Ich vermisse gerade ziemlich vieles: Unbeschwert zu sein. Essen zu gehen. Alle meine Freunde zu sehen. Der Anblick meines Mannes fehlt mir nicht. Nicht, weil wir Knatsch hätten. Oder weil ich ihn nicht mehr lieben würde. Ich mag ihn nur einfach nicht mehr dauernd sehen. Ich mag nicht mehr rund um die Uhr mit ihm Zeit verbringen. Zu allem und allen soll man gerade Abstand halten – bloß zum eigenen Partner fehlt die Distanz. Nur: Gerade da wäre sie nach einem Jahr heavy pair cocooning dringend angebracht. Paar sein in der Pandemie ist nämlich ein echt kniffliger Job.
In den 15 Jahren unserer Beziehung haben wir nie so viel Zeit miteinander verbracht wie in den vergangenen zwölf Monaten. Ob wir uns dadurch zwingend näher gekommen sind? Romantisch gesehen nicht unbedingt. Mein Mann ist der erste und der letzte Mensch, den ich am Tag sehe, das war schon immer so. Nur, dass wir jetzt auch alle Stunden dazwischen miteinander sind: Wir teilen uns ein Arbeitszimmer. Wir essen gemeinsam Mittag. Abends bändigen wir zusammen das Kinder-Trio. Und sinken später ermattet auf die Couch, um Netflix die Unterhaltung zu überlassen.
Liebe braucht auch Abstand
Das habe ich niemals so deutlich gespürt wie jetzt. Kürzlich fiel mir ein Spruch meiner Oma ein: “Willst du gelten, mach dich selten”, hat sie mir für mein Beziehungs-Leben mit auf den Weg gegeben. Ich möchte meinem Mann so gern mal wieder vermissen. Mich nach seiner Rückkehr sehnen. In dem Wissen, dass er etwas erlebt hat, an dem ich nicht teil hatte. Dass er mir vielleicht nicht einmal erzählt. Ich mag dieses winzige Möglichkeit des Geheimnisvollen. Aber wenn wir nicht mal mehr zum Arbeiten das Haus verlassen, ist das ziemlich schwierig. Mehr noch: Die gegenseitige Dauerpräsenz führt auch zu Abstand nach innen.
Abends noch ein vertrautes Gespräch darüber, wie es uns gerade so geht? “Boah, bin ich kaputt…!” Oder wir reden doch wieder über die Kinder. So wirklich Inspirierendes gibt es ja gerade eh nicht zu erzählen. “Ich bin abgenervt von Corona, hab drei Pfund zugelegt und würde mich so gern mal wieder mit jemand anderem austauschen als mit dir…” ist jedenfalls nicht der passende Gesprächsstoff für einen gelungenen Paar-Abend.
Was fehlt, sind die Impulse von außen.
Erlebnisse, Anregungen, Gespräche, die wir nicht miteinander geteilt haben. Vor ein paar Tagen kam ich von einem kurzen Treffen mit einer alten Freundin zurück – und sprudelte förmlich über: Gab alles wieder, was für die Ohren meines Mannes bestimmt war. Brachte neue Ideen, bessere Laune mit. Und dieser Überschwang fegte auch den Überdruss weg: Wir hatten einen schönen Abend, tranken noch ein Glas Wein, redeten, lachten. Und waren uns wieder ganz nah.
Ich vermisse auch die unterschiedlichen Rollen, die wir im Außen spielen. Dass wir überhaupt ein anderes, ein eigenes Leben führen. Eines, dass uns nicht permanent auf Eltern, Homeoffice-Zombies, Leidensgenossen im Ausnahmezustand reduziert. Ein Leben, in dem wir durch den Blick anderer gesehen werden – und dadurch auch einander neue Blickwinkel auf uns ermöglichen.
Früher war ich in meinen Mann verknallt, der Band-Gitarrist, Skater, IT-Profi mit Büro in der City war. Gerade muss ich alle Gefühle auf den coronamüden Dreifach-Papa mit mehr To-Dos als der Tag Stunden hat bündeln. Umgekehrt bin ich vermutlich auch nicht gerade der Traum seiner schlaflosen Nächte. Mit hängenden Mundwinkeln und ebensolcher Yogahose.
Mein Mann und ich haben seit Monaten ein Dienstags-Date.
Weil ich schon zu Beginn des zweiten Lockdowns das Gefühl hatte, dass permanente räumliche Nähe nicht unbedingt zu mehr emotionaler Nähe führt. Selbst wenn wir auch dafür nicht das Haus verlassen: So versuchen wir, unser beider Corona-Ich für ein paar Stunden hinter uns zu lassen. Uns mal wieder mit anderen Augen zu sehen. Wir holen uns Essen vom Lieblings-Syrer. Gönnen uns gegenseitig eine Massage.
Voriges Mal haben wir uns Bullys neue Comedyshow angeschaut. Und so sehr zusammen gelacht wie seit Ewigkeiten nicht. Da waren wir einfach mal wieder Mann und Frau in alberner Stimmung. Haben uns gegenseitig in lachtränenüberströmte Gesichter geschaut – und etwas anderes gesehen. Etwas, das uns fehlt. Etwas, das wir wieder haben möchten.
Wir überlegen jetzt gerade, ob wir unser Homeoffice auslagern.
Dass zumindest einer von uns den Arbeitstag im Büro einer Freundin verbringt. Morgens geht, nachmittags wiederkommt. Mit ein paar Erlebnissen, Bildern, Menschen mehr, von denen er später berichten kann. Mit neuem Schwung ins alte Pandemie-Paar-Dasein. Mit Abstand im Außen, statt im Inneren. Und der andere öffnet ihm die Tür und sagt: “Schön, dass du wieder da bist.” Von ganzem Herzen. Das ist Lockdown-Liebe. Jedem anderen Mann als meinem hätte ich längst auf Nimmerwiedersehen gesagt.
Wie ist es bei euch: Könnt ihr euren Partner noch sehen?
Alles Liebe,
Manchmal geht es mir so, dass ich einen ‘wie ist das gerade Zustand’ gar nicht in Worte fassen kann und dann lese ich eure wunderbaren Texte und denke, ja, genau so geht es mir auch gerade! Oh, wie schön, es geht noch mehr Menschen so und dies ist wieder einer dieser Texte! Und dann fühlt sich mein Gedankenchaos irgendwie geordnet und gar nicht mehr schlimm an! Vielen Dank dafür!
Hej liebe Dani, das freut mich sehr. Hier findest du bestimmt immer wieder Gleichgesinnte 🙂 Gutes Durchhalten, wir schaffen das! Liebe Grüße, Katia
Hallo Katja,
Ich finde diesen Texst intressant und ich kann deine Gefühle sehr gut verstehen, denn ich bin selber in der gleichen Situation………
Doch ich versuche die Situation so hin zu nehmen wie sie eben ist. Alles hat seine Zeit.Und ich weiss, dass ich/wir absolut priviligiert sind. Denn ich/du habe/n ein Haus mit Garten, Kinder und einen lieben Mann, den ich/du liebe/st und der uns liebt. Und das allerwichtigste ist, dass alle meine Lieben gesund sind und keine Not erleiden. Welch ein Glück ! Ich möchte demütig sein, in Anbetracht so enorm grosser Not auf der ganzen Welt und trotdem möchte ich die Situation in der wir stecken mit unseren Partnern auch nicht klein reden ……nur hole ich mir mit meiner Metode ein Stück Normalität zurück, weil ich mir auch mit Corona sagen kann, dass das absolut wichtigste noch gut und in Ordnung ist……..
Alles Liebe
Christina
Liebe Christina, Danke für deinen Beitrag. Wahrscheinlich hat jeder von uns ein individuelles Bedürfnis nach Nähe und Distanz. Ich hatte schon immer mehr als andere den Wunsch nach Freiraum – und der ist gerade arg beschränkt. Und dennoch bin ich dankbar für so vieles. Das eine schließt das andere nicht aus, wie ich finde. Liebe Grüße!
Danke für den Text.
Bei uns gab es diesen Zustand nie. Mein Mann war immer arbeiten – als Arzt gibt es kein Homeoffice 😉 ich habe gemerkt, dass ich mich sehr gefreut hätte, wenn wir uns in der schwierigen Zeit mehr sehen und ich dadurch nicht soviel alleine schultern muss…das ist vielleicht eine kleine andere Perspektive auf diese Zeit. Es gibt auch Paare da gibt es diese “Beide-sind-zuhause” nicht – welche Situation die blödere oder schönere ist?…wahrscheinlich macht es auch keinen Sinn, es zu bewerten. Ich hoffe einfach nur, dass wir alle die nächsten Monate auch noch irgendwie meistern – und Paare & Menschen werden, die lernen: das Leben mit anderen an der Seite ist besser zu schaffen – auch wenn die Umstände nicht besonders toll sind.
Alles Gute dir & allen Lesenden
Vielen Dank für Deine Gedanken zu dem Thema. Dass wir alle gestärkt aus dieser Zeit hervorgehen, trotz allem, das wünsche ich mir und uns allen! Alles Liebe, Katia
Ich höre diese Gefühle viel von Familie und Lieben, die mit Partner*in Zuhause sind. Selbst kann ich diese nicht nachempfinden, meine Frau ist Apothekerin und arbeitet die ganze Zeit normal weiter, nur mit Maske und vielen neuen Themen. Mitten in der Pandemie hab ich unseren Sohn geboren, die zwei Monate Elternzeit gemeinsam waren ein absolutes Glück. Wie oft hab ich mir gewünscht sie hätte einen Büro Job und würde im Home Office arbeiten. Aber so genießen wir die Zeit, die wir haben und die Gesprächsthemen, die wir beide über den Tag sammeln. 🙂
Hej liebe Lisa, ja, so unterschiedlich können die Wahrnehmungen sein. Ich kann verstehen, dass du dir mit Säugling mehr Unterstützung wünschst. Ich würde auch nicht wollen, dass mein Mann jetzt täglich 12 Stunden im Büro ist und ich mit dem Kinder-Trio alleine bin. Nur ein wenig mehr Abstand als jetzt täte gut, auch der Aufregung, der Vorfreude, all dem. Aber das wird ja wieder kommen. Alles Gute für euch!
Wirklich ein guter Text, der die Situation so gut beschreibt,in der sich so viele Paare gerade befinden. Und so ein schönes Foto.
Hej liebe Leni, Dankeschön ❤️. Liebe Grüße!
Nach 13 Jahren in einer immer schwierigen Beziehung bin ich Ende 2019 ausgezogen. Den neuen Mann habe ich am 1. Lockdown Tag kennengelernt. Dieser Artikel bestärkt mich darin, das Leben unter zwei Dächern als Privileg zu begreifen, das uns hilft, die Liebe als etwas kostbares zu hegen und die gemeinsame Zeit zu genießen. Aber eben auch die Zeiten alleine zu nutzen, um wieder zu sich zu kommen und sich aufeinander zu freuen.
Hej Frederike, eine neue Lockdown-Liebe, wie schön. Ich finde das Modell getrennter Wohnungen spannend, aber mit drei kleinen Kindern nicht praktikabel. Wer weiß, vielleicht ein Projekt, wenn sie aus dem Haus sind 😉 Liebe Grüße!
Der Beitrag spricht mir aus der Seele!! Vielen Dank dafür.
Hej liebe Carolin, das freut mich sehr! Alles Liebe, Katia
Dass es mir genauso geht, habe ich letzte Woche realisiert, als wir mal nicht vollständig zuhause waren. Ja, ich hab die Leere genossen, und das Vermissen auch. Übrigens obwohl ich nicht permanent im Home-Office bin.
Danke für die treffenden Texte!
Hej liebe Annie, ja, wer hätte gedacht, dass Vermissen mal unter die Top 3 der Gefühle rutschen würde…😉Alles Liebe!
Liebe Katia,
du bist der Hammer! Deine Textüberschrift hat mir heute ein Lachen ins Gesicht gezaubert 😂
Ein super Beitrag und sooooo wahr! Ich danke dir für deine herzerfrischende Ehrlichkeit.
Lg Laura
Hej liebe Laura, wie schön! 😊 Dein Feedback zaubert wiederum mir ein Lächeln ins Gesicht. Danke ❤️ Alles Liebe!
Ein toller Artikel! Ich kann dir in allem zustimmen! Danke!
Hej liebe Eva, Dankeschön 😊 Geht uns allen wahrscheinlich gerade ähnlich – und dieses Wissen macht es vielleicht ein wenig leichter…Alles Liebe!
Liebe Katja, wow, das spricht mir aus der Seele. Ich liebe meinen Mann sehr und er ist definitiv mein bester Freund und auch meine drei Kinder, aber langsam geht mir die Luft zum Atmen aus. Wir arbeiten beide im Tourismus. Ich selbstständig. In unserem „ alten“ Leben sahen wir uns ein Drittel des Monats nicht und jedes Wiedersehen war herrlich! Wie schon deine Oma sagte 😉 Dazu noch Arbeitsverbot und Allimentierung vom Staat. Ich wünsche mir mein altes Leben zurück.
Liebe Annika, ich fühle dich 😉 Wie schön, dass du das mit deinem Mann als besten Freund schreibst. So ist es hier auch – und doch hat man die erzwungene Perma-Geschellschaft zwischendurch auch mal über. Ich finde das nicht schlimm, so lange man immer wieder zusammenfindet. Alles Liebe!
Die Frage ist ja: wie kommt man mit dem zurecht, was gerade ist…
Hej liebe Anna, das ist natürlich richtig und wichtig. Aber wenn mir eine Situation missfällt, mir nicht gut tut, ist es für mich wichtig, sie zum Besseren zu verändern. Ein, zwei Ideen dazu habe ich ja bereits in der Geschichte 🙂 Alles Liebe, Katia
Liebe Katia,
Du sprichst mir aus der Seele. Sehnsucht macht sich breit. Uns hat diese Corona Situation an unsere Grenzen und weit darüber hinaus gebracht.
Es gehören ja immer zwei dazu, Geben und nehmen….
Trotzdem und gerade weil es so schwierig ist motivieren mich Deine Zeilen sehr!
Liebe Grüsse,
Sid
Hej Sid, ja, das ist an keinem von uns spurlos vorübergegangen.Wir mussten verdammt viel lernen – auch darüber, wie sich Partnerschaft verändert, wenn man permanent aufeinander hockt. Ich freue mich sehr, wenn du aus meinem Text ein paar Anstöße mitnhemen konntest 🙂 Alles Liebe!