Als Kind war die örtliche Buchhandlung mein zweites Zuhause: Die Mutter meiner besten Freundin war Buchhändlerin in unserer Kleinstadt, und ich habe Monate meines Lebens zwischen den deckenhohen Regalen verbracht – immer einen neuen Roman vor der Nase. Bis heute liebe ich diesen besonderen Geruch, die Atmosphäre – und habe bei jedem frischen Buch noch immer dieses bestimmte Herzklopfen, weil ich weiß, dass ich gleich in eine neue Geschichte eintauchen darf. Kribbelt’s bei euch auch schon? Hier kommen meine neuen Empfehlungen für euch:


“Nebenan” von Kristine Bilkau: Von der Angst, nie Mutter zu werden

Ich mochte schon ihr Debüt “Die Glücklichen” gern lesen – und auch der dritte Roman der Hamburger Autorin hatte mich sofort. Vielleicht, weil mich der Plot an eine Zeit erinnert hat, als es mir selbst ähnlich ging: Die Enddreißigerin Julia, just mit ihrem Mann gemeinsam von Hamburg auf ein Dorf an den Nord-Ostsee-Kanal gezogen, wünscht sich sehnlichst ein Kind. Nur: Es will einfach nicht klappen. Jedes Mal, wenn der Zyklus erbarmungslos all ihre Hoffnungen zunichtemacht, muss sie sich erst einmal wieder auf die Füße stellen. Nächster Versuch, neue Hoffnung mobilisieren – Scheitern gleich einkalkuliert. Und sich nebenbei auf Instagram die volle Dröhnung Mutterglück auf beigen happy-Familiy-Accounts abholen…

Es sind Sätze wie diese über Julias Gefühl der Kinderlosigkeit gegenüber ihren Freunden mit Familien, die das Buch in all seiner feinen Melancholie zu einem echten Lesevergnügen machen: “Es ist, als wäre sie mit allen zusammen in einen Zug gestiegen, mit einem gemeinsamen Ziel. Doch nach und nach sind die Leute ausgestiegen, fahren in andere Richtungen, und sie, sie hat ein Stück der Strecke verschlafen, wacht auf und sieht, sie hat ihren Anschluss verpasst.“

Bilkau erzählt in einer eindringlichen Sprache von Leere – nicht nur in Frauenkörpern, sondern auch in den Dörfern fernab der Städte, in Beziehungen und in Träumen. Die Geschichte kreist um mehrere Frauen, deren Wege und Bedürfnisse sich immer wieder kreuzen – ohne sich zu manifestieren. “Nebenan” ist ein Buch wie ein Traum, den man nach dem Aufwachen nicht mehr richtig fassen kann. Und der einen doch erfüllt zurücklässt. Hier geht’s zum Buch.

“Lügen über meine Mutter” von Daniela Dröscher: Mama ist zu dick!

Ich muss gestehen, dass ich den Roman, der vergangenes Jahr für den Deutschen Buchpreis nominiert war, mehrfach fast weggelegt hätte. Zu schlimm fand ich den Mann der titelgebenden Mutter, der sein mangelndes Selbstwertgefühl an seiner Frau auslässt – weil sie ein paar Pfund zu viel drauf hat. Selbst mein Vater, dem ich meine Bücher meist weiterreiche, rief gestern empört an: “Wie kann man nur so furchtbar sein…?”, japste er durchs Telefon. Also: Es gibt nach der Lektüre Redebedarf.

Umso beklemmender, dass die Autorin fiktionalisiert ihre eigene Kindheit und Jugend im Hunsrück der 80er Jahre erzählt: Wie das Gewicht ihrer Mutter das komplette Familienleben beherrscht, wie ihr Körper als Negativzustand stigmatisiert wird, der die Schuld an jeglicher Misere des Mannes tragen soll – absurd, tragisch und doch ein Pageturner! Weil es eben auch die Geschichte einer starken Frau ist, die zwar leise, aber auf ihre Weise einen Weg findet, sich dem Diktat zu entziehen. Ich konnte jedenfalls nicht aufhören zu lesen, obwohl ich manchmal wollte. Und denke seitdem noch mehr: Es ist so verdammt wichtig, dass Frauenkörpern weniger Druck gemacht wird! Hier geht’s zum Buch.

“Fast genial” von Benedict Wells: Road-Novel mit Coming-of-Age-Plot (oder umgekehrt)

In der Rückschau der vergangenen Lese-Jahre kann ich wohl sagen: Benedict Wells hat sich zu einem meiner liebsten Schriftsteller gemausert. Ich habe hier schon mal sehr über “Hard Land” geschwärmt, aber auch “Vom Ende der Einsamkeit” und “Becks letzter Sommer” fand ich ziemlich großartig. Und jetzt eben “Fast genial”, schon ein paar Jahre alt, aber dennoch wert, unbedingt gelesen zu werden: Es geht um Francis, einem Jungen aus einem dieser tristen Trailerparks, in denen sich die Gescheiterten sammeln, denen sich der amerikanische Traum verweigert hat.

Zwei Ereignisse geben Francis’ vermeintlich vorgezeichnetem Loser-Leben Aufschwung: Die Begegnung mit der Suizid-gefährdeten Anne-May – und die überraschende Nachricht, dass sein ihm unbekannter Vater ein wissenschaftliches Genie sein soll. Noch gemeinsam mit seinem besten Freund machen sich die drei Teenager auf einen Road-Trip, der sie quer durch die USA bis nach Mexico führt – und sie alle für immer verändert. Sagte ich schon, dass ich Coming-of-Age-Romae liebe? Und Road-Novels? Zusammen das perfekte Match für mich! Hier geht’s zum Buch.

“Connemara” von Nicolas Mathieu: In der Mitte des Lebens wird’s noch mal chaotisch – und erotisch

Ich habe mich ein ganz bisschen an den Plot von “Salz auf unserer Haut” erinnert gefühlt (naa, wer kennt den softerotischen Bestseller noch…?). Dabei ist der starke Roman des preisgekrönten Franzosen alles andere als trivial. Hélène legt nach ihrem provinziellen Mauerblümchen-Dasein einen steilen sozialen Aufstieg in die Führungsetagen internationaler Unternehmen hin – um dann als frustrierte Mitvierzigerin mit ihrer einstigen Jugendliebe Christophe anzubändeln.

Der als Teen offenbar DER Typ war – aber mittlerweile als Hundefutter-Vertreter und mit recht schlichten Vorlieben von Fußball, Bier und Kumpel-Dates deutlich an Attraktivität eingebüßt hat. Also eigentlich. Denn Karrierefrau Hélène lässt sich dennoch auf eine stürmische Affäre mit ihm ein, die – ähnlich wie in “Salz auf unserer Haut” – keine nennenswerte Zukunft hat. Ich mochte den Roman aber nicht nur wegen des verbotenen Kitzels, sondern vor allem der Themen wegen, die mich mit Mitte 40 auch gerade bewegen: Was kommt jetzt noch? Lebe ich das Leben, das ich wollte? Was kann ich jetzt noch ändern, um glücklicher zu sein? Es sind die universellen Fragen, die einen ab der Mitte des Lebens beschäftigen – und die es wert sind, gründlich überlegt zu werden. Für ein paar Impulse – hier geht’s zum Buch

“Der Brand” und “Irgendwann werden wir uns alles erzählen” von Daniela Krien: Meine neue deutsche Lieblingsautorin.

Zugegeben: Auf die Bücher von Daniela Krien bin ich über den Kino-Umweg gekommen: Kürzlich lief die Verfilmung ihres Debüt-Romans “Irgendwann werden wir uns alles erzählen” in den Kinos – und ich war hin weg! Die Geschichte hat mich sofort gepackt: Die 17-jährige Maria lebt im heißen Sommer des ersten Nachwende-Jahres auf dem Familien-Hof ihres Freundes im thüringischen Nirgendwo. Das ganze Land ist im Umbruch und Aufruhr, nachdem Deutschland plötzlich wieder vereint ist.

Und auch Marias Gefühle geraten durcheinander, als sie sich auf eine Affäre mit dem Einzelgänger und Nachbarn Henner einlässt. Diese amour fou sprengt alles, was ich seit langem über Liebe und Begehren gesehen und gelesen habe: Es ist wild, schmerzhaft, allumfänglich, atemberaubend. Und zum Glück steht das Buch dem Film in nichts nach (eigentlich umgekehrt, aber ich hatte die falsche Reihenfolge).

Nach diesem großartigen Lektüre-Auftakt habe ich gleich ein paar weitere Romane der Leipziger Autorin verschlungen. Genauso gut hat mir “Der Brand” gefallen, die Geschichte einer in die Jahre gekommenen Ehe, die sich in einem Sommer in der Uckermark neu justieren muss: “Was ist mit uns, Peter?”, fragt Rahel ihren Mann am Anfang ihres verunglückten Sommerurlaubs, den sie statt auf einer Berghütte auf dem baufälligen Hof einer alten Freundin verbringen. Es geht um “die Inspektion einer erlöschenden Liebe”, wie die SZ so schön schrieb – und ich habe den Pageturner verschlungen bis zu seinem versöhnlichen Ende. Hier und hier geht’s zu den beiden Romanen.

Und was lest ihr gerade? Freu mich über eure Empfehlungen!

Alles Liebe,

Katia