Wenn die Sommer- in die Winterzeit wechselt, wenn dauernde Dunkelheit das Aufstehen und den Alltag zäh macht, wenn der Himmel an trüben Tagen wie entfärbt ist – dann werde ich immer ein wenig melancholisch. Und das sogar ganz gern. Es ist ein die-Gleichzeitigkeit-der-Dinge-Gefühl: bittersüß, eines von Abschied und Rückzug, von leiser Trauer und dennoch wie eine muckeig warme Decke, die sich um mich legt…
Ich glaube, Melancholie habe ich als Teenie zu meinem perfekten Herbst-Winter-Gefühl stilisiert. Wenn ich zurückschaue, sehe ich mich in den langen Dunkelmonaten oft allein in meinem Zimmer sitzen, eine dampfende Kanne Vanilletee bei Kerzenschein trinken und mich mit getragener Musik in den richtigen Mood für Tagebucheinträge bringen, in die mein ganzes, schweres Herz fließt. Ich sehe mich innig leiden und es dabei genießen, weil Melancholie das Traurigsein kultiviert.
Melancholie ist der gefühlgewordene Emo, schaurig und schön, eine Art guilty pleasure der Seele.
Melancholie ist auch die zurückhaltende Schwester der Euphorie: Nicht die überschwängliche, leicht überdrehte Sommer-Stimmung, in der man das Leben auf einmal inhalieren möchte und gar nicht weiß, mit wem und auf welcher Party man zuerst tanzen soll. Melancholie möchte allein sein, lieber im Innen, nicht im Außen, möchte sich in einer gut abgemessenen Dosis Weltschmerz suhlen, ohne sich der Tristesse hinzugeben.
Am besten kann ich das, kurz nachdem der Sommer vorüber ist, wenn ich langen, lauen Abenden nachtrauere und es dennoch insgeheim genieße, mich ohne den Spaßdruck der sonnigen Monate einfach um sieben Uhr abends auf der Couch zusammenzurollen, um meine Nase in ein Buch zu stecken. Ich mag es, mehr Zeit für mich zu haben, innezuhalten und zurückzuschauen auf das, was war. Wie ich war, wie das Leben zu mir und ich zu ihm.
Melancholie lähmt mich auf eine angenehme Art – und hilft mir dabei, neue Kraft zu tanken.
Weil sie den Energielevel runterpegelt, komme ich dabei mehr zur Ruhe. Und vielleicht bin ich melancholisch viel mehr bei mir, als wenn ich in was-kostet-die-Welt-Laune bin, die mich antreibt, weiter und weiter zum nächsten High, ohne Pause zum Verschnaufen und Verdauen. Das alles hol sich die Melancholie zurück. Bedächtig, aber beharrlich.
Und vielleicht ist Melancholie auch ein wenig dieser Künstler-Mood: Früher habe ich die besten (Tagebuch-)Texte jedenfalls immer mit einem gewissen Leidensdruck geschrieben. Ein bisschen geht mir das heute auch noch so. Denn wo Euphorie oberflächlich ist, geht Melancholie in die Tiefe, gibt sich nicht mit einem schlichten “Gut” auf die wie-geht’s-dir-Frage zufrieden. Sie drängt und bohrt, manchmal bis über die Schmerzgrenze hinaus – aber nie ohne Maß.
Melancholie bringt mich mir selbst ziemlich nahe und viele Erkenntnisse.
Sie schafft Raum, auch mal einen Hänger zu haben, traurig und gedämpft sein zu dürfen, was im Sommer selten angemessen scheint. Sie gibt den Blick frei auf andere Themen, andere Wünsche, andere Formen meines Seins. Sie ist mein Rückzugsort, meine Ich-Insel – sie hilft mir mehr, mehr achtzugeben auf das, was ich brauche und wer ich bin, wenn ich mich dauernd um andere drehe. Und dafür habe ich sie ziemlich gern. Zumindest bis ungefähr Februar. Danach brauche ich wieder ein wenig Abstand von ihr. Und freu mich wieder auf Euphoria, die wilde Pläne schmiedet…
Habt ihr auch ein Herbst-/Winter-Date mit der Melancholie…?
Foto: Shutterstock
Alles Liebe,
Hejhej liebe Katia!
Langsam wirst Du mir unheimlich: GENAUSO habe ich das Ende Anfang bis Mitte der 20er auch empfunden…auch mein Herz ist in traurig lange Texte gewandert, im Hintergrund immer Nick Cave oder Loreena McKennit – und ganz wichtig: Kerzen! Ohne Ende Kerzen, am besten in alten Weinflaschen…achja…
Ich lese immer wieder gerne von Dir und Euch – vielen Dank dafür,
Liebe Grüße von der Ostsee,
Astrid
PS. “Tiere vor denen man Angst haben muss” ist der Knaller! Und “City of Girls” habe ich auf Deine Empfehlung hin auch inhaliert 😉
Hej liebe Astrid, ach wie schön – eine Melancholie-Verbündete 😍 Ich kann das bis zu einem gewissen Grad auch heute noch gut – aber mit mehr Maß als früher. 😉
Freut mich auch, dass die Leseempfehlungen so gut bei dir angekommen sind – dann schreib dir direkt „Treibgut“ auf – das verschlinge ich gerade. Alles Liebe, Katia,