Erinnert Ihr Euch auch noch an die Stille, als die Kinder nach wochenlanger Quarantäne endlich morgens wieder das Haus verließen – und Ihr plötzlich allein wart? Für mich war das ein Schlüsselmoment: Allein mit mir, meinen Gedanken, meinen Gefühlen. Für fünf Stunden nicht in ständiger Habachtstellung zu sein, um andere Bedürfnisse zu befriedigen, andere Emotionen zu befrieden. Auch wenn ich ansonsten ein recht geselliger Mensch bin: Manchmal darf sich die Welt getrost für eine Weile nur um mich drehen – damit ich wieder ich werden kann…


Ich war schon sehr gern nur für mich, lange bevor ich Mutter wurde. Ist eine Typ-Sache. Manche Dinge habe ich einfach schon immer gern allein gemacht: in der Natur sein, Auto fahren, ins Kino gehen. Natürlich geht das alles auch gut in Gesellschaft. Aber gemeinsam mit anderen fällt es mir viel schwerer, meine eigenen Gefühle zu prüfen, meine eigenen Gedanken zu hören. Vor allem die, die nicht direkt unter der Oberfläche des trubeligen Alltags liegen. Nicht die naheliegenden o-Gott-ich-bin-zu-erschöpft-für-ungefähr-alles-Gefühle. Und auch nicht die Mist-ich-wollte-doch-noch-das-Geschenk-für-den-Kindergeburtstag-besorgen-Gedanken.

Die lebensgewichtigen wo-stehe-ich-eigentlich-gerade-(und-warum-fühl-ich-mich-jetzt-so-)Fragen stelle ich mir eher, wenn ich allein bin.

Und dafür brauche ich deutlich länger als die Dauer eines Klogangs, für den man sich für fünf Minuten vor den Kindern wegschließt. Dafür braucht es eine echte Verschnaufpause und die Gewissheit für einen längeren Zeitraum ungestört zu sein. Eine Zeit, in der das Handy in der Tasche oder am besten gleich ganz zuhause bleibt – je weniger potenzielle Ablenkung, desto besser.

Ich muss beim Alleinsein aber nicht zwingend immer mein Leben auf Spur bringen. Ich bin auch gern aus viel banaleren Gründen für mich: Weil alleiniger Schlaf für mich deutlich erholsamer ist als sich mindestens zu dritt ins Elternbett zu quetschen. Weil allein ins Kino zu gehen bedeutet, dass ich den Film anschließend nicht sofort zerreden muss. Weil allein essen für mich heißt, endlich mal zu merken, was eigentlich auf meinem Teller liegt.

Alleinsein heißt häufig, achtsamer zu sein. Mit sich, mit der Welt um einen herum.

Ich höre beim Spaziergang mit mir selbst eher die Vögel zwitschern und das Rauschen der Bäume, als wenn ich mich die ganze Zeit auf ein Gespräch mit meiner Freundin fokussiere. Sitze ich allein im Café, nehme ich meine Umgebung viel genauer wahr, als wenn ich nebenbei die Kinderschar zur Räson bringe. So gesehen wechsle ich beim Me-Myself-and-I-Solo vom Funktions- in den Erlebnis-Modus – und das ist für mich essenziell.

Das Schöne ist: Diese Auszeiten sind – zumindest außerhalb von Quarantänen und Lockdowns – meist kein unerschwinglicher Luxus, sondern eher eine Frage der Priorisierung: Will ich auf der Autofahrt jetzt eine halbe Stunde mit meiner Schwester quatschen – oder höre ich mir lieber selbst zu? Muss ich mich beim Kaffee auf der Terrasse nebenbei durch meinen Insta-Feed arbeiten – oder mach ich einfach die Augen zu und kümmere mich um meine eigenen Befindlichkeiten?

Natürlich ist Alleinsein vor allem dann schön, wenn es selbst gewählt ist.

Wenn allein nicht einsam bedeutet. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als ich unfreiwillig Single war, während sich alle Freunde um mich herum munter paarten. Da fühlte es sich nicht sonderlich gut an, allein durch die Straßen zu laufen, auf den Flohmarkt, ins Café zu gehen. Da hätte ich verdammt viel um weniger Me-Time gegeben.

Alleinsein fühlt sich auch nicht gut an, wenn man jemanden oder etwas vermisst. Als ich für mein Volontariat über Monate an fremden Orten arbeiten musste, als mir mein Freund und meine Stadt furchtbar fehlten, bin ich nur aus Mangel an Alternativen allein in Museen oder auf Radtouren gegangen. Und doch: Manche dieser Solo-Aktivitäten haben sich nachträglich nostalgisch eingebrannt – so sehr, dass ich ihr Fehlen tatsächlich vermisse: Ich würde wahnsinnig gern mal wieder stundenlang allein Bahn fahren und dabei tagträumend aus dem Fenster starren. Oder mit viel Muße einen ganzen Tag allein eine fremde Stadt erkunden.

Ich bin froh, dass ich heute die Wahl habe: Dass ich mich als Teil einer Gemeinschaft oder als Einzelperson fühlen kann.

Dass ich einem Paar angehöre, einer Familie, dass ich Mutter, Schwester oder Freundin bin – und trotz allem auch manchmal einfach nur ich. Gerade müssen die fünf Stunden am Vormittag, die Jogging-Runde, die Kino-Auszeit am Abend für mich allein reichen. Aber ich flirte derzeit noch mit der Königsdisziplin des Alleinseins: Einem Urlaub nur mit mir.

Eine enge Freundin war gerade zwei Monate auf Solo-Tour in Spanien – und sagt, dass es die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen ist. Ich würde mich für den Anfang auch mit einer Woche zufriedengeben. Ob ich es dann wirklich genießen könnte? Oder wäre ich statt glücklich allein nur irgendwie einsam? Ich werde es herausfinden – und Euch wissen lassen…

Wann und wo seid Ihr gern für Euch allein?

Alles Liebe,

Katia