Ich pflege derzeit zwei Arten von Freundschaften: Spaziergeh- und Couch-Freundschaften. Erstere lüften den Kopf und gehen gegen die soziale Isolation an, einmal die Woche, an der Elbe längs oder durch den Wald. Zweitere fluten mein Herz mit jeder Menge Gefühlen. Mit einmal komm ich da allerdings  nicht hin, also lade ich mehrfach abends in mein Wohnzimmer. Und dann geht’s los mit dem Leben, das mir gerade so fehlt. Diese Freundschaften sind zwar kurz, aber intensiv: Herzklopfen, Abenteuerlust, Lachen inklusive. Und fast so gut wie die im echten Leben. Ich mach euch mal bekannt. 
Sofie und Max sind eine schwedische Zufallsbekanntschaft – und haben das Zeug zu neuen Lieblingsfreunden. Sofie (Ida Engvoll) ist eine ziemlich erfolgreiche, ziemlich stylishe Business-Mom aus Stockholm, die als Change Managerin in Unternehmen das Unterste zuoberst kehrt. Und zum Stressabbau regelmäßig masturbiert. Ihr neuester Job: Einen kleinen Literaturverlag mit intellektuellem Hoheitsanspruch zu digitalisieren. Max (Björn Mosten) ist der dortige IT-Student, ziemlich smart, ziemlich jung. Ihr erstes Zusammentreffen ist ein Bäm!-Moment – allerdings ein todpeinlicher.

Und doch entwickelt sich daraus ein Spiel aus Flirt und Irrsinn, als sie beginnen, sich gegenseitig Mutproben aufzuerlegen: Sofie springt nackt vom Dreimeterturm im Schwimmbad, Max bröselt auf der Buchmesse Hasch ins Dessert der Verlagsmitglieder. Warum ich die beiden so mag: Weil sie einen daran erinnern, dass das Leben nicht stromlinienförmig und immer vorhersehbar ist. Dass eine Prise Wahnsinn manchmal genau die richtige Zutat ist. Tut so gut, gerade in dieser ereignisarmen Zeit! Und dank Sofie weiß ich jetzt: Auch in einer Midlife-Crisis kann man eine verdammt gute Figur abgeben: Ich will ihre Klamotten! Ihre Wohnung! Ihre Coolness! Ja, ich hoffe sehr auf eine zweite Staffel. (Liebe und Anarchie, bislang 1 Staffel, Netflix)

Fleabag ist die durchgeknallte Freundin

Mit der man nie tauschen will. Die extrem unterhaltsam ist, die immer wieder strauchelt, aufsteht, ihr Krönchen richtet – und abermals fällt. Über das Leben, über die Liebe, ihre Ideale. Der man dennoch das Beste wünscht, weil sie das Herz am rechten Fleck hat. Im chaotischen Single-Leben der Endzwanzigerin (deren Spitzname übrigens ungefähr „Mistkerl“ bedeutet), lautet der Beziehungsstatus also immer: Es ist kompliziert.Missglückte Sex-Abenteuer, eine tote beste Freundin, ihre dysfunktionale Herkunftsfamilie – geht’s noch verkorkster? Yip: Als sie sich in einen echt heißen Priester verknallt, der ständig flucht und von Gin Tonic lebt, geht’s richtig rund.

Fleabag kenn ich zwar schon eine ganze Weile, aber ich schau mir die kurzen Episoden immer wieder gern an. Weil mir selbst mein Pandemie-Leben dagegen plötzlich wohl geordnet vorkommt. Weil die Serie so schön schwarzhumorig ist. Und weil ich auf kluge Serien stehe, die von tollen Frauen erdacht wurden UND von spannenden Frauen handeln. Also merkt euch Phoebe Waller-Bridge (Hauptrolle und Buch). Coole Ladies vor und hinter der Kamera gibt’s im großen Serienkosmos jetzt glücklicherweise immer öfters – trifft übrigens auch auf „Liebe und Anarchie“ und „High Fidelity“ zu. Ist oft ein Qualitätsmerkmal in Sachen Storytelling und komplexen Figuren. (Fleabag, Amazon Prime, 2 Staffeln)

Frauen sind die besseren Typen

In den 90ern war Rob ein schlecht gelaunter Kerl, der in seinem Plattenladen rumsaß und sich selbst bemitleidete. Wenn er seiner spärlichen Kundschaft nicht gerade ihren Musikgeschmack madig machte. Alle Jungs in meinem Dunstkreis standen damals auf „High Fidelity“, weil sie insgeheim auch so ein Slacker-Typ mit ramponiertem Sexappeal sein wollten. 2020 ist Rob nun eine Frau (Zoë Kravitz) und auch nicht gerade ein Sonnenschein. Was verständlich ist, denn ihr wirklich toller Freund hat sie gerade verlassen. Und deswegen trinkt und raucht sie ein bisschen zu viel und hängt mit ihren beiden schrägen Mitarbeitern ab, die auch nicht gerade ein Bilderbuch-Leben führen.

Ja, mit Rob kann man sich allerbestens durch eine Krise suhlen, absurde Gespräche, guter Soundtrack und fieser Kater inklusive. Rob ist genau die Sorte Freundin, mit der ich unvernünftig sein mag, weil das Leben gerade alle Pläne durchkreuzt, weil keine Kippe auch keine Lösung ist und man das Leben manchmal am Kragen packen muss, auch wenn es garantiert zurückschlägt. Übrigens kommt sie auch bei Kerlen gut an, weil sie auf eine lässige Tomboy-Art charmant ist – daher haben mein Mann und ich gemeinsam Robs Bekanntschaft geschlossen. (High Fidelity, Starzplay Channel via Amazon Prime, bislang 1 Staffel)

Spannend und spooky

Martin ist mein Mann für Heimlichtuerei. Das ist ziemlich aufregend, immerhin ist er von Beruf wegen Spion: Vom ostdeutschen Geheimdienst HVA in die westdeutsche Bundeswehr eingeschleust, muss er bald Nuklearpläne vereiteln und inmitten des Kalten Krieges einen noch kühleren Kopf bewahren. Für Undercover-Typen vom Kaliber eines James Bond konnte ich mich nie begeistern, aber Martin Rauch (Jonas Nay) verkörpert irgendwie genau die richtige Mischung aus sexy Toyboy und coolem Agenten, die ziemlich unwiderstehlich ist. Und wenn ich ihn so durch sein wahnwitziges Leben auf der Flucht begleite, bekomme ich nicht nur im Schnelldurchlauf jüngere deutsche Geschichte serviert. Sondern begreife auch, was Leben am Limit WIRKLICH bedeutet… (Deutschland 83/Deutschland 86/Deutschland 89, alle Amazon Prime, 3 Staffeln)

Lyra (Dafne Keen) ist meine Freundin aus Jugendtagen. Damals hab ich sie durch drei unglaublich tolle Fantasy-Romane begleitet – mindestens so überbordend wie Harry Potter. Auch heute kann ich sie noch gut leiden. Und beneiden tu ich sie auch ein wenig: Um ihren Dæmon, ein sprechendes Tier, das ihr Seelenverwandter ist. In Lyras Universum hat jeder Mensch so einen untrennbar verbundenen Gefährten als Ausdruck seiner Selbst.

Seitdem frage ich mich gern, was für einen Dæmon ich wohl hätte. Und wie es wäre, wenn jeder seinen Charakter so sichtbar mit sich herumtragen würde. Zeit mit Lyra zu verbringen, bedeutet ein Eintauchen in eine völlig andere Welt. Und obwohl es Kinder sind, die hier gegen ein autoritäres Machtsystem aufbegehren, eignet sich Lyra nicht für ein Couch-Date mit der ganzen Familie. Für eine spannende Abenteurer-Reise zu den großen Fragen unseres Daseins dafür umso mehr. (His Dark Materials, Amazon Prime Video und Sky, 2 Staffeln) Hier geht`s zur Buch-Vorlage.

Und mit wem habt ihr gerade ein Couch-Date?

Lasst euch gut unterhalten!

Katia