Kürzlich dachte ich über dich nach, das erste Mal seit längerem. Und fragte mich: Habe ich dich jemals wirklich gesehen? Mit Wertschätzung behandelt? Mit Dankbarkeit? Du bist mein engster Vertrauter, meine Stütze, solange ich denken kann. Du erträgst meine Launen, Macken, mich. Du nimmst mich wie ich bin. Ich nehme dich für selbstverständlich. Seit 43 Jahren. Ich verlasse mich auf dich, immer. Es ist Zeit, endlich Danke sagen. Denn du bist ich. Ich bin du. Mein Körper…

Wir haben eine lange Geschichte, wir zwei. Mal war’s eher ein Drama, mal eine Komödie, eine Romanze eher nicht. Aber ich habe immer zu dir gestanden, auch wenn ich dich manchmal gern verändert hätte. Dann warst du mir zu viel, manchmal zu wenig, selten genau gut. Warum nur? Du hast mich gehalten, geformt, mich angespornt. Du hast mich verlässlich durch Freude und Fantastereien getragen, durch Kummer und Krankheit. Mit dir bin ich gewachsen, manchmal sogar über mich hinaus.

Als ich jünger war, wollte ich immer 100 Prozent von dir, Leistung, Kraft, Schönheit. Schwäche war in unserer Beziehung nicht vorgesehen. Ich nahm es dir übel, wenn du nicht so wolltest wie ich. Beim Weitsprung, beim Lernen, auf dem Catwalk des Lebens. Du warst immer nachsichtig mit mir.

Es gab eine Zeit, da habe ich mich nicht gut um dich gekümmert.

Hab dich mit Junkfood abgespeist, dir zu wenig Schlaf und Erholung gegönnt. Dich in langen Partynächten einfach links liegen lassen, dir lachend Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen. Mir noch einen Drink bestellt – und dir den Kater. Hab es dir trotzdem übel genommen, wenn du als Retourkutsche dunkle Ringe unter den Augen serviert hast. Heute wäre deine Rache viel übler, das weiß ich wohl.

Als ich Kinder wollte, warst du das erste Mal nicht bei mir. Hast mich ignoriert, meinen damals sehnlichsten Wunsch. Ich war fassungslos. Ich war wütend. Ich war verzweifelt. Wie konntest du mir diesen Freundschaftsdienst verweigern? Wie konntest du mich einfach hängenlassen? Damals habe ich wohl das erste Mal richtig verstanden, dass unsere Beziehung nicht nur ein Nehmen sein kann. Dass auch ich geben muss, damit wir gemeinsam funktionieren. Das wir ein Team sein müssen, um weiter gut durchs Leben zu gehen.

Du hast mich damals noch ein wenig zappeln lassen. Mich ein wenig mehr Entschleunigung und Geduld lernen lassen, bevor du mich mit meiner ersten Schwangerschaft überrascht hast. Dann mit meiner zweiten. Und – hoppla – der dritten auch noch. Seitdem ich Kinder habe, ist mir klar, wie großartig du wirklich bist: Wie du vollkommenes Leben hast entstehen lassen. Wie du drei Babys geboren hast mit einer Selbstverständlichkeit, die mir den Atem verschlagen hat. Wie du seither Schlaf- und Nervenmangel erträgst, ohne zu kollabieren. Obwohl ich für dich weniger Zeit als jemals zuvor habe, bist du immer an meiner Seite. Wenn auch nicht mehr so belastbar wie früher.

Aber ich bin milder geworden mit dir.

Ich nehme es dir nicht mehr krumm, dass du dich veränderst. Dass du Falten hast, Dellen, Narben und Rundungen, die ich vor 20 Jahren als Zumutung empfunden hätte. In dir ist jetzt die Landkarte meines Lebens eingeschrieben. Und die ist einmalig.

Heute habe ich Respekt vor dir. Vor dem, was du täglich leistest. Dass du mich immer noch und immer wieder raushaust, wenn ich ins Schlingern gerate. Ich weiß mittlerweile, dass das nicht selbstverständlich ist. Dass unsere Beziehung nicht ohne Kompromisse funktioniert, dass die gegenseitige Abmachung gilt, füreinander da zu sein. Aufeinander achtzugeben. Miteinander weiter zu gehen.

Ich sehe nicht mehr auf dich herab, nicht mehr durch dich hindurch. Ich sehe dich. Du bist gut so, wie du bist. Du bist schön.

Und wie steht ihr zu eurem Körper?

Foto: Louisa Schlepper

Katia