Frau B. kennt vermutlich mehr meiner Geheimnisse als all meine Freundinnen zusammen. Sie kennt mich sogar besser als ich mich selbst, denke ich oft. Wenn ich ihr etwas im Brustton der Überzeugung erzähle, schaut sie mich mit diesem leisen, wissenden Lächeln an, hebt eine Augenbraue und sagt: “Ist das wirklich so, Frau Kröger…?” Denn Frau B. ist nicht meine Freundin, sondern meine Therapeutin. Und irgendwie fühlt es sich nach all der Zeit immer noch komisch an, das zu schreiben, obwohl es eine ziemlich gute Sache ist…

Frau am Meer, seitwärts schauend

Ehrlich: Dabei kann Frau B. ziemlich nerven. Denn es ist nicht ihr Job, mir dauernd in allem beizupflichten und bedingungslos zuzuhören, sondern im Gegenteil: Ihr Job ist es, alles kritisch zu hinterfragen, vor allem Lebensthemen, vor denen ich mich gern drücke. Ihr Job ist es, mich mit der Nase darauf zu stoßen, wo ich mich großzügig selbst beschummel.

Ihr Job ist es, beinahe penetrant einzufordern, dass ich in den dunklen Ecken meines Lebens gründlich aufräume.

Würde das eine Freundin so beharrlich tun, hätte unsere Beziehung zumindest einen Knacks weg. Aber von Frau B. lass ich mich erstaunlicherweise gern so triezen, denn: Mit ihr geht es mir einfach besser. Und ich würde mal ganz generell behaupten, dass jeder von uns so seine Themen hat, mit der er auf der Couch gut aufgehoben wäre: Komische Kindheit, blöde Beziehungen, lästige Lebensmuster.

Bei mir war es der Tod meiner Mutter, der mich komplett aus der Umlaufbahn meines Lebens geschleudert hat (hier habe ich schon einmal über meine Trauer geschrieben). Mein Schmerz überrollte mich damals wie ein Schwertransporter  – und damit auch meine Familie und Freunde. Vielleicht hat jemand von euch diese Erfahrung ja auch schon gemacht: Die eigene Trauer dauert viel länger, als es selbst Partner oder gute Freunde aushalten können. Und das war der Auftritt von Frau B. in meinem Leben.

Eine Therapeutin ist niemand, an dessen Schulter man sich so hemmungslos ausweint wie an der einer Freundin.

Dafür hört sie zu, wenn man sich alles von der Seele redet. Wenn man sich um sich selbst dreht wie ein wildgewordener Kreisel. Und zwar immer und immer wieder, auch wenn es einem selbst schon fast zu den Ohren wieder rauskommt. Freunde können, Freunde sollen das nicht leisten. Freunde sind subjektiv, parteiisch, immer auf deiner Seite – aber sie haben auch ihre persönlichen Grenzen, die man nicht überstapazieren sollte. Freunde haben ihren eigenen Struggle – und damit Erwartungen an einen, dass man auch ihre Probleme mitschultert. Und manchmal ist das eben einfach nicht möglich.

Meine Beziehung zu Frau B. ist keine persönliche, auch wenn es sich mitunter so anfühlt. Sie weiß alles von mir, ich nichts von ihr. Sie erwartet nichts von mir, außer, dass ich zu unseren Sitzungen erscheine. Sie kennt mich durch und durch und wahrt dennoch eine objektive Distanz, die ihr diesen Röntgenblick auf mein Seelenleben ermöglicht. Sie führt mich behutsam, aber beharrlich zu anderen Lösungen, Denk- und Verhaltensweisen. Fast schon ein wenig spooky. Aber auch unglaublich erhellend.

Ich hatte mir eine Psychotherapie irgendwie immer ganz anders vorgestellt.

Sah mich immer liegend auf einer dieser Ottomanen, neben mir einen Therapeuten mit Bart, der sich  stumm nickend irgendwelche Notizen macht und zwischendurch “Hmmhmm”. Dass man mit seiner Therapeutin wie im Wohnzimmer in kuscheligen Ohrensesseln beisammensitzt, auch mal laut gemeinsam lachen, ein echtes Gespräch führen kann, das hätte ich nicht gedacht.

Klar, es ist eine Frage der Chemie. Zwischen Frau B. und mir hat es von Anfang an gefunkt. Wir mögen uns, das ist unser Plus und mein Glück. Denn nur so bin ich überhaupt bereit, so viel von mir preiszugeben, das sonst niemand weiß. Dass nicht einmal ich wusste, bevor ich es in ihrem Beisein ausgesprochen habe. Bin ich überhaupt bereit, loszulassen – Gefühle, Gedanken, Vorstellungen, Muster. Und am Ende auch die Themen, die mich mal zu ihr geführt haben.

Nach all den Jahren sind es nicht immer nur die zentnerschweren Sujets, die wir anpacken. Manchmal ist mir Frau B. auch einfach Ratgeberin in Alltagsdingen.

In Erziehungsfragen, in Paarangelegenheiten, wie ich mich in diesem herausfordernden Trubel zwischen Kindern, Karriere und persönlichem Chaos nicht selbst verliere. Wie eine mütterliche Freundin mit professionellem Auftrag. Frau B. ist vermutlich einer der prägendesten Menschen der vergangenen Jahre für mich – und ich weiß nicht mal, ob sie ein Hobby, Kinder oder ein Faible für Romane hat. Sie ist mir ein Mysterium, ich ihr ein offenes Buch.

Jetzt neigt sich unsere gemeinsame Zeit dem Ende entgegen. Und ich bin schon jetzt ein wenig traurig, weil ich Abschiede generell nicht mag – und weil ich sie und ihre unerschüttliche Gelassenheit in allen Fragen des Lebens nicht missen will. Aber keine Therapie ist für immer und am Ende ist es auch das Ziel, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Das tue ich mittlerweile wieder ziemlich fest. Und das fühlt sich gut an – auch wenn es bisweilen wirklich harte Arbeit an mir selbst war…

Wie findet man einen Therapieplatz?

Für einen Therapieplatz könnt ihr beispielsweise über die Bundespsychotherapeutenkammer nach Therapeuten in eurem Bundesland suchen. Oder ihr wendet euch an eure Krankenkasse. Leider hat Corona die eh schon raren Plätze noch weiter verknappt. Dennoch: Wenn ihr Hilfe braucht, holt sie euch!

Auf Erstgespräche muss man meist nicht länger als ein paar Wochen warten, allerdings dauert es bis zum Start der regulären Therapie meist deutlich länger. Oftmals geht es aber beispielsweise schneller, wenn ihr euch einen Therapeuten sucht, den ihr euch als Selbstzahler leistet. Gute Tipps dazu (und wie man dennoch an eine Erstattung durch die Krankenkasse kommen kann), findet ihr zum Beispiel hier.

Und der Stern hatte dazu kürzlich einen recht detaillierten Bericht mit vielen How-to-Hilfestellungen.

Habt ihr bereits Therapie-Erfahrungen?

Alles Liebe,

Katia