Ich mag mein Lächeln. Ich lächel gern. Meistens denke ich nicht mal drüber nach. Es passiert einfach: Ich lächel, wenn ich mich freue. Aber eben auch, wenn ich beim Fischhöker meinen Lunch-Lachs entgegen nehme – selbst wenn der Verkäufer dabei keine Miene verzieht. Dann lächel ich umso breiter. Um sein Lächel-Defizit auszugleichen. Und manchmal lächel ich auch reflexhaft, wenn jemand zu mir unfreundlich ist. Wie kann das bloß sein…?!
Ich bin weder auf den Mund gefallen, noch mangelt es mir an Selbstbewusstsein. Und doch lächel ich sogar dann, wenn mir nicht danach ist. Weil ich offenbar verinnerlicht habe, das Lächeln Türen öffnet. Dummerweise nur häufig für andere. Dass Lächeln oft ungewollt mundtot macht, weil es anderen schnell signalisiert: “Hej, ich bin harmlos, von mir hast du nichts zu befürchten” – darüber habe ich bislang viel zu selten nachgedacht. Aber mich oft ausgiebig darüber geärgert, dass ich dem dreisten Drängler in der Schlange ein halb-so-wild-Lächeln gegönnt habe – statt ihm ein Bein zu stellen.
Leider bin ich mit dem Lächel-Reflex in bester Gesellschaft. Vor allem in weiblicher.
Laut der Lächel-Forscherin Marianne La France hat das damit zu tun, wie unterschiedlich Frauen und Männer kommunizieren: “Frauen sind freundlicher, extrovertierter, empathischer und gehen mehr auf ihr Gegenüber ein. Für Männer gilt, dass Emotionen kontrolliert und im Zaum gehalten werden müssen. (…) Frauen lächeln mehr als Männer – und das nicht nur, wenn sie bei Leuten sind, die sie kennen und mögen. Auch bei Anspannung oder in unangenehmen Situationen lächeln Frauen. Allerdings nicht, um ihre Gefühle auszudrücken, sondern um zu entspannen. (…) Lächeln passiert oft so automatisch, dass es gar keine Gefühle mehr ausdrückt, sondern nur noch für andere gemacht wird.”
Ich muss erstmal schlucken. Weil: Ich fürchte, genauso benehme ich mich häufig. Und denke gleichzeitig: Ernsthaft? Es entspannt mich mehr, für mich bedeutungslosen Menschen zuzulächeln statt ihnen auch mal meine miese Miene zuzumuten? Klar, ich mag es, sympathisch auf andere zu wirken. Mag, wenn auch Fremde erstmal tendenziell von mir eingenommen sind statt abgeschreckt.
Das hat nichts mit Gefallsucht zu tun, sondern mit einem Wunsch nach Harmonie. Ich bin generell für ein freundliches Miteinander. Aber wenn ich dauernd übervoreilig und im Übermaß Nettigkeit über unwichtigen Zusammenkünften auskippe, muss ich dadurch häufiger zurückstecken. Weil andere keine Hemmung haben, die Mundwinkel unten zu lassen und ohne falsche Rücksicht auf andere ihren Interessen nachzugehen.
Jetzt habe ich beschlossen: Kiebig ist mein neues kooperativ.
Was nicht heißt, dass ich jetzt jeden finster von der Seite anranze. Sondern schlicht, dass ich meine Mundwinkel in der Geraden lasse. Einfach mal nicht lächeln. Neutral statt nett. Ein Experiment, dass Marianne La France auch gern mit ihren Studenten erprobt – mit spannendem Effekt: “Die Frauen hatten das Gefühl, dass sie unfreundlich oder wütend rüberkommen.”
Genauso geht es mir auch: Es ist absolut ungewohnt, in einen Raum zu kommen und nicht erstmal verbindlich in die Runde zu lächeln. Es fühlt sich unhöflich an. Ich muss mich auch verdammt konzentrieren, der Bäckerin nur meine Bestellung zu sagen – ohne sie dabei anzustrahlen. Es ist anstrengend, bei einem Behördentelefonat kein liebenswürdiges Lachen einzuflechten, sondern nur nüchtern zu sprechen. Aber es ist auch ein wenig befreiend, nicht dauernd der Feelgood-Manager für den Rest der Welt zu sein.
Vor allem in dem Wissen, wie es Männern ergeht, die permanent lächeln sollen…
Denn ihren männlichen Studenten stellt Marianne La France diese Aufgabe: “Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen will ich, dass ihr immer lächelt. Nicht albern grinsen, einfach lächeln. Wenn euch jemand entgegen kommt, lächeln. Wenn ihr ein Bier trinken seid, lächelt. Es ist egal, wo ihr seid, ich will, dass ihr lächelt. (…) Die Männer hatten das Gefühl, dass andere denken, dass bei ihnen was nicht ganz stimmt. Sie wollten das nicht machen. Sie haben sich unmännlich gefühlt.”
Weniger zu lächeln heißt für mich gerade, mehr bei mir zu bleiben. Mir mehr Raum zu verschaffen. Nicht erst allen anderen ein gutes Gefühl zu geben, sondern in allererster Linie mir. Für mich selbst braucht es dafür keine sichtbare Gesichtsmimik – das geht auch innerlich. Ich will mein Lächeln nicht mehr nach dem all-you-can-give-Prinzip verteilen.
Mein Lächeln soll wieder exklusiver werden.
Für Situationen, in denen es wirklich angebracht ist: Für meine Kinder. Für meine Familie, meine Freunde. Für Menschen, die mir sympathisch sind. Wenn ich wirklich froh bin. Wenn ich von echten Gefühlen geleitet bin – nicht von gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Das fällt mir noch ziemlich schwer. Aber ich finde es immens wichtig – auch für die Kinder. Ich möchte nicht, dass sie “Lächel doch mal!” jemals als Norm verinnerlichen.
Kürzlich hatte ich übrigens vergessen, dass ich nicht mehr lächeln wollte – und hab dem Fischmann versehentlich ein breites Lächeln geschenkt. Er hat spontan zurück gegrinst. Das hat mich ehrlich gefreut.
Kennt ihr diesen Lächel-Reflex auch?
Alles Liebe (ohne dabei eine Miene zu verziehen),
Das pandemiebedingte Masketragen hat bei mir da sehr viel bewirkt, weil ja plötzlich das Lächeln unsichtbar war. Ich habe ganz ähnliche Beobachtungen gemacht wie du sie hier beschreibst: wann mache ich das und wieso. Ich habe durch die Maske meine inflationäre Lächelei in Frage gestellt und es ganz viel sein gelassen.
Ähnliches Thema: seit Anfang dieses Jahres übe ich, mir Smileys in Textnachrichten und E-Mails zu sparen, gerade im beruflichen Kontext. Kaum ein Mann nutzt die da – und niemand hält sie deshalb für unfreundlich! Woher kommt das, dass ich meine, nicht ohne dieses ständige Zeigen von “ich bin harmlos, ich bin nett” auszukommen?!
Hochspannendes Thema, Danke für den Gedankenanstoß!
Hej liebe Sina, stimmt, das mit den Smileys ist ein ziemlich wichtiger Punkt! Kenne ich ebenfalls: Damit mildere ich dauernd irgendwelche Aussagen, um nicht zu fordernd, zu bestimmt, zu harsch beim Gegenüber anzukommen. Es hat sich so eingeschlichen – dabei fand ich sie am Anfang furchtbar!! Und es stimmt, dass Mäner auch auf diesem Kommunikationskanal viel weniger das Bedürfnis haben, sich symbolisch nett zu präsentieren… Werde ich in mein Experiment mit einbeziehen. Alles Liebe!
ja,ja,ja und gleichzeitig sooo schade! Die Welt wird ja doch zu einem freundlicheren Ort, wenn wir ALLE (auch die Männer) mehr lächeln! und ich habe mal gehört, dass es einem selber besser geht, wenn man viel lächelt, weil das Gehirn denkt, man wäre glücklich. Allein dafür lächle ich schon 😉
Hej liebe Svenja, stimmt, das ist eine Übung, die ich auch vom Yoga her kenne: Sich selbst zulächeln, damit es einem gut geht. Und wahrscheinlich gilt es generell: Wer freundlich ist, kann wahrscheinlich im Gegenzug auch auf mehr Freundlichkeit von anderen hoffen. Trotzdem möchte ich mich zukünftig einfach mehr prüfen, wem ich mein (ehrliches) Lächeln schenke… Alles Liebe!
OH, da kann ich noch etwas aus meinem Leben zu beisteuern:
Ich habe damals in einer Tischlerei gearbeitet, über die ein Bericht in einem Wohnmagazin erschien. Auf den Fotos war ich nicht, aber im Text tauchte dann der Satz auf: “Mit einem Lächeln dirigiert sie die Tischler(…)” – ich war echt wütend – es hörte sich ziemlich herabwürdigend an (für beide Seiten)! Aber wahrscheinlich hab ich damals noch mehr als heute auch so ein Dauergrinsen aufgehabt, damit mich bloß alle mögen…
Hej liebe Andrea, boah, das hätte mich auch fuchsig gemacht!! Aber so ist wohl immer noch der gesellschaftliche KOnsens: Frauen begleiten jede ihrer Tätigkeiten mit einem warmen Lächeln… Wir dürfen so viel lächeln, wie wir wollen – aber es kann niemand voraussetzen. Aber wenn es für mich stimmt, lächel ich um so lieber. Alles Liebe!
Liebe Katia, ich möchte auch unbedingt eine Lanze für das Lächeln brechen! Ich freue mich immer über Zeitgenossen, die lächeln Stadt mörderisch aus der Wäsche zu schauen. Ich habe auch den Eindruck, dass sich eine positive Einstellung auf meine Umwelt auswirkt. Wenn ich mich recht erinnere, gibt es sogar Studien, die sagen, dass Lächeln gesund macht. Ich habe ein wundervolles Buch (Bleib cool, das kleine Überlebensbuch für starke Nerven), das auch die Übung des Sich selbst Zulächelns propagiert. Die Übung heißt Hand-Spiegel und soll einen selbst stärken. Ich finde, es klappt. Vielen Dank für den schönen Text!
Hej liebe Charlotte, ich bin auch ein dauerndes Autokorrektur-Opfer, ich hab schon verstanden, was du meinst… 🙂 Ich will auch gar nicht propagieren, nie mehr zu lächeln, auch Fremden schenke ich gern ein Lächeln – aber ich will nicht mehr lächeln, um glattzubügeln, dass andere sich unfreundlich verhalten, beispielsweise. Und auch nicht aus Unsicherheit, das macht mich angreifbar. Außerdem finde ich das Experiment gerade ganz spannend, was passiert, wenn ich nicht dauernd mit angeknipstem Lächeln herumlaufe: Die Leute bemühen sich häufig mehr. Und das danke ich natürlich mit einem ernst gemeinten Lächeln. Alles Liebe und danke für deinen Input!
Die Autokorrektur hat zugeschlagen. Ich meinte die Leute, die muffelig aus der Wäsche schauen.
Oh, das trifft genau meinen wunden Punkt.
Ich lächle IMMER ein breites Lächeln, um (unbewusst) zu signalisieren: „Ich tu dir nix, du brauchst mir also auch nix zu tun.“ Das habe ich soooo tief verinnerlicht. Nur das es so oft überhaupt nix bringt, denn meinen Gegenüber suggeriere ich zwar „harmlos“, aber gleichzeitig oft auch, „Mit der kann ich alles machen!“ und so erlebe ich immer und immer wieder, dass ich mich plötzlich in Situationen finde, von denen ich gar nicht weiß, wie ich da rein geraten bin und auch oft nur schlecht wieder raus komme. Vor allem im Arbeitsbereich, werde ich da häufig ausgenutzt. Es nervt mich schon lange, aber jetzt ist es mir nochmal bewusst geworden.
Ich werde daran arbeiten. Danke!!
Hej Christina, das ist der Punkt, auf den ich vor allem hinauswollte: Dieser Automatismus – auch im Job-Bereich. Wie schwer sind mir immer Gehaltsverhandlungen gefallen, weil ich so damit beschäftigt war meinen Gegenüber anzulächeln, dass ich darüber meine Forderung vernachlässigt habe. Das geht nämlich wirklich besser ohne die Mundwinkel dauerhaft zu verziehen 😉 Alles Liebe!
Ach mmh. Ich weiß nicht, Katia. Ich verstehe, was du meinst. Aber gerade bei Menschen, die keinen leichten Job haben, wäre ich großzügiger. Ich bin auch “Marke Fröhlich”, aber sehe das nicht als Kleinmachen. Sobald mich jemand anpampt, geht das Lächeln weg und ich werde (hoffentlich!) nicht pampig, sondern sachlich-ernst. Und beim nächsten Mal: neuer Tag, neues Glück – also auch neues Lächeln!
PS: Bin auch Norddeutsche. Die Leute lächeln auch, nur sieht man das vielleicht weniger… Ist mehr so ein Lächeln in sich rein. Aber freuen tun sie sich über dein breites Lächeln, deine gute Laune, da bin ich mir sicher. Und vielleicht beneiden dich auch nicht wenige darum, dass du auch dem Alltag ein Lächeln abgewinnen kannst. Für mich ist das eine Geschenk des Naturells und nichts, was man abtrainieren sollte oder müsste.
Hej liebe Sonje, das ist ein guter Gedanke, danke! Ja, da magst du recht haben – ich favorisiere vor allem deinen zweiten Einwand mit dem Naturell der Norddeutschen… Auf Föhr, wo meine Schwiegereltern leben, ist jemand, der “MoinMoin” sagt, schon ein Sabbelkopp 😉 Es geht mir auch nicht darum, gar nicht mehr zu lächeln, sondern es einfach besser zu dosieren – und manchmal zu hinterfragen. Denn in meinem Naturell ist Lächeln vorgesehen – obwohl ich Hamburgerin bin. Alles Liebe!
Interessant. Bei vielem habe ich gedacht: so geht es mir auch. Und ich habe tatsächlich auch im Leben schon darüber nachgedacht, weil ich merke, wie ich lächelnd in Situationen gehe und wie ich es anderen Menschen dann unbewusst zu einfach mache und die leichter pampig werden können, wenn sie nicht so Lächel-Menschen sind. Und ich hatte auch schon genau gleich gedacht, dass ich es wegen meiner Kinder anders machen will. Weil ich auch nicht will, dass sie auf der lächelnden Seite leben, scheinbar immer und einfach so.
Nun aber die Frage: Wie bekommst du es hin so einen nicht lächelnden Gesichtsausdruck zu haben? Denkst du da immer vorher drüber nach wenn du auf Menschen triffst, um dich selbst daran zu erinnern? Oder hast du ein Mantra, das du dir sagst?
Mir fällt das schwer. Und dazu kommt: Ich mag es sonst, wenn Leute ihren Job lächelnd erledigen. Wenn sie fröhlich sind, ganz offen sichtbar fröhlich. Aber ich will auch nicht mehr jedem mein Lächeln anbieten, es grummeln zu viele oder so.
Hej liebe Marie, danke für deine Gedanken zu dem Thema. Ich versuche einfach neutral zu schauen. Nicht ablehnend. Offen, aber sachlich. Nein, kein Mantra. Das wäre mir auch zu konzeptionell, glaube ich. Es ist eher ein kleines Experiment, das ich immer dann durchführe, wenn es mir gerade einfällt. Da bin ich dann einfach neugierig, was passiert: Begegnet mir mein Gegenüber unfreundlicher, wenn ich ihn nicht anstrahle. Oder gibt er sich mehr Mühe. Generell gilt: Vom Naturell her bin ich eher ein Lächel-Typ.Ich bin gespannt, welche Erfahrungen du machst! Alles Liebe!