Als überpriviligierte Frau sollte ich verdammt nochmal nicht meckern und nicht über Luxusprobleme nachdenken, bekomme ich derzeit öfter zu hören. Auf Instagram, aber auch im wahren Leben. Deutschland hätte andere Sorgen. Und ich frage mich: Muss ich wirklich still sein, bloß weil es mir ganz gut geht? Und wer ist hier überhaupt priviligiert…?

Ich bin es. Weil ich in einem sicheren Land lebe, wir ein Haus und einen Garten haben, weil wir sechs gesund sind. Mein Mann und ich haben Jobs, von denen wir derzeit gut leben können. Alles super. Im nächsten Moment frage ich mich erschrocken, warum es mir dann nicht jeden Tag himmelhochgut, sondern öfter mal schluchzendschlecht geht…

Im Oxford-Lexikon steht als Erklärung für Privileg ganz allgemein: „Ein Privileg ist ein Vorrecht, das einer einzelnen Person oder einer Personengruppe zugeteilt wird.“ Bei Everydayfeminism.com finde ich folgende Erklärung: „Ein Privileg ist der unverdiente Vorteil einer bestimmten Gruppe in der Gesellschaft.“ Diese Erklärung erklärt das komische Gefühl, das ein Privileg machen kann: Niemand hört gern, dass er unverdiente Vorteile hat. Verfällt in einen Verteidigungsmodus. Für mich galt als privilegierter Mensch bislang vor allem jemand, der genug Geld hat. Wie viel genug ist, bleibt dabei unklar. Dann sind da noch: Nationalität, Herkunft, Aussehen, Geschlecht, mögliche Krankheit, Behinderung. Durch meine kleine Umfrage auf Instagram kamen noch mehr Punkte dazu: Sich seine Zeit frei einteilen zu können zum Beispiel. Unterstützung durch die Familie zu haben. Oder auch: Viel Freizeit zu haben.

Ein Tipp von meiner Community: Wer Lust hat zu testen, wie privilegiert man ist, kann den Walk of privilege gehen. Mein Fazit: Es gibt Basic-Privilegien, die in Deutschland zur Zeit fast alle genießen: Frieden, ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen. Und: Privilegiert fühlen und gesehen werden ist nicht bloß abhängig von einer Sache, sondern gleich von einer Handvoll.

Warum tanzen viele von uns dann nicht glücksgrinsend herum?

Weil viele der oben genannten Privilegien unter ferner liefen laufen, wenn sie erfüllt sind. Weil das Gefühl von Glück flüchtig ist. Weil trotz Privilegien viele Sorgen da sein können. Unsere Selbstständigkeiten bieten zum Beispiel eine große Freiheit, aber auch großes Risiko. Unsere finanzielle Situation fühlt sich nicht wie ein bequemes Sofa an, auf dem wir den ganzen Tag chillen. Sondern sie muss immerzu beschützt werden: Vor Flecken, Motten oder einem Großbrand.

Dazu kommen Krankheiten im Familienkreis, die jedem Glücksgefühl das Glitzern nehmen. Die Sorge um einen lieben Menschen kann einem auch ein fetter Gehaltsscheck nicht nehmen. Überhaupt habe ich seit ein paar Jahren das Gefühl, dass die Zeiten für weiße und schwarze Gefühle vorbei sind. Heute sind Gefühle grau. Weil sich unter jedes Glück immer Sorge mischt. Und weil einem im größten Schmerz doch wieder einfällt, wie gut man es hat.

Wie aber geht man mit diesen Gefühlen um? Darf ich wirklich nicht meckern, weil ich privilegiert bin? Was da draußen im echten Leben und im Netz für Wut und Hass kokeln, macht mir Angst. Überall wird mit Privilegiertenvorwürfen herumgeschmissen: Politiker mit sechsstelligem Jahreseinkommen sollen keine Spartipps geben. Wer fliegt ist ein Schwerverbrecher. Und Mütter dürfen nicht über Pros und Contras von Skiulaub sprechen. Allgemeiner Konsens: Denen geht es doch allen viel zu gut. Und: Haben wir nicht andere Probleme? Haben wir!

Wie gehen wir also mit unseren Privilegien um?

Um die Stimmung da draußen zu verstehen, muss man verstehen, wie sie entsteht. Denn das was uns bedrückt ist nicht nur die Krise selbst, sondern der mediale Umgang damit. Die Schlagzeilen und Bilder, die täglich auf uns einprasseln. Während die Print-Presse ihre Ausgaben größtenteils über Angst verkauft, funktioniert Social Media vor allem über Neid: Wir sind neugierig auf das schönste Haus/Kind/Kleid – oder posten es selbst. Denn mal ehrlich: Berge von Wäsche will keiner sehen. Auf der anderen Seite ist Social Media zum offenen Ohr geworden und das 24/7. Wir tippen ins Handy, wenn das Ohr unserer Freundin gerade nicht da ist. Das ist in erster Linie doch erstmal etwas Positives.

Angst und Neid sind allerdings Gefühlsverstärker. Sie brauen ein allgemeines Unwohlsein zusammen und das ständige Gefühl das uns etwas fehlt. Dazu kommt, das wir immer nur Ausschnitte aus dem Leben einer Person sehen. Selbst wenn die Insta-Story aus Dutzenden kleiner Striche besteht, sehen wir nur Teilaspekte. Ob die Millionärin auf ihrer Yacht also in Wahrheit schwere Depressionen hat, sehen wir nicht. Klar kann man jetzt brüllen: Soll sie sich nicht so anstellen, immerhin sitzt sie auf einer Yacht. Ich glaube aber, die Dame würde den weißen Bug vielleicht gern gegen bunte Gedanken eintauschen.

Fußball braucht kein Mensch…

Noch ein Punkt. Es ist immer leicht Dinge überflüssig zu finden, die einem nicht am Herzen liegen. Über Fußball zum Beispiel könnte ich mich ständig aufregen. Ich töne liebend gern darüber, wie unwichtig der ist, wie viel Strom und Ressourcen man ohne sparen könnte und wie toll wir die Milliarden, die da von Konto zu Konto gekickt werden, für soziale Projekte einsetzen könnten. Warum? Weil mich Fußball nicht interessiert.

Allein in meinem Haushalt gibt es aber mindestens drei Menschen, die das komplett anders sehen. Fußball gehört für sie zu den wichtigsten Dingen auf der Welt, ist einer der Gründe, warum sie morgens aufstehen und auch wenn ich es nicht nachvollziehen kann, so kann ich es dennoch akzeptieren. Weil für mich andere Dinge ebenso wichtig sind. Das Fußball unwichtig wird, wenn neben uns eine Bombe hochgeht, sei jetzt man dahingestellt. Mit dem Gedanken könnten wir uns nämlich gleich dauerhaft im Bunker verstecken. Weil es immer noch schlimmer geht.

Ich könnte noch tausend Beispiele finden: Kreuzfahrten zum Beispiel. Finde ich schrecklich, können wir uns meinetwegen im Sinne des Klimaschutzes komplett schenken. Ich kenne aber gerade in der Generation meiner Eltern eine ganze Menge Menschen, die einmal im Jahr genau so eine Schiffsreise machen und sich das ganze Jahr über von ganzem, herzschrittmacheraktivierten Herzen darauf freuen. Sie konsumieren ansonsten fast nichts. Wie kann ich denn, aus meiner eigenen Kreuzfahrt-Unlust dafür plädieren, genau die komplett abzuschaffen? Wir sind alle so unterschiedlich – und das ist die Krux. Das macht das alles so schwierig.

Denn mal ehrlich: Das ganze Leben muss nicht sein.

Leben bedeutet Umweltverschmutzung. Das ist Fakt. Es liegt aber an uns, es besser zu machen. Für mich bedeutet das, die Dinge, die mir wichtig sind, mit Muße und Maß zu machen. Ich finde es naiv zu fordern, dass es ab sofort überhaupt keine Fernreisen, keine Kreuzfahrten, keine Skipisten, keine Großveranstaltungen, keine Autobahnen, keine Klimasünden mehr geben soll. Das ist ähnlich unrealistisch, wie die Forderung, dass niemand mehr Fleisch essen soll, damit alle Schweine ab sofort fröhlich und frei in Wald und Wiese wohnen können.

Fakt ist aber auch: Wir müssen was tun. Ich fände es wichtig, dass der Staat klimafreundliche Alternativen schafft und uns so ein bisschen zwingt. Und dass wir täglich schauen, was uns wirklich wichtig ist, das bewusst machen und genießen. Was aber bringt es, andere verallgemeinernd als überprivilegiert zu beschimpfen, sobald sie den Mund auf machen und über Luxusprobleme reden?

Stattdessen könnten wir das eigene Lese- und Likeverhalten überprüfen. Verrückterweise bekommen Klamotten-Posts nämlich sehr viel mehr Beachtung als konsumfreie. Deswegen jetzt aber bloß über dauerkonsumierende Infaulencer zu schimpfen, finde ich unlogisch. Wenn die nämlich keine Likes mehr für Klamotten bekämen, wenn keiner mehr ihre Code nutzen würde, müssten sie sich etwas anderes überlegen. Wir können nicht nichtkonsumieren. Aber die Masse macht’s.

Bleibt noch die Frage, ab wie viel Einkommen/Gesundheitsgrad/Urlauben im Jahr man eigentlich privilegiert ist? Ich selbst fühle mich zum Beispiel in einigen Dingen sehr privilegiert (Herkunft, Haus, Job). In anderen Punkten (Zeit für mich, Schicksale im Familienkreis) dagegen sehr viel weniger. Beantworten kann das nur jeder einzelne selbst. Schämen muss man sich seiner Privilegien aber doch nicht. Toll wäre es, seinen Vorteil in soziales Engagement und Nächstenliebe stecken.

Und offen für (freundlich formulierte) Kritik zu sein.

Auch ich vergesse öfter, wie privilegiert ich – zumindest in Anteilen – bin. Das ist menschlich, schließlich kann unser Gehirn nicht zwei Gedankengänge gleichzeitig denken. So bleibt Kapazität für andere Gedanken, die man natürlich auch aussprechen darf, finde ich! Für dieses Spontane, nicht zu Ende gedachte, ist doch Social Media da. Für all das, was nicht in einer großen Redaktionskonferenz abgesegnet wurde.

Eins noch: Dinge die gut laufen, beschäftigen uns meist weniger, als Dinge die schlecht laufen. So funktioniert unser Gehirn – es hat uns damit früher vor Tigern beschützt. Mir hilft es auf Instagram, meine (Neid-)Gedanken größer zu zoomen. Dann sehe ich nämlich nicht bloß die Instagrammerin im perfekten Haus, sondern sehe die Arbeit, die sie in ihren Auftritt steckt. Bedenke, dass sie auch nervige Nachbarn, Schulprobleme und einen fetten Kredit hat und vielleicht sogar einen Kranken im Familienkreis, den sie sich nicht von ihrem guten Verdienst gesund kaufen kann.

Jeder, wirklich jeder hat sein Päckchen zu tragen.

Glücksgefühle entstehen durch ein Privileg nicht automatisch und sind kein Dauerzustand. Wie seltsam wäre es übrigens, x-mal am Tag zu posten: „Genieße grad meine Privilegien!“ Oh Gott! Da hauen wir doch lieber mal raus, was uns nervt, obwohl es uns so gut geht. Oder was meint ihr? Das zeigt doch auch, dass überall irgendwas doof ist. Vielleicht probieren wir einfach mal, ein wenig milder mit uns und mit anderen zu sein? Ich finde, das wäre ein großes Privileg.

PS. Fühlst du dich privilegiert?

Claudi