Leider hat mir Claudi kürzlich hier schon den schönen Einstieg geklaut, den ich mir für die Herbst-Edition meiner Bücher-Kolumne überlegt hatte: Dass man bei uns in den dörflichen Marschlanden in der Dunkelzeit sehr viel Alkohol braucht, um über die Runden zu kommen. Nett (und ernst!) gemeinter Tipp als Willkommensgruß von Einheimischen übrigens. Ich als Zugezogene würde noch ergänzen: Ein Stapel guter Bücher hilft im Zweifel besser. Hier kommen meine neuen Roman-Empfehlungen für euch – und eure Kinder…

Buch auf der CouchDeiche, Dorf und Dunkelheit: “Marschlande” von Jarka Kurkova

Ehrensache, dass ich einen Roman lesen muss, der nur zwei Dörfer ums Eck in Ochsenwerder spielt. Die Marschlande sind das fruchtbare Flecken Erde vor den Toren Hamburgs – im Sommer blühende Landschaften, im Winter oft trist, grau und einsam. Der Roman erzählt auf zwei Zeitebenen von zwei Frauen, die Jahrhunderte trennen – und die dennoch viel miteinander verbindet:

In der Jetztzeit Britta, die mit Mann und Kindern aufs Land zieht – in den “Eispalast”, wie die Alteingesessenen den Neubau mit viel Glas und wenig Seele spöttisch nennen. Britta kommt nicht richtig an – nicht in ihrem Zuhause, nicht auf dem Dorf, nicht in dessen Gemeinschaft, die ihr geschlossen erscheint. Auch Abelke Bleken ist knapp 500 Jahre früher eine Außenseiterin, dabei lebt ihre Familie schon immer auf dem großen Hufner-Hof in Ochsenwerder – eigentlich der Garant dafür, ein respektierter Teil der Gemeinde zu sein.

Aber Abelke ist eine unverheiratete Frau, die ihren Hof ganz allein bewirtschaftet – und allein deswegen suspekt. Wie die anfängliche Irritation ihrer Nachbarn nach und nach in Hass und Hetze umschlägt, davon erzählt dieses Buch in kraftvoller Sprache, die mich sehr gefesselt hat. Umso mehr, weil Abelke Bleken tatsächlich gelebt hat – und in Hamburg eine Legende ist: Sie ist die einzige Frau, die hier jemals als Hexe angeklagt wurde. Zwischen den Zeilen erzählt der Roman auch von Feminismus und dem Wunsch nach einem selbst bestimmten Leben von Frauen – damals wie heute. Ganz große Lese-Empfehlung, auch wenn ich zwischendurch immer mal wieder kräftig schlucken musste.

Roman auf dem Sofa liegend

Vergnüglicher und entlarvender Clash der Kulturen: “Liebesheirat” von Monica Ali

Die angehenden Ärzte Yasmin und Joe sind jung, erfolgreich, verliebt – alles in allem ein bezauberndes Paar. Deswegen wollen sie auch baldmöglich heiraten. Wenn nur ihre Familien nicht wären… Denn Yasmin stammt aus einem streng indisch-muslimischen Haushalt, in dem das Wort Sex verpönt und der Fernseher bei Zungenküssen sofort ausgeschaltet wird. Joes Mutter Harriet hingegen ist eine feministische Ikone, die ihr Villa mit erotischer Kunst dekoriert und in den 70ern mit einem Intimfoto von sich reden machte, das zum Kanon der britischen Frauenbewegung gehört.

Jetzt sollen sich die beiden Familien kennenlernen – und erwartungsgemäß läuft das gehörig schief. Allerdings anders, als man erwarten würde: Zwar gewitzt, aber ganz ohne Klamauk erzählt Ali zwei Familiengeschichten, die jede auf ihre Art von Rassismus, Ressentiments und Geheimnissen geprägt sind, die die geplante “Liebesheirat” scheinbar unmöglich machen.

Dass Yasmins streng gläubige Mutter bei Harriet einzieht und Yasmin aus sexueller Frustration eine Affäre mit einem Kollegen anfängt ist dabei nur der Auftakt. Ich musste viel lachen bei diesem seitenstarken Roman (knapp 600), der sehr smart Seitenhiebe auf vermeintlich weltoffene Intellektuelle, Halbgötter in Weiß und alte, weiße Frauen verteilt. Hat mich streckenweise immer wieder an Zadie Smith erinnert, die ich auch so gern lese.

Glamour und die Suche nach dem Glück: “City of Girls” von Elizabeth Gilbert

Kleiner Hinweis vorweg: Wer diesen Roman liest, hat anschließend sofort das Bedürfnis auszugehen und es so richtig krachen zu lassen: Her mit den Glitter-Outfits und Champagner für alle! Denn das mitreißende Sittenporträt der “Eat, Pray, Love”-Autorin Elizabeth Gilbert entführt uns direkt in das überbordende Nachtleben im New York der 1940er.

Die 19-Jährige Vivian ist frisch vom College geflogen und aus der Provinz ins brodelnde Manhattan zu ihrer Tante gezogen, die dort ein heruntergekommenes Revue-Theater betreibt. Das “Lily Playhouse” wird zu ihrer neuen Heimat – und die Revue Girls zu ihrer Familie. Gemeinsam mit der schönen Celia stürzt sich Vivian kopfüber ins ausschweifende Nightlife – jeder Clubabend ein einziger Exzess.

Es prickelt ordentlich auf den fast 500 Seiten, auf denen es um Glamour, ungezügelte Lebenslust, Freiheitsliebe und eine Parallel-Welt geht, in der das Vergnügen immer über der Vernunft steht. Wer ungern explizite Sexbeschreibungen liest, sollte sich die Lektüre verkneifen, denn Gilbert überlässt dabei wenig der Fantasie. Die Geschichte hatte mich von Seite eins, ich mochte den Ton, das Setting und ich konnte nicht genug bekommen von diesen Frauen, die ihren eigenen Weg suchen, wieder aufstehen, auch wenn sie grandios scheitern – und jede für sich ihr Schicksal in die Hand nehmen. Könnte ich mir super als opulente Serie vorstellen – “Eat, Pray, Love” wurde ja auch bereits verfilmt.

Magie und Melancholie: “Winter auf Solupp” von Annika Scheffel

Wenn ich ein Kinderbuch am liebsten weiterlesen will, selbst wenn meine Kinder schon schlafen – dann ist das ein gutes Zeichen! Ging mir bei Kirsten Boies Sommerby-Bänden so und auch jetzt beim zweiten Buch der Solupp-Reihe, der gerade perfekt in die Jahreszeit passt: Nach ihrem wunderschönen Sommer auf Solupp, kehrt die fünfköpfige Familie Fröhlich im dunklen Dezember auf die Insel zurück, die irgendwo im Norden liegt und doch auf keiner Landkarte zu finden ist.

Hier treffen sie wieder auf Ema, Joon und Jolka – doch abermals ist ihre gemeinsame Zeit nicht komplett unbeschwert: Die sonst so energische und mitreißende Jolka – das Herz des kleinen Eilands – ist in Schwermut verfallen. Ihre Depression wird allerdings so selbstverständlich nebenbei erzählt (wie übrigens auch die zaghafte, homosexuelle Liebe zwischen Joon und Kurt), dass es das Buch zwar prägt, aber dennoch nichts von seiner Magie kostet.

Denn Solupp ist nicht nur aus der Zeit gefallen, sondern auch ein wenig aus der Wirklichkeit: Es gibt Piraten, die sich dort zur Ruhe gelassen haben, magische Orte – und diesmal das Geheimnis um die Wechselnachtswünsche, denen die Kinder auf die Spur kommen wollen. Im Deutsch-LK habe ich vor Jahren für dieses Erzählen mal einen Begriff gelernt: Magischer Realismus – auf Solupp werden märchenhafte Elemente ganz selbstverständlich mit Alltäglichem verknüpft. Eine sehr besondere Reihe – wir haben noch “Frühling auf Solupp” vor uns.

Pippi kann einpacken: “Die Geburtstagsbande – Die beste Party der Welt” von Claudia Schaumann

Ich war schon immer ein Fan von starken Mädchen-Figuren – und die impulsive Lu aus Claudis “Geburtstagsbande” ist mir besonders ans Herz gewachsen: So energisch, gewitzt und schlau – das ist genau die Freundin, die man sich für die eigenen Kinder wünscht! Ein Mädchen, das auch mal charmant aneckt und doch ihren Weg geht – und für ihre Freunde durchs Feuer.

Im zweiten Band der Bande hat das Party-Trio Lu, Pelle und Rio es geschafft: Sie dürfen ganz offiziell Geburtstage organisieren. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht, denn: Amelie wirft ständig die geplanten Partys um – und Lu ist kurz vor Platzen. Bis sie herausfindet, worum es dem Mädchen wirklich geht. In Claudis unvergleichlichem hygge Stil und mit ganz großer Fabulierlust geschrieben, geht es in diesem tollen Kinderbuch um die fundamentalen Themen Freundschaft, Mut – und Zugehörigkeit. Eignet sich auch super zum Selberlesen (für Kinder und ihre Eltern).

Welche Bücher liegen gerade auf euren Stapeln? Der Winter ist noch lang…

Alles Liebe,

Katia