Ich bin 43, habe zwei Söhne, bin verheiratet, und arbeite 31 Stunden in der Woche als Sozialarbeiterin in der Obdachlosenhilfe. Wir leben ländlich, ohne S-Bahn, aber mit Bus und Zuganbindung. Hier kommt meine Woche…
Montag
Ich fange um 7 Uhr an zu arbeiten, damit die Kinder einmal pro Woche nicht zur Schulbetreuung müssen. Heißt um 6 Uhr aufstehen, ein Glas Wasser auf nüchternen Magen trinken, Müsli einpacken, Kinder drücken, Mann küssen, mit dem Auto ab die Post (an allen anderen Tagen nutze ich den ÖPNV dank Jobticket).
Das Schöne: Um 7 Uhr die erste im Büro zu sein, bedeutet in Ruhe Schreibarbeit erledigen zu können, bevor der Trubel im Haus der Beratung beginnt. Ab 9 Uhr trudeln die Kollegen ein: gemeinsamer Kaffee, Wochenabsprache, dann wird bis 12 Uhr durchgearbeitet.
Meine Themen: Wer ist am Wochenende abgestürzt? Wer braucht neue Kleidung? Wer hat ein blaues Auge abbekommen? Gibt es eine Interviewanfrage? Einen Vortrag vorbereiten, Berichte schreiben, Arbeitskreise terminieren…
Später tschüss sagen, ab nach Hause. Dort mega schnelles Mittagessen kochen (manchmal gibt’s noch Reste vom Wochenende, das erleichtert es, ansonsten tun es auch mal ein Blech Pommes und Nuggets. Die Mäuse kommen um 13 Uhr und bringen oft Freunde mit. Wir essen und quatschen. Dann einmal durchschnaufen, Küche aufräumen und alle an den Tisch holen und Hausaufgaben erledigen. Manchmal helfen die großen den Kleinen, dann geht’s schneller.
Wenn alle Hausaufgaben erledigt sind, kann bis halb fünf gespielt werden, dann fahren wir ins Schwimmbad. Während die Kinder schwimmen, spaziere ich mit einer Freundin, sie hat Sorgen, ich höre ihr zu.
Um halb 7 sind wir zurück, der Mann hat das Essen vorbereitet, alle sind hungrig, die Teller schnell leer. Danach noch eine Runde quatschen, Ranzen packen, einen Trickfilm gucken, ab ins Bett. Ich lese in jedem Zimmer noch zwei Kapitel vor, drücke feste und mache Licht aus. Der Mann und ich erzählen noch ne Weile, um elf löschen wir auch die Lichter.
Dienstag
Um 5.45 Uhr klingelt der Wecker, noch dreimal umdrehen. Der Mann ist seit 5 Uhr auf und sportelt, der Große tapst ins Bad, der kleine kommt noch drei Minuten kuscheln, dann geht’s los. Anziehen, Müsli für alle, Brotdosen macht der Mann. Um 6.45 Uhr fährt der Bus des Großen in die nächste Kreisstadt, im Stockdunkeln begleite ich ihn mit Taschenlampe zum Bus, danach bringe ich den Kleinen gegen 7 weg, verquatsche mich mit der Nachbarsmutti und muss rennen. Der Mann radelt in Richtung Arbeit an mir vorbei.
Ich stelle noch schnell die Waschmaschine an. Dann Tasche schnappen, ab mit dem Auto zum Zug. Heute ist offene Sprechstunde, das heißt alle mit Bedarf kommen ohne Termin dran. Es sind viele und werden immer mehr. In drei Stunden Sprechstunde berate ich oft zwischen 15-20 Menschen. Es sind schwierige Lebenssituationen, große Hürden und verdammt viel Scham. In meinem Büro darf jeder sein wie er ist, ich stelle keine Bedingungen – dann fällt es leichter.
Nach der Sprechstunde ist mein Kopf voll und meine Worte sind aufgebraucht. Erstmal ne Runde spazieren, 30 Minuten gönne ich mir. Danach beginnt die eigentliche Arbeit der Beratung: Telefonate, Mails mit Behörden, Justiz, Betreuern, Vermietern. Es ist nicht zu schaffen, ich muss einiges vertagen auf morgen.
Um halb drei düse ich zum Zug, ich möchte halb vier an der Grundschule sein. Das schaffe ich auch, die Freude beim Mini ist groß. Ab nach Hause. Dort wartet der Große. Wir kuscheln und quatschen, dann bummelt jeder rum, Vokabeln lernen, ein Bild malen.
Der Mann kommt um halb sechs, ich bereite Abendessen vor, um 18.45 Uhr mache ich eine Stunde Crosstraining – das brauche ich! Der Mann und ich essen um halb neun, die Mäuse hat der Papa ins Bett gebracht und sie schlafen schon. Nach dem Essen lese ich und um elf schlafen auch wir.
Mittwoch
Der Morgen beginnt wie mein Dienstag, aber heute ist mein langer Tag, da arbeite ich von 8-17 Uhr. Keine Beratung, aber Streetwork, Hausbesuche, Begleitungen, Teamsitzungen, Supervision und der liegengebliebene Rest von der Sprechstunde warten auf mich. Mittwoche sind intensiv und lang. Aber ich bekomme am meisten geschafft.
Abends bin ich leer, da hilft nur kuscheln und Nichtstun und auch mal ne Tüte Flips und ein Glas Wein. Mittwochs macht der Mann alles: Kinder, kochen, einkaufen, Haushalt und natürlich selbst arbeiten. Er arbeitet Vollzeit an der Uni. Abends folge ich noch der Einladung zur Schulkonferenz an der Grundschule. Mein Tag steckt mir in den Knochen, aber bringt ja nix.
Donnerstag
Heute wieder offene Sprechstunde, sie überfallen mich quasi. Aber: ich liebe die Arbeit mit Menschen. Ihre Geschichten, lustige, traurige, erschreckende, rührende und dankbare. In allen Sprachen, die die Welt zu bieten hat.
Nach der Sprechstunde gönnen wir uns mit Kollegen ein gemeinsames Mittagessen von 45 Minuten, in der wir viele Fälle durchsprechen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Nach der Pause wird durchgearbeitet bis 15 Uhr und dann geht’s mit dem Zug nach Hause, hoffentlich ist er pünktlich!
Mini abholen, der Große wartet zuhause schon. Quatschen, kuscheln, alle helfen das Wohnzimmer aufräumen und staubsaugen, die Kids spielen Lego, ich lese Blogs, Ranzen packen, Abendessen vorbereiten, der Mann kommt pünktlich zu Tisch. Danach Sportsachen schnappen und ab ins Crosstraining, meine Freundinnen warten schon. Halb zehn komme ich müde, aber glücklich heim, duschen, lesen und um elf wird gepennt.
Freitag
Der Tag startet um 5.45 Uhr, um halb 8 stehe ich am Marktstand, kaufe die Wochenration Obst und Gemüse, bringe alles schnell nach Hause und renne zum Zug. Dort treffe ich auf Kollegen, die Fahrt nutzen wir für Absprachen. Mein Freitag darf kurz sein, bloß bis 13.30 Uhr. Heute begleite ich Klienten zu Wohnungsbesichtigungen, Möbelkauf und teile wie immer vorm Wochenende Schlafsäcke aus, Kleidung, Hygieneartikel, Tabak…
Um 14.30 Uhr bin ich an der Grundschule, geht’s heim. Der Große kommt erst halb vier aus der Betreuung mit dem Bus. Wir verbummeln die Zeit, halten noch im Buchladen an, verquatschen uns dort und dann geht’s für den Mini um 5 Uhr zum Zeichenkurs. Schnell abgeben und wieder heim, der Große hat ne Stunde später Wingtsun.
Da wir nur ein Auto haben, geht’s nur so. Ich schnappe mir den Großen, der Mann kommt, wir sprechen das Abendessen ab, ich düse mit dem großen zum Wingstun und sammele dann den Kleinen ein.
Ich quatsche noch mit einer der anderen Muttis, dann geht’s heim. Um halb acht essen wir gemeinsam zu Abend, der Mann hat Bandprobe und drängelt schon. Kaum ist er weg, kuschele ich mich mit den Jungs ein: vorlesen, drücken und Licht aus.
Jetzt erstmal: durchatmen, ein Glas Wein, mein Buch oder ein Krimi schauen und Seele baumeln lassen. Der Mann kommt nachts sichtlich erholt von seiner Bandprobe und wir knutschen noch ne Runde.
Samstag
Ich stehe um acht auf, die Jungs bauen schon Lego, der Mann schreibt Einkaufslisten. Er erledigt den Einkauf, ich hab um 10 Uhr Crosstraining. Danach warten Wäscheberge, ich backe Kuchen, räume hier und putze dort, schlendere durch den Garten und gegen 16 Uhr gibt’s Kaffee und Kuchen für alle. Oft sind noch andere Kinder da.
Abends gibt’s was leckeres Gekochtes und wir schauen gemeinsam einen Film. Manchmal drehe ich noch ne Runde ins Nähzimmer…oder ich gehe ins Kino mit der liebsten Freundin.
Sonntag
Ich schlafe am längsten, der Mann fährt seit 8 Uhr Rad, er wird gegen 12 Uhr zurück sein. Ich frühstücke mit den Kindern, wir gucken „Die Sendung mit der Maus“ und bummeln rum, ich nähe mir was, hab ich ewig nicht gemacht, denn die Jungs wachsen schneller als ich.
Nachmittags treffe ich mich mit Freundinnen zum Spazierengehen, wir entscheiden spontan mit den Männern und Kindern im Garten gemeinsam Abendbrot zu essen, alle bringen was mit und so lassen wir den Sonntag gemütlich ausklingen.
P.S.: Da war noch was – der Haushalt! Der läuft irgendwie, eine Haushaltshilfe gibt’s nicht, auch keine helfende Oma/Opa. Übrigens gehen alle Freunde zur Betreuung und alle unsere FreundInnen sind ähnlich viel berufstätig. Es ist stressig, aber mein Beruf macht mich sehr demütig und dankbar, für das was wir haben. Ich bin mir unseres „Ponyhofs“ sehr bewusst.
PPS. Und noch was: Altersarmut ist ein riesiges Thema! Ich bekomme es im Job täglich mit. Insbesondere wir Frauen sollten es nicht unterschätzen, wenn wir längere Zeit für die Familie zuhause bleiben…
Foto: Phillip Goldsberry/Unsplash
Eine Beispielwoche,die meinem Job im Angestelltenverhältnis bisher am nächsten kommt.Aber Respekt für deinen Job liebe Sabrina. Das ist bestimmt oft hart und schwierig und schön, dass es Menschen wie dich gibt!
Danke für deine wertschätzenden Worte liebe Wiebke, das freut mich sehr.
Liebe Grüße
Sabrina
Ich finde es soooo toll, dass so viel gekuschelt wird bei euch 😄 Und dass das Knutschen erwähnt wird-herzallerliebst!
Hut ab für dein tägliches Engagement in einem absolut wichtigen Beruf, den man nur mit Herzblut ausführen sollte/kann!
Liebe Lara,
ich danke dir für deine liebe Rückmeldung!
Ich finde ja immer kuscheln und knutschen nimmt den Druck raus. Und trägt einfach mega zur Entspannung bei :).
Und auch wenn dann zb der Haushalt zu kurz kommt, darauf möchte hier keiner verzichten.
Liebe Grüße
Sabrina
Danke für die tolle Beispielwoche! So ähnlich verläuft meine Woche auch. Allerdings ersetze ich das Sporttraining durch den langen Spaziergang mit unserem Hund. Ansonsten ist es ähnlich voll und stressig, aber bei allen bei uns im Umfeld sieht es ähnlich aus. Haushalt läuft irgendwie nebenbei, ein Termin jagt den nächsten.
Liebe Grüße
Juliane
Liebe Juliane,
danke für deine liebe Rückmeldung
Spazieren ist auch einfach toll, da kann ich super abschalten. Gerade der Herbst mit seinen tollen Farben bringt mich auch immer wieder aus dem Haus.
Liebe Grüße
Sabrina
Liebe Juliane,
danke für deine liebe Rückmeldung.
Spazieren ist auch einfach toll, da kann ich super abschalten. Gerade der Herbst mit seinen bunten Farben bringt mich immer wieder aus dem Haus.
Liebe Grüße
Sabrina
Tolle Woche! Und zusätzlich großer Respekt vor deiner (emotional) anspruchsvollen Aufgabe, die finanziell in diesem Bereich gewiss nicht so honoriert wird viele andere Büro- Jobs. Das Programm bei mir sieht es ähnlich aus. Daher zum 2. Mal respekt für deine Disziplin hinsichtlich Sport! Derzeit entscheide ich mich stattdessen öfter für Freunde treffen oder Sofa 😉 Schön zu lesen, wie selbstverständlich Arbeitsteilung bei euch funktioniert. Seit mein Mann im homeoffice ist und täglich 2h Fahrzeit spart, erledigt er definitiv mehr “care- Arbeit” als ich. Ich finde deinen Appell am Ende noch einmal sehr wichtig! Losgelöst von meinem eigenen Anspruch, eigenes Geld zu verdienen und unabhängig zu sein. Liebe Grüße, viel Kraft im Job in den kommenden Monaten, die sicher anspruchsvoller als im Sommer sind.
Auch dir danke ich für deine Wertschätzung liebe ANi.
Und auch wenn sich das sehr hippie anhört, mein größtes Honorar ist, wenn ich sehe, dass unsere Hilfe Wirkung hat.
Und ja, der Winter bringt zusätzliche Hürden mit sich, daher ein kleiner Appell an alle Lesenden: wenn ihr warme Kleidung nicht mehr benötigt, die nächste Beratungsstelle (leicht zu finden über google: wohnungslosenhilfe + Name eures Wohnorts) freut sich bestimmt.
Liebe Grüße
Sabrina
Auch von mir „alle Achtung“ für deine Disziplin abends noch zu sporteln und auch wie ihr das meistert.
Was miraufgefallen ist, ist dass ihr viel kuschelt und erzählt über eure Tag. Ich hätte das gerne, aber von meinen Jungs (5 und 9) bekomme ich mir „Daumen rauf oder runter“ wenn ich frage wie ihr (Vormitt-)Tag war…😂
Keiner erzählt gerne. Aber vielleicht liegt es sich daran, dass wir noch einen dritte kleinen jungen Mann haben, der im Moment sehr viel Aufmerksamkeit für sich beansprucht und unser Familienleben ganz schön durcheinander wirbelt. Lg Judith
Liebe Judith,
danke für deine lieben Worte.
ich habe vor vielen Jahren mal einen Artikel bei Zeit oder so gelesen, wie man mit Kindern gut ins Gespräch kommen kann. Ein, wie ich fand, mega Tipp war es, offene Fragen zu stellen. Also zB. nicht wie war dein Tag, sondern: was hat dir heute besonders gut gefallen? was war heute besonders blöd? welchen Wunsch hast du für heute nachmittag….usw.
Ich hoffe, es ist verständlich was ich meine. Probier es doch einfach mal aus.
Tatsächlich wende ich das schon immer in meiner Arbeit an, viele der Menschen, die zu uns kommen, sind so verschlossen auf Grund ihrer Scham und Erfahrungen, da braucht es oft lange, bis sie ins Erzählen kommen.
Ganz liebe Grüße
Sabrina