“Papa, guck mal, man kann im Penis einen Ring tragen – und in der Scheide auch!” Mein Mann verschluckte sich fast an der Pasta, die er sich gerade in den Mund schob, als meine Tochter ihm strahlend ein aufgeschlagenes Buch unter die Nase hielt. Ich kann’s ihm nicht verdenken: Man rechnet ja nicht damit, beim Mittagessen mit seiner Siebenjährigen plötzlich Gespräche über Intimschmuck führen zu müssen…
Wobei: Wir müssen seit Neuestem eigentlich ständig damit rechnen. Denn zumindest ein Kind unseres Trios interessiert sich gerade brennend für alles, was mit Körpern, Geschlecht und allen Gefühlen drumherum zu tun hat. Und weil dieses Kind auch just zu einer ausdauernden Erstleserin mutiert, habe ich zwei Bücher besorgt, in denen gerade ausgiebig geschmökert wird – und die besten Bilder bekommen wir verlässlich auch immer zu sehen…
Ich bin mit “Peter, Ida und Minimum” groß geworden, habe es noch immer, arg zerfleddert, weil heiß geliebt.
Auch meine Kinder schauen gelegentlich rein, aber irgendwie mit weniger Begeisterung als ich damals. Und ehrlicherweise ist Aufklärung heute so viel mehr, als Kindern in ein paar schön illustrierten Bildern zu erklären, wie Babys entstehen und was Jungs- und Mädchenkörper voneinander unterscheidet.
Es geht schon lange nicht mehr nur um anatomische Beschaffenheiten, sondern auch um Gefühle, Gender und Vorurteile. Um Bedürfnisse und vor allem um eigene Grenzen. So komplex, dass ich manchmal ehrlicherweise gar nicht genau weiß, wo ich mit meinen Erklärungen ansetzen soll – und wofür stand noch mal LGBTQIA+…? Insofern überlasse ich die Vorarbeit jetzt Menschen, die sich von Berufs wegen damit ein bisschen besser auskennen.
“Von wegen Bienchen und Blümchen” ist ein Aufklärungsbuch für Kinder ab 5 Jahren – und erweist sich als echter Pageturner.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem meine Mittlere nicht darin liest – oder es sich als Gute-Nacht-Lektüre wünscht. Der Sexualpädagoge Carsten Müller vermittelt darin Körperwissen für Kinder: Wie unsere Körper aussehen, klar, aber vor allem wie unterschiedlich sie sein können: Dick oder dünn, haarig, faltig, mit Narben, Fehlbildungen oder Prothesen. Und das alles so herrlich unaufgeregt beschrieben und lustig bebildert, das es wirklich ein großer Spaß ist, dauernd und immerzu darin zu blättern.
Vor allem geht es ganz viel um Gefühle: Welche es ganz generell gibt, warum man sich manchmal schämt, wenn man vor anderen nackt ist, wieso es mitunter zwischen den Beinen so schön kribbelt und dass man immer Stop sagen soll, wenn man etwas nicht möchte.
An irgendeiner Sache bleiben wir beim gemeinsamen Lesen eigentlich immer hängen.
Wie unterschiedlich Liebespaare und Familien sein können, was genau die Pubertät ist oder was Menschen beim Sex fühlen. Ich mag die Beiläufigkeit, mit der wir diese wichtigen Themen gemeinsam besprechen können – und auch die Tipps, die der Autor zwischendurch für uns Eltern einbaut:
Wie wir uns verhalten können, wenn sich die Kinder bei Doktorspielen ausprobieren oder wie wir sie an Tablet und Co. begleiten, wo sexuelle Inhalte oft nur ein paar Klicks entfernt sind. Ein rundum gelungenes Buch für alle Kinder (und deren Eltern), die sich von Anfang an umfassend und unverkrampft mit dem Thema beschäftigen wollen.
Den Intimschmuck hat meine Tochter übrigens in “AnyBody” entdeckt, dem zweiten Buch, das bei uns gerade hoch im Kurs steht.
Mich hatte es schon beim Titelbild: Lauter Menschen, die wie selbstverständlich nackt in einer Straßenszenerie unterwegs sind – unnachahmlich illustriert von einer meiner Lieblingsillustratorinnen, Anke Kuhl. “AnyBody” fiel mir in der Bücherhalle in die Hände, bislang mussten wir es schon einmal verlängern, weil es auch mein Kind sofort packte mit all den Themen und spannenden Bildern, die es darin zu entdecken gibt.
“Das große Abc von unserem Körper-Zuhause”, wie es in der Unterzeile heißt, ist für Kinder ab acht Jahren und erklärt von A wie “Alt sein” bis Z wie “Zuhause” all das, was wir mit unseren Körpern fühlen, anstellen und bei anderen auslösen können. Die Autorin und Sexualpädagogin Katharina von der Ganthen schreibt darin ebenso launig wie informativ übers Divers sein, über Körperflüssigkeiten, Schönheitsideale und Transgender Kinder. Ich finde es so toll erklärt und lässig umgesetzt, dass ich oft ganz ohne Vorlese-Bitte allein darin stöbere. “Mama”, fragte meine Tochter kürzlich empört, “hast du wieder mein Buch geklaut…?!”
Es ist aber eindeutig ein Sachbuch für ein wenig ältere Kinder, die nicht das erste Mal mit dem Thema in Berührung kommen.
Ich mag wirklich alles daran – die Idee, Inhalt, den Style, den Witz – und war ganz beglückt, als ich entdeckt habe, dass die Macherinnen noch zwei weitere gemeinsame Bücher zum Thema verfasst haben: “Klär mich auf” und “Klär mich weiter auf”. Ich glaube, ich muss bald wieder in die Bücherhalle, Nachschub holen. Das Thema wird hier vermutlich die nächsten 15 Jahre ein Dauerbrenner sein…
Als meine Tochter übrigens einen Tag später mit der “Wenn Schimpfwörter wahr werden könnten…”-Seite zu uns an den Tisch kam, war mein Mann schon besser vorbereitet: Das wundervoll illustrierte Arschgesicht entlockte ihm nur ein kurzes Auflachen…
Habt ihr noch Tipps für weitere Aufklärungsbücher – oder regelt ihr das alles Freestyle?
PS: Ich muss diesen Beitrag als Werbung kennzeichnen, weil ich Empfehlungen ausspreche, zu denen ich verlinke. Dennoch ist es keine Kooperation, alles sind meine ganz persönlichen Tipps.
PS2: Unsere Kollegin Marlene Hellene schrieb kürz in der Süddeutschen Zeitung einen spannenden Beitrag zum Thema (hier geht’s zum Link, aber €) – allerdings mit dem Fokus auf Sexualkundeunterricht an deutschen Schulen. Sehr lesenswert!
Alles Liebe,
Peter,Ida und Minimum…Das ist wirklich eine Kindheitserinnerung. Danke für die tollen Buchideen. Meine Jungs sind 6 und 11 und ich denke die Bücher werden hier einziehen. Bislang ist das ganze hier nie richtig Thema gewesen. Aber wenn fragen kommen,werden sie offen beantwortet. Ich denke so ein Buch ist auch eine Hilfestellung um ins Gespräch zu kommen. Liebe Grüße
Hej liebe Svenja, ja, sehr nostalgisch – aber eben auch gar nicht mehr zeitgemäß 😉 Bislang ist es auch nur meine Mittlere, die ein gesteigertes Interesse an diesem Thema hat, aber ich war so froh über diese Buch-Entdeckungen, weil es kindgerecht und mit Tipps für die Eltern einen guten Einstig bietet, wenn das Thema dann aufs Tableau kommt. Alles Liebe, bin gespannt, ob die bei euch auch so gut ankommen, Katia
Danke für den Beitrag! Beide Bücher klingen gut, besonders AnyBody. Das schaffe ich glaube ich gleich an.
Wir haben viele Bücher von Dagmar Geisler für unterschiedliche Altersstufen, zu den Themen Körper, Aufklärung, körperliche und emotionale Autonomie, aber auch soziales Miteinander (“Manchmal gibt es einfach Streit” oder “Wie ist das mit dem Ärgern?”). Ich mag ihre Bilder und die Texte sehr (allerdings schreibt sie nicht nicht bei allen Büchern die Texte selbst), und dass viele verschiedene Körper gezeigt werden.
“Peter, Ida und Minimum” hatte ich als Kind nicht, habe es dann auf Empfehlung für meine eigenen Kinder angeschafft und war eher enttäuscht. Einiges ist nicht mehr so richtig zeitgemäß und meine Kinder haben sich nicht besonders dafür interessiert.
Was mich bei dem Thema Aufklärungsbücher generell stört ist die unhinterfragt vorgetragene Heteronormativität. Das suggeriert eine Eindeutigkeit, die einfach nicht dem entspricht, was die Wissenschaft inzwischen über die Aspekte Gender und Sex (= Geschlecht) weiß – und was an sexuellen Orientierungen existiert. Das Buch, das Kindern auch Sex zwischen anderen als einem Paar aus Frau und Mann erklärt, habe ich noch nicht gefunden. Aber wenn ich als Mädchen nun mal Mädchen toll finde? Wo soll ich denn Infos finden – und glauben können, das mit mir alles stimmt und ich absolut ok bin?
Außerdem finde ich die hauptsächliche Fokussierung auf die Baby-Entstehung etwas einfach (ist aber wegen besagter Heteronormativität nur logisch…). Das ist ja schließlich nicht das Einzige, was beim Sex passieren kann und das können auch schon Kinder erfahren.
Zum Thema LGBTQ+ finde ich “Was ist eigentlich dieses LGBTIQ+?” ganz gut. Das würde ich so ab 10, 11 Jahren für geeignet halten.
Hej liebe Sina, und erst mal vielen Dank für deine Empfehlungen – da werfe ich auch gleich mal einen Blick. Ich bin da ganz bei dir – und habe es im Blog-Post schon erwähnt: “Peter, Ida und Minimum” ist mittlerweile komplett aus der Zeit gefallen, auch wenn ich noch ein nostalgisches Vergnügen daran habe. Deshalb fand ich “Anybody” auch richtig gut gemacht, weil so viel mehr verhandelt wird als “Woher kommen eigentlich die Babys…?”. Und selbst in “Von wegen Bienchen und Blümchen” sind Bilder, was alles Familie sein kann: zwei Mütter, zwei Väter, Patchwork in jeglicher Konstellation – das hat nmich sehr angesprochen, vor allem, weil das Thema so bereits den Jüngsten ganz selbstverständlich präsentiert wird. Ich denke ganz generell, dass das Therma Sex, Gender, Geschlecht in Zukunft noch differenzierter erklärt werden muss – aber die von mir vorgestellten Bücher sind wirklich schon auf einem ziemlich guten Weg. Danke dir wir immer für deine bereichernden Gedanken, alles Liebe, Katia
Als meine Tochter 4 wurde, zog bei uns das wundervolle Buch “Alle haben einen Po” ein. Mit witzigen Bildern werden alle möglichen äußerlichen Unterschiede aufgezeigt, aber auch Emotionen und Funktionen des Körpers beschrieben. Keine sexuelle Aufklärung, aber das braucht es für die meisten Kita-Kinder wohl auch noch nicht. Das Buch hat uns jahrelang große Freude bereitet, absolute Empfehlung für alle mit jüngeren Kindern!
Hwj liebe Lena, danke für diesen Tipp – kenn ich noch gar nicht, klingt gut! Alles Liebe, Katia