„Fahrt ihr wieder für lau in die Ferien?“, fragt mich eine Bekannte. Ich schlucke. „Es ist eine Kooperation, ja, aber…!“, beginne ich. Dann stoppe ich. Weil ich es leid bin. Fakt ist: Ich liebe es, dass Reisen ein Teil meines Jobs ist. Aber damit sind alle Reisen eben auch immer mein Job…

Von Anfang: Was ist eine Pressereise? Wikipedia definiert sie als speziellen Journalistenrabatt. Allgemein gilt als Pressereise “ein Aufenthalt, der vom Hotel oder Reiseveranstalter übernommen wird, um eine Berichterstattung zu ermöglichen”. Drei Nächte sind üblich, alles andere ist Verhandlungssache. Pressereisen müssen von Redakteuren und Content-Creatern übrigens voll versteuert werden. Kostenlos sind sie also nicht, man zahlt in der Regel die Hälfte des Reisepreises.

Mir fallen wenig Begriffe ein, die in Kommentaren auf Social Media anklagender geschrieben werden, als „Pressereise“. Oft lese ich das Hochklappen der Zehennägel deutlich heraus. Aber ist es wirklich Urlaub für lau?

Spaß und Arbeit sind nur ein paar Sekunden voneinander getrennt. Oft passieren sie zeitgleich.

Ich liebe es, Reisegeschichten zu schreiben. Ich liebe es, neue Orte entdecken zu dürfen und es macht mir Spaß, Geheimtipps zu recherchieren und Erlebnisse zu Urlaubsgeschichten zu verarbeiten. All das nimmt dem Urlaub allerdings schnell die Sache, die Urlaub ausmacht: Die Leichtigkeit. Den Chillmodus. Als wir mal Freunde mit auf eine Pressereise genommen haben, seufzten die nach einem Tag: „Boah, ist das anstrengend.“

Klar, es gibt auch in der Medienbranche – Digital wie Print – Schnorrer-Kollegen, die alles mitnehmen. Aus meiner Erfahrung kann ich aber sagen, dass für die allermeisten Journalisten und Content-Creator Pressereisen Arbeitsmittel sind, das sie seriös nutzen. Bestenfalls haben alle was davon. Auch die Leser oder Viewer.

Es ist nämlich leider so: Aufgrund von Finanznot und Honorarverknappung ist die Pressereise oft auch für viele Redaktionen die einzige Möglichkeit, vor Ort zu recherchieren. Auch viele namhafte Magazine bezahlen die Reisen ihrer Reiseredakteure nicht mehr selbst, sondern lassen sich aus Kostengründen von Hotels oder Tourismusverbänden unterstützen.

Gekennzeichnet ist das oft nicht – im Gegensatz zu den Pressereisen der meisten Influencer.

Der Deutsche Presserat schreibt dazu: „Recherche und Berichterstattung dürfen durch die Annahme von Geschenken, Einladungen oder Rabatte nicht beeinflusst, behindert oder gar verhindert werden“. So steht es in Ziffer 15, Richtlinie 15.1 (Quelle: DJV-nrw.de). In den „Verhaltensregeln der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten (VDRJ) heißt es pragmatischer: „Wir erwarten von den Medien, dass sie eine unabhängige Recherche wirtschaftlich ermöglichen.“ Im nächsten Absatz allerdings: „Eine Rechercheunterstützung seitens Dritter kann akzeptiert werden, solange damit keine expliziten inhaltlichen Verpflichtungen verbunden sind.“

Auf der Seite des Deutschen Journalisten Verbands NRW wird außerdem zugegeben: „Selbst Flaggschiffe des Qualitätsjournalismus wie ZEIT und ZEIT Online die in ihren Richtlinien klarstellen, dass Reisen im Rahmen journalistischer Berichterstattung selbst bezahlt werden, nehmen ihre Reiseressorts aus dieser Regelung aus. Man nehme hier bei einzelnen Reisen die Unterstützung von Fremdenverkehrsämtern, Tourismusagenturen, Fluglinien oder Hotelunternehmen in Anspruch.“

Aus meinen Printzeiten weiß ich genau, was passiert, wenn nicht mal Zeit ist, dass der Redakteur sich auf die (unterstützte) Reise macht.

Dann werden Reisegeschichten am PC kalt geschrieben. Sprich: Der Redakteur schaut sich online Bilder an, recherchiert Tipps via Google und hofft, dass sie einigermaßen passen. Es gibt im Text dann keine echten Erfahrungen, weder Luft noch Essen wurden geschmeckt, die Geräusche nicht gehört. Der Mehrwert für den Leser ist maximal lauwarm. Für mich wären Bilder und Eindrücke vom Strand, selbst wenn der Aufenthalt vom Hotel übernommen wäre, sehr viel authentischer. Auch ausgewählte Eindrücke eines Hotels sind doch echte Eindrücke.

Ich setze für mein Online-Magazin auf einen flotten Dreier, sprich eine Mischung aus Pressereisen (oft in Kombination mit privat gebuchter Verlängerung), privaten Urlauben, aus denen ich trotzdem berichte und Tipps teile – und rein privaten Reisen. Letzte mache ich fast nie.

Dass ich dadurch die Möglichkeit habe, viel öfter zu reisen als viele andere, ist für mich und für uns ein riesiges Privileg, über das ich mich täglich freue. Was viele nicht sehen ist die viele Arbeit, die es mich gekostet hat, um überhaupt eingeladen zu werden. Stunden, Tage, Nächte, Wochen habe ich mir ein Medium mit Reichweite aufgebaut. Über den Erfolg freue nicht nur ich mich: Weil wir Reisegeschichten für mein Familienmagazin machen, reise ich oft mit meiner Familie. Das ist toll, das ist anstrengend, das ist immer beides auf einmal.

Wie sieht denn nun ein Tag auf einer Pressereise aus? Spoiler: Oft anders als bei Instagram.

Wir stehen früher auf, als wir es sonst tun würden. Wir ziehen uns vorzeigbar – statt bloß an. Ich checke das Frühstück nach guten Bildern und Besonderheiten. Ich begrüße die Mitarbeiter, stelle mich vor. Ich lasse etliche Hotelgäste am Pancake-Automat vor, damit ich filmen kann. Wir setzen uns aufrecht hin, ich gucke, wo das Licht am besten ist. Ich rücke Gläser und Tassen. Meine Jungs kennen das Spiel, sie lieben es, dass sie dank Mamas Job so oft reisen dürfen. Aber manchmal haben sie unterwegs keine Lust auf den Job. Ich manchmal auch nicht.

Ich mache Fotos von meinem Frühstück. Der Hotelmanager kommt und erzählt mir, was heute anliegt. Wir besprechen, was interessant für meine Leser und Follower sein könnte. Es sind alles bloß Angebote. Ich entscheide, was ich zeige. Aber bin ich wirklich unauthentisch, wenn ich nicht zeige, wie am Buffet Kondenswasser von den Deckeln der Warmhalteplatten tropft? Ich frühstücke schnell, die anderen sind schon fertig. Meine Jungs müssen zum Skikurs, wir sind spät dran. Ich renne hinterher, um ein paar Eindrücke mitzunehmen. Während sie Skifahren, schaue ich mir den Buddelraum an. Ich kann nicht filmen, da jede Menge Kinder in ihm buddeln. Ich muss später nochmal wiederkommen.

Danach habe ich einen Termin im Kosmetikstudios des Hotels. Ich filme, statt zu facialen.

Lasse mir alles erklären. Ich filme die schönen Ecken, die weiße Liege, die hübsche Palme. Ich halte meine Kamera nicht auf den Mülleimer in der einen dunklen Ecke. Ich frage mich, ob man mir das bereits als unauthentisch vorhalten kann. Für eine Behandlung habe ich keine Ruhe. Ich will noch das Spa filmen und fotografieren. Und den Buddelraum. Vor dem Mittag habe ich einen Termin mit jemandem aus der Marketingabteilung des Hotels.

Aus dem Buddelraum kommt immer noch Baulärm, also ab ins Spa. Ich ziehe mich um. Ich räume schnell das Zimmer auf, um es zu fotografieren, das Licht ist gerade schön. Dann lege ich mich kurz aufs Bett und beantworte ein paar Kommentare und Fragen zum Hotel bei Instagram, damit es abends nicht zu viele sind. Danach schlappe ich in Spapantoffeln los: Hoffentlich ist nicht zu viel los.

Es ist viel los. Ich kriege kurz Panik.

Ich will noch so viel fotografieren. Ich trödele beim Bademantel aufhängen, um den Eingangsbereich leer zu erwischen. Ich teste das Licht, ich filme, ich fotografiere. Ich werde rot, als doch einer hereinkommt. Meine Arbeit ist mir oft unangenehm. Warum? Weil ich nicht gern als Infaulencer gelte.

Später versuche ich, in der Sauna tatsächlich einen Moment zu entspannen allein schon für meine Geschichte. Mein Kopf tippt schon mal Text: Mit welchen Worten könnte ich den Blick wiedergeben? Mit welchen den herrlichen Kräuterknister-Duft? Ich atme ein und lächele. Ich bin so dankbar für meinen Job. Dann fällt mir der Termin mit dem Chef ein.

Ich komme zu spät zum verabredeten Mittagessen mit meinen Jungs. Sie grinsen, sie sehen sehr glücklich aus. Ich freu mich für sie, für uns. Das Wetter ist gut, bevor sie mit ihren neuen Freunden in der Turnhalle verschwinden, wollen wir draußen ein Familienfoto machen. Obwohl meine Kids inzwischen Profis sind, haben sie nach einer Weile keine Lust mehr. Ich auch nicht.

Ich setze mich auf die Terrasse des Hotels, mache ein Selfie und beantworte Nachrichten.

Ich schreibe noch einen Text zu Ende, ich telefoniere mit meiner Redakteurin. Der Blog macht viel seltener Urlaub als wir, der läuft meist parallel weiter. Ich bastele die ersten Snippets meiner Story. Ich lese ein paar blöde Kommentare. Ich schlucke. Ich lege das Handy weg und will mich nicht ärgern. Ich halte mein Gesicht in die Sonne. Und ärgere mich doch. „Mach es doch auch einfach“, möchte ich den Kommentatorinnen schreiben. „Leg los, starte einen Blog und in zehn Jahren liegen wir hier vielleicht nebeneinander auf der Liege.“ Es herrscht freie Berufswahl in Deutschland! Ich schreibe es nicht. Ich will nicht zickig sein. In den Ferien will auch jeder Lehrer sein.

Später fahre ich auf den Berg, filme und fotografiere. Lasse mir danach die Kurse in der Kreativwerkstatt erklären. Dann verschwinde ich für eine Stunde privat im Spa. Ich genieße, ich lese mein Buch. Es ist herrlich. Mein Kopf formuliert alle mögliche Zeilen für den Blogartikel. Ich kann gar nicht anders. Ich liebe es. Es macht mich wahnsinnig. Immer abwechselnd.

Abends treffen wir uns mit Familien in der Bar, alles sieht super chillig aus in meiner Story.

Was man nicht sieht: Dass der Hotelchef nochmal vorbeikommt und mir von den gerade abgeschlossenen Renovierungen erzählt. Ich notiere ein paar Fakten für meinen Artikel. Der Kellner erklärt mir die Karte. Ich filme ein bisschen Kaminknistern. Ich lehne ab, als sich die anderen einen zweiten Cocktail bestellen. Ich mag nicht angeschickert sein, immerhin vertrete ich mein Medium WAS FÜR MICH. Ich mag am nächsten Tag nicht verkatert aussehen in der Story.

Bevor ich gehe, fragt mich eine aus unserer Runde: „Und was machst du beruflich?“ Ich überlege kurz, wie so oft. „Ich bin Texterin, ich schreibe Geschichten.“ Sie macht große Augen. „Oh, wie toll. Und wie spannend! Für welches Magazin denn? Brigitte? Freundin?“ Ich lächele. „Nein, für mein eigenes Blogmagazin, das ich vor zehn Jahren gegründet habe. Es wird inzwischen von vielen Menschen gelesen…“ Ihr Lächeln verschwindet. „Ach so, bloß ein Blog.“

Also: Pressereisen sind toll, super, ein großes Glück, ein Riesenvorteil dieser Arbeit. Aber…

Claudi