Meine Tochter wird jetzt Zirkusakrobatin. Letzte Woche tendierte sie noch zu Austronautin. Oder Polizistin. Ich muss immer lächeln, wenn ich den wilden Plänen meiner Kinder lausche. Wenn ich an all die Möglichkeiten denke, die sie haben. Und an das, wofür sie sich irgendwann entscheiden. Im Leben. Im Beruf. In der Liebe. Und ich hoffe, dass ich dann hinter ihnen stehe, sie bestärken kann, begleiten, beraten – was auch immer es ist. Selbst, wenn es anders kommt, als erhofft. Selbst, wenn ich den Sinn ihrer Wahl nicht erkenne. Und sie selbst vielleicht auch nicht. Weil: Oft sind krumme Wege doch die besten…

Ich bin das beste Beispiel für waghalsige Krümmungen im Lebenslauf. Es mag daran liegen, dass ich nie sonderlich gut im Vorausplanen war. Dass ich zu den denkbar schlechtesten Zeitpunkten im Leben zu bequem gewesen bin – für eine aufwendige Bewerbung, ein vielleicht wegweisendes Vorstellungsgespräch. Dass ich bis heute ein wenig sprunghaft bin. Mich spontan für eine ganz andere Sache entscheide als für die, die ich mal angepeilt habe. Dabei bin ich eigentlich viel mehr Kopf- als Bauchmensch.

Vielleicht liegt es daran, dass ich mir gern lange alle Optionen offen halte.

Weil: Mich für eine Sache zu entscheiden heißt automatisch, mich gegen sehr viele andere Dinge zu entscheiden. Und das wär doch so schade, weil: Glücklich könnte mich das ja alles machen. Spaß machen bestimmt auch. Und vielleicht müsste man auch erstmal all das ausprobieren, um wirklich fundiert sagen zu können, was davon am allerallerbesten passt.

Ich fürchte, mit dieser Haltung habe ich meinen Eltern so manches graues Haar mehr beschert. Und mir nicht selten Stress, weil langes Herauszögern Fristen überzogen hat, die wirklich coolen Praktika an andere gingen – die schneller und entschlossener waren als ich. Deswegen hab ich mein Schulpraktikum im Kreiskrankenhaus gemacht und nicht beim NDR. Deswegen waren gefühlt alle im Herbst nach meinem Abi im Ausland, an der Uni, im dualen Studium, auf das sie zielstrebig hingearbeitet hatten.

Und ich hab als Kellnerin in der Provinzbar gejobbt.

Mit Einser-Zeugnis in der Tasche – und völlig ohne Plan, was aus mir werden sollte. Genau genommen hat oft der Zufall mein Leben geregelt. Mir plötzlich neue Wege eröffnet – auf denen ich dann ein kurzes oder längeres Stück unterwegs gewesen bin. Damals war es ein Praktikum, das in der Brigitte Young Miss inseriert war: In einer Hamburger PR-Agentur direkt am Hafen. Meine Mutter hielt mir die Zeitschrift unter die Nase und meinte “Wär das nicht was…?”

Ich hatte zwar keinen Plan, was genau PR war. Irgendwas mit Medien, und Medien fand ich generell ganz spannend, immerhin hatte ich auch schon für unsere Lokalzeitung geschrieben. Also bewarb ich mich ohne jegliche Vorbereitung, wurde genommen – und hatte sechs Wochen nach Beginn meines Praktikums plötzlich einen Vertrag in der Tasche, Gehalt auf dem Konto und ein paralleles Abendstudium an der Hand.

Plötzlich führte ich ein Leben, von dem ich nie geträumt hatte – und dass sich dennoch genau richtig anfühlte.

Viel Arbeit, viel Spaß, viel Party, viele neue Erfahrungen. Ich war 20 und wie trunken von all den Möglichkeiten. Doch auch aus vermeintlich Richtigem kann Falsches erwachsen: Ich verliebte mich in den falschen Typen, ich verließ Hamburg für Berlin, was sich auch als Fehler entpuppte. Ich traf falsche Entscheidungen – und zog drei Jahre später wieder bei meinen Eltern ein. Mit angeknackstem Ego zwar – aber reicher an Leben.

Bereut habe ich nichts davon.

Nicht, dass ich erst mit Mitte 20 an der Uni landete – wo ich die am wenigsten zielführende Fächerkombi Germanistik/Romanistik wählte. Nicht, dass ich ein Auslandssemester in Bordeaux aufgeben musste, weil mir das Leben dazwischen kam. Nicht, dass ich bei der Bauer Media Group mein Volontariat gemacht habe statt bei Gruner + Jahr, wo ich lieber gearbeitet hätte. Nicht, dass ich mit Mitte 30 mein erstes Kind bekommen habe statt mit Ende 20 wie gehofft.

All diese schiefen Pfade, die Umwege, manchmal auch das im-Kreis-laufen haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin: Zu der Frau, Freundin, Mutter und Journalistin, die angekommen ist bei sich selbst.

Damit will ich nicht sagen, dass nur verschlungene Wege zu Zufriedenheit führen.

Ich habe viele Freunde, die ihr Leben schon immer straighter verfolgen, mit Plänen und Zielen, die sie ausführen und erreichen. Und damit mindestens so erfüllt sind wie ich es jetzt bin. Aber ich will mich für meine Kinder daran erinnern, dass auch Unwillen oder Unlust Wegweiser für sie sein können.

Dass ich ihnen zugestehen will, ihren Weg zu gehen, ganz gleich, ob ich persönlich ihn gutheiße. Ganz gleich, ob ich ein Ziel, einen Sinn, einen Nutzen darin entdecke oder nicht. Ich will mich daran erinnern, dass es wichtig ist, seinen Kindern zu vertrauen. Sie loszulassen, sie auch in Sackgassen rennen zu lassen, sie sich im Labyrinth des Lebens verirren und sie Fehler machen zu lassen.

Meine Mutter hat mir irgendwann mal gestanden, dass sie erst richtig froh war, als ich mein Studium begonnen habe. Dass sie den Agenturjob immer ein wenig schräg, sogar ein bisschen unseriös fand. In all den Jahren zuvor hat sie nie ein Wort darüber verloren, keine Augenbraue gelupft, mir durch nichts zu verstehen gegeben, dass sie meinen Weg innerlich nicht mitgegangen ist.

Meine Mutter hat einfach an mich geglaubt.

Und das ist das Gefühl, das mich durch mein verschlungenes Leben getragen hat. Das mir Sicherheit gegeben hat. Das mich Krisen hat bewältigen lassen. Vielleicht baue ich bald neue Schleifen ein. Werde auch noch mal Akrobatin. Oder Polizistin. Gemeinsam mit meiner Tochter, mit meinen Jungs – die ich dabei begleiten möchte, zu denen zu werden, die sie sein wollen. Die sie sein sollen.

Und wie seid ihr im Leben unterwegs: Auf geraden oder schiefen Pfaden?

Alles Liebe,

Katia