Als ich kürzlich ein paar Tage für mich allein unterwegs war und es fast ein wenig seltsam fand, weil ich es gar nicht mehr gewohnt bin, nur für mich zu sein – da musste ich an diesen einen Sommer vor 15 Jahren denken, in dem ich sehr viel Zeit mit mir allein verbracht habe. Das war in meinem Sabbat-Sommer – die vermutlich schönsten Monate meines Lebens…
Ich weiß noch genau, wie mein Chef mich damals ansah: “Sie planen WAS…?!” Er wollte mit mir über steile Karriere-Optionen sprechen. Ich mit ihm darüber, dass ich mir den Sommer für ein Sabbatical freinehmen würde. Und anschließend statt bummelig 50 nur noch 30 Stunden arbeiten wollte.
Ich weiß nicht mehr, ob ich dabei an den Begriff Work-Life-Balance dachte. Aber ich wollte auf jeden Fall mehr Leben und weniger Arbeit in meinem Alltag.
Ich wollte mehr vom Leben als morgens ins Büro fahren und abends kaputt nach Hause zu kommen. Ich wollte jeden Tag Freiheit und Unbekümmertheit in Maximal-Dosis – wenigstens für kurze Zeit. Vielleicht war es ein kleiner Ersatz dafür, dass ich während der Schule und der Uni nie länger im Ausland war. Ich hatte immer straight durchgezogen mit Lernen und Studieren und Arbeiten. Und plötzlich sah ich keinen Sinn mehr darin, immer weiter durchzuziehen.
Vielleicht lag es daran, dass mein Mann, der damals noch mein Freund war, für sich eine Vier-Tage-Woche etabliert hatte – und deutlich entspannter war als ich, die sich im Hamsterrad des Jobs gefangen fühlte. Vielleicht lag es auch daran, dass wir kurz zuvor ein Wochenend-Häuschen gemietet hatten, in dem wir an freien Tagen unsere Zeit außerhalb Hamburgs verbrachten – und ich so glücklich war wie lange nicht.
Manchmal muss man nicht weit reisen, um ein ganz anderes Leben zu leben – und sei es nur auf Zeit.
Mein Sehnsuchtsort lag nur rund eineinhalb Stunden von St. Pauli entfernt – mitten im wunderschönen Wendland (hier habe ich schon einmal über unser Wochenend-Häuschen geschrieben). Ein Ort, an dem mein Herz bis heute hängt, obwohl all das längst Vergangenheit ist. Und doch bis heute so präsent für mich, weil es eine der intensivsten Phasen meines Lebens war.
Mein Chef war damals zwar ziemlich überrumpelt, aber bis heute rechne ich es ihm hoch an, dass er mir das Sabbatical genehmigt hat – unbezahlten Urlaub für drei Monate von Juni bis August. Die mir erst unendlich vorkamen und dann doch wie im Fluge vergingen.
Ich habe ein Vierteljahr nur auf dem Land verbracht – überwiegend allein.
Von Sonntag- bis Donnerstagabend hatte ich so viel bewusste Zeit für mich wie nie davor und nie wieder danach in meinem Leben. Morgen, Nachmittage, Abende voller Stunden, die ich allein mit dem füllen konnte, was mir am Herzen lag. Ich glaube, ich habe damals das Faulenzen wiederentdeckt. Nicht in einem überoptimierten und komplett durchgetakteten Alltag zu stecken, schafft so viele Freiräume! Die ich mir allerdings erst erlauben musste – darf man am Mittwochnachmittag mit einem Buch in der Hängematte auf der Streuobstwiese dösen…? Man darf. Und man sollte. Weil: So eine Zeit hat man vermutlich nur einmal im Leben.
Was ich mit alle diesen Stunden und mir so alles anfing? Alles – und nichts. Ich versuchte, keine Pläne zu machen – die kamen erst Donnerstagabend, wenn mein Freund auf den Hof fuhr und am Freitag oft noch viele Freunde. Was ich auch herrlich fand: Wir feierten Sommerfeste, unternahmen Ausflüge, fuhren mit unserem tomatenroten Käfer über die Rundlingsdörfer.
Aber am schönsten waren die stillen Stunden.
Die, in denen ich meinen Gedanken nachhing, während ich in den blau-weißen Sommer-Himmel schaute. Die, in denen ich das Gärtnern für mich entdeckt habe. Die, in denen ich aus einem Impuls heraus anfing, die große Bauernküche zu streichen. Die, in denen ich aus einer Laune heraus aufs Fahrrad stieg und zu dem kleinen See fuhr, mich am Seil über die grünblaue-Oberfläche schwang – und mit einem großen Platscher hineinfallen ließ.
Ich habe mich damals keine Sekunde gelangweilt. Mir keine Sekunde Gesellschaft gewünscht, die erst immer mit dem Wochenende kam. Im Gegenteil. Manchmal hätte ich gern einfach in meinem Trott weitergemacht. Nur auf sich zu hören, kann ungeheuer befreiend sein. Essen, wenn man Hunger hat, Schlafen, wenn man müde ist. Lesen, wann und wie lange man will. Wie viel das wert ist, habe ich damals schon gespürt. Aber erst aus meiner heutigen Mother-of-Three-Perspektive weiß ich, was für ein Luxus solche Auszeiten wirklich sind.
Mitunter sehne ich mich sehr nach dieser besonderen Zeit zurück.
Wenn der Familienalltag über mir zusammenbricht wie eine Welle. Wenn ich vor lauter Bedürfniserfüllung anderer nicht zu mir komme. Dann denke ich an diesen einzigartigen Sommer zurück, der mir so viel gegeben hat. Der mir so viel bedeutet hat, noch immer. Und gerade versuche ich das in mein heutiges Leben zu übersetzen. Mini-Sabbaticals, die mich immerhin für die Dauer von ein paar Tagen aus allem rausholen.
Diese drei Tage an der Ostsee waren ein guter Anfang. Obwohl eine alte Freundin mit dabei war, bin ich überwiegend für mich gewesen. Habe viel Zeit auf meiner Terrasse verbracht und in den Spätsommerhimmel geschaut. Habe mich mit den Hühnern angefreundet, die mir zugelaufen kamen. Habe gelesen, Tagebuch geschrieben, gegessen, wann ich Hunger hatte, geschlafen, wenn ich müde war. Ich war allein am Meer, im Restaurant, unterwegs.
Wenn ich Lust auf andere Menschen hatte, bin ich eine Runde mit meiner Freundin spazieren gegangen, habe ein paar neue Gedanken mit ihr geteilt – um mich dann wieder zurückzuziehen. Es war unaufgeregt, es war so schön still, es war der Anfang von etwas, von dem ich zukünftig mehr will.
Habt ihr schon mal ein Sabbatical genommen…?
Alles Liebe, nehmt euch Zeit für euch,
Wow! Das klingt einfach so wunderbar und nach einem Sommer, zu dem man sich gerne zurückträumt!
Ich träume von so etwas, wenn die Kinder groß sind….
Viele Grüße
Biene
Hej liebe Biene, oh ja, das war er – ein ganz und gar wunderbarer Sommer. Ist auch ein hervorragender Plan fürs empty nest irgendwann – aber dazwischen brauchen wir unbedingt immer wieder so Mini-Sabbaticals! Alles Liebe, Katia
Oh, ja! So seltsam es klingt, aber für mich waren tatsächlich die ersten Monate im Covid-Lockdown wie ein Sabbatical. Von April bis August beinahe durchgehend frei (bzw. selten wenige Stunden arbeitend) bei reduziert weiter laufendem Gehalt. Es war der Sommer meines / unseres Lebens. Es gab keine Termine, keinen Druck irgendwas Spezielles zu unternehmen (ging ja zu der Zeit gar nicht), einfach nur uns, mitten in den blauen Tag hinein, mit einer völlig neu eingestellten inneren Uhr und viiiel Gelassenheit. Die Kinder (damals im frühen Grundschulalter und somit noch ohne großen Lerndruck) sind damals regelrecht aufgeblüht und denken auch heute noch gerne an diesen Sommer zurück. Nach ein paar Monaten damals merkte ich allerdings, dass ich die viele freie Zeit gar nicht mehr soo schätzen konnte.
Vor einem klassischen Sabbatical (also mehrere Jahre bei reduziertem Gehalt arbeiten und dann ein ganzes Jahr bezahlt frei), wie ich es von Bekannten kenne, hätte ich irgendwie Schiss. Ich hätte vermutlich das Gefühl, dieses Jahr optimal nutzen zu müssen und vermutlich würde ich hinterher eine kleine Post-Sabbatical-Krise bekommen, weil ja „jetzt vorbei ist, worauf ich mich so lange gefreut und vorbereitet hatte“. 😉
Sehr gut könnte ich mir vorstellen, nur für ein paar Monate „auszusteigen“, und die Zeit in einem anderen Land zu leben. Etwas, das ich in meiner Jugend verpasst (bzw. nicht gewagt) habe.
Alles Liebe, Julia
Hej liebe Julia, stimmt, bei deiner Geschichte erinnere ich mich plötzlich auch: Wir haben damals viel Zeit auf Föhr, der Heimatinsel meines Mannes verbracht – und hatten sie quasi für uns. Das war auch schön, obwohl die Stimmung natürlich auch mitunter bedrückend war. Ich würde sehr gern noch mal ein echtes Sabbatical nehmen (wobei das als Freiberuflerin natürlich eine andere Nummer ist;-) Ich finde, es ist eine gute Zeit, um sich wieder auf sich zu besinnen – und daher auch, wie Biene hier schon schrieb, bestimmt eine gute Idee, wenn die Kinder aus dem Haus sind. So oder so: Entspannte Lebenszeit mit viel Gönnung für einen selbst ist viel wert! 🙂 Alles Liebe, Katia
Liebe Katia,
ich finde es bewundernswert, dass Du schon mit Anfang 30 so auf Dich geachtet hast.
Ich brauchte dafür erst die Perimenopause.
Die entspannteste Phase meines Lebens war erstaunlicherweise die erste Zeit mit unserer Tochter (wenn ihr Bruder in der Kita und mein Mann bei der Arbeit war).
Nachdem der Große sich gegen die Horizontale mit Händen und Füßen gewehrt hatte, mochte sie einfach gern liegen, gucken und irgendwann wieder einschlummern.
Zum Glück konnte ich diese Momente ganz bewusst genießen, Bäume oder Wolken beobachten, mir vorstellen, ich läge am Strand oder im Kopf ganze Bücher schreiben.
Das Gefühl schwingt knapp 10 Jahre später immer noch nach.
Liebe Grüße!
Hej liebe Charlotte, ja, das war damals plötzlich ein ganz klares Gefühl – hat man ja nicht so oft im Leben. Ich wusste einfach, dass ich vor einem Wendepunkt im leben stand – der eigentlich angepeilten Karriere Raum geben oder mir und meinen Wünschen? Unter anderem dem nach einer Familie. Dafür war dieser Sommer einfach perfekt. Weil er mich aucgh gelehrt hat, dass man sich gönnen darf und GFutes dabei herauskommt. Könnte ich jetzt gerade ehrlicherweise auch wieder ganz gut brauchen so ein Erlebnis 😉 Alles Liebe, Katia