Ich weiß nicht mehr genau, ob es die blaugrau getünchten Scheunentore waren. Die Wildrosenbeete vor dem Haus mit den leuchtenden Hagebutten dran. Die efeuberankte Fachwerk-Fassade. Die Diele mit dem riesigen alten Bauernschrank und dem Terrazzoboden. Der antike Eichentisch in der Landhausküche mit Blick in den großen Garten. Was ich aber noch genau weiß: Ich war sofort und bis in die Haarspitzen verknallt in all das, was ganz bald unser Wochenendhäuschen werden sollte…
Alte Fachwerkscheune

Dabei war es ein ziemlich trüber Novembersonntag, ich leicht verkatert von einer Party in der Nacht zuvor und groggy von der eineinhalbstündigen Fahrt von Hamburg-St. Pauli ins niedersächsische Wendland. Aber dann stand ich da, um mich herum nur Stille und Weite und dieser alte Hof, der sich sofort nach einem Zuhause anfühlte, obwohl ich doch eigentlich schon eines hatte.

Ein Wochenendhaus ist wie ein Bonus-Zuhause – und meistens eines, das ganz anders ist als unser Alltagsheim.

In unserem Fall war das Erstzuhause eine winzige, aber wunderbare Altbau-Wohnung über den Dächern von St. Pauli – mit Blick auf die Docks von Blohm & Voss. Genau das, was wir lange gesucht hatten. Genau da, wo wir sein wollten. Mittendrin in einem Kiez voller netter Menschen, Bars, Cafés und Clubs. Aber eben auch mittendrin im Touristen-Getümmel der nahen Reeperbahn, mittendrin, wenn der Hafengeburtstag, der Schlagermove, die Cruise Days über den Stadtteil hereinbrachen.

Insgeheim hatte ich schon länger von einem Häuschen im Grünen geträumt – nicht dauerhaft, aber ab und an. Zum Durchschnaufen. Zum Runterkommen. Um Grün statt Grau zu sehen, um Stille statt Lärm zu hören, um bei mir zu sein und nicht auf irgendwelchen Events. Und da war es dann plötzlich – es hatte mich gefunden, ohne, dass ich bewusst danach gesucht hatte.

Fachwerkscheune

Unsere Zwei-Zuhause-Zeit ist bis heute eine der schönsten Episoden in meinem Leben.

Wir waren jung, hatten keine Kinder und genug Geld, um uns neben unserer bezahlbaren Bude in der Stadt noch eine Wohnung auf dem Land zu leisten. Wir zogen noch vor Weihnachten ein – und es war ein Ankommen an einem Ort, den man bislang gar nicht bewusst vermisst hatte.

Antike Emaille-Dose

Ich störte mich nicht an der Kälte der alten Steinfußböden, wenn wir am Freitagabend im Stockfinsteren dort ankamen. Nicht an den Spinnen, die mit uns in Scharen das Haus bewohnten. Hier draußen störte mich kein grauer Himmel, weil er so viel weiter war als der in der Stadt. Kein Regen, weil alles so viel intensiver roch als zwischen endlosen Häuserschluchten. Selbst die Kälte hatte einen eigenen Duft- frisch und ein wenig nach rauchigem Holzfeuer.

Naturbadeteich

Für mich war unser Wochenendhaus ein Wendepunkt – auch persönlich.

Nach den ersten Monaten merkte ich, dass ich viel lieber dort draußen war als in der Stadt. Dass meine möglichen Karriereschritte mich nicht mehr so wahnsinnig interessierten. Dass ich nicht mehr auf Partys gehen wollte, sondern am Wochenende lieber tagsüber Beete umgrub und abends mit einem Buch vorm Kaminofen saß.

Als der erste Frühling kam, wagte ich einen ersten Schritt Richtung Veränderung: Ich sagte meinem Chef, dass ich Stunden reduzieren – und ein Sommer-Sabbatical nehmen wolle. Meine Verlagskarriere endete genau an diesem Tag. Aber mein neues Leben begann just in diesem Augenblick.

Ich habe einen ganzen Sommer in unserem Wochenendhaus gewohnt, überwiegend allein.

Mein Mann, der damals noch mein Freund war, kam nur an den Wochenenden. “Fürchtest du dich nicht, so ohne jemand anderen?”, fragte mich eine Freundin skeptisch. Nein, ich habe mich nicht ein einziges Mal gefürchtet. Ich habe es geliebt, mich dort neu zu entdecken: Stundenlang durch die liebliche Landschaft zu radeln, mit meinem knallroten Käfer über die Rundlingsdörfer mit ihren Fachwerkhöfen zu fahren. Im Garten zu graben, im Badeteich zu schwimmen, an der Elbe zu spazieren – und Freunde zu empfangen.

Ländlicher Blumenstrauß

Denn ein Wochenendhaus ist nicht nur ein Gewinn für einen selbst, sondern auch für Freunde und Familie.

Im Sommer hatten wir meist jedes Wochenende Besuch aus der Stadt: Freunde, die dem urbanen Trubel entfliehen wollten, entschleunigen, auftanken, Urlaub vom Alltag. Die meisten blieben über Nacht, unsere Gästezimmer waren ständig belegt. Wir haben dort Weihnachten mit meinen Eltern gefeiert, Silvester mit unseren französischen Freunden, den Geburtstag meines Mannes als großes Hof-Sommerfest.

An diesem Ort reifte in mir die Entscheidung, nicht für immer in der Stadt zu bleiben, irgendwann vielleicht dauerhaft aufs Land zu ziehen. Wir verbrachten dort drei wunderbare Jahre, wurden erst ungewollt Katzeneltern – und im letzten Jahr dann sehr gewollt und doch überraschend Eltern unseres ersten Sohnes.

Ja, ich habe viel darüber nachgedacht, einfach dort zu bleiben, komplett ins niedersächsische Niemandsland zwischen Lüchow und Danneberg zu ziehen.

Weil ich dort so glücklich war wie selten zuvor in meinem Leben. Aber es war eben doch nicht wirklich realistisch: Wir wären die einzige Familie mit Baby im Dorf gewesen – unsere Nachbarn waren zumeist Rentner. Wir hätten für alles sehr weite Wege gehabt – Kita, Schule, Sozialleben. Denn es ist zwar sehr charmant, partiell im Nirgendwo zu leben, aber für immer…?

Frau mit Strohhut und Sonnenbrille

Wir sind dann aufs Dorf vor den Toren Hamburgs gezogen – auch ein großer Schritt. Und ganz gewiss der richtige, obwohl es mir damals ein wenig das Herz gebrochen hat. Denn natürlich haben wir unsere Wendland-Wohnung aufgegeben – wer schon auf dem Land wohnt, braucht keinen Zweitwohnsitz auf einem anderen Dorf. Und keine dauernde Pendelei mit Säugling.

Ich habe dennoch lange gebraucht, bis ich diesen besonderen Ort nicht mehr vermisst habe. Bis ich ganz und gar angekommen war im Alltag auf dem anderen Dorf, das so viel besser zu unserem neuen Leben als wachsende Familie passte. Und das jetzt unser Zuhause ist.

Mittlerweile sehne ich mich übrigens nach einer neuen Wochenend-Bleibe.

Nach einer, die ganz anders ist als unser beschauliches Haus auf dem Dorf. Weil ich mitunter gern wieder mehr Kultur statt Kühe betrachten würde, gern mehr Trubel statt nur das Tröten der Gänse über mir hätte. Leider ist so eine charmante kleine Wochenendwohnung in Hamburg-Downtown gerade nicht in unserem Budget drin.

Deswegen mache ich es jetzt wie unsere Freunde damals im Wendland – bloß umgekehrt: Wenn ich der Stille entfliehen, mehr und andere Menschen sehen will, durch Bars streifen statt über den Acker – dann quartier ich mich für eine Nacht in deren urbanen Gästezimmern ein. Und allmählich kann ich mir wieder vorstellen, dass irgendwann, wenn die Kinder aus dem Haus sind, das Leben in der Stadt auch dauerhaft wieder eine feine Sache wär…

PS: Das Wendland ist und bleibt übrigens ein Sehnsuchtsort für mich: Mindestens einmal im Jahr besuche ich diese ganz besondere Region – oft zur Kulturellen Landpartie oder der Mützingenta. Solltet ihr das Wendland noch nicht kennen: Macht unbedingt einen Ausflug dahin, am besten im Sommer. Es ist einfach wunderschön.

Übrigens: Claudi liebt den Landstrich auch – in ihrem Kochbuch “Hungrig am Strand” gibt es sogar ein ganzes Wendland-Kapitel. Hier geht’s direkt zu Claudis Kochbuch-Shop. Und hier und hier noch ein paar Wendland-Geschichten vom Blog.

Hattet ihr schon mal ein Wochenendhaus? Oder seid ihr auch Nutznießer von Freunden?

Alles Liebe, genießt das schöne Leben,

Katia