkt steckte ich in einem Full-Time Job. Dennoch trug ich beim Zahnarzt in der Berufsspalte nie Blogger ein. Einmal schrieb ich Online-Journalistin – und fühlte mich ganz schön überheblich.
Meistens arbeitete ich, wenn die Kinder schliefen. Aber auch tagsüber, auch in den Ferien. Wenn wir alle zusammen etwas unternahmen, war ich in Gedanken eigentlich immer beim Blog.
Die Bedeutung von Blogs nahm zu, ich wurde auf immer größere Events von immer größeren Firmen eingeladen. Die Events waren schön – aber es wurde als Gegenleistung auch immer ein Artikel erwartet. Verwöhnt werden gegen veröffentlicht werden war der Deal. Es hat Spaß gemacht rauszukommen. Gerade mit Kind. Und ich bekam immer mehr Anerkennung. Dennoch fühlte ich mich oft seltsam einsam.
Die Jahre gingen dahin, meine Kinder wurden größer. Sie brauchten plötzlich Hilfe bei den Schularbeiten, hatten Hobbies und Freunde da – es war zunehmend schwerer, einfach nebenbei zu arbeiten. So arbeitete ich noch mehr abends, nachts und am Wochenende.
Ich sah inzwischen die ganze Welt durch die Bloggerbrille: Jeden Sonnenuntergang, jeden Schlittenausflug, jeden selbstgebackene Kuchen checkte ich: War er hübsch genug? Passte die Tischdecke zum Kuchen? Die Deko auch? War sie neu? Ungesehen? Was war mit meiner Bluse? Den Hosen unserer Familie? Passte alles zusammen?
Ein Ausflug aufs Erdbeerfeld war nicht nur ein Ausflug – sondern immer auch ein Job.
Die ganze Themensuche, der fehlende Feierabend, die ganzen Pakete erzeugten bei mir immer mehr Druck. Alles war eine Belastung. Ich sehnte mich danach, aufzustehen und keine Themen entwickeln zu müssen. Einfach mal einen Ausflug zu machen – in zerknitterter Hose und fleckigem Pulli. Auf der anderen Seite wurde es immer langweiliger: Nach dem sechsten Mal Ostern waren Osterideen für mich nicht mehr wirklich spannend. Alles war schon dagewesen. Pinterest zu öffnen stresste mich total. Vielleicht wäre ich länger motivierter gewesen, wenn ich wie heute richtige faire Honorare damit hätte verdienen könnte. Vielleicht hätte es mich aber auch noch mehr gestresst.
Im Sommer 2014 erlaubte ich mir eine Pause. Die Leserinnen fanden das toll und wünschten mir einen schönen Sommer. Ich aber fühlte mich plötzlich nutzlos. Unsichtbar. Plötzlich fehlte mir die Rückmeldung. Bei jeder Sache, die ich tat, war ich kurz davor, etwas darüber zu posten. Es war ein bisschen so, als hätten all die Erlebnisse und Ausflüge keine Bedeutung, wenn ich sie nicht publizierte. Ich fand diese Einsicht erschreckend.
Mein Leben fühlte sich leer an ohne die Likes für unser Sommerpicknick, das Ferienhaus mit Pool und die Geburtstagstorte. Obwohl es befreiend war, war es schwieriger auszuhalten, als ich dachte. Likes machen süchtig. Soviel Zuspruch hatte ich in keinem meiner Jobs zuvor. Und in keinem danach.
Am Ende der zwei Monate hatte ich mich aber entwöhnt. Mir war plötzlich klar, dass mir der Preis für meinen Erfolg zu hoch war. Es gab keinen konkreten Auslöser, es war mehr ein Gefühl, dass es reichte. Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt einen Blog zu beenden.
Ein einziger Klick und fünf Jahre Arbeit sind weg.
Das ganze ist jetzt über fünf Jahre her. Ab und zu vermisse ich es. Auch die Kinder fragen immer noch ab und zu nach neuen Paketen oder Einladungen in Hotels. Und ja, ich vermisse all die positiven Rückmeldungen zu meinen Ideen. Was ich nicht vermisse, sind die vielen Stunden am Computer. Und die Popularität. Ich genieße es, unbekannt durchs Leben zu gehen. Und ich bin froh, dass ich es nicht mehr aushalten muss, dass Menschen die Kommentarfunktion missbrauchen, um ihren persönlichen Frust loszuwerden. Am meisten genieße ich es, ein schönes Erlebnis bloß mit meiner Familie zu genießen. Mit dem Kopf zu fotografieren – statt mit der Kamera.
Heute folge ich ein paar wenigen Blogs und staune immer wieder über die Professionalität, das Herzblut, die wunderschönen Bilder und die gut recherchierten Texte. Ich sehe aber auch die Arbeit, die da drin steckt. Ich möchte nicht tauschen.
Been there, done that.
PS. Auf Wunsch der Autorin haben wir ihren Namen geändert.
Wäre der Job was für dich?
Für mich wäre es auf gar keinen Fall was. Ich bin in sozialen Netzwerken so gut wie gar nicht aktiv, nutze selbst weder twitter noch insta. Und denke: ein Glück! Das einzige, was ich manchmal mache: einen Status bei Whatsapp einstellen. Den können ja nur meine privaten Kontakte sehen, und da merke ich schon, wie ich oft ans Handy gehe und checke, wer den so angesehen hat. Und dass das tolle Foto vom Ausflug fast schon so wichtig wird wie der Ausflug selbst. Und das ist ja irgendwie traurig.
Was mich echt interessiert ist, warum Leute das machen. Warum es so wichtig ist, zu zeigen, wie toll man das alles macht, wie süß die eigenen Kinder sind, was sie alles erleben usw. Ich schaue mir das teilweise sehr gern an, manchmal finde ich es toll, aber ist es echt, authentisch? Oder geht es eher um Produkt-placement und den nächsten finanzierten Urlaub? Was ist die Motivation dahinter? Das interessiert mich sehr.
Vielen Dank für deinen spannenden Kommentar. Ich weiß nicht, ob deine Fragen mich ansprechen, aber ich versuche sie einfach mal zu beantworten. Ich stecke ja schließlich auch mittendrin in diesem Business.
Ich habe dieses Blog vor über sechs Jahren gegründet, weil ich meine Projekte während der Elternzeit dokumentieren wollte und weil mir als ehemaliger Redakteurin das Schreiben fehlte. Nicht im Traum habe ich gedacht, dass ich damit mal Geld verdienen würde.
Ich begann mit Diy-Anleitungen – völlig naiv bin ich da drangegangen. Habe mit einer uralten Digitalkamera grottenschlechte Fotos gemacht. Es haben maximal ein paar Freunde gelesen.
Ich habe aber das Schreiben wieder entdeckt. Ich konnte Texte verfassen, zu allem was mich interessierte. Und zwar ohne dafür Themenpläne in Redaktionen einzureichen und meistens abgelehnt zu werden, weil jemand aus der Stadt schneller war.
Ich schrieb immer öfter auch mal persönliche Texte, über all das, was mich bewegte. Und plötzlich stiegen die Zahlen. Die Leute schätzen das: Echte Menschen, aktuelle Gedanken, ungefiltert durch einen Redaktionsplan und diverse Kontrollschreibtische. Es war schnell, es war echt. Es half mir dabei, meine Gedanken zu strukturieren und baute mir eine richtig tolle Leserschaft auf. Es machte Spaß.
Mit den Jahren arbeitete ich immer mehr an der Optik, an den Fotos. Ich merkte, was für großartige Chancen so ein Blog bietet. Nämlich die, mein eigenes Magazin daraus zu machen. Aber ja, der Hochglanz-Aspekt setzte mich unter Druck. Natürlich zeigt man sich lieber gut belichtet und abgepudert. Aber das nimmt die Lockerheit. Ich habe keine Probleme damit, meine Familie zu zeigen, solange es in einem Kontext geschieht, in dem wir uns wohl fühlen. Allerdings wurden meine Kinder größer und sie sind oft einfach nicht mehr da oder haben keine Lust, um mit mir etwas zu basteln oder etwas zu shooten. Meine Familie ist also immer noch die Inspiration für viele meiner Geschichten – aber es dreht sich nicht alles um sie. Und ich nehme mir mehr und mehr den Druck nach ewig perfekten Fotos. Klar, Kunden brauchen sie, letztlich lebt dieses Magazin wie jedes von Werbung. In dieser Hinsicht sind sie wichtig. Aber hier geht es vor allem um Themen und Texte – das nimmt mir als Texterin eine Riesenlast von den Schultern. Was gar nicht ausschließt, dass ich oft richtig viel Spaß beim Fotografieren haben kann. Es liegt aber nicht der Hauptfokus drauf. Ich erlaube mir immer mehr Schnapsschüsse. Und ich freue mich tausendmal mehr über ein Kompliment zu einem Text, als über eins zu meiner (süßen, coolen, lässigen?) Familie.
Ich habe mir inzwischen mehrere Standbeine aufgebaut. Das meiste davon habe ich diesem Blog zu verdanken. Inzwischen haben wir eine Redakteurin eingestellt, tolle Kolumnistinnen, arbeiten regelmäßig mit zwei Fotografinnen zusammen. Dieser Blog wird mehr und mehr ein Magazin. Das nimmt viel Druck von uns als Familie. Ich passe höllisch auf, dass es dennoch nicht unpersönlich wird, weil ich denke, dass uns genau das ja von all dem Hochglanz unterscheidet. Ich will echte Geschichten schreiben, das ist es was ich liebe, was mich antreibt, weswegen ich abends oft aufgeregt im Bett liege und vor lauter Adrenalin nicht schlafen kann. Ich liebe einfach gute Geschichten.
Ja, das hier ist einer meiner Traumjobs. Und ich finde es großartig, was für Möglichkeiten er einem bietet. Man muss sich bloß ständig hinterfragen, welchen Trend man mitmachen will. Aber das muss man wohl in jedem Job. Ich wüsste ganz genau, wie ich in kürzester Zeit weit über 100.000 Instagram-Follower haben könnte. Aber das wäre nicht die Arbeit, die mich dauerhaft glücklich machen würde… Was nicht heißt, dass ich mich über Likes nicht höllisch freue. Dieses direkte Feedback kann tatsächlich ein bisschen süchtig machen. Damit Instagram nicht der Regisseur meines Lebens wird, lösche ich es sogar jedes Wochenende und jede Ferien vom Handy.
Beantwortet das deine Fragen ein wenig?
Alles Liebe und schön, dass du da bist,
Claudi
Vielen Dank für Deine nette Antwort. Das beantwortet meine Frage nach Deiner Motivation sehr ausführlich. 😏 Schön, dass Du da so Dein Ding gefunden hast.
Der Artikel spricht das an, was ich genau als Gefahr ansehe bei sozialen Medien-die Sucht nach Anerkennung und das ständige Suchen nach perfekten, passenden Inhalten.
Irgendwie auch die Kontrolle über das eigene Perfekt-sein. Wenn ich mir heute meine alten Fotoalben aus den 90ern ansehe: ohne Filter, zufällig, verwackelt, nur die Hälfte drauf, dann bin ich glücklich, dass ich mich in meiner Jugend nicht dauernd mit insta -Profilen verglichen habe, dass ich freier war in meiner Bilderästhetik als ich es heute bin.
Ich schütze mich, ähnlich wie meine Vorrednerin (s.oben) auch, indem ich mich fernhalte, weil ich weiß wie sehr die soziale Bestätigung auf sozialen Kanälen meine Gedanken beeinflusst und ich das nicht möchte.
Danke für den tollen Artikel!
Das stimmt, das denke ich auch manchmal! Die armen Jugendlichen. Ich hoffe, es bilden sich auch in dieser Zielgruppe alternative Social-Medien heraus.
Accounts abseits des Einheitsbreis, die den Jugendlichen ein gutes Gefühl geben.
Liebe Grüße,
Claudi
Genau das will ich nicht. Auf keinen Fall ! Ich mag genau das Instagram auch nicht mehr. Gerade ist Fastenzeit und ich habe Instagram vom Handy entfernt und siehe da: es fehlt mir nix. Nur bei einigen wenigen Kontakten tut es mir leid. Aber an sich? Nicht. Ich verpasse ja nichts. Ich schreibe immer noch meinen Blog. Einen öffentlich seit Corona und einen privat. Das ist an sich Arbeit genug. Aber ich möchte damit keine Werbung für etwas machen müssen. Und ich hatte auf Instagram auch Anfragen. Nein, das will ich nicht. In diese Pflicht will ich nicht rein. Ich berichte gerne aus dem Großfamilienalltag. Zeige gerne etwas ausgewähltes. Aber ich will es nicht müssen und ich will nicht ständig dran denken müssen.
Also nein kein Job für mich.
Die Großfamilienmama
Das ist super, dass du so genau weißt, was du willst.
Weiterhin viel Spaß bei deinen Projekten und alles Liebe,
Claudi
Danke für den EHRLICHEN Einblick an Lara im Blogartikel und an Claudi (Kommentar um 15:18UHR). Denn genau diese Fragen stelle ich mir oft, wenn ich über euer Tun nachdenke.
Als Nicht-Bloggerin/Nicht-Instagrammerin eröffnet ihr mir neue Themenfelder, ermöglicht mir stellvertretende Erfahrungen und inspiriert mich ungemein!Danke!!! UND gleichzeitig bleibe ich “skeptisch” … in dieser “digitalen” Welt entstehen eben auch diese Spannungsfelder zu den Themen “Flucht aus dem analogen/realen Leben”, “Streben nach Perfektion”, “mehr Schein als Sein” , “Entstehen von Neid”, “Fragen der Privatsphäre”… Alles sicherlich nicht neu für euch:-) Aber dennoch müsst ihr “Bloggerinnen” und wir “Rezipientinnen” uns “medienkompetent” diesen Fragen stellen und dann – so bin ich mir sicher – können wir eure Blogs genießen!!!!!!
Danke für den tollen Artikel. Ich finde es echt mutig,dass Lara Abschied von all dem nehmen konnte. Ich bin froh, all diesen Druck nach Perfektion nicht zu haben.
Aber auf der anderen Seite genieße ich es mich auf Insta inspirieren zu lassen und Einblicke in den Alltag anderer zu bekommen.
Und Claudi, ich liebe deinen Blog wirklich. Vorallem weil er so persönlich ist. Und ich hoffe, dass es noch lange so weiter geht.
Liebe Grüße Leni