“Wier protiren – krik sol aufhören” Strahlend hält mir meine Tochter ihr selbst gebasteltes Transparent in Herzform unter die Nase. Wir sind auf dem Weg zu einer großen #StandWithUkraine-Kundgebung in Hamburg. Und ich stecke mitten in einem Gefühlssturm: Überwältigt von Liebe und Stolz, Angst und Wut. Nur der Hilflosigkeit will ich keinen Raum geben. Deswegen gehen wir heute als Familie auf unsere erste Friedensdemo. Um etwas für die Welt zu tun, in der unsere Kinder aufwachsen. Um Haltung zu zeigen. Und vielleicht auch, um uns zu beweisen, dass sich verdammt viele Menschen auf diesem Planeten Frieden statt Krieg wünschen…
Ich hätte nie geglaubt, so etwas jemals mit meinen Kindern tun zu müssen. Für ein friedliches Europa auf die Straße zu gehen. Vielleicht war es naiv, aber ich hatte wirklich gehofft, dass sie in einer weitgehend friedvollen westlichen Welt aufwachsen können. Ich finde, die Klimakrise ist für die nachfolgende Generation schon Bürde genug.
Es bricht mir das Herz, dass ich meiner Sechsjährigen erklären muss, was Krieg ist.
Dass Menschen gar nicht weit weg von uns plötzlich aus ihrem Zuhause fliehen müssen, sich verstecken, in fremde Länder flüchten. Es überfordert mich, den richtigen Ton zu treffen, die richtige Balance aus kindgerechter Information und meinem überwältigenden Bedürfnis, sie vor allem Unheil zu beschützen. Am liebsten würde ich mich selbst verstecken vor diesem ganzen beängstigenden Irrsinn. Stattdessen entscheiden wir an einem Donnerstagmorgen spontan, mit den beiden Großen auf eine Friedensdemo zu gehen.
Die Kinder sind aufgeregt, wir holen sie früher von der Schule ab, sie sollen am nächsten Tag erzählen, was sie erlebt haben. Auf der Rückbank skandieren die Kinder “Wir protestieren, nie wieder Krieg!” in Endlosschleife. Sie lachen und albern herum. Es ist ein wenig absurd, dass auf der Fahrt eine Art Ausflugsstimmung herrscht. Wobei: Ist das für Frieden nicht die beste Stimmungslage – offen und neugierig auf die Welt zu sein?
Doch schon auf der Bahnfahrt zur Kundgebung kippt die gelöste Laune der Kinder.
Sie, die als Dorfkinder noch keine S-Bahn von innen gesehen haben, die in den vergangenen zwei Pandemie-Jahren auf Abstand zu anderen Menschen getrimmt wurden, finden sich in einem proppevollen Waggon wieder, in dem wir uns wie die Sardinen in der Büchse drängeln. “Mama, ich will wieder nach Hause”, piepst meine Tochter. Auch der Große ist ein wenig blass um die Nase. Wir schreiben den Kindern noch unsere Handynummer auf die Handrücken, nur für den Fall.
Es werden bis zu 50.000 Teilnehmer erwartet, heißt es. Und mich packt plötzlich das schlechte Gewissen: War es die richtige Entscheidung, die Kinder mitzunehmen? Oder überfordern wir sie mit einer Sache, die in ihrer Realität noch keine wirkliche Bedeutung hat? Ist es doch viel zu viel, viel zu überwältigend, viel zu abstrakt für sie? Ich packe ihre Hände noch fester.
Auf der Demo wird es ein wenig besser.
Wir treffen Freunde. Überall sind Familien wie wir, mit kleinen und großen Kindern. Überall sind Schüler, denen der Schulsenator für die Demo friedensfrei gegeben hat. Überall werden farbenfrohe Plakate und Transparente in den blauen Märzhimmel gehalten, auf der Bühne spielt Bosse. Es herrscht weniger Gedränge, alle sind um Rücksicht bemüht. Es fühlt sich an wie auf einem Festival. Einem Familien-Festival für den Frieden. Und es tut gut, das zu spüren: Dass wir sichtbar sind. Dass wir viele sind.
Meinen Kindern sind es immer noch zu viele – Menschen, Eindrücke, Gefühle. Nach einer halben Stunde wollen sie nicht mehr protestieren. Sie wollen essen, sich ausruhen, nach Hause. Der Weltfrieden ist ihnen gerade herzlich egal. Bevor sich der Demonstrationszug in Bewegung setzt, sind wir auf dem Heimweg. In der Bahn schläft meine Tochter auf dem Arm meines Mannes ein. Haltung zeigen kann ganz schön anstrengend sein. Und ich bin plötzlich sehr froh, dass sie einfach Kinder sein dürfen, deren drängendstes Problem ist, dass sie müde und maulig sind.
Selbst wenn es verdammt aufregend für die Kinder gewesen ist: Ja, es war dennoch richtig, mit ihnen gemeinsam zu demonstrieren.
Und natürlich würde ich mir wünschen, dass sie in ihrem ganzen Leben kein weiteres Mal gegen Ungerechtigkeit, gegen Krieg, gegen verpasste Klimaziele auf die Straße gehen müssten. Doch ich fürchte, ihre Generation muss das lernen, noch viel mehr als unsere. Und wir als Eltern sind ihre Vorbilder – wir müssen ihnen zeigen, wofür oder wogegen es sich stark zu machen lohnt. Dass ein friedliches Miteinander nicht nur in der Familie essenziell ist – sondern eben überall auf der Welt. Und dass man Menschen in Not helfen muss.
Das ist auch das, was meine Kinder im Demo-Nachgang am meisten bewegt: Am nächsten Tag leeren sie mit heiligem Ernst ihre Spardosen, damit wir ihr Klimper-Kleingeld für die Ukraine-Hilfe spenden. Sie suchen Kuscheltiere, Playmobil, Bilderbücher zusammen, die sie Flüchtlingskindern schenken wollen. Sie überlegen, ob wir ein Zimmer räumen sollen, um geflüchteten Familien ein temporäres Dach über dem Kopf zu geben. Und sie wollen immer wieder die Bilder der Zehntausenden Menschen sehen, zwischen denen sie am Vortag gegen den Krieg protestiert haben. “Wir waren ganz schön viele”, staunt meine Mittlere. Und diesmal klingt es so, als fände sie das ganz gut.
“Krik sol aufhören.” Dem ist nichts hinzuzufügen.
Wart Ihr mit Euren Kindern schon auf der Straße?
PS: Ich bin noch ein ziemlicher Anfänger darin, mit meinen Kindern auch so schwierige Themen wie Krieg und Krisen anzupacken. Und ich war in den vergangenen Wochen unglaublich froh um jede Hilfestellung, die ich dazu bekommen habe. Ich finde, gemeinsam Logo zu schauen bietet einen guten Gesprächsanlass. Hier gibt es außerdem eine kindgerechte Erklärung für die aktuellen Geschehnisse. Und ich selbst bin gerade sehr froh über diesen Insta-Account, weil er kurz und knackig die relevanten Infos für mich zusammenfasst. Und hier könnt Ihr Euch registrieren, wenn Ihr Flüchtlingen eine temporäre Bleibe ermöglichen wollt.
Alles Liebe, bleibt friedlich und zuversichtlich,
Wie schön, dass ihr als Familie teilgenommen habt! Und ja, ich kann die gemischten Gefühle total nachvollziehen.
Mit unserem Sohn und seinem Freund war ich vor drei Jahren (damals 3. Klasse) auf einer kleinen Fridays for Future Demo in unserer Stadt. Weil das Thema damals ja auch so präsent war, gerade auch auf Logo und ich dachte, es schadet ihnen nicht, einfach mal mitzugehen, statt immer nur vor dem Fernseher zu sitzen. Fanden sie auch beide gut.
An Rosenmontag waren wir dann mit dem inzwischen 12-jährigen in Köln zusammen mit 250.000 – auch hier, weil ich einfach zeigen wollte, wie wichtig es ist, Haltung zu zeigen und dass wir zwar wenig Möglichkeiten haben, das Weltgeschehen zu verändern, aber die, die wir haben, auch nutzen sollten. Allerdings sind wir hier auch nicht bis zum Ende geblieben, weil es schlicht zu voll war und die Vorsicht wegen Corona uns am Ende wieder nach Hause getrieben hat.
Wie schwer, Kindern gegenüber Worte zu finden für Themen, bei denen uns Großen doch selber die Worte fehlen. Ich glaube, es ist wichtig, innerhalb der Familie den Standpunkt zu klären und den Kindern diese Werte und Einstellungen vorzuleben und zu erklären, warum uns diese so wichtig sind.
Und ich glaube, das Gefühl “etwas getan zu haben”, indem man auf einer Demo war, bleibt auch bei Kindern hängen und stärkt sie. Genau wie das Erlebnis, dass eben nicht alles nur schlecht ist, sondern es so viele gibt, die sich für eine bessere Welt einsetzen. Daraus können wir alle Kraft und Hoffnung schöpfen!
Liebe Susanne, ich glaube, “gemischte Gefühle” ist der Ausdruck der Stunde. In Bezug darauf, wie wir unsere Kinder an das Thema heranführen, in Bezug auf das, was wir als Familien leisten können. Ich frage mich beispielsweise auch, ob wir es unseren Kindern zumuten können, traumatisierte Flüchtlinge bei uns zuhause auszunehmen – ob die positiven Aspekte (wir helfen Menschen in Not) oder die ggf. negativen (fremde Menschen bei sich zuhause im emotionalen Ausnahmezustand zu erleben) überwiegen. Die gemischten Gefühle beziehen sich aber auch darauf, dass endlich Frühjahr ist. über das ich mich nach dem zweiten Pandemie-Winter undendlich freue – und mich gleichzeitig frage: darf ich das? Es ist eine seltsame Zeit, mehr noch als zuvor, und jeder muss versuchen, seinen Weg dadurch zu finden. Alles Liebe, Katia
Vielen Dank für diesen Beitrag! Ich hab Tränen in den Augen. Wir haben mit den Kindern Essenspakete gepackt für die Menschen in der Ukraine. Dein Bericht macht mir Mut auch mit den Kindern auf die Straße zu gehen, um etwas gegen diese Hilflosigkeit zu tun und auch mit den Kindern zu sehen, wieviele wir sind,die an friedliche Lösungen glauben und für unsere demokratischen Werte eintreten!
Liebe Lilian, ja, dieses Gemeinschafts-Gefühl stärkt einen, und das ist gerade wichtig, um nicht mut- und hilflos zu werden. Frieden ist einfach essenziell. Alles Liebe, Katia
Unsere Jungs (3,5,7,9,13,17) waren von Anfang an unterschiedlich „interessiert“ . Wir haben viel geredet, besonders mit den zwei großen. und gemeinsam auch viel überlegt, wie wir helfen könnten. Demos, spenden? Wir haben uns für die Variante „Zimmer leer räumen“ entschieden, da wir die Möglichkeit hatten und beherbergen nun gerade drei Mütter und ihre vier Kinder (6,7,7,9) bei uns. Nun ist der Krieg für unsere Kinder sehr „greifbar“ und verständlicher. Sie kennen nun Menschen, die nichts weiter haben als ihre Kleidung und vier Kuscheltiere, weil sie vor Raketen fliehen mussten. Auch unser fünfjähriger fragt nun nach, warum unser besuch nicht abends nach Hause geht.
Ich hoffe, unsere Kinder lernen aus der aktuellen Situation, dass jeder einen Beitrag für Frieden leisten kann, egal was es ist. Ob auf einer Demo, zu Hause, durch spenden oder was auch immer.
Lg Maria
Liebe Maria, das ist eine große Geste und – wenn man sich als Familie dafür entscheidet – gerade das menschlichste, was man als Hilfestellung leisten kann. Chapeau! Ganz gleich, wofür sich jede Familie derzeit entscheidet: Hauptsache, wir tun etwas, Hauptsache, wir sensibilisieren unsere Kinder altersgerecht für das, was gerade passiert – damit ihre Generation es hoffentlich besser machen kann. Ich wünsche Euch viel Kraft in dieser Situation, die sicher für alle Beteiligten herausfordernd ist. Alles Liebe, Katia