André grinst bloß. Immer dann, wenn ich mal wieder Baller-Filme im Kopfkino sehe und losschimpfe. Dabei spielt hier noch keiner. Außer eben in meinem Kopf. Dort sehe ich meine Jungs, mit starrem Blick vor dem PC. Es rummst und wummst. Sie sind nicht mehr ansprechbar. Nie mehr. Schrecklich ist das, sage ich euch. Mein Mann hats leicht. Der sieht nie Filme im Kopf (bloß Zahlen und Paragraphen). “Beruhig dich doch mal!”, sagt er dann. Und ich ranze: “Ich will mich aber nicht beruhigen.” Das Thema Computerspiele ist hier schon Thema, obwohl Computerspiele noch gar kein Thema sind…
Computerspiele, Medienzeit für Kinder, darf mein Kind Computer spielen, Mindcraft, Fortnite
Ich weiß nicht, ob es vielleicht so ein Lehrerding ist. Vielleicht habe ich schon zu viele Morgenkreise erlebt, in denen Kinder nur vom Rumballern auf der Wii erzählt haben. Oder sich beim Theaterstücke schreiben in keine anderen Figuren reindenken konnten, als in die von Minecraft. Vielleicht habe ich zu viele Kinder gesehen, die jede Pause ein bisschen zu wild über den Schulhof rangeln, weil sie Fortnite nachspielen. Vielleicht habe ich auch einfach einen Schreck bekommen, als ich einmal meine Kinder vor einem Computerspiel auf dem Laptop beobachtet habe.

Das war an einem Sonntag und wir hatten Besuch gehabt. Ein befreundet Pärchen mit einem Baby und einem Vierjährigen waren da. Meine beiden Kleinen spielten, beziehungsweise lagen mit den Besucherkindern herum. Meine beiden Großen waren gelangweilt. Es war schlechtes Wetter, seit Tagen, irgendwann waren alle Hörspiele ausgehört, André und ich wollten uns in Ruhe mit unseren Freunden unterhalten, wir hatten sie lange nicht gesehen. Mein Großer hatte erst Mathe-Pirat am PC gemacht, dann ein paar Fragen zu einem Buch auf Antolin ausgefüllt. Beide waren maulig. Ich glaube, ich wars, die fragte: “Oder wollt ihr was Kleines auf dem Computer spielen…?”

Klar wollten sie. Was dann kam, hat mir Angst gemacht, das sag ich ganz ehrlich. Ich machte den beiden Großen irgendein kleines Computerspiel an, ich glaube eins auf der Seite von “Die Sendung mit der Maus.” Sie fingen an – und wollten nicht mehr aufhören. Starten gebannt auf den Bildschirm, absolut gefesselt. Nicht nur das: Alle anderen Kinder im Raum spielten von diesem Augenblick nicht mehr. Sie starrten auf das Tablet. Ich hätte mich in Ruhe mit unseren Freunden unterhalten können – konnte es aber nicht. Ich fühlte mich hilflos und ohnmächtig angesichts dieser digitalen Faszination. Ich habe das Spiel nach einer Weile wieder ausgemacht. Nachdem der eine noch mal Tasten drücken durfte, und der andere noch mal. Und noch mal. Nach Gemotze und Gemaule. Auch noch in den nächsten Tagen. Beinahe halbstündig wurde nach Spielen auf dem Bildschirm gebettelt. Ich machte dicht. Das Laptop und mich. Ich entschied: Bei uns würde es keine Computerspiele geben. Punkt.
Machen Computerspiele aggressiv?
Süchtig werden, abkapseln, in der Schule versagen – ganz genau das sind meine Ängste in Sachen Computerspiele. (Hier habe ich darüber geschrieben, dass Social Media mir gar nicht so viel Angst macht. Vielleicht weil ich in dem Bereich arbeite. Filme übrigens auch nicht.) Nicht nur mir meint Katja Seide, die den empfehlenswerten Blog “Gewünschtestes Wunschkind” schreibt bei ihrem Vortrag auf dem Info-Abend über Kinder und Medien organisiert durch die Blogfamilia vor einer Weile in Hamburg. Aber…

Wie auch schon Medienexperte Thomas Schmidt, Chefredakteur des Skoller, ein Medienmagazin für Kinder, sagt auch sie: “Angst ist nie ein guter Erziehungsberater.” Und erklärt dann erstmal, wie es überhaupt zu einer Sucht komme. Studien zufolge sind überhaupt nur 6 Prozent der Bevölkerung akut Computer-Sucht gefährdet. Warum? Weil nur Menschen süchtig würden, die dass Gefühl hätten nicht, oder nicht mehr Teil einer Gemeinschaft zu sein. Wir alle wollen geliebt werden und spüren, dass wir geliebt werden. Und zwar genau so, wie wir sind. Das Lieben müssten übrigens nicht zwingend die Eltern sein, es können auch Großeltern, Erzieher oder sogar Freunde übernehmen.

Hat jemand allerdings gar nicht das Gefühl geliebt zu werden, werde automatisch versucht, diesen Mangel durch Ersatzbefriedigungen auszugleichen. Das können zum Beispiel Punkte bei einem Computerspiel sein. Oder Likes auf ein Instagram-Foto. Dabei erfahre man schließlich auch Wertschätzung, das Gehirn stufe diese aber von selbst als weniger Wert ein, als die Wertschätzung echter Menschen, daher verpuffe ihre Wirkung viel schneller. Man lechze also nach mehr Punkten. Oder neuen Likes. Ist aber das Grundbedürfnis nach Liebe befriedigt, komme es so gut wie nie zu einer Sucht.

Und wie ist es in Sachen Aggressivität? Sind Kinder und Jugendliche, die lange vor dem Fernseher oder dem Computer saßen, nicht wirklich oft unausgeglichen und aggressiv? Das könne gut sein, erklärt Katja Seide. Aggressive Impulse gingen im menschlichen Gehirn nämlich immer durch ein Kontrollzentrum. Dort werde Verhalten geprüft. Dort würden Impulse gezügelt. Bei kleineren Kindern bis zum Grundschulalter funktioniere diese Kontrolle noch nicht. Sprich: die ganz Kleinen führten jeden Impuls sofort aus. Auch bei Kindern im Grundschulalter entwickle sich das Kontrollzentrum, der Präfrontaler Cortex, erst noch. Arbeit am PC, Alkohol und übrigens auch Müdigkeit hemmen die Kontrolleigenschaft im Gehirn übrigens auch bei Erwachsenen. Wir reagieren ungefilteter. Kennen wir alle, oder? Zu schimpfen, weil Kinder schimpften, wenn der Fernseher oder Computer ausgeschaltet werden soll, sei also ziemlich unsinnig. Schließlich könnten sie nichts dafür.

Zum Amokläufer würden Kinder deshalb aber noch lange nicht, betont Katja Seide. Denn damit so etwas passieren könne, müssten drei Voraussetzungen aufeinandertreffen: a) eine Umgebung, die Gewalt im großen Stil normalisiert. b) ein unaufgearbeitetes Trauma sowie c) ein leichter Zugang zu Schusswaffen.

Ein wenig Maulen nach dem Beenden eines Computerspiels sei also durchaus normal. Manche Kinder könnten damit besser, andere weniger gut umgehen. Was wie immer hilft ist: Reden. ch kann meinem Kind sehr gut zu einem späteren Zeitpunkt erklären, warum ich etwas erlaube oder nicht erlauben möchte. Freundlich. Auf Augenhöhe.

Katja Seides Kinder, zwei ältere Töchter und ein Sohn im Grundschulalter, haben übrigens uneingeschränkten Zugang zu Medien, einfach weil es bei ihnen funktioniere. Mit ein paar Regeln: Beim Essen und abends blieben die Handys aus, beziehungsweise außerhalb des Schlafzimmers. Es würde nicht gedaddelt oder gesurft wenn Freunde da sind (wisse schließlich niemand, was die für Regeln hätten). In den Ferien gebe es eine mehrtägige Computer-Internet Auszeit. Damit Langeweile aufkommen könne. Weil die Kreativität entfache.

Warum es diese Einschränkungen dann doch gebe? Weil Handys und Computer Zeitfresser seien, betont Salde. Und weil unser Gehirn wissenschaftlich bewiesen darauf ausgelegt sei, etwa fünfzig Prozent des Tages tagzuträumen. Wer in jeder freien Minute zu seinem Handy greife, beraube sich der Tagträumerei. Es ist noch nicht erforscht, was das mit unseren Gehirnen mache. (Wir – auch wir Erwachsenen – sollten es vielleicht nicht darauf ankommen lassen und öfter mal das Handy weglegen.)
Medienzeit für Kinder, Computerspiele
Und noch was, ganz wichtiges: Wer den ganzen Tag surfe und daddele könne keine Abenteuer erleben. Abenteuer aber sind extrem wichtig für Kindergehirne. Kinder lernten dadurch ihren Körper, ihre Seele und die Welt kennen. Leider dürften Kinder heute oft keine Abenteuer mehr erleben. Sie seien dauerbespaßt, dauerentertained. Dürften nicht mehr allein zur Schule gehen, nicht auf Bäume (oder Klettergerüste) klettern, würden per App oder Kinderuhr überwacht. Weil Kinder aber instinktiv spürten, dass sie Abenteuer bräuchten, holten sie sie sich notfalls auf dem PC. Drastisch gesagt nach dem Motto: “Abenteuer her – oder ich zocke.”

Und wie handhabe ich das Thema Computer und Medien nun bei uns? Fest steht: Dieser Info-Abend hat viel mit mir gemacht. (Meine Söhne sollten Dankeskarten hinschicken…) Ich schimpfe nicht mehr gleich los. Ich habe immer noch Angst, aber lasse mich nicht von ihr überrumpeln. Ich drücke öfter mal die Stop-Taste im Kopf-Kino. Ganz konkret heißt das zurzeit: Es gibt am Wochenende ein bis zwei Kinofilme – bei schlechtem Wetter (oder Erwachsenen-Besuch auch mal mehrere Folgen ihrer Lieblingsserie hintereinander.) (André und ich schauen übrigens fast nie Fernsehen, außer mal einen Film am Wochenende). Regelmäßig schauen wir gemeinsam mit den Kindern Dinge bei Google nach, zum Beispiel, wenn sie mal wieder fragen, wie alt der älteste Mann der Welt ist. Oder mein kleiner Musikfan unbedingt wissen will, wer Michael Jackson war.

Wir schauen gemeinsam mehrmals in der Woche meinen Blog und Instagram-Kanal an. Oder die Kanäle von Freunden und Bekannten. Mein Großer schreibt in meinem Whatsapp-Account auf meinem Handy manchmal WhatsApps an seine Freunde, um sich zu verabreden (beziehungsweise an deren Eltern). Mein Großer guckt mal bei Ebay Kleinanzeigen nach gebrauchten Donald Duck Heften. Er macht Aufgaben auf Mathe-Pirat und Antolin. Er hat inzwischen ein paar Mal nach Spielen fürs Handy gefragt. Ich habe erklärt, dass ich das jetzt noch zu früh finde, weil ich möchte, dass er noch eine Weile so spiele: Gesellschaftsspiele, Lego, draußen. Dass es für alles seine Zeit gebe. Er hat das bislang ohne Murren akzeptiert. Sobald sein Wunsch intensiver wird, werden wir neu überlegen. Ich denke, wir werden uns dann als erstes die Spiele und Apps zusammen angucken, die Freunde ihm empfehlen.

Minecraft und Fortnite schließe ich für uns erstmal aus. Weil ich damit kein gutes Gefühl habe. Katja Seide schließt für ihre Kinder übrigens solche Online-Spiele aus, die nie aufhörten. “Irgendwann muss nämlich alles mal ein Ende haben”, meint sie. “Für Ruhe im Kopf.”

Und ihr so?

PS. Kinder und Medien – ist das wirklich alles so gefährlich?
PPS. Spannende Insights zum Thema gibt es auch immer wieder im Rahmen des Projekts “Kinder digital begleiten” meiner Blog-Kollegin Leonie von Minimenschlein.

Alles Liebe,

Claudi