Ja, auch ich bin ein #MeeToo-Opfer – lange bevor irgendwer diesen Begriff überhaupt kannte. Auch ich bin sexuell belästigt worden, nicht nur einmal. Und obwohl ich mich immer noch sehr gut an meinen Ekel, an die Scham und dieses unbestimmte Gefühl erinnern kann, dass etwas gerade furchtbar schiefläuft, kommt es mir jetzt beim Schreiben wieder so vor, als würde ich etwas aufbauschen. Denn soo dramatisch war es ja am Ende nicht. Schließlich bin ich damals nicht wirklich vergewaltigt worden. Oder…?
Frau mit erhobener Hand vorm Gesicht, die Stop! signalisiert
Ganz gleich, wie man es benennt: Jede Form von sexualisierter Gewalt ist ein Drama – für die Frau. Ist ein schockierender Übergriff – für die Frau. Ist traumatisch, schambehaftet, angstbesetzt – für die Frau. Egal, wie alt, egal, aus welcher Situation heraus, egal, ob alles erst im Einvernehmen passiert ist:

Nein heißt immer Nein. Vielleicht heißt nicht Ja. Stop heißt immer “Hör auf!”. Und zwar sofort!

Beim ersten Mal war ich jung, 14 vielleicht und gänzlich unerfahren. Mein Freund war drei Jahre älter und ich leider nicht so verliebt, wie ich es eigentlich sein wollte. Knutschen fand ich okay, die Hand umterm Shirt auch gerade noch. Aber woanders hatte sie nichts verloren und so wehrte ich stumm jeden Versuch ab, dass sie noch einen anderen Weg nahm.

Natürlich wollte ich nichts sagen, natürlich war ich unsicher, war es mir peinlich. Ich war 14, verdammt! Ich dachte wirklich, das mehrmalige Wegschieben seiner drängenden Finger wäre Antwort genug. Auch, dass ich irgendwann sagte: “Ich möchte jetzt schlafen”, und mich allein in meinen Schlafsack wickelte, fest entschlossen, am nächsten Morgen Schluss zu machen.

Mein nonverbales Nein war für ihn wohl eher ein Vielleicht – und von da nicht mehr weit bis zu einem Ja.

So hat es zumindest sein Schwanz verstanden: Ich wachte jedenfalls irgendwann mitten in der Nacht auf, weil mich irgendetwas störte. Es waren seine Finger, tief in mir drin und sein Stöhnen, während er sich dabei selbst Lust verschaffte. Ich würde hier gern schreiben, dass ich aufgesprungen bin, geschrien, ihn geschlagen habe oder einfach weggelaufen bin. Nichts davon würde der Wahrheit ensprechen.

In Wirklichkeit bin ich wie erstarrt liegen geblieben und habe kaum gewagt zu atmen. Meine größte Angst war, dass er merken könnte, ich bin wach. Warum? Weil ich einfach nicht wusste, was ich tun sollte. Ich meine: Er war doch eigentlich mein Freund, ein Mensch, dem ich vertraut hatte, kein Unbekannter, der im Dunkeln über mich herfällt.

Aber auch ein Bekannter, der im Dunkeln über ein Mädchen herfällt, ist ein Täter – und ich war das Opfer.

Dabei habe ich es lange Jahre nie so für mich benannt. Ich habe mich einfach nur zu Tode geschämt. Ich!! Der Gewalt gegen ihren Willen angetan wurde, hat sich dafür geschämt! Ich glaube nicht, dass der Typ auch nur im Ansatz ein Unrechtsbewusstsein hatte. Ich habe ihn danach nie wieder gesehen. Aber eben auch nie zur Rede gestellt.

Das ist oft das Perfide bei #MeToo: Das Schweigen aus Scham. Aus Angst, was die anderen denken könnten. Denn wir wissen alle nur zu gut, was andere – insbesondere Männer – gern denken: “Sie hat doch selbst schuld!” Dann hätte sie eben nicht mit ihm rummachen, sich etwas anderes anziehen, nichts trinken sollen. Als wäre der Mann ein willenloses Opfer seiner niederen Instinkte, die er nicht mehr im Griff haben muss, sobald sein Sexualtrieb anspringt. Als wäre ER das eigentliche Opfer. Was für eine kranke Logik!

Weinsteins gibt es überall: Männer, die ihre Macht und Stärke ausnutzen, um ihre Lust zu befriedigen – auch gegen den Willen der Frau.

Und dazu muss der Typ nicht mal ein erfolgreicher Medienmogul/Filmproduzent/Musiker/Hollywood-Star sein. Es reicht, wenn er körperlich kräftiger und taub gegen den Wunsch der Frau ist. Es reicht sogar, ein 16-jähriger Testosteron-Teen zu sein, der auf einer Silvester-Party auf ein “Nein” zum Sex erst handgreiflich wird – und das Mädchen dann noch als “frigide” beschimpft.

Das Mädchen war ich – es hätte aber auch jede meiner Freundinnen sein können. Denn das Furchtbare ist: Jede von uns hat diese eine – mindestens eine! – Geschichte zu erzählen: Von dem Disco-Abend, an dem die fröhliche Feiernde auf der Tanzfläche plötzlich bedrängt und begrapscht wird. Von dem Urlaubsflirt, der findet, dass ein One-Night-Stand die angemessene Antwort auf einen spendierten Drink ist – den man auch über ein “Nein” hinaus vehement weiter einfordern darf.

Männliche Gewalt gegen Frauen fängt nämlich nicht erst bei einer Vergewaltigung an.

Sie fängt genau da an, wo der Mann die Wünsche und Bedürfnisse der Frau ignoriert. Wo er verbal übergriffig wird: “Komm schon, du willst es doch eigentlich auch…”. Wo er eine Frau gegen ihren Willen berührt – ganz gleich wo. Wo er Grenzen missachtet, körperliche und die des Anstands.

Heute würde ich ganz anders als mein 14-jähriges Ich auf so eine Situation reagieren. Ich würde klar und deutlich Nein! sagen – weil ich es mittlerweile mit meiner Lebenserfahrung besser weiß. Und weil seit der #MeToo-Bewegung glücklicherweise ein neues Bewusstsein herrscht:

Sexualisierte Gewalt ist kein Tabu mehr und “Nein heißt Nein” mittlerweile ein Slogan, der allen vertraut sein sollte. Und dennoch kommt es immer wieder zu unfassbaren Fällen wie jüngst beim Skandal um die Band Rammstein. Wir stehen offenbar doch immer noch ziemlich am Anfang…

Weshalb ich meine #MeToo-Geschichte jetzt erzähle? Weil ich unsere Töchter schützen will.

Sie sensibilisieren dafür, dass sie ganz allein über ihren Körper bestimmen dürfen. Dass jedes Unwohlsein beim Schmusen und Streicheln mit einem Jungen ein Alarmsignal sein kann, dem Gehör geschenkt werden sollte. Dass es immer einen Weg zurück gibt, dass es okay ist, sich anders zu entscheiden, dass Nein kein Affront, sondern ein wichtigster Selbstschutz ist.

Und ich möchte, dass wir unsere Söhne zu guten Männern erziehen, die eine Frau achten und ihre eigene Lust nicht über andere stellen. Ich möchte sie dazu bringen, Fragen zu stellen und Antworten zu hören – und zu beherzigen. Denn ich möchte nicht, dass auch nur eines unserer Kinder später in so eine Situation gerät, wie ich damals.

Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht…?

PS: Hier geht’s übrigens zu dem Buch der beiden Journalistinnen, die mit ihren Recherchen den Weinstein-Skandal überhaupt ins Rollen gebracht haben. Darauf basiert auch der fantastische Film “She Said” von Maria Schrader.

Foto: Shutterstock

Passt gut auf euch auf!

Lale