Mein Spiegel ist Realist, kein Romantiker. Er schmeichelt nicht, er zeigt, was ist. Dass ich älter werde, jeden Tag ein bisschen mehr, entgeht ihm nicht – meine Falten sind der beste Beweis. Aber sind Krähenfüße auch das unstrittige Indiz dafür, dass ich endlich erwachsen bin? So richtig ausgefuchst erwachsen mit allen Tricks und Kniffen, die einem dieser lange Lebensabschnitt abverlangt? Ich muss sagen: Ich hab da immer wieder Zweifel…
Mir geht es oft wie der Autorin Karina Lübke, die kürzlich in der BRIGITTE WOMAN so treffend schrieb: “Würde ich mich immer fühlen wie eine Lebenskompetenz-Hochstaplerin? Würde ich nie mein Ideal einer echten Erwachsenen erreichen (…)?” Ich kann das so nachvollziehen: Manchmal fühle ich mich wie eine Betrügerin. Wie jemand, der nur vorgibt, eine Erwachsene zu sein, immer in der Furcht, gleich enttarnt zu werden: “Netter Versuch, Schätzchen. Und jetzt geh wieder spielen…!”
Mir ist mein Twentysomething-Ich häufig so viel näher als mein Hauskredit-Selbst.
Mein wildes Teen-Wesen oft viel vertrauter als meine vernünftige Mama-Ausgabe. Und ich frage mich immer wieder: Ab wann ist man eigentlich erwachsen? Wenn man von Zuhause auszieht? Sein eigenes Geld verdient? Wenn man Kinder bekommt, heiratet, ein Haus und Hochbeete baut, Freunde zum Dinner einlädt? Alles Dinge, die ich mittlerweile mehr oder minder erfolgreich absolviert habe.
Und doch warte ich insgeheim immer noch auf ein Aha-Erlebnis. Darauf, dass sich ein Schalter umlegt und ich endlich dauerhaft in dem Gefühl lebe, eine kompetente Person für alle erwartbaren erwachsenen Lebenslagen zu sein. Die für den Akkuschrauber und das gesunde Abendbrot. Die für Karriere und Kinder. Die fürs Kuscheln und für Kita-Elternabende, für Krankheiten und andere Katastrophen. Die Reisen organisiert, Ratschläge erteilt und Resilienz kann. All das bin ich manchmal. Aber gefühlt nie all das zusammen. Werde ich das jemals sein?
Ich bin irgendwie immer davon ausgegangen, dass Erwachsensein etwas ist, das man eben kann, wenn es soweit ist.
Oder wie Karina Lübke schreibt: “Als Kind war ich sicher, dass Erwachsene den großen Plan hätten, die magische Bewanderkarte mit sämtlichen Geheimpfaden durch die Krisengebiete des Lebens.” An mir muss diese Karte vorbeigegangen sein. Nur: Es scheint da draußen genug Menschen zu geben, die mir und der Welt dauernd beweisen, wie sich vollendete Erwachsene eben benehmen.
Sie kennen sich am Aktienmarkt und mit Bitcoins aus, gründen und führen globale Unternehmen, entwickeln Impfstoffe und große Ideen für eine bessere Welt. Und sind dabei noch gern locker zehn Jahre jünger als ich. Tja. TJA! Und ich scheue mich schon, Verträge bis zum Ende durchzulesen, weil es mir zu mühsam ist.
Natürlich bin ich mir ziemlich sicher, dass auch diese Menschen zweifeln, hadern und straucheln. Dass sie nicht jeden Tag mit dem Gefühl erwachen, ihr erwachsenes Leben vollends im Griff zu haben.
Denn erwachsene Dinge tun und sich erwachsen fühlen sind unterschiedliche Sachen.
Was aber macht Erwachsensein wirklich aus? Wann fühle ich mich so richtig erwachsen? Nicht unbedingt, wenn ich felsenfest überzeugt bin, mein Leben komplett im Griff zu haben. Aber immer dann, wenn ich mein Leben bewusst in die Hand nehme. Um mich stark zu machen – für mich, meine Kinder, meine Überzeugungen. Ich fühl mich erwachsen, wenn ich mich frei mache von den Erwartungen anderer. Wenn ich dem Leben selbstbestimmt und selbstbewusst entgegentrete. Wenn ich weiß, wer ich bin, was ich will – und was nicht.
Und doch kann auf jeden erwachsenen Tag einer folgen, an dem ich mich wie die ewige Praktikantin ohne Chance auf den bezahlten Reifeposten fühle. Wo ich Verantwortung und Vernunft am liebsten an den Nagel hängen würde, um mich frei zu machen – nicht nur von Erwartungen, sondern von all den Verpflichtungen, die dann wie Blei an mir hängen. An denen ich keine Brotdosen mehr füllen möchte, sondern das Lebenshunger-Konto. An denen ich nicht unerschüttlich, sondern unbeschwert sein will. An solchen Tagen bin ich sehr weit weg von meinem Ideal einer Erwachsenen, wie ich es mir früher ausgemalt habe. Aber allein bin ich damit vermutlich nicht.
Vielleicht ist Erwachsensein ein wenig wie Yoga: Man lernt die Grundlagen und praktiziert dann ziemlich individuell.
Mal mehr, mal weniger motiviert. Mit Pausen oder Power-Challenges, je nach Tagesform und Trainingsstand. Ich bin gerade in einen fortgeschrittenen Mittelstufen-Flow. Und mir nicht sicher, ob ich jemals die Profi-Klasse erreiche.
Aber vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig. Vielleicht ist Dabeisein alles. Dranbleiben, auch wenn’s nicht immer rund läuft. Und irgendwann hab ich dann eine neue Erwachsenen-Asana drauf, vielleicht nicht Tutorial-reif, aber für meine Bedürfnisse langt’s. Und wenn’s zu wackelig wird, schummel ich einfach ein bisschen – darin immerhin habe ich jede Menge Übung…
Und ihr so: Fühlt ihr euch immer so richtig erwachsen…?
Alles Liebe,
Hallo Katia,
sehr interessant, was du schreibst. Meine innere Stimme hat waehrend dem Lesen schoen mitkommentiert.
Mir gefaellt, wie du die Punkteliste auffuehrst und sagst, dass du viele dieser Punkte erfolgreich absolviert hast; ich auch 🙂
Ich war aber auch im Boersenmarkt taetig und habe erfolgreich beruflich am Aktienmarkt spekuliert und mit riesen Summern von Kundern Verantwortung uebernommen. Leider habe ich mich in diesem Teil meines Lebens nicht erwachsen gefuehlt. Der Druck, die Unzufriedenheit und die koerperliche Ausgelaugtheit haben mir so zu schaffen gemacht, dass ich nach dem Arbeiten nur schlafen konnte. Mein Leben (und das vielen Kollegen) bestand nur aus Buero und Schlafen. Mir ging es mental so schlecht, dass ich taeglich auf meine Mutter angewiesen war, damit ich wieder etwas mentale Kraft laden konnte. Gekocht habe ich nicht, sondern nur auswaerts gegessen. Perspektive im Leben gab es nicht. Die Zeit kann ich nur als einen schlechten und verschwommenen Traum beschreiben, in der ich sowohl sehlisch als auch koerperlich nur Schaden erlitten habe. Ich war mit Sicherheit nicht erwachsen, sondern ein ausgewachsener Mensch ohne Perspektive.
Erst als ich Kinder hatte und ich einen Zweck in meinem Dasein fand konnte ich mich als Erwachsene bezeichnen. Aber selbst da gibt es Grenzen und alles ist eine Perspektive. Ich in den Augen meiner Kinder erwachsen, weil ich fuer sie verantworllich bin. In den Augen meines Mannes bin ich beides, Erwachsen, weil wir Eltern sind und Verantwortung tragen, aber auch jung und kindlich, weil wir zusammen Spass haben muessen. Wir haben uns in einer unbeschwerten Zeit kennengelern, die duerfen wir nicht vergessen. In den Augen meiner Eltern bin ich immer ein Kind. Nicht von einer herablassenden Perspektive, sie wissen, dass ich erwachsen bin; nein, weil ich ihr Kind bin, ob jung oder alt. Und wenn ich Mama mal wieder anrufen muss, weill ich mit dem Erwachsensein ueberfordert bin, dann schluepfe ich in die Rolle Kind. Und selbst meine Kinder kennen mich als Kind, denn das macht halt Spass. Ich denke, was Erwachsensein bedeutet, ist den Unterschied zu kennen, wann man Erwachsen sein muss und wann man sich gehen lassen kann, damit das innere Kind in uns aufbluehen kann. Was denkst du?
LG
Andrea
Liebe Andrea, vielen lieben Dank für deine Geschichte, die du hier mit mir und allen anderen teilst. Und dir es offenbar ja so ergangen, wie von mir vermutet: Selbst etwas so kompliziert-erwachsenes wie Spekulation zu tätigen macht einen nicht zwingend zu einem erwchsenen Menschen. Danke für deine Offenheit! Und ich mag deine Aufsplitting: Dass du immer noch Kind deiner Eltern bist, manchmal kindisch mit deinen Kindern oder ausgelassen mit deinem Mann. Vielleicht ist es genau das, was Erwachsensein ausmacht. Alles Liebe weiterhin!
Hallo Katia,
Ein toller Bericht,ich mach es kurz und finde ein bischen
Pippi Langstrumpf muss man sich auf jeden Fall erhalten.
Liebe Grüße Susanne
Hej Susanne, ich mach es auch kurz: Liebsten Dank für dein Feedback – und ich mag deine Pippi-Idee. Alles Liebe!
Hallo Katia,
Danke für deine immer wieder tollen und treffenden Texte!
Bei mir war der Schritt ins Erwachsensein der Tod meiner Eltern. Seitdem kann ich keinen mehr um Rat fragen, keiner unterstützt mich oder steht im Notfall hinter mir. Dadurch bin ich automatisch erwachsen geworden.
Also genieß diesen Zustand zwischen Erwachsensein und doch noch manchmal Teen oder Kind, mir fehlt manchmal diese Leichtigkeit.
Viele Grüße von Jasmin
Hej liebe Jasmin, ich freu mich sehr, dass dir meine Texte gefallen. Das ist immer mein schönstes Kompliment! 🙂 Und: Danke für deine Offemheit. Ich weiß in ungefähr, wovon du sprichst: Vor einigen Jahren habe ich meine Mutter verloren – und das war für mich ein riesiger Einschnitt. Sie und ihr Rat fehlen mir immer noch sehr. Glücklicherweise habe ich noch immer meinen Vater, wobei sich die Verhältnisse irgendwann schleichend verkehren. Aber ich bin immer noch jemandes Kind. Alles Liebe für dich!
Sehr passend! Jedes Jahr wieder besonders deutlich auf den Elternabend, bei denen ich immer das Gefühl habe, dass ich nur Flausen im Kopf habe und liebend gerne Zettelchen weitergeben würde, statt wichtige Sachen abzustimmen und zu entscheiden…
Hej liebe Hanna, kennst du auch die Momente, in denen du laut “laaangweilig” in irgendeine öde Erwachsenendebatte reinrufen würdest…? 😉 Das sind Momente, da wär ich lieber wieder Kind. Alles Liebe!
Ich hatte als Kind immer die Vorstellung, dass man sich richtig erwachsen fühlt, wenn man ein eigenes Auto hat.
Irgendwie denke ich das immer noch… nur hatte ich bis heute (Mitte vierzig mit zwei Kindern) noch kein eigenes 😉 deswegen weiß ich nicht, ob es stimmt.
Wie lustig, was man sich früher so vorgestellz hat, wie man als Erwachsene so ist und was man so alles können sollte. 😉