Es ist nicht so, dass ich mit meinen drei Kindern gerade nicht viel rede. Bei Rundumbetreuung ohne Pause wie Kita, Schule oder Hobbys kommt einiges zusammen – und mir über die Zunge. Nur: Schön ist das häufig nicht. Als ich meine Vierjährige kürzlich nach viel K(r)ampf endlich im Bett hatte – sie noch trotzig verrotzt, ich vom Zahnputz-Gemotze reichlich erhitzt – fragte ich sie halbwegs versöhnlich nach ihrem schönsten Erlebnis. Sie dachte sehr lange nach und meinte schließlich: „Dass Du heute nur ein paar Mal geschimpft hast, Mama – und auch nicht so richtig doll.“ Zack – das saß…
Ich war so bestürzt über dieses schlichte Tagesfazit mit so viel unliebsamer Wahrheit darin, dass ich am liebsten geheult hätte. Stattdessen habe ich meiner Tochter ganz festgeknuddelt („Mama, Du erdrückst mich!“), ihr mehrfach versichert, dass ich sie IMMER liebhabe, auch wenn ich gerade die Mega-Mecker-Mama bin und ihr schließlich zwei Einschlaflieder zusätzlich gesungen. Später saß ich noch lange an ihrem Bett, lauschte ihren tiefen Atemzügen und sah sie einfach nur an. Mein schönes, wunderbares, wildes, nerviges, lautes, trotziges Kind. Mein Mutterherz pochte heftig. Allerdings schien es ein wenig aus dem Takt zu sein: Zwar klopft es in letzter Zeit häufig wie wild, bloß leider nicht immer zuerst aus Stolz und Liebe.
Dann dachte ich an den Salto, den sie mir nachmittags ganz souverän auf dem Trampolin vorgeführt hatte. Zu dem ich nur schnell über die Schulter „Super!“ gesagt hatte, weil ich zeitgleich meinen Zweijährigen davon abhalten musste, unserer Katze den Schwanz abzureißen. Und dass sie und der achtjährige Bruder zwei Stunden völlig vertieft und ohne Streit (!!) im Geheimversteck Schatzkarten gebastelt und Feinde vertrieben haben, habe ich ihr gegenüber mit keiner Silbe erwähnt. Stattdessen aber ausgiebig über schwarze Matschfüße auf ehemals sauberem Fußboden geschimpft, mich über Filzstift-verzierte Stühle aufgeregt und mangelnde Tischmanieren moniert.
Warum nur ist es manchmal so verdammt schwer, die richtigen, die wirklich wichtigen Dinge zu sagen? Oder das alltäglichen Kinderchaos einfach ohne große Wut-Worte hinzunehmen? Ist es das, was diese seltsame Zeit – die meine Tochter übrigens liebevoll Corona-Ferien nennt – mit sich bringt? Dass sich in dieser ungewohnten Anhäufung von Familienzeit alles irgendwie verkehrt, das Relevante ins Irrelevante, die Herzensdinge in Motz-Marathons? Das soll, das darf es einfach nicht sein, was meine Kinder davon in Erinnerung behalten: Dass Mama so viel doof fand – und oft keinen Blick für die tollen Dinge hatte. „Für ihre tollen Kinder!“, ergänzte mein Mutterherz. Meine Tochter seufzte im Schlaf, es war so friedlich im stillen Zimmer. Und ich wurde es auch.
Jetzt versuche ich jeden Tag wieder, zuallererst meine Kinder zu sehen: wer sie sind, was sie mögen, können, spielen, worüber sie lachen – und nicht, was sie bei all diesem Kindsein verursachen. Klar sieht das Kinderzimmer aus wie Hulle und wird abends nicht unter einer halben Stunde Aufräumzeit wieder in einen betretbaren Zustand verwandelt sein. Aber die ausgeklügelte Höhle mit Küche, Bad (inklusive fließend Wasser…) und Wohnzimmer ist unbestreitbar super. Genau das sage ich ihnen dann auch. Und verkneife mir nach Möglichkeit jeglichen spitzen Mama-Kommentar.
Natürlich ist dennoch nicht die reinste Harmonie bei uns eingezogen, natürlich gibt es trotzdem Streit über Belangloses, auch zwischen den Kindern. Und weil ich abends darüber
dann manchmal fast schon wieder diese ganzen schönen kleinen Momente vergessen habe (und meine Drei vielleicht auch), schreibe ich sie auf, als Briefe an meine Kinder. Jedes hat
seine eigene hübsche bunte Schreibkladde, in der ich festhalte, wie ich sie sehe, erlebe, liebe. Auch wenn ich mich dazu oft aufraffen muss: Es macht mich unglaublich froh, mehr
noch: es entspannt mich. Weil es schön ist, sich für den Moment nur auf ein Kind zu fokussieren, auf eine kleine Persönlichkeit, die bei genauem Hinschauen so groß ist. Es tut
gut, ganz bewusst dir passenden Worte für das jeweilige Kind zu finden. Und nebenbei schärft es den Blick für das, was zählt.
Tatsächlich verändert das am Ende des Tages auch dessen Fazit: Ja, es war toll heute, weil der Kleine den Entertainer in sich entdeckt und seine Geschwister mit Froschhüpfern zu
Lachsalven animiert hat. Weil meine Tochter mir das schönste Feen-im-Wald-Bild ever gemalt hat und der Große beim Fußball-Training mit Papa das Mega-Tor in die Netzecke
gepfeffert hat.
Als ich meine Tochter jetzt ins Bett brachte, fragte sie mich: „Was war heute Dein schönstes Erlebnis, Mama?“ Ich musste nicht lange überlegen: „Meine drei tollen Kinder zu sehen. Und gleich schreibe ich Euch allen noch einen Brief dazu, warum ihr so großartig seid.“ Wann ich sie ihnen vorlese, weiß ich noch nicht. Aber es ist schön zu wissen, dass die wichtigen Worte da überdauern.
Wie ist es bei Euch, was macht ihr, wenn Euch die richtigen Worte ausgehen?
Alles Liebe,
Danke für diesen ehrlichen Einblick. Wie wahr das alles ist. Ich denke an deine Worte, wenn das nächste Mal der Unmut über Unwichtiges hochkocht. Und danke für die süße Idee mit den Briefkladden.
Liebe Wibke, puh, bin ich froh, dass Du das sagst! Danke Dir! Und schön, dass Dir die Idee gefällt. Herzlichst, Anna
Vielen Dank für den schön geschriebenen und wirklich wahren Artikel. Das Lesen hat viel Spaß gemacht und den Blick auf die wichtigen Dinge im Leben wieder scharf gestellt. Danke dafür!
Hallo Deike, ja, ich glaube, es ist immer wieder gut, sich aufs Wesentliche zu fokussieren. Liebe Grüße von Anna
Es war Balsam für die Seele, den Artikel zu lesen. Irgendwie ist man nicht allein in seinem Alltag gefangen. So ein Artikel ist doch perfekt mal wieder anders auf die Dinge zu schauen. Vielen Dank dafür.
Hej Jenny, das freut mich sehr! Danke für Deinen Zuspruch. Herzliche Grüße an Dich, Anna
Sehr schön ehrlich geschrieben! Gerne mehr.
Danke Dir, Kathrin! Ich hoffe, meine kommenden Texte gefallen Dir ebenso. Herzlich, Anna
So ein ehrlicher und schöner Beitrag. Kam genau zur richtigen Zeit. Vielen Dank dafür
Hej liebe Katrin, ach, das freut mich wirklich sehr! Auf bald, herzlich, Anna
Wow! Das trifft es auf den Punkt. Da musste ich kurz schlucken. Genauso läuft es bei uns auch gerade zu oft. Danke für den Umdenkanstoss! ❤️
Liebe Verena, und ICH bin erst froh, dass es Euch allen offenbar ähnlich geht (und dass wir uns alle immer wieder bemühen, es besser zu machen ?). Herzlichst, Anna
Tolle Idee mit den Briefen !
Hallo girlfrommars, schön, dass ich Dir einen Anstoß liefern konnte! Liebe Grüße von Anna
Liebe Anna
Du hast so einen schönen, ehrlichen Artikel geschrieben. Es war mir eine Freude, ihn zu lesen. Und in meiner Brust wohnen auch diese zwei Seelen – einmal Obermeckerziegenmama und dann die andere, die einfach ihre Kinder ansieht, anstaunt, vorliest, mitspielt und mitlacht und den Duft ihrer Haare einatmet und hofft, dass die Erinnerung daran niemals verdampft. Dein Text war mal wieder ein Reminder.. Der Meckerziege einen kräftigen Tritt in den Ziegenhintern zu verpassen?
Liebe Sabrina, ja, manchmal gehört die Ziege einfach in den Stall gesperrt. ? Aber auch Zicken sind super Mütter…Herzlich, Anna
Danke, es ist beruhigend für mich zu lesen, dass ich nicht alleine mit diesen Gefühlen bin. Vor einigen Tagen habe ich gerade zu meinem Mann gesagt, wie stolz wir sein können, dass die beiden diese Zeit so toll meistern. Klar gibt es Höhen und Tiefen aber sonst wären wir auch keine Familie. ?
Ganz lieben Gruß und ich hoffe wir lesen bald wieder etwas von dir.
Liebe Steffi, das ist ein total wichtiger Punkt: wir sollten viel öfters stolz darauf sein, was wir in dieser irrsinnigen Zeit alles leisten! Danke für Deinen Input und auf ganz bald, Anna.
Liebe Anna,
es tut immer gut zu lesen, dass auch andere Mamas sich mal daneben benehmen – deshalb vielen Dank für diesen Artikel!
Zum Glück lassen uns die “Corona-Ferien” viel Zeit und vor allem Möglichkeit uns selbst als Mamas mal genauer zu betrachten. Ist zwar nicht nur schön, aber es war irgendwie mal dringend nötig. Für mich zumindest. Ich stelle fest, dass ich mich gelegentlich auch nicht besser benehme als die Dreijährige, die vor mir steht. Ich versuche meinen Willen durchzudrücken. Als wäre es wichtig, dass alle Spielsachen abends an genau dem Platz stehen, an dem ich sie gerne hätte!
Liebe Britta, ja, manchmal möchte man am liebsten mit dem Fuß aufstampfen und laut „Dochdochdoch!“ rufen, Dann ist es an der Zeit, kurz innezuhalten ? Ganz herzlich, Anna
Wow! So schön geschrieben!
Dankeschön, Timna, das freut mich! Schönen Tag Dir, herzlich, Anna
Hallo liebe Anna, ein ganz wundervoller Artikel über den Alltag. Ich musste laut loslachen, als ich die Katzenstelle gelesen habe. Nicht nur, weil wir die allergleiche Kinderkonstellation hier vor Ort haben, (Bubi 7, Uschi 4, Bubi 2) sondern weil es sich oft tatsächlich mehr nach Schadensbegrenzung als nach buntem Familienalltag anfühlt ? Manchmal darf man alles (vorallem seine eigenen Ansprüche und Gedanken) nicht allzu ernst nehmen. Ich freue mich sehr auf weitere Artikel von Dir. Liebe Grüße
Schadenbegrenzung ist exakt der richtige Begriff für diesen ganzen tollen Wahnsinn. Was mich das Familienleben auf jeden Fall gelehrt hat: Lachen hilft (fast) immer immer. Danach geht’s besser. Auf ganz bald, herzlich, Anna
Ein wunderbarer Text und eine schöne Idee mit den Briefen. Ich werde manchmal auch zur Meckertante für das Bonustöchterchen, wenn mal wieder nur und an allem rumgenörgelt wird und man alles, aber auch alles falsch macht. Aber es gibt ja zum Glück auch die anderen Momente, wo man miteinander kuschelt oder lacht. Ich bin gespannt, wie es dann wird, wenn der Bauchkrümel in ein paar Monaten das Licht der Welt entdeckt…
Hallo Jul, die Kuschelmomente sind die, die zählen! Gerade, wenn noch so ein kleines Krümelchen Aufmerksamkeit verlangt. Ich wünsch Dir dafür alles Liebe. Herzlich, Anna
Das ist eine schöne Idee!
Bisher schreibe ich nur lustige Äußerungen auf. Und das auch nur sporadisch…
Jeden Tag Briefe zu schreiben, werde ich nicht schaffen, aber vielleicht immer zum Geburtstag.
Bei uns ist die Motzerei seit den „Corona-Ferien“ den Kindern gegenüber übrigens deutlich gesunken. Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass wir Eltern zu normalen Zeiten viel zu viel Stress in unserer Leben bringen. Sei es durch die Arbeit oder Freizeitstress. Ich wünsche mir sehr, dass wir die Ruhe lange erhalten können!
Zwischen den Eltern kracht es allerdings häufiger gerade 😉
Grüße Christina
Guten Morgen, Christina, absolut: Stress killt Harmonie. Ich nehme mir gerade jeden Tag wieder vor, erst drei Mal tief durchzuatmen, bevor ich auf Streitereien etc. reagiere. Ist ein wenig wie mit den Briefen: klappt auch nicht verlässlich täglich…? Schönen Tag Dir, herzlich, Anna