An meiner linken Hand zerrt mein Sohn. Er ist aufgeregt und möchte in das Gebäude vor uns, seine neue Schule. Eine Schule, die ich eigentlich nicht für ihn wollte. Mit der rechten Hand versuche ich, den extraleichten Ranzen, nach dem wir so lange gesucht haben, auf meiner Schulter zurecht zu schieben, mein Mann trägt die Schultüte…
Integration, Gesamtschule, Förderschule
Hinter der Glastür entdeckt mein Sohn die Luftballons im Eingangsbereich. Er kreischt vor Freude und zerrt noch heftiger. Die Tür öffnet automatisch. Ich hole tief Luft bevor wir eintreten, und wappne mich für das, was kommt. Denn dies ist kein normaler erster Schultag. Es ist klar, dass hier alles etwas anders laufen wird als bei den Einschulungen unserer beiden älteren Söhne. Ich versuche, mein Gefühl der Freude und des Stolzes auf meinen, jetzt doch schon so großen, Jüngsten in den Vordergrund zu stellen und den nagenden Gedanken, hier eigentlich nicht sein zu wollen, beiseitezuschieben.

Aber er lässt sich nicht schieben.

Ungewollt bleibt mein Blick an den verschiedenen Rollstühlen hängen, die direkt neben der Türe geparkt sind. Ich schaue ganz bewusst stattdessen zu meinem Sohn herunter. Er ist stehen geblieben und bewundert die Luftballons, freut sich, weil einer seine Lieblingsfarbe hat. Seine Freude hilft mir, das schlechte Gefühl doch noch herunter zu kämpfen. Wir folgen den an den Wänden hängenden Luftballons bis in die Turnhalle. Jemand hat den neuen Erstklässlern buchstäblich den roten Teppich ausgelegt, mitten durch die Halle. Das finde ich schön.

Wir sind früh dran und können ganz nach vorne gehen. Mein Mann und die Großeltern setzen sich in die zweite Reihe, damit die Erste für die Kinder frei bleibt, ich setze mich neben meinen Sohn, weil ich weiß, er wird alleine nicht sitzen bleiben. Aber hier ist das hoffentlich kein Problem, denn wir sind in einer Förderschule für Kinder mit körperlicher und teilweise zusätzlich auch geistiger Einschränkung. Mein Sohn gehört zu den Kindern mit doppelter Problematik. Er wurde nach 22 Wochen und vier Tagen Schwangerschaft mit 530 Gramm geboren. Dass er überhaupt seinen ersten Schultag erleben würde, war lange nicht klar, und dass er auf seinen eigenen, wenn auch etwas wackeligen Beinen in seine Schule gelaufen ist, ist ein echtes Wunder. Er ist sehr aufgeregt, zappelt auf seinem Stuhl herum und kann sich gar nicht satt sehen, an den bunten Ballons und den Kindern, die vor uns auf Matten sitzen, um die neuen Schüler zu begrüßen.

Langsam kommen immer mehr Erstklässler und ihre Familien an.

Mein Sohn freut sich noch mehr, weil wir jetzt zwischen zwei Kindern sitzen, die er kennt. Einer von ihnen sitzt im Rollstuhl, einer braucht zur Beruhigung seinen Schnuller. Meinem Sohn ist das herzlich egal, er sieht nur seine Freunde. Ich hoffe sehr, dass er hier auch so gesehen wird: Nicht als anders, sondern als Mitschüler oder Freund. Das ist der Hauptgrund, weshalb wir hier sitzen. Wir wollten, dass unser Sohn, der in seiner integrativen Kita immer mit jüngeren oder ebenfalls eingeschränkten Kindern gespielt hat, in seiner Schule Freunde findet. Dass er nicht immer der ist, der anders ist oder mehr Hilfe braucht, sondern an einem Ort lernt, an dem anders sein normal ist.

Einen regulären Schulabschluss kann man an dieser Schule trotzdem machen. Ob mein Sohn dazu in der Lage sein wird, steht in den Sternen. Dass uns seine Einschulung hier aber noch mal so stark deutlich machen würde, wie anders es bei ihm doch läuft als bei seinen Brüdern, die ja beide reguläre Schulen besuchen, war uns nicht klar. Auch wenn wir unseren Sohn genauso wie er ist sehr lieben, hätten wir ihn natürlich lieber guten Gewissens in eine Regelgrundschule eingeschult, anstatt uns einzugestehen, dass für ihn ein anderer Weg aus unserer Sicht der bessere ist.

Es war ein seltsames Gefühl, auf dem Weg zu dieser Feier an der Grundschule seiner Brüder vorbei zu fahren.

Die stolzen Erstklässler Familien dorthin strömen zu sehen und selber nicht anzuhalten. Einer Förderschulgemeinde anzugehören ist eben kein Lebensziel, das man anstreben würde. Aber wir sind hier. Und das Wichtigste: Unser Sohn ist hier. Er ist glücklich. Freut sich über die Schultüte, die jetzt halb auf seinem und halb auf meinem Schoß liegt, freut sich immer noch über die Ankunft seiner Freunde und über die zahlreichen Ballons. So viel Freude. Und so ansteckend. Als der Schulleiter über das Stimmengewirr in der jetzt fast übervollen Halle hinweg seine Stimme erhebt, um uns zu begrüßen habe ich es geschafft, auch meine Freude über diesen besonderen Tag im Leben meines Sohnes endgültig wieder zu finden.

PS. Wie es dem Jungen jetzt in der Schule geht? Wenn ihr möchtet, erfahren wir das vielleicht in einem weiteren Beitrag.

Foto: Shutterstock

Liebe Grüße,

Lina