An einem Winter-Wochenende träumten wir kürzlich von duftenden Pinienwäldern, von Croques Monsieur auf der Dune du Pilat. Uns war nach endlich-mal-wieder-raus-hier, nach Abenteuern außerhalb unserer eigenen vier Wände. Mit dem Laptop auf dem Schoß reisten wir unserem Sommerurlaub entgegen, Campingplätzen mit Meeresblick, Boutique-Hotels in französischen Landhäusern. Nur: Mit unserer Urlaub-wir-kommen-bald-Begeisterung waren mein Mann und ich ziemlich allein

Frankreich? Ich will nicht nach Frankreich, AUF GAR KEINEN FALL, ich bleibe zuhause!!“, grätschte mein Großer vehement dazwischen. „Aber warum denn nicht“, fragte ich ganz verdattert. „Na, wegen Corona, Mama, Du weißt doch, dass ich Angst davor habe.“ Soweit ist es inzwischen gekommen. Jetzt ist nicht mal mehr unser Kopfkino Corona-frei.

Krise im Kinderzimmer

Ich habe meinen Sohn gefragt, ob es ok für ihn ist, wenn ich hier aufschreibe, dass ihm die Situation Angst macht. Dass er nur ungern irgendwo anders als zuhause ist, es sei denn, die anderen Orte oder Menschen dort sind ihm sehr vertraut. Dass er sich viel häufiger langweilt, lustlos ist, unkonzentriert. Er hatte nichts dagegen, er findet nichts Schlimmes an seiner Angst – außer der Angst selbst.> Ich hab ihm gesagt, dass er damit nicht allein ist, obwohl er vielleicht das Gefühl hat. Und dass es anderen helfen könnte, zu wissen, dass es gerade vielen Kindern und Jugendlichen so geht.

Ich erlebe und höre gerade täglich ähnliche – und noch schlimmere Geschichten: Von Kindern, die sich wochenlang geweigert haben, ihr Zuhause zu verlassen. Von Kindern, die nicht mehr schlafen können und bis zwei Uhr morgens wach sind. Von Waschzwängen, Essstörungen – zuviel und viel zu wenig – von Aggression und Antrieblosigkeit. Die Krise trifft die Jüngsten gerade im zweiten Lockdown besonders hart. Weil es sich nicht mehr wie verdammt lange Ferien anfühlt. Weil kalter Winter ist und nicht sonniger Frühling. Weil viele Eltern am Rande des Nervenzusammenbruchs stehen, und die Kinder dadurch ebenfalls. Und weil niemand von uns den Kindern sagen kann, wann der ganze Spuk endlich vorbei ist.

Die Psyche ist belastet – aber belastbar

Wie gravierend die Auswirkungen der Pandemie auf die Psyche unserer Kinder sind, damit beschäftigen sich immer mehr Studien. Bereits im Oktober – da war der zweite Lockdown nur eine ferne Möglichkeit – kam eine Hamburger Studie zu dem Ergebnis, dass sich rund 70 Prozent der befragten Kinder und Jugendlich durch Covid seelisch belastet fühlten. Die aktuelle Folgestudie zeigt: Jetzt sind es 85 Prozent.

Kein Wunder: Schließlich hat die Pandemie auf einen Schlag das komplette Alltagsleben von Familien weltweit verändert. In zwei Lockdowns haben wir alle ein Leben im Sparmodus erfahren, das so bislang unvorstellbar war. Ob Corona aber deshalb zum kollektiven Kindheitstrauma wird, wiegelt die Studienleiterin Ulrike Ravens-Sieberer in einem Interview mit der ZEIT ab – obwohl sie mit dem deutlichen Anstieg der Zahlen nicht gerechnet hat:

„Ich hatte erwartet, dass sich die Kinder und Jugendlichen an den veränderten Alltag gewöhnen, sich anpassen. Das ist jetzt, in einer Zeit mit so vielen offenen Fragen und ohne klare Zukunftsperspektiven, aber offenbar unmöglich. Wir sollten jedoch nicht überdramatisieren: Eine Belastung ist noch keine klinische Diagnose, eine depressive Verstimmung noch keine Depression. Der Großteil der Kinder wird gut durch diese Krise kommen, da bin ich sicher. Weil sie emotionalen Rückhalt durch Freunde und Familie haben. Wir wissen aus unserer Studie, dass der ganz besonders stärkt.“

Immerhin. Es scheint, dass aus dieser kollektiven Krise nicht zwingend ein Worst-Case-Szenario werden muss. Denn jedes Kind verhält sich anders, je nach Alter, Typ und sozialer Situation. Und es ist ebenso wichtig, wie wir Eltern auf diesen Schlamassel reagieren, denn wir sind die Vorbilder unserer Kinder. Auch wenn wir uns gerade bestimmt nicht immer als solche fühlen.

Hallo Angst, ich versteh dich

Ein guter Anfang ist, die Sorgen unserer Kinder ernst zu nehmen. Verstehen, wovor genau sie sich ängstigen. Denn die Sorge eines Kitakindes, das bangt, das Klopapier könnte ausgehen, kann im Zweifel relativ schnell ausgeräumt werden. Wovor er sich konkret fürchtet, habe ich meinen großen Sohn gefragt. „Dass ich mich irgendwo mit diesem blöden Virus anstecke – und es dann an Oma und Opa weitergebe“, meinte er. Das kann ich nachfühlen, wir haben keine Kontaktsperre zu den Großeltern, auch wenn wir sie selten sehen. Daher kann ich diese diffuse Angst nicht ausräumen, aber ich kann ihm erklären, dass Hygiene, Abstand und Maskentragen dabei hilft, eine Ansteckung zu verhindern.

Weil er dauernd mit ganz konkreten Corona-Zahlen um die Ecke kam, hab ich die immerhin die Quelle konfisziert: seinen Uralt-CD-Player, der auch Radio kann. Da hat er sich nicht nur schlechte Charts-Hits ungefiltert reingezogen, sondern eben auch Nachrichten, die nicht für Kinderohren bestimmt sind. Seitdem das Teil stillgelegt ist, scheint er schon weniger Stress mit dem Thema zu haben.

Dass jedes Kind ganz unterschiedlich reagiert, merke ich selbst hier zuhause. Meine Fünfjährige sagt zwar manchmal Sachen wie „Mama, wann geht Corona wieder weg?“ Ansonsten scheint sie sich nicht viel um das Thema zu scheren, sie hat ihre Geschwister zum Spielen, einen Garten zum Toben, geht doch. Das geht dafür nicht so gut: Dass sie Albträume von bösen Dinos hat und daher fast jede Nacht wieder bei mir im Bett schlafen muss. Dass sie häufig wegen Kleinigkeiten überbordend ausflippt.

Oft bin ich davon einfach spontan genervt, weil unser Familienalltag eh schon kompliziert und anstrengend genug ist. Manchmal möchte ich mitschreien, weil alles so frustrierend ist. Doch wie viel mehr ist es das für ein Kind, das die Zusammenhänge nicht versteht, nur Gefühl, kaum Kopf ist? Dann packt mich das schlechte Gewissen, weil mir der Abstand fehlt, das eigentliche Problem zu erkennen. Aber Abstand ist gerade aus, seit Monaten hängen wir zu eng aufeinander, dass manchmal dieser Blick aufs große Ganze fehlt. Und damit das nötige Verständnis, die Geduld sowieso.

Ich wär gern häufig besser. Doch gerade muss gut genug eben reichen. Gut genug, es jeden Tag wieder zu versuchen, mit wechselndem Erfolg: reden und erklären, trösten und aufmuntern, gelassen und mitfühlend, selbst wenn der Akku auf Null ist. Und manchmal muss man einfach nur ganz doll kuscheln – und dann gemeinsam etwas Schönes machen.

Her mit Mitgefühl und Optimismus!

Denn Corona hat aus Kindersicht nicht nur negative Folgen. Ob er sich denn irgendwann wieder auf die Schule freue, habe ich meinen Großen gefragt. „Ja, schon, irgendwie“, meinte er. „Aber ich find‘s auch schön, dass wir gerade so viel zusammen sind.“ Auch das entscheidet eben darüber, wie Kinder die Bedrohung, den Stress, die Angst wahrnehmen: Wie harmonisch wir immer wieder die Kurve kriegen.> Weg von Corona, Homeschooling, Kontaktsperren. Hin zu langen Vorlese-Nachmittagen, Spiele-Abenden, Familienkino mit Popcorn auf dem Sofa.

Lädt übrigens auch hervorragend den leeren Eltern-Akku wieder auf. Das alles braucht Zeit. Und was genau das für unsere Kinder, uns selbst, langfristig bedeutet, werden wir erst später erkennen können. Für jetzt hilft einfach jede Menge Mitgefühl und eine dicke Dröhnung Optimismus.

Ich träume daher weiter von Frankreich im Sommer. Und als ich meinem Sohn gestern die coole Schwimmlandschaft auf meinem favorisierten Campingplatz zeigte, wirkte er zumindest verhalten interessiert.

Wie ergeht es euren Kindern?

Bleibt verständnisvoll!

PS: Wer Hilfe oder Anregungen sucht, wie er seinen Kindern die Situation erklären, die Sorgen mindern kann, klickt hier.

PS2: Die New York Times hat eine Primal Scream Hotline für Eltern eingerichtet, die einfach mal alles rauslassen wollen. Wär auch hierzulande eine prima Idee.

Katia