Krisen gehören zum Leben, klar. Keine Biografie ist ohne Tiefen komplett. Ganz gleich, ob Liebeskummer, Job-Querelen, Familienzwist – niemand von uns surft permanent die Friede-Freude-Eierkuchen-Welle. Und manchmal müssen wir uns dabei so richtig auf die – pardon – Schnauze legen, um uns später gestärkt aus dem Tal der Tränen zu neuen Höhen emporschwingen zu können. Aber ist das wirklich so? Brauchen wir Krisen, um die nächste Lebensstufe zu erklimmen…?
Frau mit Sonnebrille, zur Seite schauend
Auch wenn sich Teenie-Herzschmerz mit 15 wie das Ende der Welt angefühlt hat – die erste wirklich erwachsene Krise hatte ich mit Anfang 20. Ich war für einen Job, der mir nicht guttat mit Menschen, die nicht zu mir passten, von Hamburg nach Berlin gezogen – und so einsam und haltlos wie nie zuvor (und nie wieder danach).

Meine drei Berlin-Jahre waren eine einzige große Lebenskrise:

Die Stadt war mir so groß, zu dreckig, zu trist – und ich nicht cool genug für den Hauptstadt-Vibe. Ich fühlte mich verschluckt und völlig fehl am Platz. Und dabei wollte ich es so dringend toll und aufregend finden, weil Berlin schließlich gerade Anfang des neuen Jahrtausends DIE Metropole war – aber meistens war ich nur kreuzunglücklich.

Meine Arbeitskollegen waren meine einzigen Kontakte und nicht unbedingt Herzensmenschen – im Rückblick waren wir einfach eine Art Zweckgemeinschaft von Exilhamburgern. Ich glaube, damals habe ich das erste Mal verstanden, was Heimat eigentlich ist: Ein Ort, ein Gefühl, Menschen, die einem vertraut sind und bei denen man sich aufgehoben fühlt. In Berlin war alles neu und blieb mir seltsam fremd. Ich vermisste mein altes Leben wie verrückt und wollte mir (und allen anderen) dennoch nicht eingestehen, dass ich eine falsche Entscheidung getroffen hatte.

Dass ich ein mehrfach gebrochenes Herz hatte, machte die Sache auch nicht unbedingt besser:

War ich doch unter anderem deswegen aus Hamburg geflohen, um meinem akuten Liebeskummer zu entfliehen – nur, um direkt im nächsten zu landen. Ich stürzte mich ins Nachtleben, in flüchtige Bekanntschaften – und wachte morgens verkatert und verzweifelter als am Abend zuvor aus. Als mein Arbeitgeber mir auch noch fristlos kündigte, war ich endgültig am Boden.

Bis ich irgendwann realisierte: Schlimmer kann es jetzt nicht mehr kommen. Dass mir die Stadt sowieso immer nur die kalte Schulter gezeigt hatte, war der letzte Impuls, der mich zur Rückkehr nach Hause bewegte: Innerhalb von zwei Wochen hatte ich meine Kreuzberger Dachgeschoss-Wohnung weitervermietet, meinen Krempel in einen Umzugswagen verfrachtet – und war unsäglich erleichtert auf dem Heimweg nach Hamburg.

Nur: Wie bewältigt man eine Lebenskrise, wenn man in kein altes, besseres Leben zurückkann…?

Denn natürlich gab es kein WG-Zimmer mehr, in das ich mich flüchten und meine vielen Wunden lecken konnte. Stattdessen zog ich wieder bei meinen Eltern ein: Ich war 24 Jahre alt und schlief im Bett meiner Kindheit, das ich fünf Jahre zuvor eigentlich für immer verlassen hatte. Und was soll ich sagen: Ich war unglaublich dankbar darum!

Ich war so erschöpft und hatte keinen Plan B. – wie schön war es daher, mich zumindest kurzzeitig in die vertraute Obhut meiner Eltern zu begeben. Ich weiß noch, dass ich damals halbe Tage verschlief, lange Spaziergänge mit meiner Mutter unternahm, das Rauchen aufgab und mit Joggen anfing. Manchmal kam ich mir selbst wie in einem dieser schlichten Rosamunde-Pilcher-Streifen vor: Karrierefrau, die nach dem Zusammenbruch in der Natur wieder zu sich selbst findet.

Im Nachhinein war meine Krise tatsächlich eine Chance, mein Leben noch einmal gründlich auseinanderzunehmen – und anschließend neu zusammenzubauen.

Mir fiel in langen Gesprächen mit meinen Eltern wieder ein, dass ich doch eigentlich mal vorhatte zu studieren. Dass ich ursprünglich doch in Richtung Journalismus abbiegen und nicht mein Arbeitsleben in stressigen Agenturen verbringen wollte. Und ich musste mir auch schonungslos eingestehen, dass die Wahl meiner Männer keine glückliche war – und von Vornherein zum Scheitern verurteilt.

In den Wochen bei meinen Eltern machte ich eine komplette Bestandsaufnahme meines Lebens: Was und wer mir guttat, wie ich mir meine Zukunft wirklich vorstellte – und nach und nach entwickelte ich eine Vision von dem Leben, wie es nach der Krise sein könnte. Nach drei Monaten zog ich in eigene, kleine Wohnung auf St. Pauli, hatte mich auf einen Studienplatz für Deutsche Sprache und Literatur beworben – und stolperte in einem Café über einen ganz besonderen Mann, der mir zeigte, dass Beziehungen nicht nur verkorkst sein müssen…

Um Krisen zu bewältigen, braucht es Mut, vertraute Menschen, Zuversicht – und ein wenig Zeit, sich neu zu orientieren.

Ich war damals immerhin in der glücklichen Verfassung, keinen Alltag für jemanden bestreiten zu müssen – in späteren Krisen meines Lebens war es durchaus herausfordernder, um Kinder und Familienalltag herum neue Wege und Lösungen zu finden. Hat mich diese erste große Krise damals stärker gemacht? Sie hat mich zumindest darin bestärkt, mehr auf mich zu hören.

Denn mein Bauchgefühl hat mir in der Berlin-Episode schon viel früher gesagt, dass ich mich gerade verrenne. Dass ich mich von dem entferne, wer ich bin und was ich eigentlich will. Sie hat mir geholfen, mich besser zu verstehen und einschätzen zu können. Und sie hat mir gezeigt, dass es nach tiefen Stürzen wieder aufwärts gehen kann. Und das ist sicher eine wichtige Erfahrung fürs weitere Leben.

Auch wenn sich niemand eine Krise herbeisehnt – ich glaube schon, dass sie uns auf unserem Lebensweg immer weiterbringen.

Selbst wenn sich das oft erst im Rückblick sagen lässt: Hätte ich damals nicht alles hingeschmissen, hätte ich nicht mein Studium begonnen und nebenbei beim Hamburger Abendblatt angefangen zu jobben – mein Weg in den Journalismus. Ich hätte meinen (Ex-) Freund nicht kennengelernt, der mir wiederum meinen heutigen Mann vorgestellt hat. Ich hätte nicht mein Volontariat gemacht, in dem ich Claudi über den Weg lief.

Und letztlich wäre ich heute nicht hier, in diesem, meinen Leben, das nach wie vor alles andere als krisenfest ist – dafür eines, das sich aus verschiedenen Tiefpunkten meines Lebens zu einem guten zusammengefügt hat. (Fast) jede Krise war es wert, denn wenige Dinge prägen einen im Leben mehr als problematische Situationen, die man mit hoffentlich ganz viel Unterstützung überwinden kann.

Wie habt ihr die Krisensituationen eures Lebens erlebt?

Alles Liebe,

Katia